zu kurz gegriffen. vereinnahmt. abzuhaken!

„Ehrenamtliche Arbeit“ ist ein wohlvertrauter Terminus, wenn es um das unbezahlte Engagement für ein soziales, gesellschaftliches oder politisches Anliegen geht. Dieses Sich-Engagieren von Einzelnen wird häufig getragen von einem politisierten Selbstverständnis, gerade wenn mensch sich bei gesellschaftspolitisch orientierten Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) einbringt.

„Ehrenamtliche Arbeit“ ist ein wohlvertrauter Terminus, wenn es um das unbezahlte Engagement für ein soziales, gesellschaftliches oder politisches Anliegen geht. Dieses Sich-Engagieren von Einzelnen wird häufig getragen von einem politisierten Selbstverständnis, gerade wenn mensch sich bei gesellschaftspolitisch orientierten Nicht-Regierungsorganisationen (NGOs) einbringt. Ein solches Sich-Einbringen in die Gesellschaft erfolgt ohne den Druck, über dieses Tun die eigene Existenz materiell absichern zu müssen. Das ehrenamtliche Engagement ist kein Verkaufen der eigenen Arbeitskraft, zu dem das herrschende wirtschaftliche System die Einzelnen zwingen würde, sondern eine von diesen Zwängen befreite Entscheidung und Möglichkeit zur gesellschaftlichen Partizipation. Die Erwerbsarbeit, die das unverzichtbare Komplement zur Ehrenamtlichkeit darstellt, ist aktuell Umstrukturierungen unterworfen, die in verschiedenste Arbeits- und Lebenszusammenhänge Prekarität strukturell einführen. Subjektivierung von Arbeit und Entgrenzung von Arbeit und Leben (vgl. u. a. Nickel 2009) sind jene Konzepte, mit denen die Arbeitssoziologie ein Verwischen ebenso wie eine Indienstnahme von individuellen Ressourcen für die Erwerbsarbeit bezeichnet, die außerhalb derselben liegen. Angesichts der Prekarisierung und Subjektivierung von Erwerbsarbeit ist zu fragen, inwiefern diese Prozesse für ehrenamtliche Arbeit von Belang sind und umgekehrt.

Ein gedankliches Testen dieser Wechselbeziehungen nehme ich im Folgenden für das Feld von gesellschaftspolitisch orientierten NGOs vor. NGOs eignen sich aus mehreren Gründen für Überlegungen zur Entwicklung ehrenamtlicher Arbeit in Zeiten der Prekarisierung: Erstens hat Ehrenamtlichkeit hier eine lange Tradition, ohne die, zweitens, die gesellschaftliche Arbeit dieser Organisationen selten leistbar wäre. Drittens – und hier hakt mein Nachdenken ein – spielt Gesellschaftspolitik eine zentrale Rolle: für die Inhalte der NGO-Arbeit ebenso wie für das Selbstverständnis der AkteurInnen. Im Spannungsfeld von politischer und prekarisierter Arbeit lässt sich die oben gestellte Frage folgendermaßen zuspitzen: Inwieweit ist politisch motivierte ehrenamtliche Arbeit (herrschafts)kritisch in Bezug auf ihre eigene Rolle in einer neoliberalen Arbeitsgesellschaft?

