Nicht nur Arbeitskräfte
Vor dem Hintergrund immer krisenhafterer Arbeits- und Lebensbedingungen hat sich auch grundsätzlich verändert, wer als Tagelöhner*in tätig ist. Die Verletzung der Rechte von zum überwiegenden Teil Migrant*innen, der Akkordlohn, das Caporalato, die un(ter)dokumentierte Arbeit, die schwierigen Wohnbedingungen, die Allgegenwärtigkeit rassistischer Rhetorik und Handlungen machen die Felder Italiens zu einem politischen und sozialen Labor der Ausbeutung und Zersplitterung.
Kämpfe selbstorganisierter Erntearbeiter*innen in Italien
Von Apulien bis Kalabrien, von der Basilicata bis in den Piemont – die Felder des Südens und des Nordens Italiens scheinen durch die extrem harten Arbeit- und Lebensbedingungen immer mehr Gemeinsamkeiten zu entwickeln. Die Transformationen von sozialen und Produktionsverhältnissen haben in den letzten Jahrzehnten die Agrargebiete Italiens (und des Südens im Besonderen) kontinuierlich verändert und verändern sie weiterhin. Vor dem Hintergrund immer krisenhafterer Arbeits- und Lebensbedingungen hat sich auch grundsätzlich verändert, wer als Tagelöhner*in tätig ist. Die Verletzung der Rechte von zum überwiegenden Teil Migrant*innen, der Akkordlohn, das Caporalato (1), die un(ter)dokumentierte Arbeit, die schwierigen Wohnbedingungen, die Allgegenwärtigkeit rassistischer Rhetorik und Handlungen machen die Felder Italiens zu einem politischen und sozialen Labor der Ausbeutung und Zersplitterung.
Gegen die gesamte Kette der Arbeitsausbeutung
Um diese Mechanismen zu durchbrechen, war – vor allem seit der Selbstorganisierung und den Kämpfen migrantischer Tagelöhner*innen (speziell 2010 in Rosarno (2) und 2011 in Nardò (3)) und ausgehend von einschlägigen Erfahrungen von Vereinen und militanten Aktivist*innen sowie von der sich in Italien ausbreitenden Auseinandersetzung mit kritischem Konsum und Solidarökonomien – die Notwendigkeit immer offensichtlicher, Reflexionen, Praktiken und die Artikulation von Forderungen zu vernetzen. Vor diesem Hintergrund ist 2011 schließlich das Netzwerk Campagne in Lotta entstanden. Feldarbeiter*innen, kleine Produzent*innen, Food Coops, Wissensarbeiter*innen, ehrenamtliche Unterstützer*innen, militante Aktivist*innen aus verschiedenen Kontexten sowie Vereine, die seit Jahren in den Erntegebieten tätig sind, haben sich seither dem Netzwerk angeschlossen. Gemeinsam verfolgen wir die Absicht, die gesamte Kette der Arbeitsausbeutung – von den Tomaten- oder Orangen-Plantagen bis zu den Supermarktregalen auf der ganzen Welt – zu analysieren und uns kritisch dazu zu verhalten.
Isolierung aufbrechen, informieren, vernetzen
Erste gemeinsame Erfahrungen hat das Netzwerk im Sommer 2012 mit seinem Beitrag zum Projekt Io Ci Sto (4) im Gran Ghetto von Rignano Garganico (Provinz Foggia) gemacht. Das Gran Ghetto ist eine der größten informellen Wohnsiedlungen von Tagelöhner*innen in Apulien. Io Ci Sto ist ein mit europäischen Geldern realisiertes Projekt von Caritas und dem Scalabriniani-Orden in Foggia, das Freiwilligendienste für Interessierte aus ganz Italien organisiert und verschiedene Aktivitäten wie Italienischkurse, eine Fahrradwerkstatt, Kinderprogramme, Rechtsberatung etc. im Gran Ghetto von Rignano Garganico anbietet. Durch diverse Aktivitäten haben wir uns darum bemüht, Informationen über bestehende (Arbeits-)Rechte von Migrant*innen zu verbreiten. Gleichzeitig ist es gelungen, einen Raum für Diskussion und kollektive Organisierung zu schaffen. Mit Italienischkursen (die Konzepte libertärer Pädagogik verfolgen) haben wir versucht, Sprache als Beziehungs- und Konfrontationswerkzeug zu benutzen, um Isolierung aufzubrechen und Instrumente bereitzustellen, die es den Arbeiter*innen ermöglichen, mehr Wissen und Autonomie zu erlangen.
