Die Copy-und-Paste-Politik. Zur Institutionalisierung eines Polithypes.

Studien zur den Creative Industries (CI) boomen allerorts. Dies allerdings in verschiedenster Qualität. Während sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung (besonders im internationalen Raum) immer stärker auf Details konzentriert und Tiefenstudien unternimmt, scheinen politische EntscheidungsträgerInnen und PolitikberaterInnen hierzulande immer simplistischeren Konzepten anzuhängen.

Einleitung

Studien zur den Creative Industries (CI) boomen allerorts. Dies allerdings in verschiedenster Qualität. Während sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung (besonders im internationalen Raum) immer stärker auf Details konzentriert und Tiefenstudien unternimmt (wie beispielsweise zu Clusterstrukturen und deren Funktionsweisen, zu Copyright und Fragen zu dessen Sinnhaftigkeit, Dauer und Auswirkung oder auch zur Innovationsforschung), scheinen politische EntscheidungsträgerInnen und PolitikberaterInnen hierzulande immer simplistischeren Konzepten anzuhängen. Der Umstand, dass nach wie vor keine einigermaßen verbindliche Definition im Raum steht, stört dabei offensichtlich niemanden, ganz im Gegenteil. In freier Assoziation (die mitunter sehr an das z.Zt. beliebte Seminarspiel „Mind Mapping“ erinnert) schwirren Begriffe wie Kreativität, Innovation, Experiment, Motivation, Standortqualität usw. durch den Raum. Ebenso wenig irritiert, dass die konkreten (nicht zukünftigen!) Beschäftigungszahlen nach wie vor unscharf bleiben. Aber Details sind ohnehin nicht so interessant. Creative Industries / Kreativwirtschaft ist eben ein neues Feld, in dem schicke, junge Menschen aus Design, Grafik, Film, Architektur, Medien und Software voll kreativ Produkte herstellen, die in überbelichteten Fotos beworben werden und dann urviel Kohle einbringen. Oder so. Leider hält sich das Interesse der meisten AuftraggeberInnen an tiefer gehenden Studien in Grenzen, sodass vorwiegend Schnellschusswissenschaft zur Produktion freundlicher Befunde unterstützt wird. Daraus erklärt sich auch das forsche Abkupfern von gerade den Ansätzen, die selbst im Rahmen dieser Forschung nicht zu den brillantesten gehören,– hier sei nur auf die verschiedenen Produkte aus dem Hause Richard Florida verwiesen, die sich ungebrochener Beliebtheit erfreuen. Doch dazu später ausführlicher.

Deregulierte Arbeitsverhältnisse fördern!?

