Neunteufl: „Kaum mehr ein Austausch mit den Fachministerien“
Franz Neunteufl ist seit 2011 Geschäftsführer der IGO, der Interessenvertretung Gemeinnütziger Organisationen. Davor war er neun Jahre Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Wien. Wir haben mit ihm über die Bedeutung der Zivilgesellschaft für eine funktionierende Demokratie gesprochen und darüber, wie der Ton gegenüber NGOs merkbar rauer wird.
Kwasi (IG Kultur Österreich): Was versteht man eigentlich unter Zivilgesellschaft?
Neunteufl: Meine Lieblingsdefinition ist jene, dass es sich dabei um die Arena zwischen Markt und Staat handelt, in der sich Menschen zusammenschließen, um ihre gemeinsamen Interessen zu vertreten. Das soll heißen, es ist nicht Markt, also nicht profitorientiert und auch nicht Staat, also nicht hoheitlich. Also alles was dazwischen ist.
Kwasi: Was kann man sich konkret darunter vorstellen?
Neunteufl: Konkret ist das ein ziemlich bunter Haufen an Organisationen, Initiativen, Projekten, Zusammenschlüssen von unterschiedlicher Dauer, unterschiedlicher Rechtsform und sehr unterschiedlichen Zielen. Tatsächlich kennt die Wissenschaft auch keine einheitliche Definition. Es scheiden sich die Geister daran, ob die Kirchen, Parteien, Gewerkschaften oder Medien auch zur Zivilgesellschaft gehören. Ich erinnere mich an Aussagen von ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz, der fest davon überzeug war, dass der ORF auch ein Teil der Zivilgesellschaft ist. Letzten Endes ist es nicht zweifelsfrei zu klären und zu beantworten.
Kwasi: Habt ihr eine Arbeitsdefinition?
Neunteufl: Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir keine Definition brauchen, weil es nicht unsere Aufgabe ist, eine messerscharfe Abgrenzung vorzunehmen. Für unsere Zwecke genügt es, zu entscheiden, wen wir als Mitglied haben wollen, oder nicht. Dafür verlangen wir die Erfüllung bestimmter Qualitätskriterien oder die Einhaltung gewisser Werte. Das sind im Wesentlichen die Werte der Aufklärung, der Respekt von Menschenrechten und Grundrechten.
Kwasi: Welche gesellschaftliche Funktion erfüllen zivilgesellschaftliche Initiativen?
Neunteufl: Zivilgesellschaft zeichnet sich durch starke Heterogenität aus, insofern sind auch die Tätigkeiten sehr heterogen. Aus der Wissenschaft kennen wir eine Dreiteilung, nämlich einerseits die Servicefunktion der Zivilgesellschaft. Das ist beispielsweise der Bereich der sozialen Dienstleister. Dann erfüllt sie eine Advocacy-Funktion, also eine Anwaltschaft (Anmerkung: Advocacy umfasst Aktivitäten, welche politische Entscheidungsprozesse beeinflussen, wie beispielsweise Medienkampagnen oder Lobbying). Und die dritte Funktion ist das Community-Building, also alles was mit Freiwilligkeit und freiwilligen Organisation zu tun hat, wo Menschen soziale Beziehungen abseits von Familie und Arbeitsplatz eingehen.
Kwasi: Man könnte ja sagen, dass die Zivilgesellschaft ein wichtiger Grundpfeiler einer funktionierenden Demokratie ist.
Neunteufl: Auf jeden Fall! Wir bezeichnen sie auch als den Kitt der Gesellschaft. Wir sehen auch, wie sich Gesellschaften unterscheiden, welche die Zivilgesellschaft über Jahre oder Jahrzehnte nicht gepflegt haben, zum Beispiel in den ehemaligen Ostblockländern. Da ist es sehr viel schwieriger diesen Kitt herzustellen und Kooperationen unter Organisationen zustande zu bringen.
Kwasi: Da könnte man ja meinen, dass Regierungen ein Interesse daran hätten, zivilgesellschaftliches Engagement zu fördern. Jetzt hatte man aber in den letzten Jahren den Eindruck, dass der Tonfall gegenüber NGOs rauer wird. Nehmt ihr das auch so wahr?
