Digitale Kultur, v2.0

William Gibson soll einmal gesagt haben: "The future has already happened, it’s just unequally distributed." Normalerweise wird dies verstanden als Hinweis darauf, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich weit voran geschritten seien in ihrer Adaption der Technologie, der Zukunft eben. Während sich einige bereits die Welt nicht mehr ohne Internet vorstellen können, sehen andere nach wie vor nicht ein, wieso sie sich die Mühe machen sollten, sich mit diesem Computer mehr als nur oberflächlich auseinanderzusetzen.

William Gibson soll einmal gesagt haben: "The future has already happened, it’s just unequally distributed." Normalerweise wird dies verstanden als Hinweis darauf, dass verschiedene gesellschaftliche Gruppen unterschiedlich weit voran geschritten seien in ihrer Adaption der Technologie, der Zukunft eben. Während sich einige bereits die Welt nicht mehr ohne Internet vorstellen können, sehen andere nach wie vor nicht ein, wieso sie sich die Mühe machen sollten, sich mit diesem Computer mehr als nur oberflächlich auseinanderzusetzen. Die einen leben in der Zukunft, die anderen in der Vergangenheit, heißt es dann so schön. Man kann diese ungleichmäßige Verteilung der Zukunft in der Gegenwart auch anders interpretieren. Die Zukunft, die uns vorausgesagt wird, ist schon hier, nur nicht so, wie sie uns angekündigt wurde. So scheint es sich zu verhalten, jetzt, da sich die digitale Kultur langsam vom Kater des Millennium-Hypes erholt. Die Themen, die die einst angekündigte Zukunft bestimmen sollten, sind immer noch aktuell, nur nicht in der Form, wie das gedacht war.

Eines der beliebtesten Klischee war es, die Bedeutung der "Internet-Revolution" mit den gesellschaftlichen Veränderungen zu vergleichen, die mit der Ausbreitung des Buchdrucks in Europa verbunden werden. Die OptimistInnen sprachen euphorisch von einer digitalen Renaissance, die PessimistInnen erinnerten dunkel an die Religionskriege des 16. Jahrhunderts. Gemeinsam war ihnen, dass sie behaupteten, das Internet stelle jeder und jedem eine persönliche Druckerpresse zur Verfügung, mit der nun ungehindert weltweit publiziert werden könne. Wie oft bei solchen pauschalen Behauptungen ist auch diese gleichermaßen richtig wie falsch. Sie ist falsch in dem Sinne, dass nicht nur viele Menschen nach wie vor keinen Zugang zu den notwendigen Technologien und Fertigkeiten haben, sondern auch deshalb, weil die Konzentration, die wir aus dem Bereich der Massenmedien kennen, längst auch das Internet kennzeichnet. Die populärsten Internet-Domains waren, in dieser Reihenfolge: Microsoft, Time-Warner, Yahoo!, Google, Ebay und diejenigen der amerikanische Regierung (Messung: Februar 2004). Hier lässt sich nicht viel von einer Revolution bemerken. Dass Yahoo!, Google und Ebay hier auf der Liste stehen, erinnert doch sehr an die Tatsache, dass das erfolgreichste TV-Format die Programmzeitschrift ist. Dies ist keineswegs ein Anachronismus, sondern nicht zuletzt die Folge der stetig steigenden Zahl der digitalen Kanäle, die auch den hartnäckigsten Zapper überfordern. Ohne Meta-Information geht gar nichts mehr.

Trotzdem bedeutet das nicht, dass alles wieder zum Alten zurückgekehrt und die angekündigten Umwälzungen ausgeblieben wären. Es gibt immer wieder Ereignisse, die zeigen, dass das Potenzial des Netzes, die Kräfteverhältnisse umzudrehen und unabhängige Kultur zu stärken, nach wie vor realisiert werden kann.

Jüngstes Beispiel ist die Geschichte des Grey Albums. Das Grey Album, der Name lässt es erahnen, besteht zu gleichen Teilen aus dem Black Album des Rappers Jay-Z und dem White Album der Beatles. Im November 2003, rund ein Jahr nachdem das Black Album die Charts erklommen hatte, veröffentlichte Jay-Z den Voice Track, mit der expliziten Einladung, ihn als Grundlage von Remixes zu nutzen. Eine ganze Reihe von DJs ist dieser Aufforderung nachgekommen, aber keiner mit einem derart überzeugenden Resultat wie der bis dahin weitgehend unbekannte Brian Burton, alias DJ DangerMouse. Sein Grey Album besticht nicht nur durch seine musikalische Qualität, sondern auch konzeptionell, denn tatsächlich wurden alle Sounds dem Beatles Album entnommen, auch wenn das den meisten wohl kaum aufgefallen wäre, so stark sind sie bearbeitet.

