Her mit einem politischen Radioprojekt!

Freies Radio funktioniert anders und muss deshalb auch anderen Ansprüchen genügen: Freies Radio ermuntert Menschen dazu, selbst aktive RadioproduzentInnen zu werden und Sendungenskonzepte umzusetzen, die ihre Form und ihr Bedürfnis nach Meinungsäußerung, Informationsvermittlung, künstlerischer Produktion oder auch „nur“ Unterhaltung widerspiegeln.

Freie Radios seien zu unkritisch, zu unpolitisch, zu wenig aktionistisch und sollten sich aktiver in gesellschafts- und kulturpolitische Debatten einschalten – so lautet im Kern die Kritik, mit der sich die Menschen, die verantwortlich für Freie Radios in Österreich arbeiten, seit einigen Jahren immer wieder auseinandersetzen müssen. Kritik kann aufrütteln, der täglichen Arbeit neue Aspekte hinzufügen, dafür sorgen, dass Vernachlässigtes wieder in den Vordergrund rückt – wenn sie konstruktiv ist, und um die Realitäten des Kritisierten weiß. Kritik kann aber auch blockieren und zum energetischen Schwarzen Loch werden, wenn sie undifferenziert und unhinterfragt Defizite behauptet, die nicht oder so nicht existent oder relevant sind. Der vorliegende Text versucht, in Bezug auf die Freien Radios ein paar Missverständnisse auszuräumen und auf Debatten und Projekte aufmerksam zu machen, die KritikerInnen allzu oft entgehen.

Kernaufgabe „Offener Zugang“

„Freie Radios geben allen Personen und Gruppen innerhalb des gesetzlichen Rahmens die Möglichkeit zur unzensierten Meinungsäußerung und Informationsvermittlung.“ (Charta des VFRÖ von 1998)

Die österreichischen Freien Radios sind in erster Linie als medienpolitische Projekte entstanden, im Protest gegen das Rundfunkmonopol des ORF und als Plattformen zur diskriminierungsfreien Meinungsäußerung für alle. In ihrer Geschichte unterscheiden sie sich damit recht deutlich beispielsweise von einigen deutschen Radios: Radio Dreyeckland (RDL) in Freiburg startete 1977 im Protest gegen die Expansion der Atom- und Chemieindustrie als ausgesprochen (umwelt-)politisches Projekt; das Freie Senderkombinat (FSK) in Hamburg entstand 1992 lt. Eigendarstellung aus den „Zerfallsprodukten“ der autonomen Bewegung. Anders in Österreich: Eine nennenswerte PiratInnenradioszene gab es hier erst Anfang der 1990er Jahre, aus der sowohl die ersten Freien Radios als auch der Verband Freier Radios Österreich (VFRÖ) hervorgingen.

Natürlich haben auch in Österreich die Freien Radios ihre Entstehung einem „linken“ Medien- und Politikverständnis zu verdanken, und natürlich sind sie de facto und de iure (über die Lizenzbescheide) dem – etwa bei RDL als „Gegenöffentlichkeit“ im Redaktionsstatut verankerten – Prinzip verpflichtet, dass im Programm „ethnische Minderheiten und solche Personen und Gruppen, die wegen ihrer gesellschaftlichen Marginalisierung oder sexistischen und rassistischen Diskriminierung in den Medien kaum oder nicht zu Wort kommen“, Vorrang haben (vgl. Charta des VFRÖ). Aber sie haben sich nicht in erster Linie einer konkreten politischen Mission verpflichtet, die darüber hinaus geht, dass sie als Plattformen für die aktive Meinungsäußerungsfreiheit und für Meinungsvielfalt per se schon ein politisches Statement darstellen.

„Frei“ und „frei“

Darin liegt auch der wesentliche strukturelle Unterschied zwischen Freien Radios und ebenfalls so genannten Freien Printmedien: Die funktionieren in der Regel so, dass grundsätzlich relativ (!!!) offen zugängliche Redaktionskollektive gemeinsam eine politische Zielrichtung aushandeln und darauf aufsetzend in relativ hierarchiefreier Weise Themen, Inhalte und AutorInnen auswählen, die ihnen im Sinn dieser Zielerreichung bzw. -annäherung sinnvoll und wichtig erscheinen. Produkt dieses kollektiven Bemühens ist die vier- bis sechsmal jährlich erscheinende Zeitung oder Zeitschrift mit einer konkreten redaktionellen, politischen Ausrichtung.

