"Weil mir Tiroler sein...!" Oder: Kulturelle Identität und Tiroler Politik

Kultur ist politisch

In der faschistischen Kerkerhaft rückte Antonio Gramsci, einer der maßgeblichsten marxistischen Denker Italiens, von der Idee ab, Herrschaft würde ausschließlich durch ökonomische Verhältnisse bestimmt. Kultur, so stellte er in seinen Gefängnisheften fest, sei dasjenige Feld, in dem unterschiedliche soziale Kräfte um die Hegemonie ringen.

 
 

Kultur ist politisch

In der faschistischen Kerkerhaft rückte Antonio Gramsci, einer der maßgeblichsten marxistischen Denker Italiens, von der Idee ab, Herrschaft würde ausschließlich durch ökonomische Verhältnisse bestimmt. Kultur, so stellte er in seinen Gefängnisheften fest, sei dasjenige Feld, in dem unterschiedliche soziale Kräfte um die Hegemonie ringen. Da Hegemonie sich nicht ausschließlich auf Gewalt gründen kann, sondern immer auf die Zustimmung der gesellschaftlichen Mehrheit angewiesen ist, zielt kunstvolle Politik stets auf die Überzeugung der Menschen auf ideologischer, moralischer und weltanschaulicher - also im weiteren Sinne kultureller - Ebene ab. Diese herausragende Bedeutung von Kultur hat wohl auch Tirols Landeshauptmann, Herwig van Staa, erkannt. Nach dem Abgang des bisherigen Kulturlandesrates Günther Platter nach Wien, der dort den Ankauf des neuen "Luftraumsicherungsgeräts" vollzieht, übernahm van Staa auch die Kulturagenden in der Tiroler Landesregierung. Ein Bereich, der sich nicht nur für medienwirksame Fototermine in der Vorwahlkampfzeit bestens eignet, sondern der in der Tat ein Schlüsselelement machiavellistischer politischer Strategie darstellt.

Kultur stiftet Tiroler Identität?

Die Probe aufs Exempel lieferte Herwig van Staa bereits in seiner Antrittspressekonferenz. Kultur im Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne (Stichwort: Lederhosen & Laptop) sei identitätsstiftend und imagebildend für Tirol. Die Identifikation der Tirolerinnen und Tiroler mit ihrem Land erfolge über die Kultur. Daher sei ein höheres Engagement der Bevölkerung für und in der Kultur unverzichtbar. Welches Engagement genau er sich da erhoffe, präzisierte er allerdings erst in einer Reihe nachfolgender öffentlicher Statements. So zum Beispiel in einem TT-Artikel anlässlich der Generalversammlung des Landesverbandes der Heimat- und Trachtenverbände: "Die Volkskulturvereine sind mit Subventionen nicht reich beschenkt. Van Staa: 'Sie bekommen einen Bruchteil dessen, was andere ver-experimentieren.'" Oder etwa bei seiner Eröffnungsrede zum Tourismustag im April im Rahmen der FAFGA: "Wir müssen mehr Kultur-Gesinnung erzeugen und unsere Gäste darauf aufmerksam machen, welchen kulturellen Schatz wir in unserem Land haben." In einem anderen Interview anlässlich seiner Übernahme der Kulturagenden stellte er fest, dass er als Tourismusreferent dafür plädiere, eine stärkere Verbindung zwischen Kultur und Tourismus herzustellen. Auf den ersten Blick wirken alle diese Aussagen erst einmal recht harmlos, ja sogar recht positiv für die Kunst- und Kulturschaffenden in diesem Land. Doch die Tücke liegt wie so oft im Detail.

In diesen Statements des Landeshauptmanns verbinden sich drei Elemente zu einem insgesamt ziemlich unheilvollen Diskurs. Das eine Element bezieht sich auf van Staas Vorstellung von "kultureller Identität". Wenn er davon spricht, dass Kultur der Stiftung einer Tiroler Identität diene, begibt er sich in ein in den letzten Jahren viel diskutiertes Feld. Wie die beiden französischen Theoretiker Etienne Balibar und Pierre-André Taguieff unabhängig voneinander bereits Ende der 1980er Jahre nachwiesen, fand innerhalb der rassistischen Argumentation eine Verschiebung statt. Weg von der "klassischen" biologistischen Argumentation von "Rasse" hin zu einer rassistischen Argumentation für eine Differenzierung und Ausgrenzung entlang von kulturellen Identitäten, für die vor allem die Vertreter der "Neuen Rechten" bekannt wurden. Die Bemühung dieser Terminologie ist - wenn nicht der Verweis auf genau diese rassisierenden Diskurse der "Neuen Rechten" gewünscht ist - zumindest ungeschickt.

