VorRisse

Der Bereich des künstlerischen Schaffens wurde bis ins 20. Jahrhundert hinein gleich jenem der Wissenschaft als ein Reich der Freiheit vorgestellt, welches von den Zwängen des Marktes konsequent zu entkoppeln sei.

Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein dominierte im europäischen Bürgertum die Überzeugung, dass dem Markt zwar beinahe überall, nicht jedoch in den heiligen Hallen der Kultur zum Durchbruch verholfen werden müsse. Der Bereich des künstlerischen Schaffens nämlich wurde gleich jenem der Wissenschaft als ein Reich der Freiheit vorgestellt, welches von den Zwängen des Marktes konsequent zu entkoppeln sei. Erst mit der Etablierung einer Kulturindustrie wurde dieser in der Realität ohnedies seit jeher zweifelhaften Vorstellung auch auf ideologischer Ebene ein Ende bereitet. Zeichnete sich doch beispielsweise die von der sich entwickelnden Filmindustrie hervorgebrachte Kunst gerade dadurch aus, dass sie „ihrer eigenen Autonomie abschwur und sich stolz unter die Konsumgüter einreihte“, wie Theodor W. Adorno und Max Horkheimer es formulierten. Nichtsdestotrotz hielt sich vielerorts noch lange Zeit die Ansicht, dass dem Staat die Aufgabe zukomme, neben diesem kommerziellen auch einen öffentlichen Sektor kultureller Produktion zu gewährleisten. Erst im Zuge der neoliberalen Umbauten der Gegenwart wird dieses einstige Selbstverständnis zunehmend infrage gestellt. Von nun an soll der Markt nämlich auch die geistige Produktion befruchten, um über das Zauberwort der Creative respektive Cultural Industries zugleich einer krisengeplagten Wirtschaft und dem finanziell ausgetrockneten öffentlichen Sektor erneut auf die Sprünge zu helfen.

Wie Heinz Steinert in seinem Eröffnungstext des Schwerpunkts der vorliegenden Kulturrisse-Ausgabe zeigt, liegt diesem Wandel eine Metamorphose des Begriffs der „Kulturindustrie“ zu Grunde. Einst in gesellschaftskritischer Intention ersonnen, um die Konsequenzen der Waren- und Verwaltungsförmigkeit kulturindustrieller Produkte zu erfassen, wandelt sich die Rede von den „Cultural Industries“ gegenwärtig immer mehr in ein rein affirmatives Heilsversprechen. Wie ein solches, dem „Kreativwirtschafts“-Diskurs innewohnendes Heilsversprechen auch in Österreich zum Selbstläufer wurde und in welch scharfem Kontrast es gerade zu den Arbeitsbedingungen der in diesem Bereich Beschäftigten steht, zeigt Elisabeth Mayerhofer in ihrem Beitrag. Dass in Großbritannien hingegen, dem Ursprungsland des europäischen Creative Industry- Booms, der Hype längst einem Hangover gewichen ist, machen Armin Medosch und Angela McRobbie in ihren Schwerpunkttexten deutlich – aber auch, dass das reale Scheitern keineswegs eine Abkehr von den entsprechenden politischen Strategien zur Folge hatte.

Heike Gleibs und Tim Schmalfeldt analysieren im Anschluss daran, wie auch auf EU-Ebene die Kultur immer stärker an (vermeintliche) wirtschaftliche Erfordernisse gekoppelt wird – und dabei selbst zunehmend unter die Räder kommt. Die zwei den Schwerpunkt des vorliegenden Hefts abrundenden Texte schließlich führen aus, wie der kulturelle Sektor zum Experimentierfeld heutigen Lebens und Wirtschaftens wurde. Während der Fokus Paolo Virnos dabei jedoch auf der von ihm konstatierten Vorwegnahme der postfordistischen Produktionsweise durch die Kulturindustrie liegt, macht Isabell Lorey das Arbeiten und Leben von KulturproduzentInnen zum Gegenstand einer Untersuchung neoliberaler Subjektivierungsweisen.

Und da natürlich auch wir uns nicht dem Imperativ der Innovationsfähigkeit im gegenwärtigen Kapitalismus entziehen wollen, erscheinen die Kulturrisse – zeitgerecht zum 10-jährigen Bestehen und 5 Jahre nach dem letzten Relaunch – ab dieser Ausgabe in neuem Layout und Format. Das mit der Neugestaltung beauftragte GrafikerInnen-Duo „Toledo i Dertschei“ hat die nicht ganz einfache Aufgabenstellung, zwar nichts wirklich neu aber doch alles anders zu machen, mit Bravour gemeistert und so treten wir – konfliktfreudig gleich den kollidierenden rr’s am Cover – in ein neues Jahrzehnt des publizistischen Kampfs für radikaldemokratische Kulturpolitik.

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