Virtuosität im Postfordismus. Kulturindustrie als Vorwegnahme und Paradigma.

Mit dem Entstehen der Kulturindustrie verwandelte sich die Virtuosität in Massenarbeit. Zu jenem Zeitpunkt haben die VirtuosInnen begonnen, die Stechkarte zu benützen. In der Tat stellt die Tätigkeit ohne Werk, also das Kommunizieren, das in sich selbst seine Erfüllung findet, in der Kulturindustrie ein prägendes, zentrales, ja notwendiges Element dar.

Jede von uns ist immer schon VirtuosIn, ausführende KünstlerIn. Manchmal mittelmäßig oder ungeschickt, aber in jeder Hinsicht virtuos. Das Grundlegende des Modells der Virtuosität nämlich, die Erfahrung, aus der sie ihren Begriff schöpft, ist die Tätigkeit des bzw. der Sprechenden. Nicht die Tätigkeit einer gelehrten, verfeinerten, sondern einer beliebigen SprecherIn. Die menschliche Sprache findet ihren Zweck in sich selbst, sie produziert (zumindest nicht ausschließlich und notwendigerweise) kein vom Akt der Äußerung unabhängiges „Objekt“. Die Sprache bleibt „ohne Werk“. Es gibt aber noch mehr zu sagen. Im Unterschied zur PianistIn, zur TänzerIn oder zur SchauspielerIn kommt die SprecherIn als Einzige ohne Partitur oder Textbuch aus. Ihre Virtuosität ist doppelter Natur: Sie produziert nicht nur kein Werk, das man von der Ausführung trennen könnte, ihr liegt auch kein Werk vor, das durch ihre Aufführung aktualisiert würde. In der Tat stützt sich jeglicher Akt der parole ausschließlich auf die Potenzialität der Sprache, besser gesagt auf das allgemeine Sprachvermögen; nicht auf einen bis in die Details vorgegebenen Text. Die Virtuosität der SprecherIn ist Prototyp und Spitze jeder weiteren Form von Virtuosität, eben weil sie in sich das Verhältnis von Akt und Potenz einschließt. Die zeitgenössische Produktion wird folglich „virtuos“ (und deshalb politisch), weil sie in sich die Erfahrung des Sprechens als solche einschließt. Wenn dem so ist, dann müssen wir die Matrix des Postfordismus in jenen industriellen Sektoren suchen, in denen wir es mit der „Produktion von Kommunikation mittels Kommunikation“ zu tun haben, also in der Kulturindustrie.