Neunteufl: Unbedingt! Sucht man nach einem Beleg dafür, so könnte man nach Deutschland schauen, wo es vor einigen Jahren noch Gesetzesinitiativen zur Förderung des bürgerschaftlichen Engagements gab. Diese Dinge sind in Vergessenheit geraten. In Österreich hat es so etwas aber überhaupt nicht gegeben. Aber es war doch so, dass bis vor einigen Jahren Zivilgesellschaft, NGOs, Non-Profit-Organisationen in einem sehr positiven Licht gesehen wurden. Wir haben 2014 noch eine Umfrage dazu gemacht. Neun von zehn Befragten fanden NGOs toll und befanden, dass ihre Bedeutung zunehmen würde und sie stärker gefördert werden sollten. Die Wende lässt sich 2015 festmachen. Würde man heute so eine Umfrage machen, würde das nicht mehr so positiv ausgehen. Dazu hat sicher die eine oder andere Aussage von Politikern beigetragen. Ich erinnere mich an Aussagen des damaligen Außenministers und heutigen Bundeskanzlers (Anmerkung der Redaktion: Sebastian Kurz, ÖVP), der vor zwei Jahren an Board eines Frontex-Schiffes vom „NGO-Wahnsinn“ gesprochen hat. Ich erinnere auch an jüngste Aussagen eines niederösterreichischen Landespolitikers, der in Richtung zweier großer Wohlfahrtsorganisationen meinte, ihnen die Rechtsberatung von Asylwerbenden zu überlassen sei so, als ließe man Kinder mit Feuer spielen. Da gibt es eine Reihe von Aussagen, die medial und über Soziale Medien große Verbreitung finden. Und die auch vor dem Hintergrund der Polarisierung in der Gesellschaft, die sich zu großen Stücken am Thema Migration festmacht, auch in der Bevölkerung ihren Niederschlag finden.
Kwasi: Jetzt finden wir das bis in die höchsten Regierungskreise. Wie glaubt ihr, dass die Entwicklungen in den nächsten Jahren aussehen wird?
Neunteufl: Ich denke, dass diese Regierung keine besondere Lust hat, sich allzu viel mit NGOs oder zivilgesellschaftlichen Organisationen zu beschäftigen. Sie sehen das vermutlich nur als hinderlich oder lästig. Wir halten das für einen Fehler. Wir glauben, dass es verhängnisvoll ist, wenn man diejenigen, die jahre- und jahrzehntelange Erfahrung mit gesellschaftlichen Fragestellungen haben, nicht konsultiert und deren Wissen, Erfahrung und Meinung nicht einholt. Die jetzige Regierung will sich dafür keine Zeit nehmen, was sich möglicherweise früher oder später rächen wird, da zivilgesellschaftliche Organisationen große Aufgaben und Teile im Dienstleistungsbereich übernehmen. Man denke da an Gesundheit, Pflege, Krankentransport und was sich im Bereich der Arbeitsmarktpolitik abspielt. Aber auch in der Kultur und der Entwicklungszusammenarbeit.
Kwasi: Was wären die idealen Rahmenbedingungen, die hergestellt werden müssten, damit zivilgesellschaftliches Engagement wachsen und gedeihen kann?
Neunteufl: Man könnte es unter dem Stichwort Enabling Environment zusammenfassen (Anmerkung: Es beinhaltet ein Set an Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Initiativen ungestört und unbehindert geschehen kann). Wir haben 2014 auch den Zivilgesellschaftsindex veröffentlicht, um herauszufinden, was die wesentlichsten Dimensionen sind, die da eine Rolle spielen. Das beinhaltet Versammlungsfreiheit, Vereinigungsfreiheit, Meinungsfreiheit, Pressefreiheit und geht dann über Fragen der Finanzierung von zivilgesellschaftlicher Tätigkeit, steuerlicher und rechtlicher Rahmenbedingungen über das Thema Freiwilligkeit, also wie weit Ehrenamtlichkeit gefördert wird, zu der Frage, wie über zivilgesellschaftliche Themen berichtet wird und wie das wahrgenommen wird. Weil man hier anders als bei profitorientierten Unternehmen kaum die Möglichkeit hat, Geld für Öffentlichkeitsarbeit auszugeben. Im konkreten gibt es auch noch große Verbesserungspotentiale im Kontext von Vertragsbedingungen, also ständige Einjahresverträge, die sich auf die Frage auswirken, ob sich Investitionen lohnen oder ob entsprechende Personalentwicklung betrieben werden kann. Aber auch, dass es keine Valorisierungen gibt und die Kostenschere weiter aufgeht, die aber nicht vom Fördergeber abgedeckt wird. Das sind allgemein gesprochen die Dimensionen, die relevant sind.
Kwasi: Wie ist das Verhältnis zur Politik, findet man da ein offenes Ohr?
Neunteufl: Wir hören unisono, dass es hier kaum mehr einen Austausch gibt zwischen den Fachministerien und den jeweiligen Organisationen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es so weitergehen kann. Ich hoffe, dass sich früher oder später die Vernunft durchsetzen wird und man wieder auf diese Expertise zurückgreifen wird.
Franz Neunteufl ist seit 2011 Geschäftsführer der IGO, der Interessensvertretung Gemeinnütziger Organisationen. Davor war er neun Jahre Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen in Wien. |
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Die IG Kultur Österreich ist aktives Mitglied der Interessenvertretung Gemeinnütziger Organisationen und durch Gabriele Gerbasits im Vorstand der IGO vertreten.