VorRisse
Weltweit zu beobachten sind fortschreitende Elitisierungstrends, welche Wissen und Bildung als Kapitalgüter für eine, wie auch immer als „exzellent“ definierte, kleiner werdende Schicht von Menschen konzipieren, die in der Folge eine bedeutende Rolle in einer neuen Form der kapitalistischen Vergesellschaftung spielen sollen.
Wissen wird produziert, erworben, geteilt, angeeignet, manchmal enteignet, vergessen, reproduziert, erlangt, vermarktet, weitergegeben. Die Wichtigkeit von Wissen und der Möglichkeiten der Wissensproduktion – verstanden als die Art, wie Wissen generiert und vermittelt beziehungsweise geteilt wird – wird aus verschiedenen Richtungen hinterfragt und kritisiert. Besonders notwendig ist letzteres nicht nur, aber doch umso mehr durch weltweit zu beobachtende, fortschreitende Elitisierungstrends, welche Wissen und Bildung als Kapitalgüter für eine, wie auch immer als „exzellent“ definierte, kleiner werdende Schicht von Menschen konzipieren, die in der Folge eine bedeutende Rolle in einer neuen Form der kapitalistischen Vergesellschaftung spielen sollen.
Sowohl der Text von Martin Birkner wie auch die neun, von Gigi Roggero und Alberto de Nicola verfassten Thesen zum „System Universität – Stadt“ gehen von dieser Disposition einer Hegemonie der immateriellen Arbeit als „kognitivem Kapitalismus“ aus. Um diesen in die, in seinem Konzept bereits angelegte, Krise zu stürzen, ist es so Birkner, die zentrale Frage, „ob und wie die antikapitalistischen Aneignungs- und Produktionsprozesse metropolitaner Wissensökonomie mit den Kämpfen in den Peripherien in Beziehung gesetzt werden können. Für Roggero und de Nicola liegt die Aufgabe in der Organisation und Übersetzung von selbstorganisierter Bildung und Netzwerken in „Institutionen des Gemeinsamen, d.h. in konstituierende Formen des Verhältnisses zwischen dem Bruch mit Prozessen des Zwangs und der Produktion von gemeinsamen Normen.“
Alternative Wissensproduktion kann aber auch Wissen weniger als verwertbares Gut in den Weiten des Weltmarktes sehen, sondern als Möglichkeit, so viele Menschen wie möglich, sowohl an der Entstehung als auch an der Verbreitung von Wissen teilhaben zu lassen. An dieser Stelle soll auf den Entstehungskontext der Schwerpunktartikel hingewiesen werden: dem im April von EIF und eipcp veranstalteten „internationalen Workshop zu kultur- und bildungspolitischen Aspekten alternativer Wissensproduktion“.
Aileen Derieg, eine der TeilnehmerInnen des zuvor erwähnten Workshops, beschreibt in ihrem Beitrag Formen des Wissenstausches in der Genderchangers Academy und im Eclectic Tech Carnival, „women only spaces“, in denen es um Transfer und Tausch von technischem Wissen und Softwarekenntnissen geht.
Der Beitrag von Katja Reichard führt die LeserIn zurück in das Berlin der 1960er/70er Jahre, wo das Märkische Viertel – eines der größten Wohnbauprojekte Nachkriegsdeutschlands – für „Heerscharen von StudentInnen und ProfessorInnen, SozialwissenschaftlerInnen und -pädagogInnen, ArchitektInnen, KünstlerInnen und FilmemacherInnen“ zum Zentrum aktivistischer und studentischer Umtriebe wurde. Zwischen Beforschung und „Kontrolle von unten“ präsentierte sich das MV, am Ende bleiben Zweifel an der Hierarchiefreiheit bei den beteiligten BewohnerInnen: „und eines Tages könnse uns noch viel besser ausbeutn, weilse uns besser kenn.“
„Wie können Denkprozesse in Gang gesetzt werden, die sich dem vermittelten Wissen nicht automatisch anpassen?“ fragt Nina Höchtl in ihrem Beitrag über die Casa Refugio. Auf einer Veranstaltungsreihe in der Casa Refugio in Mexiko Stadt, bei der sie zu Gast war, ist dieses Ansinnen offensichtlich nicht gelungen. Wie die Autorin mutmaßt, liegt das wohl auch an der Transferierung europäischer Ansätze in den mexikanischen Raum, ohne der Hinterfragung und Benennung eben dieser.
Die Grenzen von Übersetzung sind Themen des Subschwerpunktes im Teil Kosmopolitiken. Entstanden sind die drei Texte von Rada Ivecovic, Encarnación Gutiérrez Rodríguez und Jon Solomon im Rahmen der Konferenz Borders, Nations, Translations. The Political Limits of Cultural Trans-Nationalism, die von 14. bis 15. März in Wien stattfand und vom eipcp-Projekt translate veranstaltet und konzipiert wurde.