Die Verwandlung der Virtuosität in Massenarbeit

Mit dem Entstehen der Kulturindustrie verwandelte sich die Virtuosität in Massenarbeit. Zu jenem Zeitpunkt haben die VirtuosInnen begonnen, die Stechkarte zu benützen. In der Tat stellt die Tätigkeit ohne Werk, also das Kommunizieren, das in sich selbst seine Erfüllung findet, in der Kulturindustrie ein prägendes, zentrales, ja notwendiges Element dar. Aus eben diesem Grund jedoch war die Kulturindustrie der erste Bereich, in dem die Struktur der Lohnarbeit sich jener des politischen Handelns anglich. In den Sektoren, in denen Kommunikation mittels Kommunikation produziert wird, sind die Tätigkeiten gleichzeitig „virtuos“ und „politisch“. Luciano Bianciardi, ein bedeutender italienischer Schriftsteller, stellt in seinem wichtigsten Roman La vita agra (Das saure Leben) Glanz und Elend der Kulturindustrie im Mailand der 1950er Jahre dar. In einem wunderbaren Abschnitt dieses Buchs schildert der Autor auf wirkungsvolle Weise, was die Kulturindustrie von der traditionellen Industrie und der Landwirtschaft unterscheidet. Der Protagonist des Romans ist von Grosseto nach Mailand gekommen, um die jüngst in seiner Region aufgetretenen Todesfälle aufgrund von Arbeitsunfällen zu rächen, und findet schließlich in der gerade entstehenden Kulturindustrie Arbeit. Nach kurzer Zeit wird er jedoch entlassen. Lesen wir zunächst den Abschnitt, der heute einen unzweifelhaft theoretischen Wert hat: „[…] und dann wurde ich entlassen, nur wegen dieser Sache, ich schlurfe nämlich, ich gehe langsam und schaue herum, auch wenn es nicht notwendig ist. In unserem Geschäft muss man sie aber gut vom Boden abheben, die Füße, und sie dann gut hörbar wieder auf den Fliesenboden aufsetzen, man muss agieren, immer auf den Beinen sein, loslegen, Staub aufwirbeln, eine schöne Staubwolke, wenn’s geht, und in der muss man dann verschwinden. Es ist nicht so, wie wenn man Bauer oder Arbeiter ist. Der Bauer bewegt sich langsam, weil seine Arbeit ohnehin von den Jahreszeiten abhängt. Der Arbeiter bewegt sich schnell, wenn er am Fließband steht, aber nur, weil ihm dort die Produktionszeiten vorgegeben werden, und wenn er mit dem Rhythmus nicht mithält, dann kriegt er Schwierigkeiten […]. Es ist eben so, dass der Bauer die primären Tätigkeiten macht, und der Arbeiter die sekundären. Der eine stellt aus dem Nichts etwas her, der andere verwandelt eine Sache in eine andere. Das Maß für die Bewertung ist beim Bauern und beim Arbeiter leicht, es ist quantitativ: ob die Fabrik so und so viele Stück pro Stunde erzeugt, ob der Gutshof auch was einträgt. In unserem Geschäft ist es anders, da gibt es keine quantitativen Maßstäbe für die Bewertung. Wie soll man das Können eines Priesters, eines Werbefachmanns, eines PR-Managers messen? Die produzieren weder aus dem Nichts, noch verwandeln sie irgendwas. Die sind weder primär noch sekundär tätig. Tertiär tätig sind sie, im Gegenteil, ich würde sogar sagen […] quartär. Sie sind keine Produktionsmittel und auch keine Transmissionsriemen. Sie sind höchstens Schmiermittel, reine Vaseline. Wie kann man einen Priester, einen Werbefachmann, einen PR-Manager bewerten? Wie soll man denn die Menge an Glauben, an Kauflust, an Sympathie berechnen, die sie hervorzurufen imstande sind? Nein, wir haben kein anderes Maß als die Fähigkeit jedes einzelnen, sich an der Oberfläche zu halten und weiterzukommen, also Bischof zu werden. Anders gesagt, wer einen tertiären oder quartären Beruf wählt, der braucht die Gaben und Einstellungen eines Politikers. Wie wir wissen, hat die Politik seit langem aufgehört, eine Wissenschaft vom guten Regieren zu sein, und ist zur Kunst, die Macht zu erobern und zu erhalten, geworden. Deshalb wird die Qualität eines Politikers nicht daran gemessen, wie viel Gutes er für die anderen erreicht, sondern daran, wie schnell er sich an die Spitze hoch kämpft und wie lange er sich dort hält. […] Insofern es bei den tertiären und quartären Berufen keine sichtbare Produktion gibt, die als Maßstab dienen könnte, wird das Kriterium eben dasselbe sein.“ (Bianciardi 1962: 129–132)

Die Vorwegnahme der postfordistischen Produktionsweise

In vielerlei Hinsicht ist die Analyse von Bianciardi natürlich überholt, zumal die für die Kulturindustrie charakteristischen Tätigkeiten darin als marginale und eigentümliche Ausnahme dargestellt werden. Schließlich ist die Reduktion der Politik auf ein reines An-sich-Reißen der Macht zumindest oberflächlich. Nichtsdestotrotz springt einem in dem von mir zitierten Ausschnitt eine wunderbare Intuition in die Augen, die auf ihre Weise Hannah Arendts These von der Ähnlichkeit zwischen VirtuosInnen und PolitikerInnen sowie die Bemerkungen von Karl Marx zu den Tätigkeiten, deren Ergebnis kein selbständiges „Werk“ ist, aufnimmt und weiterdenkt. Bianciardi hebt den zunehmend „politischen“ Charakter der Arbeit in der Kulturindustrie hervor. Er bringt diesen „politischen“ Charakter jedoch, und dies scheint von großer Wichtigkeit zu sein, mit dem Umstand in Verbindung, dass in dieser Industrie keine vom Handeln getrennten Werke produziert werden. Dort, wo es eines extrinsischen „Werks“ ermangelt, muss man von politischem Handeln sprechen. Eines sei klargestellt: In der Kulturindustrie (wie heutzutage, in der postfordistischen Epoche, in der Industrie im Allgemeinen) fehlt es natürlich nicht an fertigen Produkten, die am Ende des Herstellungsprozesses in den Handel gelangen. Der entscheidende Punkt ist jedoch, dass, während die materielle Produktion der Objekte an das hochgradig automatisierte System der Maschinen delegiert wird, die Leistungen der lebendigen Arbeit immer mehr virtuos-sprachlichen Tätigkeiten ähneln. Es stellt sich also die Frage, welche Rolle die Kulturindustrie hinsichtlich der Überwindung des fordistisch-tayloristischen Systems spielt. Meiner Ansicht nach hat sie das Paradigma der postfordistischen Produktion in ihrer Gesamtheit auf den Punkt gebracht. Insofern bin ich auch der Ansicht, dass die Verfahrensweisen der Kulturindustrie von einem bestimmten Zeitpunkt an exemplarischen Charakter angenommen haben und in alle anderen Bereiche eingedrungen sind. In der Kulturindustrie, auch in jener von Adorno und Benjamin untersuchten archaischen Form, findet sich die Vorwegnahme einer Produktionsweise, die sich dann mit dem Postfordismus allgemein durchsetzt und zum Rang eines Kanons aufsteigt.

