Andrea Hummer über freie Szene und IG Kultur in den 90er Jahren
Andrea Hummer war in den 90er Jahren Geschäftsführerin der IG Kultur. Sie hat die Vertretung der freien Kultur in Österreich damals von Salzburg nach Wien übersiedelt, die IG Kultur aber auch durch eine stürmische Zeit gebracht - die freie Szene war sich nämlich damals alles andere als einig. Gleichzeitig hatte sie mit einem aufkeimenden Rechtspopulismus in Österreich unter Jörg Haider zu tun, der die freie Kultur gezielt ins Visier nahm. Ein Blick 25 Jahre zurück in die stürmische Anfangszeit der IG Kultur und die Entwicklung der freien Kulturarbeit in Österreich.
Patrick Kwasi: Welchen Kulturbegriff verwendest du?
Andrea Hummer: Es gab in den 90ern Diskussionen zum Kulturbegriff, weil es aufgrund historischer Ereignisse eine Ablehnung des Begriffs der autonomen Kultur gab. Da haben wir uns damit auseinandergesetzt, ob wir nun von autonomer oder freier Kultur sprechen sollten. Ich war damals der Meinung, dass man nicht unbedingt einen Begriff verwenden muss, der nicht das ausdrückt, was man eigentlich möchte, weil der Begriff bestimmte Assoziationen weckt oder sogar angefeindet wird. Deshalb war ich damals für den Begriff der freien Kultur und bin es eigentlich immer noch. Es ist natürlich immer die Frage, was frei bedeutet. In Wirklichkeit ist auch die freie Kultur überhaupt nicht „frei“ oder „autonom“. Es sind Hilfsbegriffe, die man wählen kann, aber ein besserer als freie Kultur ist mir noch nicht eingefallen.
Mein Wunsch war immer auch eine verstärkte Politisierung der Kulturarbeit. In vielen Bereichen ist sie das ohnehin, aber man kann mit Kulturarbeit in dieser Hinsicht viel leisten. Man darf nicht übersehen, dass es ein kleiner Bereich ist, der in ein gesellschaftliches System eingebettet ist, aber wir können sehr wohl Widersprüche sichtbar machen, auf Ungerechtigkeiten hinweisen, Visionen entwickeln und vieles mehr.
Kwasi: Wie hast du die Szene damals wahrgenommen?
Hummer: Es sind damals sehr wichtige Dinge passiert in der Szene, die zu dem Zeitpunkt ja noch nicht sehr alt war und noch ein wenig in den Kinderschuhen steckte. Es gab verschiedene Strömungen, die ausgetestet haben, wo man hinmöchte. Viel war davon getragen, was an kulturellem Angebot fehlte. Viele arbeiteten aber auch schon in Richtung Politisierung, gegen die damals starke Rechtsentwicklung und die Erstarkung der Haider-FPÖ. Da hat es einige gegeben, die sich stark positioniert haben.
Kwasi: Wie bist du in den Kulturbereich gekommen?
Hummer: Ich bin durch den Einstieg in die IG Kultur Geschäftsführung in den Bereich gekommen. Ich hatte vorher eigentlich keinen Kontakt zur freien Kulturarbeit. Um ehrlich zu sein, wusste ich gar nicht, was das sein soll. Es ist auch nur durch einen Zufall zustande gekommen, weil Gerald Gröchenig aufgehört hat und ich zur selben Zeit zufällig im Kulturmanagement Lehrgang bei Herwig Pöschl war, ein Beirat der IG Kultur. Nach Gesprächen mit dem Obmann, haben beide gesagt, sie nehmen mich, obwohl ich sehr unerfahren war, was die freie Kulturarbeit betrifft.
Kwasi: Wie lief die Anfangszeit bei der IG Kultur?
Hummer: Mein größtes Problem war, dass die IG Kultur zum damaligen Zeitpunkt sehr zerstritten war. Es gab Konflikte, aufgrund derer auch mein Vorgänger Gerald Gröchenig gegangen ist. Man hat nicht an einem Strang gezogen, sondern es gab verschiedene Lager innerhalb der damals noch recht kleinen IG Kultur. Dazu kam auch meine Unerfahrenheit, nicht nur was den Bereich der freien Kulturarbeit, sondern auch, was Geschäftsführung betrifft. Das war für mich ein großer und zum Teil schmerzhafter Lernprozess. Hätte ich sie ein paar Jahre später oder jetzt gehabt, hätte ich vieles anders gemacht.
