VorRisse

Jetzt ist also nicht nur "das Boot voll", sondern auch noch der Häf'n. Justizminister Böhmdorfer, soeben unter versöhnlichem Schulterklopfen auch ehemaliger GegnerInnen abgetreten, war der selbsternannte "Sicherheitsminister". Seine ebenso wie Kollege Strassers Augen des Gesetzes spähten in Richtung skrupelloser "Verletzer der inneren Sicherheit". Die beiden Herren produzierten so einen beispiellosen Anstieg der Inhaftiertenzahlen.

Jetzt ist also nicht nur "das Boot voll", sondern auch noch der Häf'n. Justizminister Böhmdorfer, soeben unter versöhnlichem Schulterklopfen auch ehemaliger GegnerInnen abgetreten, war der selbsternannte "Sicherheitsminister". Seine ebenso wie Kollege Strassers Augen des Gesetzes spähten in Richtung skrupelloser "Verletzer der inneren Sicherheit". Die beiden Herren produzierten so einen beispiellosen Anstieg der Inhaftiertenzahlen. Die Spirale dreht sich: 1180 neue "Planstellen zur Verbrechensbekämpfung" genehmigte das Finanzministerium dieses Jahr. Etwa 8300 Menschen sitzen in Österreich derzeit ein. Ein neues Gefängnis wird für Wien gefordert, Böhmdorfers zunächst belächelte Idee eines exterritorialen Gefängnisses für RumänInnen in Rumänien passierte im Mai den Ministerrat.

Gefängnisse werden in den Herkunftsländern der DelinquentInnen kostengünstig hochgezogen, rechtsstaatliche Bedenken weggefegt. Gefängnisse werden - wie die USA es vorexerziert - zunehmend ins Verborgene verlagert. Sie werden privatisiert. Es gebe ein "Revival des Gefängnisses", konstatiert auch Gerhard Unterthurner im ersten Text des Kulturrisse-Schwerpunkts Gefängnisse. Unterthurner beschreibt das Gefängnis als Labor der Kontrollgesellschaft, die neue "große Einsperrung" als Logik des Neoliberalismus: Die vom System ausgespuckten Armen würden isoliert, wesentliche Teile der Gesellschaft kriminalisiert, gleichzeitig das Bedrohungsszenario Kriminalität ökonomisiert. Bei dieser Ökonomisierung setzt auch Ramón Reicherts Text an und zieht eine Traditionslinie vom Gefängnissystem der Frühaufklärung bis zu heutigen Methoden der "Verfleißigung" und Moralisierung der Gesellschaft. Michael Zinganels Text nimmt sich ergänzend unter anderem den städtebaulichen Konsequenzen der strafenden und segmentierten Kontrollgesellschaft an, die Beitäge von Jens Kastner und Aileen Derieg analysieren aktuelle künstlerische Projekte zum Thema.

Überwachung und Einübung von Counter-Kontrolle bildeten auch den Hintergrund des 2003 realisierten Projekts re:control des Innsbrucker Kollektivs k.u.u.g.e.l. re:control wurde als eines von vier Projekten von einer sechsköpfigen Jury als Preisträger des Förderpreises für politische Kulturarbeit der IG Kultur Österreich ausgewählt. Der Preis ist nicht mit Geld dotiert, verharrt aber auch nicht auf der Ebene des symbolischen Nadelansteckens. Die IG will den Ausgewählten vielmehr eine möglichst breite – und hier vor allem mediale – Öffentlichkeit erschließen, Pakete aus Sichtbarkeit und Ausweitung der Interventionszone schnüren. Laudationes zu den als exemplarisch befundenen Projekten re:control (k.u.u.g.e.l., Innsbruck), Kartographische Eingriffe (MAIZ, Linz), kinokis mikrokino (Verein kinoki, Wien) und Another War is possible (VolxTheaterkarawane, ubiquitär) spüren jetzigen und zukünftigen Interventionszonen nach.

Und schließlich: Was sind zukünftige Strategien der Netzkultur? In dieser Ausgabe finden sich divergierende Antworten auf diese Frage. Ein heimlicher dritter Schwerpunkt zu einem Feld, das – notorisch von der Politik links liegen gelassen – zwischen Kommerzialisierung und Politisierung seine virulenten Interventionszonenqualitäten aufzureiben droht.

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