Das zweite Element bezieht sich auf die Rolle von Kultur selbst, die durch ein jeweils spezifisches Kulturverständnis ganz unterschiedlich ausgelegt wird. Wenn der Landeshauptmann also der Kultur die Funktion zuschreibt, für identitären Kitt in der Tiroler Bevölkerung sorgen zu müssen, verkennt er das gesellschaftliche Innovationspotential von Kultur und Kulturproduktion von Grund auf. Kunst- und Kulturschaffen dürfen nicht in rückwärtsgewandter Form - sowohl wissenschaftlich als auch durch die Realität der Globalisierung bereits überholte - naturalisierende und ausgrenzende Identitäten bestätigen sondern müssen vielmehr die Brüche und Fragmentierungen dieser Identitätskonzepte aufzeigen und in experimentellem Agieren neue Wege und Konzepte entwickeln. Dies ist die zukunftsweisende und innovative Funktion von Kunst und Kultur innerhalb einer Gesellschaft und dies ermöglicht einer Gesellschaft auch den neuen Herausforderungen angemessen und politisch überlegt zu begegnen.

Das führt auch bereits zum dritten Element der Äußerungen des Landeshauptmanns. Van Staa spricht von einer zu verstärkenden Verbindung von Tourismus und Kultur. Er legt den Kunst- und Kulturschaffenden dieses Landes damit nahe, Mehrwert für die Tourismuswirtschaft herzustellen. Dies ist aus folgenden Gründen abzulehnen: Kultur braucht Freiräume. Ähnlich wie für die Wissenschaft gilt es, das prinzipielle Recht von Kunst und Kultur auf Freiheit aufrecht zu erhalten. Dies impliziert auch die Freiheit von ökonomischen Zwängen! Bei einer Unterordnung von Kultur unter die marktwirtschaftlichen Bedingungen der Tourismusbranche gehen aber gerade die für eine Gesellschaft so wichtigen kulturellen Freiräume, in denen Konzepte für die Zukunft entworfen werden können, verloren: Kunst- und Kulturschaffen verkommt zur Pausenclownerie zwischen Wellnessbad, Schipiste und Ballermann. Eventmarketing heißt allerorten das Gebot der Stunde - auch und gerade in der Tiroler Tourismuswirtschaft. Was hier vermarktet werden kann und soll, sind für den mehrheitsfähigen Durchschnittsgeschmack maßgeschneiderte Veranstaltungen. Zwingt man die Kunst- und Kulturschaffenden dieses Landes zur Herstellung solcher Produkte, verbleiben diese zwangsläufig im Feld der volkstümelnden Langweilerkultur des ohnehin schon sattsam Bekannten. Kunst und Kultur verlieren in der Folge ihr Innovationspotential.

Kulturpolitik aktuell - Die prekäre Situation der Kulturinitiativen

Der Übergang der Kulturagenden von einem Ressort mit eigenem Landesrat hin zur Kultur als Chefsache brachte in den ersten Monaten vor allem eines mit sich: Zeitmangel des neuen Kulturchefs und Verzögerungen bei der Auszahlung bereits zugesagter Subventionen. Einen Termin beim neuen Leiter des Kulturressorts zu ergattern - um die eigene Arbeit vorzustellen, die noch ausstehenden Subventionsgelder einzufordern oder neue Verhandlungen zu führen - erwies sich oft als übergroße Hürde. Die Tiroler Kulturinitiative / IG Kultur Tirol (TKI), der Dachverband der autonomen Kulturinitiativen in Tirol, vertritt derzeit immerhin 56 unabhängige Kulturvereine und -initiativen. Selbst diese Interessenvertretung durfte sich erst im Juli 2003 zu den wenigen Auserwählten zählen, die - nach mehrmaligem Urgieren im Sekretariat des Landeshauptmanns - zu einer Audienz beim Landesfürsten empfangen wurden.