Die Einrichtung einer (bisweilen auch mobilen) Bikekitchen wiederum war ein wichtiger Versuch, die Nutzung von Fahrrädern zu fördern. Fahrräder sind oft das einzige Mittel, sich vom ausbeuterischen Transportmonopol der Caporali unabhängig zu machen. In Foggia hat die Einrichtung eines von Arbeiter*innen selbstverwalteten Freien Radios dazu geführt, dass das Radio zur Stimme der Bewohner*innen des Gran Ghetto wurde. Es gab allen, die wollten, den Raum, sich auszudrücken und Informationen auszutauschen. Darüber hinaus wurde das Radio zum physischen und symbolischen Ausgangspunkt für Versammlungen. Die Verbreitung von Foldern in verschiedenen Sprachen hat es ermöglicht, über die gesetzlich vorgegebenen Rahmenbedingungen für Erntearbeiter*innen betreffend Aufenthaltspapiere und Rechte auf medizinische Versorgung zu informieren sowie gleichzeitig Arbeiter*innen mit ähnlichen Fragestellungen miteinander in Kontakt zu bringen. Erprobte Praktiken dieser ersten Erfahrung haben wir später adaptiert, um sie auch an anderen Orten mit starker Präsenz von (Saison-)Arbeiter*innen wieder aufzugreifen – zum Beispiel in Rosarno (Kalabrien), Saluzzo (Piemont) und Boreano (Basilicata).
Methoden und Ziele galt es letztlich immer, mit der täglichen Praxis abzustimmen. Die Ghettos und Zeltstädte, in denen das Netzwerk aktiv war und ist, stellen regelrechte „Sonderwirtschaftszonen” dar – Orte in denen, wenn auch mit den Besonderheiten der jeweiligen Region, alle Aktivitäten des täglichen Lebens (vom schlichten Lebensmitteleinkauf bis hin zur Sexarbeit) stets einer mehr oder weniger engmaschigen Kontrolle durch die verschiedenen Caporali unterworfen sind. Und gerade diese so sehr bewegungsunfähig machenden internen Systeme gilt es zu (zer)stören: sei es durch ein Aufheben der Separierung von der lokalen Bevölkerung, die lediglich den Profiten sowohl der Caporali als auch der Produzent*Innen dient; sei es durch die Versuche von militanten Aktivist*innen und freiwilligen Helfer*innen autonome Räume zu schaffen. Geschützte(re) Räume, (ab)getrennt vom Rest des Ghettos, aber dennoch mittendrin, wo es möglich ist, Treffen und Diskussionen ins Leben zu rufen, deren Grundprinzip eine vorbehaltlose Parität von Arbeiter*innen, lokalen Vereinen und militanten Aktivist*innen des Netzwerks ist.
Direkte, wirkliche, solidarische Beziehungen
Die vorbereitenden Analysen der Gegenden, in denen wir aktiv wurden, die Auseinandersetzung mit den verschiedenen lokal ansässigen Vereinen sowie die auf Vertrauen und Kontinuität aufbauende Beziehung zu den Tagelöhner*innen haben – gerade in Bezug auf die mannigfaltigen Möglichkeiten, Kämpfe auszutragen und Forderungen zu artikulieren – dazu beigetragen, assistenzialistische Annäherungen zugunsten horizontaler, direkter und wirklich solidarischer Beziehungen zu vermeiden.
Eine erste Folge dieser Prozesse war im Sommer 2013 (insbesondere in Foggia und Boreano) die Entwicklung einer allmählichen Selbstorganisierung von Arbeiter*innen. Auslöser hierfür war auch die Weigerung der Gewerkschaften, ein Verhandlungsmandat oder zumindest eine Vermittlung(stätigkeit) in Streitfällen aufgrund von Lohnbetrug zu übernehmen. Die Arbeiter*innen brachten – nachdem nach mehreren Anläufen die Ineffizienz der Gewerkschaften klar wurde – ihren Willen zum Ausdruck, sich selbst direkt vertreten und Entscheidungen in gemeinsamen Versammlungen treffen zu wollen. Die Gewerkschafter*innen hätten, so die Arbeiter*innen, zwar von allen Mitgliedsbeiträge eingefordert, aber keinerlei reale Verbesserungen erreicht, wenig Interesse und Durchsetzungskraft in Bezug auf eine Lösung der wichtigsten Fragen gezeigt und letztlich das Vertrauen vieler verloren, die sich mit Streitfällen aufgrund von Lohnbetrug an Gewerkschafter*innen gewandt hätten. Die Arbeiter*innen haben schließlich beschlossen, selbst einige klare Forderungen an die Präfekturen und Arbeitsinspektorate zu richten. Das Netzwerk mit seinen militanten Aktivist*innen hat diesen Prozess von unten unterstützt und letztlich als Motor und Antrieb funktioniert.