Beatles-Samples haben einen besonderen Status, beziehungsweise Non-Status, denn schon viele Musiker haben versucht, welche zu verwenden, sind aber bisher ausnahmslos daran gescheitert, dass die Lizensierung von EMI (und Michael Jackson, der die Rechte der meisten Beatles-Songs kontrolliert) verweigert wurde. DangerMouse hat sich gar nicht erst bemüht, eine solche Erlaubnis zu erlangen, sondern hat einfach auf seinem Heimcomputer losgemixt. So kam es, wie es kommen musste. Kaum war das Grey Album veröffentlicht, kam die Abmahnung von EMI. Burton, wer kann es ihm verübeln, zog es vor, das Album den Wünschen von EMI gemäß nicht mehr weiter zu vertreiben.

So weit, so normal. In den letzten Jahren ist aber eine breite Bewegung entstanden, die immer lauter argumentiert, dass das Urheberrecht in seiner heutigen Form den KünstlerInnen mehr schadet als nützt. Wie es Lawrence Lessig in seinem neuen Buch 1) ausführt, benutzen die großen Medienkonzerne das Urheberrecht, um kulturelle Monopole zu schaffen und Kreativität zu kontrollieren. Die Kontroverse um das Grey Album passte geradezu mustergültig in diese Analyse. In kürzester Zeit organisierte die bereits sehr gut vernetzte Anti-Copyright Bewegung eine Kampagne, um das Album frei und vielfach über das Netz zugänglich zu machen. Das Resultat war nicht nur Instant Celebrity für Danger Mouse, sondern auch das erste Underground-Album, das massenhafte Verbreitung fand, ohne über einen Vertrieb, über Werbung oder sonstige Infrastruktur zu verfügen. Die Moral dieser Geschichte ist nicht, dass das Internet Zensur verunmöglicht, sondern dass die Techno-Kultur in eine neue Phase getreten ist. Digitale Kultur, v2.0.

Die Techno-Kultur wird sozial

Was die Techno-Kultur dieser Tage beschäftigt, sind nicht in erster Linie neue Technologien, obwohl es die auch immer wieder gibt, sondern ein neu gewonnenes Verständnis, dass Technologie alleine noch keine Kultur ausmacht. Ebenso wichtig wie die Technologien selbst, sind der kulturelle und institutionelle Kontext, in dem sie eingebettet werden. Die alte Debatte über technischen versus sozialen Determinismus ist erloschen. Es ist heute Konsens, dass wir das Soziale gar nicht ohne das Technische verstehen können und dass das Technische erst innerhalb des Sozialen relevant wird. Konkret bedeutet das, dass die digitalen Kulturschaffenden heute mehr denn je mit Fragen konfrontiert sind, wie denn die technischen Möglichkeiten real umzusetzen wären, dass sie auch tatsächlich die unabhängigen ProduzentInnen stärken. File-Sharing-Systeme sind ein klassisches Beispiel für die Probleme einer unbedachten Umsetzung. Auf der einen Seite versprechen sie MusikerInnen, die niemals in die großen Vertriebskanäle gelangen konnten, Zugang zu einem weltweiten Publikum, andererseits geschieht dies alles, ohne dass sie in irgendeiner Form für ihre Leistungen entschädigt werden. DJ DangerMouse ist wohl der erste Star, der nie eine einzige Platte verkauft hat, aber dessen Musik dennoch auf 100.000 Tonträgern rund um die Welt existiert.