Freies Radio funktioniert anders und muss deshalb auch anderen Ansprüchen genügen: Freies Radio ermuntert Menschen dazu, selbst aktive RadioproduzentInnen zu werden und Sendungenskonzepte umzusetzen, die ihre Form und ihr Bedürfnis nach Meinungsäußerung, Informationsvermittlung, künstlerischer Produktion oder auch „nur“ Unterhaltung widerspiegeln. Wer sich an die Richtlinien des Radios hält, wird in der Regel auch Sendezeit bekommen, und diese Richtlinien beinhalten in jedem Fall: nicht rassistisch, nicht sexistisch, nicht in irgendeiner Form diskriminierend oder andere Menschen oder Gruppen herabwürdigend. Im Zweifel – und der ergibt sich insbesondere daraus, dass es in vielen Radios kaum mehr verfügbare Sendezeiten gibt – stehen die Kriterien der Charta im Vordergrund: je diskriminierter, je marginalisierter, desto Sendeplatz. Was ein Freies Radio dann im Ergebnis ausmacht, ist eine Vielfalt von Redaktionskollektiven – bestehend aus einer bis dreißig oder mehr Personen –, die eine Vielfalt von Sendungen produzieren, die in aller Regel in ihrer Gesamtheit einen Spiegel der lokalen bzw. regionalen Gesellschaft aus der Froschperspektive darstellen.

Diese einzelnen Redaktionen produzieren ihre Sendungen vom Freien Radio als „Plattformprovider“ völlig autonom; die Redaktionen sind die Orte, an denen – wie im oben beschriebenen Zeitungsbeispiel – Politiken, Inhalte, Ziele formuliert und in der Produktion umgesetzt werden. Welche konkreten Inhalte tagtäglich über den Äther laufen, die vom heterosexismuskritischen Lesbenkollektiv, der multitudenanalysierenden Soziologiestudentin, den kapitalismuskritischen InfoladenaktivistInnen, dem zaraleanderfanclubangehörigen Senior, der 13-jährigen HipHoperin oder dem mesopotanischen Kulturverein produziert werden, liegt bei diesen ProduzentInnen. Sie sind diejenigen, für die Freies Radio als „offenes, freies Medium und Artikulationsraum abseits des Mainstreams“ (Helga Schwarzwald) „erfunden“ wurden. Unterstellt man einem Freien Radio also mainstreamige Konformität und mangelnde kritische Publizistik, dann diskreditiert man damit zunächst genau diese RadiomacherInnen: Um „das Politische“ und „das Kritische“ (wie auch immer es konkret zu definieren wäre) eines Freien Radios wahrnehmen zu können, empfiehlt es sich, Radio zu hören – oder auf der einzigen funktionierenden Content-Datenbank, die die freien, alternativen, autonomen Kulturszenen in Österreich zu bieten haben, nachzuhören: cba.fro.at. Und: „Nicht nur Kritik ist ein Maßstab für die Offenheit und Freiheit eines Freien Radios, sondern auch die Diversität, der Grad und die Formen der Nutzung eines solchen Mediums und die Erfüllung seines Programmauftrages im Sinne eines ethisch-politischen Konzepts“ (Helga Schwarzwald).

24 hours!

Die wichtigste Aufgabe der Organisation „Freies Radio“ ist denn auch die Gewährleistung dieses offenen Zugangs, d.h. der Aufbau und das Aufrechterhalten eines vierundzwanzigstundensiebentagezweiundfünfzigwochenprojahrununterbrochenen Studio- und Sendebetriebs und die ständige Zusammenarbeit mit zwischen gut 500 (ORANGE 94.0 in Wien) und etwa 80 (Freequenns in Liezen bzw. Freistadt 107.1 im Mühlviertel) regelmäßig produzierenden Programmmachenden. Was das heißt, hat Radio Helsinki in Graz teilironisch berechnet: Etwa 100 Sendungen wöchentlich ergeben 5.200 Sendungen im Jahr – die Frage „Welche Kultureinrichtung in Graz ist in der Lage, 5.200 Veranstaltungen im Jahr durchzuführen?“ ist zwar überspitzt formuliert, aber deshalb kein bisschen weniger wahr: Tatsache ist, dass der alltägliche Betrieb eines Freien Radios bedeutet, möglichst unterbrechungslos einige Tausend Kulturveranstaltungen im Jahr zu gewährleisten.

