Mehr Raum, Zeit und Geld für zeitgenössischen Zirkus
Auf Einladung der IG Kultur Österreich nahm Arne Mannott an der vierten Ausgabe von "Fresh Circus" zur Entwicklung und Vernetzung der Zirkuskunst teil*. Ein Bericht über das internationale Seminar in Brüssel.
Vor 250 Jahren wurde der moderne Zirkus erfunden. Das Jubiläums-Jahr 2018 ist somit mehr als prädestiniert, um die vierte Ausgabe von „Fresh Circus“, dem internationalen Seminar zur Entwicklung der Zirkuskunst, durchzuführen und eine Bestandsaufnahme vorzunehmen. Vom 13.-15. März organisierte „Circostrada“ (in Kooperation mit „Espace Catastrophe“ und „Wallonie-Bruxelles Théâtre/Danse“) die zum ersten Mal außerhalb Frankreichs stattfindende Konferenz im Théâtre National in Brüssel. Ausgehend vom Titel „More than circus“ diskutierten über 400 Künstler_innen, Produzent_innen und Kulturmanager_innen über die Potenziale und Bedürfnisse des zeitgenössischen Zirkus.
Ein Fazit vorweg: Die zeitgenössische Zirkuskunst ist im Aufwind. Ob in Belgien, Serbien, Tschechien oder Japan, in vielen Ländern steigt die Anzahl der Produktionen, der programmierenden Theaterhäuser, der Zuschauer_innen und der engagierten Kulturarbeiter_innen, die sich diesem Trend annehmen und in ihren lokalen Kontext integrieren. Sei es in Form von Bühnenproduktionen, Festivals, partizipativen und pädagogischen Formaten oder auch diskursiven Auseinandersetzungen. Die internationale Zirkusszene erhält zunehmend so etwas wie eine kulturelle Infrastruktur, analog zum Tanz- und Theaterbereich.
Solche Entwicklungen passieren natürlich nicht von heute auf morgen, betont der Leiter des Brüsseler Ausbildungs- und Kreationszentrums „Espace Catastrophe“, Benoit Litt, gleich in der Eröffnungsrede: „Es hat uns 25 Jahre Arbeit gekostet, um die Verantwortlichen in Politik und Kultur zu überzeugen.“ Dass sich dieser Einsatz gelohnt hat, zeigt sich nicht zuletzt daran, dass man in Brüssel wie selbstverständlich abends Zirkuskunst im Theater sehen kann, ein breites Ausbildungsangebot (von Jugendzirkus bis zur Hochschulausbildung) existiert und internationale Kompanien ihre Stücke in Brüssel produzieren.
Von solch einem Status Quo kann die japanische Produzentin Michiko Tanaka nur träumen. Unter dem Label „Setouchi Circus Factory“ setzt sie sich seit etlichen Jahren in ihrer Heimat für den zeitgenössischen Zirkus ein und kann, trotz sehr geringer öffentlicher Förderungen, auf eine Reihe von Erfolgen zurückblicken. „Die Auslastungen finanzieren den Großteil der Projekte und motivieren uns weiterzumachen“, erzählt sie. Teilnehmer_innen aus anderen Ländern berichten über die Ausweitung ihrer Festivals, Neugründungen von Kompanien und kulturpolitischen Errungenschaften in Form von Förderungen und räumlichen Zugeständnissen. Kurzum: Es gab einiges Positives zu berichten. So weit, so gut!
Was bleibt zu tun? Am Dringendsten zwei Sachen. Zum Einen, und das betrifft den künstlerisch-kreativen Part der Zirkuskunst, braucht es ein Nachdenken über die Art der Erzählungen und die Form(en) der Darstellung. Lapidar gesagt: Warum machen wir überhaupt Zirkus? Die Frage nach einer Definition von zeitgenössischem Zirkus hing ein wenig wie ein Damoklesschwert über den Seminar-Teilnehmer_innen in Brüssel, gibt es in der Szene doch eine rege Diskussion darüber, was Zirkus ist, nicht zuletzt angestoßen durch die offenen Briefe der belgischen Dramaturgin Bauke Lievens, die forderte: „Wenn wir möchten, dass der Zirkus innovativer, überraschender, exzentrischer und verstörender wird, so müssen wir die enge Bindung zwischen der Form des Zirkus und dem Inhalt verstehen [….] Wir müssen herausfinden, welche Eigenschaften den Zirkus zum Zirkus machen, über die technischen Fertigkeiten hinaus.“ In Brüssel nahm ihr Kollege Alexander Vantournhout darauf Bezug, indem er vorschlug, dass der Zirkus „weniger gefällig sein sollte und es sich auch erlauben darf, bspw. Stücke nur für ein erwachsenes Publikum zu entwickeln.“ Auch wenn diese Diskussionen anstrengend sein können, so scheinen sie für die Szene momentan doch unverzichtbar und führen nicht selten zu einer progressiven Diversität.
