"Only Rights Can Stop the Wrongs – SexarbeiterInnen haben Lust auf ihre Rechte"

Illegalisierung bedeutet größte Ausbeutbarkeit, niedrigste Verdienstmöglicheiten und Preise, gleich wie bei klandestinen häuslichen Pflegediensten oder Handwerksleistungen. Das freut so manche einheimischen geiz-geilen ProfiteurInnen oder KonsumentInnen, doch schuldig gesprochen werden die rechtlosen Zuwanderungswilligen.

Selbstorganisationen von SexarbeiterInnen sind immer noch rar, der politische Bedarf nach ihnen schwindet aber keineswegs: Verschärfungen und Kriminalisierung von Seiten europäischer Regierungen stehen an der Tagesordnung. Schweden zum Beispiel kriminalisierte die KundInnen, Italien den Straßenstrich und in Salzburg wird das Verbot von Prostitution von offensichtlich Schwangeren diskutiert, anstatt das Offensichtliche zu fordern: Rechte, wie zum Beispiel das Recht auf Mutterschutz. Über Vorurteile und Forderungen sprach Marty Huber für die Kulturrisse mit dem online Forum Sexworker.at (SW). Dieses richtet sich an SexarbeiterInnen und an alle, die sich mit Fragen der Lebens- und Arbeitsbedingungen von SexarbeiterInnen auseinandersetzen wollen.

Kulturrisse: In einer kürzlich erschienenen Petition protestiert sexworker.at gegen den Entwurf eines EU-Berichtes über Prostitution in den Mitgliedstaaten und die gesundheitlichen Folgen für Frauen. Ihr kritisiert insbesondere die Gleichsetzung von Sexarbeit und Gewalt an Frauen. Wie wollt ihr diesem (Vor-)urteil begegnen und ihm politisch etwas entgegen setzen?

SW: Indem wir in unserem online Forum sexworker.at mit unseren eigenen Erfahrungen und anhand zahlloser Dokumente und Studien aufzeigen, dass nur ein gewisser Prozentsatz der Frauen in der Sexarbeit betroffen ist und Prostitution als Gewalt erleben muss. Denn geglückte Erfahrungen vieler Frauen, Transsexueller und Männer in der Sexarbeit werden öffentlich vielfach zensuriert, weil Prostitution ja nicht gefördert werden soll. Bei der Pseudoerforschung von Sexarbeit anhand von Einzelschicksalen gehen viele so vor, als wenn sie durch die Befragung von Frauen in Frauenhäusern die Lage in modernen Ehebetten und Partnerschaften aufklären könnten. Die Debatte ist oft scheinheilig und fördert letztlich Gewalt aufgrund struktureller Vernachlässigung entlang dieses Teufelskreises: Herbeigeredete Gewalt wird benutzt, um das tabuisierte Feld der Sexarbeit zu kriminalisieren. Doch das Tabu lässt eine ungeregelte Grauzone entstehen, die gewaltförmige Verhältnisse ermöglicht. Die prekarisierenden Rahmenbedingungen und das, was sie mit den Menschen machen, werden dann der Prostitution abermals zum Vorwurf gemacht. Wir wollen und können nur durch Erfahrungsberichte und Argumente versuchen aufzuklären. Politisch-sozial sind SexarbeiterInnen und ihre Kunden völlig entmachtet, sodass keiner mit ihnen wirklich reden will und nur wenige schaffen es gegen das vorherrschende Stigma, sich eine nachhaltige Sexwork-Profession aufzubauen. Während Sexworker sich vielerorts registrieren und Zwangsuntersuchen lassen müssen, ermöglicht das Patriarchat es den Männern, Ehe und Prostitution diskret in ihr Leben zu integrieren.

Kulturrisse: Wie kann es erreicht werden, dass Diskurse zu „Sex als Ware“ und den involvierten Menschen an den Lebensrealitäten der SexarbeiterInnen ausgerichtet werden? Welche (moralischen / gesellschaftlichen) Barrieren stehen dem im Weg?