Auf diese knappe Formel ließe sich die begeisterte öffentliche Förderung der Kreativwirtschaft bringen. Lange Zeit wurde die Frage nach den konkreten Arbeitsbedingungen in den Untersuchungen und Papieren, die den CI überdurchschnittlich hohes wirtschaftliches Potenzial zusprachen, nobel ausgespart. Hier ist auch festzuhalten, dass seit dem Working Paper der Europäischen Kommission 1998 im Kontext von Kultur primär von „Beschäftigung“, nicht mehr von Arbeitsplätzen, Vollzeitäquivalenten oder ähnlichen uncoolen Begriffen die Rede ist. Das ist wenig erstaunlich, denn an solchen Indikatoren gemessen sehen die Potenziale sehr viel weniger attraktiv aus, als im vagen Überbegriff „Beschäftigung“, der vom Hobby, das zeitweise zu Geldflüssen führt bis zum hochbezahlten ManagerInnenjob alles umfassen kann (auch wenn letztgenannte Ausprägung im Bereich der Creative Industries eher vernachlässigbar ist.) Die vielfältigen Erscheinungsformen deregulierter Arbeitsverhältnisse scheinen manche AutorInnen so zu überfordern, dass sie vor der Heterogenität des Feldes die Waffen strecken und statt kritischer Analyse eine einigermaßen hilflose Deskription von Einzelaspekten unternehmen. Werden Befunde zur „Beschäftigung“ ssituation in den CI herangezogen, so fällt auf, dass trotz der hohen Wertschöpfung und trotz des enormen Innovationspotenzials die Arbeitsverhältnisse ganz ähnlich sind wie im subventionsfressenden, nur irgendwelchen abgehobenen ästhetischen Spielereien verpflichteten Kunstbereich. Und es werden zur Erklärung sogar dieselben Mythen strapaziert, die bereits im Kunstfeld herhalten mussten. Aber zunächst die Hard Facts: Atypische Beschäftigungsverhältnisse herrschen vor, instabile Projektarbeit ist die Regel. Zweit- und Nebenbeschäftigungen außerhalb des Kernberufes müssen zum Überleben angenommen werden. Bis auf Architektur ist der Bereich vollkommen dereguliert, was den Zugang betrifft (so müssen beispielsweise zur Berechtigung der Berufsausübung keine Ausbildungsnachweise vorgelegt werden), es existieren keine Regelungen und / oder verbindlichen Abkommen über Entlohnungen (z.B. Stundensätze), Berufsvertretungen haben nur wenig Gewicht. In Anbetracht der nun schon jahrelangen Diskussion um die Kreativwirtschaft und entsprechende Begleitmaßnahmen ist es eine besondere Ironie, dass gerade ein vergleichsweise stark regulierter Bereich wie Architektur sich nun eher den schlechten Arbeitsbedingungen in den übrigen Sektoren annähert statt umgekehrt. Neben den bereits erwähnten Rahmenbedingungen sinken auch die Löhne – auf einen relativ niedrigen Durchschnitt verglichen mit Berufen mit ähnlichen Qualifikationsniveaus. Der Vollständigkeit halber sei auch noch erwähnt, dass der Gender Gap auch hier vorhanden und signifikant ist: dies in Bezug auf Einkommen und Leitungspositionen. Auch der Kreativchef ist männlich. (Ich nehme auch mal ganz unwissenschaftlich an, dass er auch weiß ist, aber dazu gibt’s erst recht mal keine Daten.)

Die Genie-Karotte vor der Nase

Bevor aber das Lamentieren über die miesen Arbeitsverhältnisse langweilig wird, hier nun ein paar positive Nachrichten: Der Zustrom in die CI ist ungebrochen, ja er nimmt sogar ständig zu. Institutionen wie die Universität für Angewandte Kunst können sich der StudienanfängerInnen kaum mehr erwehren. Und warum das alles? Weil die jungen Menschen einen Beruf mit hoher individueller Sinnstiftung dem großen Geld vorziehen und weil es ja außerdem immer ein paar schaffen, dennoch eben dieses Big Money zu verdienen. Irgendwann. Vielleicht. Amüsanterweise werden hier Topoi aufgerufen, die seit langer Zeit in der Kulturökonomie (um Missverständnissen vorzubeugen: dabei handelt es sich um die ökonomische Wissenschaft über Kunst / Kultur, nicht um die Wertschöpfung aus kulturellen Gütern) verwendet werden, um dieses Phänomen zu erklären, das schon das große Rätsel von Kunstarbeitsmärkten war. Die hohe Motivation und die intrinsische Belohnung seien integraler Bestandteil der Entlohnung; praktischerweise kann deshalb der monetäre Bestandteil des Gehalts gleich etwas niedriger ausfallen. Und darüber hinaus ist Kunst / Kreativität ja ohnehin nie direkt in das schmutzige Bezugssystem Geld zu übersetzen. Das „Winner-takes-all“-Prinzip hält inzwischen die bei Laune, die aufgrund ihrer Lebenszusammenhänge noch nicht aussteigen mussten und motiviert sie weiterhin, 80 Stunden in der Woche zu arbeiten, PartnerInnenschaften und eventuell Kinder hintanzustellen oder gleich zu vergessen. Und es befördert die Entsolidarisierung im Feld. Die aktuelle Politik zu den CI versucht nun nicht die Arbeitsbedingungen dort zu verbessern, indem an der Erarbeitung nachhaltiger Business-Modelle gearbeitet wird, sondern setzt Upgrades alter Geniekünstler- Innenmythen in Umlauf. Diese wirken zusammen mit dem zweiten Verschleierungsmythos, der Kreativität. Denn viele Aufträge in Bereichen wie Grafik, Webdesign, Architektur und IT-Produktion weisen einen hohen Routinisierungsgrad auf. Der Mythos der ständig kreativ Neues schaffenden Halbgenies ist nur bedingt in der Praxis wiederzufinden, Alltagsarbeit, in vielen Fällen wenig kreative Aufträge müssen angenommen werden, wenn ein Klein- oder Mittelbetrieb überleben will – vom Layout von Beipackzetteln bis zur Gestaltung von Eigenheimen.