Einige Arbeiter*innen in Foggia haben darüber hinaus entschieden, sich als Komitee mit dem Namen Das Haus der Arbeiter*innen zu konstituieren, um ihren Aktionen eine Form zu geben und mehr Wirkungsmacht zu erlangen. Gemeinsam mit Arbeiter*innen aus vielen Teilen Italiens hat das Komitee die Gründung einer auf ganz Italien ausdehnbaren politischen Plattform vorgeschlagen, in der Forderungen zusammenfinden können. Es zielt auf eine Ausweitung und Inklusion von Erfahrungen mit Selbstorganisierung und Emanzipationsprozessen ab, die Arbeiter*innen im Norden wie im Süden aufgrund analoger Logiken der Ausbeutung und des Ausschlusses auch an anderen Orten gemacht haben. Inhaltlich soll ein Fokus auf der grundsätzlichen Ablehnung von Akkordarbeit liegen, um eine Spaltung zwischen Arbeiter*innen und Erwerbslosen zu vermeiden und die Einhaltung der lokalen Tarifverträge sowie des Prinzips „wir arbeiten weniger, damit alle Arbeit haben“ zu unterstützen. Außerdem soll die Aufmerksamkeit auf einen grundsätzlicheren Diskurs erweitert werden, nämlich die Rolle der Migrationsgesetze innerhalb dieses Ausbeutungssystems.
Weitere zentrale Streitfragen sind ein Ende der Zwischenschaltung von Caporali durch die Landwirtschaftsbetriebe zur Anwerbung von Arbeiter*innen, die Einrichtung von öffentlichen Verkehrsmitteln, um zu den Arbeitsorten zu gelangen, die Anerkennung von Wohnsitzen der Arbeiter*innen bei entsprechender Antragstellung sowie eine Verstärkung von Kontrollen durch zuständige Behörden. Alle Arbeiter*innen des Komitees in Foggia haben Aufenthaltspapiere. In Behördenkontrollen sehen sie eine Möglichkeit, gegen „Schwarzarbeit“ und „Grauarbeit“ (5) und für die Einhaltung ihrer Rechte als Arbeiter*innen (rechtskonforme Arbeitszeiten und -bedingungen, Löhne, Sozialversicherungsbeiträge, etc.) zu kämpfen, ihren regulären Aufenthaltsstatus zu bewahren und der Ausbeutung ein Ende zu setzen, indem sie auch für diejenigen kämpfen, die sich aufgrund fehlender Aufenthaltspapiere nicht exponieren können.
Selbstreflexion und Herausforderungen des Netzwerks
Der bislang eingeschlagene Weg verlief selbstverständlich nicht frei von Kritik sowie von schwierigen und anstrengenden Momenten, die dazu geführt haben, nicht nur die Komplexität der Verhältnisse, sondern auch uns selbst, das Netzwerk sowie dessen Ziele und Praktiken des Kampfes zu reflektieren. Unsere gemeinsame Analyse hat bislang vor allem zweierlei Bedenken zum Vorschein gebracht. In erster Linie haben wir uns Fragen zur Beziehung zwischen militanten Arbeiter*innen und militanten Aktivist*innen gestellt, also konkret zu den Unterschieden und Gleichartigkeiten prekärer Lebensumstände bei denen, die in der Landwirtschaft arbeiten und jenen, die – wenn auch in anderen Bereichen – dennoch nicht von der Tyrannei der Prekarität verschont bleiben. Dabei entsteht oft eine Beziehung zwischen Italiener*innen und Afrikaner*innen, zwischen Männern und Frauen und auch zwischen verschiedenen Klassen. Wie können wir also in derart komplexe und zerbrechliche Realitäten eingreifen? Wie ist es möglich, die von Tagelöhner*innen oft erlebte Isolierung aufzubrechen, ohne in die Falle eines „Assistenzialismus“ zu tappen? Wie schaffen wir es, tatsächlich gemeinsame Perspektiven und gemeinsame Praxen des Kampfes zu entwickeln, wenn wir in das Zentrum unserer Diskussion die Arbeit aller stellen? Die Arbeit von Italiener*innen und Migrant*innen, von Tagelöhner*innen, Verladearbeiter*innen in Logistikunternehmen und prekären Lehrer*innen.