SW: Um SexarbeiterInnen an denselben Menschenrechten – unabhängig von der Wahl ihrer Berufsausübung – teilhaben zu lassen, müssen sie erstmal in die öffentlichen Diskurse aktiv eingeladen und in einen nicht diskriminierenden Rahmen hinein geholt werden. Regieren über Betroffene hinweg verfestigt nur die mannigfachen Stigmatisierungen.
Die Gesellschaft hat sich auf ein Paarbildungsmodell festgelegt, welches ihr anscheinend näher steht: die Ehe. Diese ist auf Langfristigkeit, Stabilität und Reproduktion ausgerichtet, worauf die Gesellschaft bisher nicht verzichten wollte. Doch selbst in der Ehe findet ein Deal bezüglich Sexualität und materiellem Gütertausch statt, gleich wie in der deswegen verteufelten Prostitution, wo die Lust des Augenblicks und dessen professionelle Befriedigung gelebt wird.

Kulturrisse: In den letzten Jahren kommt es immer wieder zu Kriminalisierungen des Gewerbes, insbesondere unter Bezugnahme auf feministische Forderungen nach Gewaltprävention. Wie seht ihr das Wechselspiel zwischen konservativer Reglementierungspolitik und frauenpolitischen Entwicklungen?

SW: Das ist eine unheilige Allianz: Herrschenden ging es über Jahrhunderte um Lustkontrolle als Methode der Stabilität, und Feministinnen versuchen sich diesen Kontrollversuchen unterzuhaken, weil sie darin einen Hebel im Kampf gegen den Machismo sehen.
Aber Prostitution im Sinne von Paysex und Sexarbeit ist das Zusammentreffen von freien erwachsenen Menschen, bei der eine/r die gemeinsame Zeit als Sex erlebt und der/die andere als Dienstleistungsarbeit, und beide haben das Bewusstsein und sprechen sich darüber ab, die Perspektive des anderen zu achten. Die Unterdrückung der Huren dient – neben anderen Formen der Unterdrückung – dazu die Frauenrolle festzulegen. Dabei ist der Kampf um Emanzipation der SexarbeiterInnen der Kampf aller Frauen, in dem es primär nicht um sexuelle, sondern um die ökonomische Selbstbestimmung geht. Nur Rechte für SexarbeiterInnen schützen vor Gewalt und gegen Unrecht. Werden sie hingegen rechtlos gehalten und als gesellschaftlicher Abschaum behandelt, wird es immer Menschen geben, die das auszunutzen wissen.

Kulturrisse: Welche grundlegenden Rechte von SexarbeiterInnen müssen im europäischen Kontext eurer Meinung nach entwickelt werden und, welche Verbesserungen erhofft ihr euch in Bezug auf Arbeitsbedingungen in der Industrie?

SW: Diese Rechte haben Sexworker 2005 im EU-Parlament in Brüssel in ihrem Manifest niedergelegt: www.sexworkEurope.org Dabei ist Entkriminalisierung das oberste und erste Ziel. Es ermöglicht den Frauen, Hilfe bei der Polizei zu suchen und diese nicht fürchten zu müssen. Es ermöglicht erst freiwillige Gesundheitsuntersuchungen und Erreichbarkeit der SexarbeiterInnen für Hilfsorganisationen.

Kulturrisse: Ein Großteil (bis zu 80%) der in der EU arbeitenden SexarbeiterInnen sind MigrantInnen, die im derzeitigen Sprachgebrauch als Wirtschaftsflüchtlinge bezeichnet werden würden. Viele von ihnen werden durch die rigide Zuwanderungspolitik illegalisiert. Was bedeutet diese Rechtsunsicherheit für deren Arbeit?