Anmerkung 1: Privilegierende Ehrenamtlichkeit

Definiert sich das Ehrenamt maßgeblich über seinen unbezahlten Charakter, so gilt nicht der Umkehrschluss. Nicht jede unbezahlte Arbeit wird als Ehrenamt oder ehrenamtliches Engagement interpretiert und erhält (gesellschaftliche) Anerkennung. Dem Ehrenamtskonzept ist ein Gender-Bias zu attestieren: Care-Arbeit, gesellschaftlich notwendiger Reproduktionsarbeit, wie sie nach wie vor in erster Linie von Frauen erbracht wird und werden muss, fehlt häufig die adäquate gesellschaftliche Anerkennung. Care-Arbeit mag unbezahlt sein, ist aber nicht unbedingt freiwillig. Sie ist dennoch notwendig – gesamtgesellschaftlich und interpersonal. Die Denkfigur von Ehrenamt/Hauptamt wiederholt so eine gesellschaftliche Blindstelle, die soziale Ungleichheiten entlang von Geschlecht befestigt. Jedes Nachdenken über die gesellschaftliche Relevanz von Arbeit, die politische Dimension verschiedener Formen von Arbeit, muss diese Ebene mitdenken. Das Paar Ehrenamt/ Hauptamt lässt dafür in seiner Zentrierung auf Erwerbsarbeit keinen Raum. Eine weitere Stolperfalle des Konzepts Ehrenamtlichkeit wird sichtbar, wenn es als „bürgerschaftliches Engagement“ in die Diskussion eingeführt wird. Der Rekurs auf BürgerInnen als verantwortliche Subjekte öffnet einerseits das Tor für einen Verantwortungs- und Aufgabentransfer vom Staat zu den Einzelnen. Andererseits liefert er zumindest potenziell die Legitimationsgrundlage für ein exklusives Modell gesellschaftlicher Teilhabe. Aufgerufen wird mit dem BürgerInnen-Begriff eine Gleichheitsfiktion, die existierende Ungleichheiten fortschreibt und der sozialen Realität einer vielfach gebrochenen Gesellschaft nicht gerecht wird. Problematisch wird dies dann, wenn das „bürgerschaftliche Engagement“ zum erstrebenswerten Gesellschaftsentwurf wird, die Anrufung von Subjekten in diesem Sinne greift und erst der Status einer (Staats)Bürgerin zur gesellschaftlichen Teilhabe in diesem Sinne ermächtigt. Diese Momente der Wiederholung von Ungleichheitsstrukturen sind in der Konzeption von ehrenamtlicher Arbeit, wie sie aktuell verhandelt wird beziehungsweise sich von der gesellschaftlichen Praxis als Normalität konstituiert sieht, eingeschrieben. Sie sind ein mitzudenkendes Gewicht, wenn der Status von ehrenamtlicher Arbeit in Zeiten der Prekarisierung reflektiert wird.

Anmerkung 2: Aufgedrängte Ehrenamtlichkeit

Ehrenamtliches Engagement wird in vielen Bereichen geleistet, die gesellschaftlich oder organisationsintern notwendig sind. Die Begründung dafür mag in historischen Entwicklungen liegen, im individuellen Engagement oder in strategischen Überlegungen. Gerade über das Moment der gesellschaftlich bedingten Notwendigkeit laufen die Grenzen zwischen Hauptamtlichkeit und Ehrenamtlichkeit aber Gefahr, zu verwischen. Weshalb ein Verwischen als Gefahr betrachtet werden muss, soll im Folgenden an zwei Konstellationen exemplarisch argumentiert werden. Der individuelle Einsatz für „die Sache“ soll nicht selten wiedergutmachen, was die Arbeitsbedingungen an Belastung implizieren. Dies gilt zuvorderst für Hauptamtliche, deren de facto-Arbeitszeit das Ausmaß bezahlter Stunden häufig überschreitet. Überstunden werden als Normalität gehandelt, deren Abgeltung nicht monetär erfolgt (und meist auch nicht erfolgen kann), sondern die eben über die intrinsische Motivation und das politische Selbstverständnis der Hauptamtlichen gewährleistet wird. Überstunden werden zu ehrenamtlicher Arbeit umgedeutet; ehrenamtliche Arbeit garantiert das Funktionieren von Nichtregierungsorganisationen. Zweites Beispiel für eine Grauzone zwischen Ehrenamt und Hauptamt, zwischen unbezahlter und bezahlter Tätigkeit, ist die Position von Honorarkräften. Nichtregierungsorganisationen nehmen nicht allzu selten die Früchte der Selbstökonomisierung, wie sie der Arbeitsmarkt unter anderem FreiberuflerInnen aufgibt, in Empfang, ohne deren „Produktionsbedingungen“ kritisch zu reflektieren. Die Honorarkraft möge doch noch einen Blick auf dies oder jenes werfen, an dem einen Vorbereitungstreffen teilnehmen, schnell noch mitbearbeiten, was im Vertrag vergessen wurde festzuhalten – ohne weitere Aufstockung des Honorars, versteht sich. In der nur allzu oft willfährigen Vorwegnahme solcher Anforderungen entsprechen Honorarkräfte – zwischen politischem Engagement und der Hoffnung auf weitere Aufträge – dann in vorbildhafter Form dem Anspruch des Unternehmerischen Selbst: entgrenzt, sich selbst vermarktend und immerzu lächelnd. Der Grat zwischen Ehrenamtlichkeit und Ausbeutung ist schmal und nicht immer genau zu erkennen. Dass dem so ist, liegt gewiss nicht in der (alleinigen) Verantwortung von NGOs. Politisches Engagement, die Hingabe an die Sache, ist konstitutiver Bestandteil dieses Sektors. In der Gesamtschau scheint aber genau dieses Selbstverständnis den Blick auf dessen Funktion der Legitimierung von Entgrenzung und Prekarisierung zu verstellen. Das politische Engagement trägt so dazu bei, die Arbeitsbedingungen in den Nicht-Regierungsorganisationen selbst zu entpolitisieren. Ehrenamtlichkeit ist in diesen Prozessen die prekäre Schnittstelle.