Starkult statt kreativer Milieus

In Österreich wurden bislang mehrere Förderschienen eingerichtet, um das kreative Potenzial so richtig erblühen zu lassen. Dabei werden vorwiegend Produktförderungen in den Bereichen Musik, Multimedia, Design und Mode ausgeschüttet. Es handelt sich um längerfristige Förderungen konkreter Projekte (Produkte), die zum Zeitpunkt der Antragstellung soweit bereits konzipiert sein müssen, dass ein komplexer Antrag (inkl. detaillierter Verwertungspläne) ausgefüllt werden kann. Dies ist nun einerseits legitim, wenn ein konkretes Produkt gefördert werden soll. Zur Schaffung eines kreativen Milieus, wie es immer wieder von den anscheinend zur Pflichtlektüre für BeamtInnen erhobenen „CI-Kult- Autoren“ Florida und Landry propagiert wird, ist es jedoch die falsche Strategie. Auf jeden Fall lernen nun auch DesignerInnen lange Formulare mit gewählter Antragslyrik zu füllen. Wer nicht bereit ist, wochenlang Anträge anzufertigen, deren Ausgang unsicher ist, und stattdessen lieber an einer Kollektion o.ä. arbeitet, hat das Nachsehen. Kleinförderungen, die mit geringerem bürokratischen Aufwand vergeben werden, stehen nach wie vor aus. Eine Politik voller Widersprüche. Denn gerade die Distribution und Produktion im größeren Maßstab soll unterstützt werden, da ja die Produktion von kreativem „Content“ laut einer Auftragsstudie der Stadt Wien ganz hervorragend sein soll. Aber offensichtlich soll nur sorgsam ausgewählter Content gefördert und verbreitet werden; die Vielzahl an Kreativen, die ihre Produkte international vertreiben wollen – beispielsweise auf Messen – schauen durch die Finger. Die Rückkehr der Gießkanne, nur mit weniger Löchern.

Die kreativen Milieus

So entstehen auch leider keine kreativen Milieus, jene erträumten Paradiese der Toleranz und des Austausches, des friedvollen Nebeneinanders von Schwulen, Lesben, MigrantInnen und anderen ProtagonistInnen vielfärbiger Diversity- Phantasien (vgl. Florida bzw. Florida / Tinagli). Und das Schöne daran ist – es ist auch messbar! Ach, wie herrlich lassen sich Indices wie z.B. der Euro-Tolerance- Index doch auf Parteienprospekte drucken! Und das in Vorwahlzeiten. Und Toleranz führt zu Kreativität und Kreativität zur Ansiedlung von Unternehmen. Und alles wird gut. So könnte auch unschönen Phänomenen wie den Aufständen in Paris vielleicht durch die Errichtung eines Kreativ-Clusters in St. Marx vorgebeugt werden … Könnte. Aber dazu müsste noch einiges mehr passieren als die patscherte Kreativwirtschaftsförderung, die sich auf die Kommerzialisierung von kulturellen Leistungen und UntertanInnenaufzucht spezialisiert, anstatt Kreativität und Kreative zu fördern. Denn komplexe Ziele verlangen auch komplexe Ansätze, die mit einem Overall-Ansatz wie dem von z.B. Florida nicht bewältigt werden können.

Literatur

Hans Abbing: Why are artists poor?

Richard Florida: The Rise of the Creative Class

Richard Florida / Irene Tinagli: Europe in the Ctreative Age

Charles Landry: Creative City

2003: KMU/IKM 1. Österreichischer Kreativwirtschaftsbericht

2004: Untersuchung des ökonomischen Potenzials der Creative Industries in Wien (Kulturdokumentation, WIFO, Mediacult)

2005: Kreativwirtschaft: Nützt Tirol seine Chancen? Zukunftszentrum Tirol

2005: Kreativwirtschaft in der Stadtregion Linz, Linzer Institut für qualitative Analysen

2005: FORBA/JR: Branchenanalysen zu Arbeit und Beschäftigung in Wiener Creative Industries: Architektur, Design, Film/Rundfunk, Software / Multimedia und Werbung

Elisabeth Mayerhofer ist freiberufliche Wissenschaftlerin in Wien.

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