1999 und heute

Von altgedienten MedienaktivistInnen wird gern die legendäre Medienkonferenz von 1999 (die gute alte Zeit des Aktivismus!) zitiert, das sei auch hier getan: Zum Zeitpunkt dieser Konferenz in Linz, die ein gutes halbes Jahr nach dem Sendestart der ersten Freien Radios stattfand, verfügten die Freien Radios über fünf Volllizenzen und drei Teillizenzen, die Rede ist von 200 bis 400 aktiven RadiomacherInnen österreichweit. Eineinhalb Jahre später strich Medienstaatssekretär Morak den Freien Radios sämtliche (!) Bundesförderungen – und die hatten etwa 80% der Subventionen für die Radios ausgemacht. Und jetzt, 7 Jahre später, verfügen die Freien Radios über österreichweit 12 Volllizenzen, aktuell produzieren gut 2500 aktive RadiomacherInnen schätzungsweise an die 1000 verschiedene Sendungen, die regelmäßig (d.h. zumindest etwa monatlich) ausgestrahlt werden. Der Aufbau aller dieser Sender erfolgte unter widrigsten politischen und finanziellen Bedingungen; auch ORANGE 94.0, beliebtes Ziel der KritikerInnen, erhält erst seit Ende 2004 eine ausreichende Basisfinanzierung durch die Stadt Wien. Bei allen anderen Radios sieht es im Vergleich dazu finanziell nach wie vor zappenduster aus. Und all das wurde erreicht, weil die Radios nicht politisch arbeiten? Weil sie ihre emanzipatorische Politik gegen politische Anschmiegsamkeit getauscht haben?

Wahr ist vielmehr...

Ab 1998 waren die Freien Radios die ersten Initiativen im Kulturbereich, die die Einbindung von MigrantInnen als aktive ProduzentInnen forcierten; und zwar nicht ausschließlich der MigrantInnen, die sowieso schon in einschlägigen Kultur- und Politikbereichen aktiv waren. Die Freien Radios waren und sind ein entscheidender Beitrag zum Self-Empowerment u.a. von MigrantInnen (–Vereinen) auch abseits etablierter Szenen, nach wie vor gibt es keine vergleichbaren transkulturellen Plattformen oder Initiativen, die tatsächlich quer durch alle diskriminierten Gesellschaftsbereiche aktiv sind. Die MitarbeiterInnen der Freien Radios gehören in aller Regel zu den engagiertesten AktivistInnen in lokalen und regionalen kultur- und gesellschaftspoltischen emanzipatorischen Netzwerken. In allen Radios werden – trotz zumeist schwierigster Arbeits- und gefährdetster Beschäftigungsverhältnisse – ständig gesellschafts-, kultur- und medienpolitische, künstlerische und soziale Projekte umgesetzt, die sehr wohl im Sinn affirmativer (Programm-)Entwicklung zugunsten genau jener marginalisierter Gesellschaftsgruppen und Themen wirken, die im Zentrum der Arbeit stehen.

Natürlich gibt es Defizite, aber mir ist kein Radio bekannt, in dem dazu kein Problembewusstsein und keine Diskussion vorhanden wäre: Etwa zur Form einer strukturellen Partizipation aller NutzerInnen-Gruppen oder zu der Frage, ob das Radio als Organisation selbst publizistisch tätig werden soll (etwa mit eigenem Info-Magazin wie Radiofabrik oder FRO). Realistischerweise im Alltag entscheidender und dringender sind aber dennoch die 24 hours: Wie den CD-Player möglichst schnell wieder reparieren? Wie können wir gewährleisten, dass das Radio auch hinter diesem Hügel zu empfangen ist? Wie bringen wir den Ragga-Sendungsmachern bei, dass sie sich mit dem homophoben Text dieser Band aber doch auseinander setzen sollten? Wie bringen wir der Stadt bei, dass 1.000 Euro Jahresförderung absurd sind? Wie, verdammt, bringen wir den Sender wieder zum Senden, nachdem der Blitz eingeschlagen hat?

Haben die Freien Radios also ein PR-Problem? Ändern kann sich auch das vor allem dadurch, dass die Freien Radios endlich auf eine solide finanzielle Basis gestellt werden. Wir arbeiten daran.

Literatur

www.freie-radios.at

www.rdl.de

www.fsk-hh.org

„Frei und offen“. Beitrag von Helga Schwarzwald, gf. Koordinatorin von ORANGE 94.0 zu einer Podiumsdiskussion am 21.11.2006 im Depot, Wien

Sektor3medien99. Kurskorrekturen zur Kultur- und Medienpolitik. Hg. v. Gerald Raunig, Martin Wassermair. Wien 1999

Veronika Leiner ab 1999 Radiomacherin in der Radiofabrik, Salzburg, ab 2002 Mitarbeiterin von Radio FRO 105.0 MHz in Linz, ab September 2006 die erste bezahlte Mitarbeiterin des Verbands Freier Radios Österreich seit 2001.

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