Eine zweite Frage betrifft hingegen die Form, die die Anwesenheit des Netzwerks und der Saisonarbeiter*innen in den verschiedenen Gebieten annimmt. Wenn es stimmt, dass es uns dank gemeinsamer Räume gelungen ist, die Selbstorganisierung und das Erheben von Forderungen durch die Arbeiter*innen voranzutreiben, so stellt dies gleichzeitig auch einen kritischen Punkt dar, an dem bestimmte Praktiken des Konflikts und Phasen des Einschreitens durch das Netzwerk sich immer mehr von anderen Interventionsformen abgelöst haben, nämlich von denen jener Akteur*innen, die das ganze Jahr in den betreffenden Gebieten leben und aktiv sind.
Die Ausbeutung in der Landarbeit einerseits wie auch andererseits unsere Versuche, deren Bedingungen zu ändern, schreiben sich so in die ebenso komplexe Alltäglichkeit ein, die wir begonnen haben als „das Territorium“ zu definieren. Das Territorium ist ein Ort, aus dem viele von uns kommen, aber es ist auch unser Raum der politischen Aktion, der Ort, wo die Ausbeutung sowie unsere Forderungen konkret werden. Die Territorien, in denen wir agieren, sind keine neutralen Orte. Sie sind von einer – auch durch alte und neue Migration geprägten – Geschichte getragen, die oft eine Geschichte von Entbehrungen und Zumutungen, von Arbeitslosigkeit und Nachlässigkeit, der Mafia und von (politischem) Desinteresse (oder vielleicht von zweckmäßiger Verwaltung?) vonseiten des „Staates“ ist. Und so hat die Saisonarbeit der Migrant*innen keine andere Chance, als sich übergreifend in diese Zusammenhänge einzufügen und die Konflikte zu verschärfen. Genau an diesem Punkt wird die Aktivität der militanten Aktivist*innen des Netzwerks zur Zerreißprobe: Das Netzwerk ist das Territorium, aber es hört in dem Moment auf, konstituierender Teil davon zu sein, in dem es entscheidet, nicht bei diesen sich zuspitzenden Logiken zu verharren, sondern sie zu zerstören. Das ist zwangsläufig kein einfacher Kompromiss.
Widersprüche und Konflikte produktiv nutzen
Es ist innerhalb der bislang vor(an)gebrachten Versuche nie einfach gewesen, ein Gleichgewicht zu erreichen, ohne dabei offene oder latente Konflikte der Beteiligten auszutragen. Die Verhandlung mit Akteur*innen, die wir des „Assistenzialismus“ bezichtigen (einen Teil der lokal ansässigen Organisationen), denen wir ihr Fernbleiben ankreiden (den Gewerkschaften) und denen wir eine Manipulation der Kämpfe vorwerfen (anlassbezogen manchen politischen Parteien sowie lokalen und überregionalen Mainstreammedien), hat sich als schwierig, manchmal auch als unmachbar erwiesen. Auf der anderen Seite ist das Territorium auch Erfahrung, es ist historische Erinnerung, es ist der Ort, an dem tagtäglich mit der Realität abgerechnet wird, in der Saisonarbeiter*innen und ein großer Teil der militanten Aktivist*innen nur zeitweilig zusammenleben. Sinn und Praktiken dieser bereits organisierten territorialen Erfahrungen zusammenzutragen, sich diese aktiv einzuverleiben, aber nicht in sich zunichte zu machen – das ist der zentrale kritische Punkt des Netzwerks, sei es ideologisch oder in der Praxis der Personen, die das Netzwerk verkörpern.
Es gibt keine vorbereiteten Antworten, sie müssen erst geschaffen werden. Daher haben wir bislang versucht, in Widersprüchen und im Konflikt zu bleiben und diese in produktiver Weise zu nutzen. Wir haben versucht und versuchen weiterhin, den Konflikt in einer Form voranzutreiben, die den Forderungen der Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft sowie allen Arbeiter*innen Macht geben kann. Dabei gehen wir stets vom Prinzip der Selbstorganisierung mit allen Schwierigkeiten in und mit dem Territorium aus, das selbst koloniales Randgebiet eines auf wackeligen Beinen stehenden, aber deshalb nicht weniger gewaltvollen italienischen kapitalistischen Modells ist. Diese Territorien drücken Widersprüche und Veränderungsbegehren aus. Unterstützung darin finden sie sehr oft dank der Präsenz der „neuen“ migrantischen Bewohner*innen, die bereits fester Bestandteil dieser Territorien sind.