Diese chronische Zeitknappheit überlagert sich mit dem - inzwischen revidierten - van Staa'schen Ansinnen, im Jahr 2004 eine Kürzung von 10% bei den Ermessensausgaben des Kulturbudgets vorzunehmen. Nun muss man wissen, dass vor allem die freie und unabhängige Kunst- und Kulturszene nicht mit fixen Finanzierungsposten innerhalb des Kulturbudgets rechnen kann, sondern dass gerade diese Szene Jahr für Jahr, stets aufs Neue Anträge stellend, auf diese ohnehin schon knapp bemessenen Ermessensausgaben angewiesen ist. Existentiell angewiesen, denn - entgegen vollmundiger Morak'scher Ankündigungen den Bundesländern mehr Geld zukommen lassen zu wollen - hat auch der Bund massive Kürzungen des Kulturbudgets in Aussicht gestellt. Überdies belasten satte Anhebungen der Postgebühren für Programmzeitschriften, die Werbeabgabe, die Verschärfung des Haftungsumfangs für Vorstandsmitglieder laut neuem Vereinsgesetz und Kulturbudgetkürzungen auf Gemeindeebene - um nur einige Verschärfungen der letzten Jahre zu nennen - die finanzielle Situation der freien Kunst- und Kulturszene in Tirol. Eine Paradigmenänderung in der Subventionspolitik führt darüber hinaus dazu, dass sich die öffentliche Hand aus ihrer Verantwortung verabschiedet, die Struktur der Kunst- und Kulturinitiativen aufrechtzuerhalten. Statt dessen wird lediglich noch punktuell das eine oder andere Projekt gefördert. Diese neue Politik tut ihr Übriges zur weiteren Prekarisierung aller in Kunst und Kultur Tätigen. Immer seltener wird auf diese Weise die Chance, für die geleistete Arbeit im Feld der Kunst und Kultur auch bezahlt zu werden; immer schwieriger gestaltet sich die Bezahlung der anfallenden Mieten und Betriebskosten für Veranstaltungszentren, Bühnen und Lokale; immer stärker wird die (über-)lebensnotwendige Büro- und Verwaltungsinfrastruktur eingeschränkt. Die Kulturinitiativen und ihre Mitarbeiter bewegen sich auf diese Weise immer öfter am Rande des Bankrotts!

Der Kampf um die kulturelle Hegemonie ist eröffnet - und er betrifft alle!

Vor diesem Hintergrund erscheinen die Ansagen des Landeshauptmanns doppelt bedrohlich. Nicht nur wird auf inhaltlicher Ebene einem ganz spezifischen, brauchtümelnden Kulturverständnis das Wort geredet. Vielmehr schreitet die neue Kulturpolitik auch gleich zur Tat: Die Kulturinitiativen, oftmals die einzigen Garanten für zeitgenössische, innovative Kultur in den Regionen, werden sukzessive ausgehungert und zermürbt. Herwig van Staa begibt sich nicht in einen pluralistischen und demokratischen Wettstreit darum, wessen Kulturverständnis letztlich die Hegemonie erringt, sondern er scheint auch gewillt zu sein, kultur- und förderpolitisch entsprechend nachzuhelfen. Diejenigen, die in seinen Augen immense Budgets "ver-experimentieren", dürfen sich vom neuen obersten Kulturchef des Landes nur wenig erhoffen. Umso wichtiger ist es, schon jetzt den kriegerisch tönenden, kulturpolitischen Aussagen van Staas entschieden entgegen zu treten und in den von ihm eröffneten Kampf um die Hegemonie im Feld der Kultur einzutreten. Kunst und Kultur ist und kann weit mehr, als die bloße Selbstbestätigung für eine so nicht mehr existente aber umso öfter bemühte Tiroler Identität zu liefern. Dass dieser Kampf nicht nur für die Kunst- und Kulturschaffenden relevant ist, hat bereits Antonio Gramsci äußerst weitsichtig bewiesen!

Dieser Text erscheint im Dezember 2003 im Jahrbuch der Gaismair-Gesellschaft.


Sylvia Riedmann ist Mitglied des StudentInnenkollektivs kuugel und arbeitet als freie Kulturwissenschaftlerin in Innsbruck.

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