Zum Anderen gilt es sich nach wie vor für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Zirkusschaffenden einzusetzen. Diverse Referent_innen brachten in Brüssel immer wieder das Bild der Triade Zeit - Raum - Geld ins Gespräch: Ein_e Künstler_in benötigt zum Kreieren eines Stückes alle drei Komponenten, wird jedoch in Realität von mindestens einem Faktor limitiert. Das ist natürlich kein Alleinstellungsmerkmal, jedoch ist der Zirkus wesentlich öfter von Förderungen ausgenommen als verwandte darstellende Künste. Darüber hinaus braucht er auch einfach öfter spezifische räumliche Gegebenheiten (Höhe), um praktiziert werden zu können. Ein fertiges Stück wiederum verlangt nach Partner_innen, die ihm eine Chance geben. Der Raumaspekt wird somit doppelt wichtig: Nach wie vor zögern aber viele Kurator_innen sowie Verantwortliche von Theaterhäusern und Festivals zeitgenössische Zirkusproduktionen einzuladen, was damit zusammenhängt, dass sie zu wenig Referenzen und Angst vorm Einkauf von populärer Unterhaltungskunst (traditioneller Zirkus) haben. Hier braucht es sowohl den Mut von Veranstalter_innen, der Zirkuskunst etwas zuzutrauen und neue Wege zu gehen, als auch den langen Atem und die Bereitschaft von Seiten der Künstler_innen immer wieder das Gespräch zu suchen.
Was ist los in Österreich? Die sehr guten Nachrichten auf hiesiger Ebene sind die Eröffnung der Zirkushalle in Dornbirn, die anstehende Einweihung des Salzburger Zirkuszentrums und die Fortführung der Förderung für zeitgenössischen Zirkus auf Bundesebene (trotz neuer rechtspopulistischer Regierung). Gerade letzterer Punkt führt vor allem auch zu einer wachsenden Anzahl von Kompanien und Produktionen sowie zu einer generellen Professionalisierung der Zirkuslandschaft. Neben der Ausweitung des Förderwesens (bspw. weigert sich die Stadt Wien nach wie vor Projekte mit zirzensischen Inhalten zu fördern) mangelt es in Österreich aber, trotz der neuen Zirkuszentren, an Raum. Raum zum Kreieren, zum Ausprobieren, zum Austauschen, und am wichtigsten: zum Auftreten. Der finnische Künstler und Produzent Kalle Nio beschreibt in Brüssel die Parallele zu Finnland: Dort gebe es zwar große und subventionierte Zirkuszentren und Zirkusschulen sowie Förderungen für Künstler_innen, jedoch kaum Orte zum Spielen. „Die meisten Zirkuskünstler_innen aus Finnland produzieren hier und touren dann im Ausland, oder gehen gleich ganz weg.“ Ein nachhaltiger Ausbruch aus dieser paradoxen Situation wird wohl nur gelingen, wenn sich österreichische Theaterhäuser und Festivals für zeitgenössische Zirkuskunst öffnen. Das passiert allerdings nicht von allein.
Arne Mannott ist freischaffender Zirkuskünstler, Produzent und Kulturarbeiter. Zusammen mit Elena Kreusch betreibt Arne Mannott den Verein KreativKultur und setzt sich für die Stärkung des zeitgenössischen Zirkus ein.
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* Die IG Kultur Österreich bietet ihren Mitgliedern die Möglichkeit, an ausgewählten internationalen Vernetzungstreffen teilzunehmen. Über aktuelle internationale Termine und Teilnahmemöglichkeiten informiert der wöchentliche Montagsmelder, die Mitgliederinformation der IG Kultur Österreich.
Bilder: © Arne Mannott