Anmerkung 3: Vereinnahmte Ehrenamtlichkeit

Nicht Geld, sondern Anerkennung vergütet das ehrenamtliche Engagement. Ehrenamtlichkeit, so legt der Verweis auf Anerkennung und noch mehr auf die damit verbundene „Ehre“ nahe, ist jenseits der Ökonomie zu verorten. Neben den im vorigen Abschnitt diskutierten Grauzonen ist diese Grenze aber auch aus einer anderen Sicht nicht (mehr) zu halten. Ehrenamtlichkeit wird zur Ressource für den Arbeitsmarkt. In der ehrenamtlichen Arbeit werden Fähigkeiten trainiert und Kompetenzen gebildet, die mittlerweile in keinem Lebenslauf mehr fehlen dürfen. Als „Schlüsselkompetenzen“ ausgezeichnet, werden diese zunehmend institutionalisiert und mit dem Argument der Qualitätssicherung in messbare Formate gebracht. Ein Beispiel für solche Prozesse ist der von der Europäischen Union vergebene Youth Pass. In der (häufig ehrenamtlichen) Jugendarbeit tätige Menschen erhalten diesen als Nachweis für Erfolge beim non-formalen Lernen, das von der Europäischen Union gefördert wird. Die Einschätzung erfolgt durch die Teilnehmenden selbst, die Kategorien dieser Selbstbewertung sind vorgegeben. Die Formulare leiten so die Arbeit an sich selbst an und geben vor, welche Kompetenzen gesellschaftlich zentral sind. Auch Ehrenamtliche werden so zur Selbst-Ökonomisierung angehalten; die qualitative Differenz zwischen Ehrenamtlichkeit und Erwerbsarbeit wird weiter glatt geschliffen.

Die Ökonomisierung von ehrenamtlicher Arbeit erfolgt mitunter durch die AkteurInnen selbst. Auch im NGO-Sektor stößt der allgemeine Trend zu Praktika auf Anklang. Das Konzept der Ehrenamtlichkeit dient dabei an mancher Stelle der Legitimation: So erklärt beispielsweise Greenpeace Praktika zu einer Anerkennungsform: „Wir haben eine weitere Anerkennungsform, wenn man so will, indem wir junge Menschen hier in Hamburg Praktika machen lassen – und das sind viele im Jahr. Damit ist Greenpeace nicht nur ein Arbeitgeber, sondern bietet so den Einstieg für viele Ehrenamtliche in die Umweltarbeit“, erklärt Greenpeace auf der eigenen Webseite. Praktika sind ein Lehrformat im System der Erwerbsarbeit. In der hier vorgebrachten Konzeptionalisierung wird eine Brücke geschlagen zum ehrenamtlichen Engagement. Praktika werden in gleicher Form vergütet wie ehrenamtliche Tätigkeiten, nämlich über Anerkennung; mehr noch, sie sind Anerkennung und führen in die ehrenamtliche Arbeit ein. Im Praktikum treffen sich die Konzepte von Ehrenamt und Erwerbsarbeit: Die Popularität von Praktika kommt nicht zuletzt NGOs entgegen, die so die Rekrutierung von „Ehrenamtlichen“ über ein mit herrschenden Anforderungen des Arbeitsmarktes kompatibles Format sicherstellen können.