SW: Diese Illegalisierung bedeutet größte Ausbeutbarkeit, niedrigste Verdienstmöglicheiten und Preise, gleich wie bei klandestinen häuslichen Pflegediensten oder Handwerksleistungen. Das freut so manche einheimischen geiz-geilen ProfiteurInnen oder KonsumentInnen, doch schuldig gesprochen werden die rechtlosen Zuwanderungswilligen. Weil Sexarbeit tabuisiert und somit strukturell unterreglementiert ist, konnte sie sich in Zeiten der Globalisierung zu einem riesigen Migrationsthema und -problem auswachsen. Aber wer legitimiert eigentlich, dass nur Geldströme, hochqualifizierte Manager oder Programmierer Freizügigkeit haben dürfen?

Kulturrisse: Obwohl die Sexindustrie ein unverkennbarer Wirtschaftszweig ist, mit klaren Strukturen von Angebot und Nachfrage, wird regelmäßig angezweifelt, dass SexarbeiterInnen freiwillig diesen Job ausüben. Gerade aber die Verdienstmöglichkeiten sind für viele Motivation, in der Sexarbeit zu bleiben oder auch nach einem Ausstieg wieder zurückzukehren. In welcher Form seht ihr euch mit dem Thema der Freiwilligkeit konfrontiert?

SW: Die Freiwilligkeitsdebatte ist in dem „natürlichen“ Ekelgefühl verwurzelt, das bei vielen Menschen bezüglich promiskuitiver sexueller Intimität mit einem nicht selbstgewählten fremden Partner entsteht. Dass Sexdienstleistung auf einer ganz anderen Ebene funktioniert und es für diese anspruchsvolle Tätigkeit begabte, sexpositive und attraktive Menschen gibt, muss man persönlich erleben oder von einem vertrauten Freund mitgeteilt bekommen, um es zu verstehen. Hinzu kommt, dass Prostitutionskunden dem Stigma gehorchend als alt, hässlich und sexgeil imaginiert werden, weil auch sie wirkungsvoll von einer Teilnahme am öffentlichen Diskurs verdrängt werden konnten. Der Menschenhandels-Hype um sogenannte Zwangsprostitution bei WM und EM ist nur das Spiegelbild dieser Freiwilligkeitsdebatte. Das Wort „Zwangserntehelfer“ gebraucht niemand, obwohl es davon möglicherweise ähnlich viele gibt. Prostitutierte und Hure sind immer noch die stärksten existierenden Schimpfwörter und halten gleichsam die Menschen in einer ganzen Branche als Sündenbock gefangen. Die angesprochenen Verdienstmöglichkeiten sind nur ein Aspekt neben flexiblen, kinderkrippen-kompatiblen Arbeitszeiten, Bewegungsfreiheit und größtmöglicher Arbeitsautonomie. Sexuelle Erfahrungen zu machen oder auszuleben, Abenteuer und vielfältige Kontakte bis hin zum eigenen Ehemann zu finden, Aufmerksamkeit geschenkt bekommen, begehrt zu werden und zu erleben, welche Macht einem als Sexobjekt zuteil wird, sind weitere Aspekte, die den abwechslungsreichen Beruf für viele attraktiv machen. Es kommt wie immer auf die Gesamtbilanz an. Und die gesellschaftliche Stigmatisierung und das Risiko als berufene Schlampe amtlich aktenkundig zu werden, schlägt da sehr negativ zu Buche. Viele erleiden deshalb und nur deshalb in der Isolation ein Sexworker-Burnout und nicht weil Sexualität mit fremden Menschen per se gewaltförmig wäre. Schließlich müssen wir doch alle unsere Miete bezahlen, und warum dann nicht einen Beruf wählen, der lustbetont ist und Spaß bereitet? Nur zivilisiert sollte es ablaufen, doch Kultur kommt nur durch Kultivierung.

Sexworker

Der Titel ist eine Anlehnung an die Kampagnen des International Committee on the Rights of Sex Workers (ICRSE), maiz und LEFÖ. Siehe mehr dazu unter: Sexworkeurope und Lust auf Rechte .

Sex ist öffentlich!