Vor diesem Hintergrund hat es die Industrie relativ einfach, sich als die Verteidigerin der Interessen der KünstlerInnen hinzustellen, alle anderen Formen von Distribution als unmoralische Piraterie anzuprangern und als einzige Alternative ein umfassendes Kontrollsystem, genannt Digitial Rights Management (DRM) zu fordern. In dieser Diskussion ist deutlich geworden, dass der Hinweis auf die technische Unkontrollierbarkeit von dezentralen Peer-to-Peer-Systemen (p2p) nicht reicht. Nun wird an Ideen gearbeitet, wie Kompensation ohne Kontrolle organisiert werden kann. Die Vorschläge, die momentan unter dem Stichwort Alternative Kompensationssysteme die Runde machen, gehen von einer Verlängerung des Prinzips der Pauschalvergütung aus, wie sie heute bereits für Leermedien (Musiktapes, CD-ROMs und Kopiergeräte) besteht. Dies würde erlauben, dass Musik-Files weiterhin frei zirkulieren könnten, dass aber die Urheber mit Geldern entschädigt würden, die beispielsweise über eine Gebühr auf Breitbandanschlüsse gesammelt würden. Noch steckt diese Diskussion in den Kinderschuhen, aber die Tatsache, dass nun auch in Europa die Industrie beginnt, Musikfans zu verklagen und massenhaftes harmloses Verhalten zu kriminalisieren, zeigt, dass der Handlungsbedarf groß ist und noch stetig steigt.

Ein ganz anderes Beispiel für die neue soziale Intelligenz der Techno-Kultur beginnt langsam aus Italien auf den Rest von Europa überzuschwappen: StreetTV. Dieses Projekt kann man am besten als einen Versuch bezeichnen, die Netzwerkstruktur des Internet auf das Massenmedium Fernsehen zu übertragen. Die 1990er Jahre sahen einen nahezu ungebremsten Boom des Privatfernsehens in Italien. Am Ende der Dekade zeigten sich zwei Folgen dieser Entwicklung. Zum einen hatte der Besitzer der neuen TV-Kanäle diese geschickt genutzt, um sich selbst zum Regierungschef des Landes wählen zu lassen. Zum anderen ist eine neue Generation von politischen Hackern herangewachsen, für die TV ein derart zentraler Teil des Leben ist, dass sie es selbst betreiben wollen. Die Hacker fanden heraus, dass sich mit billigen Kameras und umgebauten Videorecordern eine Mikrosendestation basteln lässt. Anstatt riesige Strukturen aufzubauen, um mit dem kommerziellen Fernsehen zu konkurrieren, oder in die Langweile von traditionellen Bürgerkanälen zu verfallen, ist ein Netzwerk von Mikrostationen im Aufbau, das Fernsehen für die unmittelbare Nachbarschaft macht und mit einer Form des demokratischen Reality-TV experimentiert. Mittels File-Sharing sind diese Stationen untereinander verbunden und tauschen Sendeinhalte aus, um so die Flexibilität und soziale Integration von Kleinststrukturen mit der Reichweite des Netzwerkes zu verbinden.

In diesem Jahr haben sich erste Ableger dieses Modells außerhalb Italiens gebildet. In Amsterdam geht unter dem Namen ProxiVision im Mai ein neuer Mikrosender auf Sendung. Nun ist es nicht zu erwarten, dass diese neuen Medieninitiativen Berlusconi von der Macht vertreiben werden, aber sie zeigen, dass an der Schnittstelle zwischen technischen und sozialen Netzwerken noch jede Menge Platz für Innovation ist. Die interessantesten Projekte der neuen Techno-Kultur sind mehrheitlich in diesem Raum angesiedelt und versprechen noch einiges an Überraschungen.

Anmerkung

1) Lessig, Lawrence (2004). Free Culture: How Big Media Uses Technology and the Law to Lock Down Culture and Control Creativity. New York, Penguin Press. Als PDF erhältlich unter: www.free-culture.cc/freecontent/

Die Konferenz Free Bitflows präsentiert die in diesem Artikel vorgestellten Ansätze neuester Kulturprojekte. Nebst der Konferenz werden auch Workshops, Performances und eine Ausstellung von rund 20 europäischen MedienkünstlerInnen veranstaltet. Free Bitflows findet vom 2. bis zum 4. Juni 2004 im Wiener Semperdepot statt. Nähere Informationen und das Programm sind unter freebitflows.t0.or.at zu finden.


Konrad Becker ist Leiter der Wiener Netzkultur-Institution Public Netbase t0.

Felix Stalder ist Soziologe, Medienwissenschafter und Mitbegründer des Open Source-Netzwerks Openflows.

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