Die Logik des kulturellen Feldes durchbrechen
Wer jemals in einer Kulturinitiative erlebt hat, wie LehrerInnen um den Kartenpreis feilschen, wie Eltern die zweite Theateraufführung im Semester mit finanziellen Argumenten ablehnen oder auch schlicht wie der Besuch einer Kasperlaufführung von einer Familie mit mehreren Kindern als finanzielle Belastung gesehen wird, teilt die Ansicht, dass Eintrittsgeld nach wie vor eine Barrierewirkung hat.
Die Unicef Kinderrechtskonvention, die 1989 verabschiedet wurde, am 5.9.1992 in Österreich in Kraft trat und die insgesamt 192 Staaten ratifiziert haben, feiert im November dieses Jahres ihr 20-jähriges Jubiläum. Artikel 31 schreibt die kulturelle Förderung von Kindern fest: „(1) Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Ruhe und Freizeit an, auf Spiel und altersgemäße aktive Erholung sowie auf freie Teilhabe am kulturellen und künstlerischen Leben. (2) Die Vertragsstaaten achten und fördern das Recht des Kindes auf volle Beteiligung am kulturellen und künstlerischen Leben und fördern die Bereitstellung geeigneter und gleicher Möglichkeiten für die kulturelle und künstlerische Betätigung sowie für aktive Erholung und Freizeitbeschäftigung.“
Diese Rechte gilt es auch umzusetzen. Carl-Peter Buschkühle, Professor an der Pädagogischen Hochschule Heidelberg und Experte für Kulturvermittlung, formuliert in diesem Zusammenhang die Forderung, Kindern die Bildung und Erziehung zum Künstler angedeihen zu lassen, zur Künstlerin im Beuysschen Sinn: „(…) zu einem Subjekt, welches aufgrund seiner geistigen Beweglichkeit in der Lage ist, sich selbst und sein Leben selbstbestimmt und selbstverantwortlich zu gestalten“ (Buschkühle 2001). Allerdings bestehen nach wie vor – trotz des „Kultur für alle“-Postulats von Hilmar Hoffmann in den 1970er Jahren – Barrieren und Ausschlussmechanismen betreffend den Zugang zu Kunst und Kultur. Horst Opaschowski, Politikberater und Soziologe an der Universität Hamburg, stellt fest, dass nach wie vor die Hälfte der Menschen von Kulturangeboten nicht erreicht wird (Kulturpolitischer Bundeskongress publikum.macht.kultur, Berlin, 23./24. Juni 2005).
Eine niederschwellige Maßnahme gegen die Barriere Eintrittsgeld
Angesichts der rechtlichen Ansprüche und konfrontiert mit solch gravierenden Erkenntnissen, sieht sich die Kulturpolitik herausgefordert. Die Verwaltung des Status Quo etablierter Kultureinrichtungen kann nicht genügen. Das Ziel, möglichst vielen Menschen, gerade auch Kindern, Zugang zu Kunst und Kultur zu verschaffen, muss engagiert betrieben werden. „Das Bedürfnis, ‚Extraeinladungen’ auszusprechen und dadurch bestimmte Konventionen, Ausschlussmechanismen und Besucherprofile zu unterlaufen“, beschreibt die Kulturvermittlerin der Documenta 2007 und Professorin für Visuelle Kultur in Zürich, Carmen Mörsch, als eines der Ziele zeitgemäßer Kulturvermittlung (Mörsch 2007). Sie bezieht sich auf die von Pierre Bourdieu beschriebene Distinktionsmaschine, welche die Logik des kulturellen Feldes organisiere. Eine Logik die, so Mörsch, nur mit „Einfallsreichtum und Zähigkeit“ zu durchbrechen sei.
Nun wird vielleicht der Vorschlag, freien Zugang zu geförderten Kulturinstitutionen für Kinder und Jugendliche – so wie ihn jüngst auch Sabine Haag, Direktorin des Kunsthistorischen Museums, erhob – schon längere Zeit diskutiert und ist mancherorts bereits realisiert. Insofern kann dies vielleicht nicht mehr als besonders originell und einfallsreich gelten, aber nach wie vor wird der freie Zugang als eine besondere Form der „Extraeinladung“ begriffen, weil er als niederschwellige und egalitäre Maßnahme aufgefasst wird. Auch der Schlussbericht der umfangreichen Kulturenquete des Deutschen Bundestages, Kultur in Deutschland, der von ExpertInnen aus allen Feldern der Kultur ausgearbeitet und 2007 fertig gestellt wurde, enthält als eine der wesentlichen und konkreten Forderungen den „kostenfreien Zutritt zu öffentlich geförderten Kulturinstitutionen“.
Wer jemals in einer Kulturinitiative erlebt hat, wie LehrerInnen um den Kartenpreis feilschen, wie Eltern die zweite Theateraufführung im Semester mit finanziellen Argumenten ablehnen oder auch schlicht wie der Besuch einer Kasperlaufführung von einer Familie mit mehreren Kindern als finanzielle Belastung gesehen wird, teilt die Ansicht, dass Eintrittsgeld nach wie vor eine Barrierewirkung hat.
Der freie Zugang zu Kunst und Kultur als demokratiepolitische Aufgabe
Es gibt unterschiedliche organisatorische Modelle, den Gratis-Eintritt zu realisieren. Einfach erscheint dies bei den Kultureinrichtungen, die direkt dem Staat zuzurechnen sind, z.B. bei den Bundes- und Landesmuseen: Da muss ein gewisser Einnahmenentfall kompensiert werden. In der Freien Szene ist es etwas komplizierter. Ein denkbares Modell funktioniert mittels Gutscheinen, über welche die Schulen verfügen können und die von den Veranstaltern und Theatergruppen etc. eingelöst oder beim Subventionsgeber in Geld umgewandelt werden können. Damit den Kindern und Jugendlichen bzw. deren Eltern ein persönlicher Gestaltungsspielraum bleibt, müssten weitere Gutscheine direkt über die Gemeinden an Familien verteilt werden. Zielgruppe wären Kinder und Jugendliche zwischen drei und 18 Jahren.
Mit der Finanzierung des freien Eintritts kann die öffentliche Hand offensiv ihre Verpflichtung wahrnehmen und ganz wesentliche Schritte in Richtung zeitgemäßer Kulturvermittlung tun: allen Kindern und Jugendlichen unabhängig von deren sozialem Status den Zugang zu Kunst und Kultur ermöglichen.
In Zeiten der Wirtschaftskrise, wo es als wichtige politische Maxime gilt, Optimismus zu erzeugen, was könnte da besser wirken als ein solcher kulturpolitischer Schritt? Er würde dafür Zeugnis ablegen, dass die (Kultur)Politik es sich leisten kann und leisten will, die demokratischen Grundwerte hoch zu halten und auszubauen, dass in Freiheit, Gleichheit und Solidarität weiterhin investiert wird.
Literatur
Buschkühle, Carl-Peter (2001): Konturen künstlerischer Bildung. Einleitungsvortrag auf dem Symposium Künstlerische Bildung und die Schule der Zukunft, Pädagogische Hochschule Heidelberg, Landesakademie Schloss Rotenfels, Oktober 2001.
Mörsch, Carmen (2007): „Extraeinladungen“, in: Documenta Magazine, Nr. 3.
Juliane Alton ist Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich.
Sabine Benzer ist Geschäftsführerin des Theaters am Saumarkt in Feldkirch.