Gegen die Trennung in italienisch und migrantisch
Die Komplexität des Umfelds, in denen das Netzwerk in den letzten zwei Jahren gearbeitet hat, in Verbindung mit den internen Veränderungen des Netzwerks, die zur Neu-Zusammensetzung einer militanten Struktur aus italienischen und migrantischen Aktivist*innen geführt haben, sind kritische Elemente in einem politischen Prozess, der mit einer neuen gemeinsamen und politischen Sprache versucht hat, Gegen-Subjektivität zu schaffen und assistenzialistische Logiken zu verweigern. Wir haben uns tagtäglich in Parität geprobt, die sich als wirksamstes Instrument gegen die von den Saisonarbeiter*innen erlebte Isolierung auf dem Land erwiesen hat. Das Aufbrechen der Isolierung, das Schaffen von Räumen für freie Sozialitäten (der Italienischunterricht, das Radio etc.) haben für die migrantischen Arbeiter*innen die Möglichkeit zur aktiven Auseinandersetzung mit auch konflikthaften Sichtweisen geschaffen.
Der Umgang mit aktuellen oder potenziellen Konflikten bleibt einer der problematischsten Punkte in der Beziehung zwischen Arbeiter*innen, militanten Aktivist*innen und autochthonen Unterstützer*innen. Manchmal forcieren die Selbstorganisierung und das Aufstellen von Forderungen durch migrantische Arbeiter*innen Veränderungsprozesse. Und nicht immer sind diejenigen, die das ganze Jahr in den betreffenden Gegenden leben, bereit, die Gelegenheit zu ergreifen, die diese treibenden Impulse regional übergreifend hervorbringen können: nämlich einen Raum für historische Momente und politische Aktion, der die Trennung in italienisch und migrantisch überwindet. Genau das ist vielleicht eine der komplexesten Herausforderungen für eine tatsächliche und verändernde Neuzusammensetzung der gegenwärtigen Verhältnisse.
Link
Campagne in Lotta
Texthinweise auf Deutsch
Italien: Arbeitskampf der Illegalen (2010)
Die Aufstände von Rosarno, Europa (2010)
Wenn die Kämpfe zuwandern: Streik in der grünen Fabrik in Nardò (2011)
Dossier Italien: Ein Streik der Tomatenpflücker (2011)
Der Streik in Nardò (Süditalien) ist vorbei (2011)
Fußnoten
(1) Das Caporalato ist eine gesetzeswidrige Form der Vermittlungstätigkeit zur Anwerbung und Bezahlung von Arbeitskräften. Anstatt sich an Arbeitsämter zu wenden und Arbeiter*innen mit regulären Verträgen zu beschäftigen, wenden sich Arbeitgeber*innen an Caporali, die Arbeitstrupps zusammenstellen und zu den Feldern bringen. Sie lassen sich diesen Transport teuer bezahlen, kontrollieren die Arbeit und behalten dafür nicht unwesentliche Teile des Lohns ein.
(2) In Rosarno (Kalabrien) fand 2010 in Folge rassistischer Angriffe durch zwei Arbeiter ein gewalttätiger Aufstand von Tagelöhner*innen der Orangen- und Mandarinenernte statt. Dieser Aufstand wurde von lokalen und nationalen Medien skandalisiert und kriminalisiert und hat schließlich überregional zu Versammlungen betroffener Tagelöhner*innen geführt, um Arbeitsrechte und Aufenthaltspapiere zu fordern.
(3) In Nardò streikten 2011 etwa 400 selbstorganisierte Arbeiter*innen zwei Wochen lang gegen das gewaltvolle Ausbeutungs- und Caporalato-System. Diese Bewegungen waren nicht von Bestand, sie haben aber zum Erlass eines neuen, 2012 beschlossenen Gesetzes gegen das Caporalato beigetragen.
(4) Io Ci Sto ist ein mit europäischen Geldern realisiertes Projekt der Caritas und des Scalabriniani-Ordens in Foggia (Apulien), das Freiwilligendienste für Interessierte aus ganz Italien organisiert und Aktivitäten wie Italienischkurse, eine Fahrradwerkstatt, Kinderprogramme, Rechtsberatung etc. im Gran Ghetto von Rignano Garganico anbietet. Siehe hier.
(5) Grauarbeit (lavoro grigio) meint Arbeitsverhältnisse mit Verträgen, die zugunsten der Arbeitgeber*innen nicht den Tatsachen entsprechen (Anm. d. Ü.).
Das Netzwerk Campagne in Lotta entstand 2011 zur Unterstützung von selbstorganisierten (Arbeits-)Kämpfen von Tagelöhner*innen, die in der Obst- und Gemüseernte in Italien tätig sind. Es ist ein Zusammenschluss von Feldarbeiter*innen, kleinen Produzent*innen, Food Coops, Wissensarbeiter*innen, ehrenamtlichen Unterstützer*innen, militanten Aktivist*innen sowie in den Erntegebieten aktiven Vereinen. Übersetzung aus dem Italienischen: Daniela Koweindl