Fazit: Politisiert die Ehrenamtlichkeit, die eigene zuallererst!

So scheinen dem Konzept der Ehrenamtlichkeit in Zeiten der Prekarisierung (mindestens) zwei Pferdefüße anzuhaften. Zum einen bleibt ehrenamtliches Arbeiten an die Folie von existenzsichernder Erwerbsarbeit gebunden. Denken wir also politisches Engagement in den Bahnen von Ehrenamtlichkeit, so befestigen wir unweigerlich ein gesellschaftliches Grundarrangement, nämlich jenes der Arbeit. In Folge heißt dies, dass die in die Organisation von Arbeit eingeschriebenen Dimensionen von Ungleichheit bestätigt werden. Zum anderen verzahnt sich das Konzept der Ehrenamtlichkeit an mehreren Stellen schnell mit neoliberalen Anforderungen an Subjekte. Ehrenamtliches Arbeiten läuft damit Gefahr, aktuelle Tendenzen der neoliberalen Erwerbsarbeitsgesellschaft abzustützen, und mehr noch eine Legitimierung für Ausbeutung und Ungleichheit zu liefern. Die eigene Arbeit auf politische Inhalte auszurichten, das müsste folglich heißen, auch die eigene Arbeit(sweise) zum Gegenstand politischer Reflexion zu machen. In welche Richtung könnte das führen, woran könnte sich ein Nachdenken über alternative Formen des Engagements orientieren, das sich kritisch zu Prekarisierung und Subjektivierung verhält?

Die sozialwissenschaftliche Debatte um Prekarisierung kann hier spannende und produktive Impulse liefern: So schlägt Brigitte Aulenbacher (2009) vor, als Maßstab für Prekarität eine historische Perspektive zu entwickeln, die nicht nur in der Vergangenheit Erreichtes sowie Verpasstes berücksichtigt, sondern das „gesellschaftlich heute Mögliche“ als Maßstab heranzieht. Mit einer solchen Folie ausgestattet, lässt sich das hier angerissene Nachdenken über Arbeit aus der dichotomen Konstruktion von Erwerbsarbeit und Ehrenamt herausführen. Arbeit könnte so auf eine Art und Weise konzeptionalisiert werden, die das gesellschaftlich, kollektiv und individuell Notwendige mit dem individuell und kollektiv Gewünschten in Einklang bringt. Darin läge der Einsatz für eine gerechte Welt, der nicht vor der eigenen Tür aufhören muss, um das Streben danach in Gang zu halten.

Literatur

Aulenbacher, Brigitte (2009): Vortrag am 30.08.2009, Werkstattgespräch zu „Prekarisierung im Lebenszusammenhang“, Berlin. Nickel, Hildegard Maria (2009): „Arbeit und Genderregime in der Transformation“ In: Aulenbacher, Brigitte/Wetterer, Angelika (Hg.): Arbeit. Perspektiven und Diagnosen der Geschlechterforschung. Münster (Westfälisches Dampfboot), S. 249–267. Zukunft ehrenamtliche Arbeit

Magdalena Freudenschuß promoviert an der Humboldt Universität zu Berlin zur diskursiven Verhandlung von Prekarisierung und engagiert sich in diversen (entwicklungs-)politischen Zusammenhängen.

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