Jenseits der Fordisierung der Kulturindustrie

Um diesbezüglich ein besseres Verständnis zu erreichen, schlage ich vor, einen Augenblick zur Kritik der Kulturindustrie von Seiten der Denker der Frankfurter Schule zurückzukehren. In der Dialektik der Aufklärung (1997) gehen die Autoren, vereinfacht gesagt, davon aus, dass auch die „Fabriken der Seele“ (Verlagswesen, Kino, Radio, Fernsehen usw.) sich entsprechend den fordistischen Kriterien der Serialität und der Parzellierung gestalten. Auch in diesen scheint sich das Fließband durchzusetzen, das leuchtende Symbol der Automobilfabriken. Der Kapitalismus – das ist die These – stellt seine Fähigkeit unter Beweis, selbst die geistige Produktion zu mechanisieren und zu parzellieren, genauso wie er in der Landwirtschaft und der Metallverarbeitung verfahren ist. Serialität, Bedeutungslosigkeit der einzelnen Tätigkeit, ökonometrische Vermessung der Gefühle und Stimmungslagen: Das sind die häufigsten Refrains. Dieser kritische Ansatz räumte jedoch sehr wohl ein, dass im besonderen Fall der Kulturindustrie einige Aspekte erhalten bleiben, die sich einem vollkommenen Aufgehen in die fordistische Organisation des Arbeitsprozesses widersetzen. In der Kulturindustrie war es also durchaus notwendig, dem Informellen, dem Nicht-Geplanten, dem plötzlichen Sicheinstellen des Unvorhergesehenen, der kommunikativen und schöpferischen Improvisation einen gewissen Raum zu überlassen; nicht, um die menschliche Kreativität zu fördern, wohlverstanden, sondern um eine zufriedenstellende Produktivität der Firma zu erreichen. Dennoch waren diese Aspekte für die Frankfurter Schule bloß unbedeutende Überbleibsel, Reste und Ausläufer, die der Vergangenheit angehörten. Was in Wirklichkeit zählte, war nur die allgemeine Fordisierung der Kulturindustrie. Mir scheint nun, dass man diese angeblichen Überbleibsel, wenn man die Dinge aus heutiger Sicht betrachtet, unschwer als äußerst zukunftsträchtig identifizieren kann (ein gewisser Raum, der dem Informellen, dem Unvorhergesehenen, dem Nicht-Programmierten zugestanden wird). Es handelte sich demnach nicht um Reste, sondern um Vorahnungen, um Vorwegnahmen. Das Informelle am kommunikativen Handeln, die typisch konkurrenzbasierte Interaktion einer Redaktionssitzung, die plötzliche Änderung, die den Verlauf eines Fernsehprogramms beleben kann, in einem allgemeinen Sinn das, bezüglich dessen es nicht sinnvoll gewesen wäre, wenn man es über ein bestimmtes Maß hinaus festgelegt und reglementiert hätte, ist heute, in der postfordistischen Epoche, zum Wesenszug der gesamten gesellschaftlichen Produktion geworden. Nicht nur der heutigen Kulturindustrie, sondern auch der Fiat-Fabrik in Melfi.

Ausblick

Während Bianciardi noch von der Arbeit sprach, in der eine Verbindung zwischen der (virtuosenhaften) Tätigkeit-ohne-Werk und politischen Handlungsweisen besteht, als ob es sich dabei um eine marginale Eigentümlichkeit handelte, ist diese Verbindung heute zur Regel geworden. Die Verschränkung von Virtuosität, Politik und Arbeit hat sich überallhin ausgebreitet. Es bleibt die Frage zu stellen, welche spezifische Funktion die Kommunikationsindustrie heute ausübt, da alle industriellen Sektoren an ihrem Modell Anleihe nehmen. Welche Rolle spielt das, was einst die postfordistische Wende vorwegnahm, in einer Situation, in der sich der Postfordismus voll entfaltet hat?

Literatur

L. Bianciardi (1962): La vita agra. Milano

M. Horkheimer / Th. W. Adorno (1997): Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente. Frankfurt/M.

Paolo Virno lehrte Philosophie an den Universitäten von Urbino und Montreal und ist zurzeit an der Universität von Kalabrien tätig. Der vorliegende Text ist ein Auszug aus seinem, vor kurzem im Verlag Turia&Kant; erschienenen Buch „Grammatik der Multitude“, übersetzt aus dem Italienischen von Klaus Neundlinger.

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