Kwasi: Wie war die politische Stimmung?
Hummer: Der deutliche Rechtsruck ging auch mit Druck auf den Kulturbereich einher. Wir sind in den Fokus der FPÖ geraten, die in Oberösterreich unter abstrusen Behauptungen ein linkes Netzwerk der Kulturarbeit in den Kontext verbrecherischer Aktivitäten rücken wollte. Damals kam es zu dem Bombenattentat auf Roma in Oberwart, es herrschte allgemein eine sehr romafeindliche Stimmung und das Offene Haus Oberwart hat stark versucht, Bewusstsein zu schaffen und dagegen zu arbeiten. Die Kulturarbeit hat vieles aufgegriffen und versucht, politisch etwas zu bewirken.
Im Nachhinein kann man sagen, dass die damalige IG Kultur vielleicht einem moralischen Antirassismus verhaftet war - im Gegensatz zu einem politischen Antirassismus - aber man muss auch verstehen, was für eine Zeit es war und was die IG Kultur Großes geleistet hat – nämlich Themen, die unter Haider stark befördert wurden, aufzugreifen und dem etwas entgegenzusetzen - als IG Kultur und als freie Kulturarbeit.
Kwasi: Haben sich die Themen verändert? Ist die Kulturarbeit immer noch so politisch?
Hummer: Ich denke, dass es viele Initiativen gibt, die politisch sind. Ich bin jetzt selbst Geschäftsführerin des Festivals der Regionen. Da versuchen wir stark partizipativ zu arbeiten, in Kontakt mit der Bevölkerung herauszufinden, wie die Gesellschaft nun funktioniert, wo die Probleme liegen, welche Visionen es gibt und was man ändern könnte.
Kwasi: Welche neuen Perspektiven ergeben sich da?
Hummer: Wir sind das nächste Mal im Salzkammergut, das mit Massentourismus konfrontiert ist, auch wenn Corona einen gewissen Einbruch gebracht hat, vor allem des chinesischen Tourismus. In Tourismusregionen wird oft vergessen, was das Bedürfnis der Bevölkerung ist, beispielweise bezüglich leistbaren Wohnraum, Entfaltungsmöglichkeiten und kulturellem Angebot, das nicht nur auf den Tourismus ausgerichtet ist. Das Festival der Regionen kann da durchaus wertvolle Arbeit leisten, diese Bedürfnisse zu erkennen und zu fragen, wie man die abdecken kann.
Kwasi: Welche Themen werden in Zukunft wichtig sein?
Hummer: Antirassismusarbeit wird wohl weiter relevant bleiben, da müsste wohl ein Wunder passieren. Da hat die FPÖ seit den 90er Jahren verderblich gute Arbeit geleistet, Rassismus ist mittlerweile so fest in der Gesellschaft verankert, dass es ihre treibende Kraft nicht mehr unbedingt braucht. Das manifestiert sich auch schon in anderen Parteien und Organisationen. Da ist vieles kaputtgegangen. Was in den 90er Jahren noch zu einem Aufschrei geführt hätte, ist heute Mainstream und akzeptiert. Antirassismus wird sich nicht erledigen, nur weil die FPÖ gerade am Abstinken ist. Auch was den Umweltschutz betrifft, gibt es starke Bewegungen mit „Friday for Future“…
Kwasi: Das ist allerdings nicht aus dem Kulturbereich gekommen, das haben wir ein wenig verschlafen…
Hummer: Das ist nicht aus dem Kulturbereich gekommen, aber es hat immer wieder Kulturinitiativen gegeben, die auf die Umweltproblematik aufmerksam gemacht haben. Allein sich mit diesen Themen zu beschäftigen, sich daran abzuarbeiten und daran zu lernen, ist extrem wichtig. Ich würde nicht unterschätzen, was das für ein Potential hat. Die Kulturarbeit hat dieses Potential und je mehr Leute das tun, desto mehr werden diese Themen auch in die Gesellschaft getragen und die eine oder andere Lösungsmöglichkeit geboren werden.
Andrea Hummer ist Kulturmanagerin und kaufmännische Leiterin des Festivals der Regionen.