Raumpolitik mit Blick auf Alt und Jung
Sich unbeschwert im öffentlichen Raum bewegen zu können ist ein Grundrecht – möchte man meinen. De facto beeinflussen jedoch z.B. soziale Herkunft, Migrationsbiografie oder Geschlecht die Möglichkeiten, sich Raum zu nehmen, ganz massiv.
Sich unbeschwert im öffentlichen Raum bewegen zu können ist ein Grundrecht – möchte man meinen. De facto beeinflussen jedoch z.B. soziale Herkunft, Migrationsbiografie oder Geschlecht die Möglichkeiten, sich Raum zu nehmen, ganz massiv. Ein noch wenig beleuchteter Fleck ist das Zusammenspiel von Alter und Raumaneignung. Dazu findet sich in der Literatur zu Mobilität zwar einiges, der klassische Stadtdiskurs blieb zu der Frage bislang eher noch abstinent, speziell was betagte Menschen betrifft. Stadtplaner und Architekt Jan Gehl definiert die Vision einer menschengerechten Stadt mit den Eigenschaften lebendig, sicher, nachhaltig und gesund. Als Indikator für seine Vision der „Städte für Menschen“ sieht er – wohl nicht zufällig –, ob speziell Alte und Junge die genannten Qualitäten vorfinden. Initiiert hat die kritische Auseinandersetzung mit der autoverkehrsorientierten Stadt mit ihrer leblosen Kühle übrigens die Architekturkritikerin Jane Jacobs bereits 1961 mit „The Death and Life of Great American Cities“. Diese Pionierin ist nach wie vor eine der wenigen bleibend sichtbaren Expertinnen im Diskurs.
Die Vision liegt in einer selbstbestimmten, angstfreien Aneignung des öffentlichen Raumes für Menschen aller Altersschichten
Die traditionelle Stadtgestaltung, besonders mit Blick auf den (halb)öffentlichen Raum, fegt über die Bedürfnisse von Alten und Jungen hinweg. Beide Spektren der biologischen Altersskala trifft diese Unaufmerksamkeit ähnlich hart, Kleinkinder genauso wie Hochbetagte. Weil der Fokus bei Fragen des öffentlichen Raumes oftmals ausschließlich bei dessen Qualitäten für die mit vielen sozialen Ressourcen ausgestatteten, mobilen und dem gesellschaftlichen Mainstream entsprechenden Menschen liegt, soll hier eine bewusste Weiterführung angeregt werden: Die Vision liegt in einer selbstbestimmten, angstfreien Aneignung des öffentlichen Raumes für Menschen aller Altersschichten, auchfür sehr Alte mit Mobilitätseinschränkungen oder für demenzkranke Menschen: Eine caring community im Sinne eines Gemeinwesens und einer stadtpolitischen Planung, die aufmerksam und behutsam auf alle „vor Ort“ schaut, ist dabei die handlungsleitende Vision für eine inklusive Stadtkultur.
Ein fairer Zugang zu (halb)öffentlichen Räumen und die Möglichkeit, sich diese höchstpersönlich zu eröffnen, bringt eine Ausweitung des Aktionsradius mit sich, weiters die Möglichkeit konsumfrei außerhalb der eigenen vier Wände unterwegs sein und entsprechend den eigenen Bedürfnissen verweilen und sich erholen zu können. Dazu gehört z.B. eine adäquate Möblierung (Bänke, Stehtische …) ebenso wie gut erreichbare, saubere Sanitäranlagen oder nachvollziehbare Beschriftungen mit diversitätssensiblen Piktogrammen: In der Praxis stellen sich genau diese Fragen prioritär, wenn man z.B. mit speziellen „user-Gruppen“ des öffentlichen Raumes unterwegs ist und diesen gemeinsam analysiert.
Die wachsende bzw. zunehmend sichtbare gesellschaftliche Heterogenität und der, bedingt durch ökonomische Verwertungsinteressen, sich verknappende, frei zugängliche öffentliche Raum führen zu einem Amalgam von unterschiedlichen Interessenslagen. Hier begegnen sich jedoch bei weitem nicht immer gleichberechtigte AkteurInnen, die automatisch partnerschaftlich und einander zugewandt in Ausverhandlungsprozesse einsteigen können. Ganz klar sind dann eindeutige Grenzen nötig, wenn es um Grundfreiheitseinschränkungen und Gewalt geht: Hier auf ein bilaterales Ausverhandeln zwischen ungleich Starken zu setzen bagatellisiert die Verletzungs- und Schwächungserfahrungen, die diskriminatorische Praxen immer mit sich bringen und verschärft gesellschaftliche Hierarchien, anstatt sie abzubauen.
Einen grundlegenden Bezugspunkt für den derzeit inflationär gebrauchten Begriff Diversität stellt übrigens Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dar. Das Dokument hat in Österreich Verfassungsrang: „Diskriminierungen insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der genetischen Merkmale, der Sprache, der Religion oder der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung sind verboten.“ Diese Darlegung führt weit mehr Tatbestände an als die alten Diskriminierungsnormen, da es beispielsweise soziale Herkunft und Vermögen beinhaltet. Dass es den Terminus „Rasse“ nach wie vor verwendet, wird bisher leider ohne Effekt kritisiert.
Voraussetzung für eine faire Raumaneignung ist also, dass Nutzungskonflikte, die aus divergierenden Interessen entstehen, und gesellschaftliche Machtverhältnisse, etwa die Diskriminierung spezifischer Gruppen von Menschen, überhaupt einmal wahrgenommen werden. Eine solche Sensibilisierung ist keineswegs selbstverständlich, aber zwingende Voraussetzung für die Möglichkeit, diese Situationen überhaupt gezielt zu bearbeiten. Auffallenderweise erleben Junge und Alte vergleichbare Formen der Entwertung: Entweder werden sie paternalistisch in schützende, sie zugleich von der Umwelt isolierende Hüllen gepackt. Oder ihre Bedürfnisse werden denen der (männlichen) Erwachsenen „im besten Alter“ gleichgesetzt. Oder sie erleben, dass ihre „Eigenarten“ schlichtweg nicht ernstgenommen, sondern bagatellisiert werden. Dies alles führt über Verdrängung und Rückzug zur Unsichtbarkeit. Raum ist ein knappes, endliches, wertvolles Gut. Der klare Blick, wie Alte und Junge ihn sich autonom aneignen können, wird in Zukunft die Lebensqualität der Gemeinden und Städte stark mitbestimmen.
Autorin:
Edith Zitz ist Diversitätsfachfrau mit Fokus auf gesellschaftliche Teilhabe, Arbeit und Wirtschaft, spezialisiert auf Kooperation mit komplexen Organisationen und interdisziplinär ausgelegten Projekten.
www.inspire-thinking.at