Sex und Arbeit geht für viele nicht zusammen: „Wie kommen Leute dazu sich für so etwas herzugeben?“, „Das ist ein Wahnsinn und gehört verboten!“
So oder ähnlich lauten Argumente, die bezahlte sexuelle Dienstleistungen am liebsten verboten sähen. In ihrer Begründung klingen staatliche Instanzen seltsam gleich wie einige Feministinnen. Schnell geht’s um Menschenhandel, Ausbeutung und PorNO! (EMMA lässt grüßen). Alles in einen Topf ... Alles zum Wohle der Frauen natürlich ...
Aufgewachsen in einem Familienverband, dessen Hintergrund stark durch traditionell christlich-konservative Werte geprägt war – um das verabreicht zu bekommen, muss mensch gar nicht in die Kirche gehen, die „nötige“ Dosis römisch-katholisch wird gut und gern auf anderen Wegen verabreicht – sind mir diese Argumente nichts Neues. Auch ich habe gelernt, dass Sexualität sich am besten stillschweigend – wenn schon drüber reden, dann nur im Flüsterton und bitte ja nicht vor den Kindern – und in der Dunkelheit abspielt: Sex ist nämlich Privatsache.

Mit Arbeit hingegen war/ist das anders, Erwachsene, meist Männer, sprachen gern und lang über ihre Arbeit – ich spreche heutzutage auch gern über meine Arbeit –, berichteten über Herausforderungen und Erfolge: „Richtige“ Arbeit ist nämlich öffentlich.
Wen verwundert es dann noch, dass es manche, in anderen Bereichen durchaus clevere und progressive Menschen nicht verstehen können, wie es jetzt auf einmal kommt, dass Menschen Sexarbeit zu einer Tätigkeit sagen, die wir von klein auf gelernt haben, als Prostitution zu brandmarken. Wird somit nicht ein Frauen degradierender Umstand normalisiert? Frauenhandel und Ausbeutung unsichtbar gemacht? Nein! Es gibt Menschen, die Sex anbieten und wiederum andere, die konsumieren, und dies geschieht nicht in Verbindung mit Schmerz, Unterdrückung etc., da hilft kein Ekeldiskurs und kein ungläubiges „Ich kann mir das aber so was von überhaupt gar nicht vorstellen.“ Unter Sexarbeit sind all jene Handlungen zu verstehen, die zwischen den Beteiligten einvernehmlich geklärt sind. Mit Sexarbeit ist nicht gemeint: Gewalt, Freiheitsentzug, Vergewaltigung etc., denn Gewalt gegen Frauen, Männer, Transgender ist schlicht und einfach Gewalt und nicht Sexarbeit.

Also, weiter so tun, als ob dies nur im Unsichtbaren, am Rande der Stadt – „Wir wohnen ja im Zentrum, da gibt’s so was gar nicht.“ – und in schlechten sozialen Verhältnissen – „Das sind doch alle VerliererInnen, die es sonst nicht bringen.“ – passiert und uns somit nichts angeht? Oder uns klar machen, dass diese angebliche Nichtexistenz von SexarbeiterInnen eine staatlich forcierte und gewollte Unsichtbarkeit ist. Es ist nämlich der österreichische Staat, der einerseits MigrantInnen nicht in allen Branchen arbeiten lässt, aber ein oder mehrere Hintertürchen in die Sexarbeit offen lässt. Seltsam? Schizophren? Berechnend eher, ist es doch so möglich SexarbeiterInnen zu kriminalisieren, rassistische und sexistische Ressentiments, die in der österreichischen Gesellschaft verankert sind zu bedienen und Rechte vorzuenthalten, die in anderen Berufssparten – natürlich auch nur nach sozialen Kämpfen – längst Standard sind ...Wie war das noch mal mit dem letzten Krankenstand? ...bezahlter Urlaub? ...Versicherungszeiten?
Es gibt noch viel zu (ver)lernen, vieles zu sagen, doch eines sollte längstens klar sein: Sexarbeit = Arbeit und Arbeit verlangt nach ArbeiterInnenrechten!

Belinda Kazeem

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