Paul Poet: "Der Umgang mit kritischer Kunst ist noch aggressiver geworden"
Kritischer Kunst begegnet man wieder gehäuft mit Anfeindungen und Drohungen mit Subventionsentzug. So kannte man es bereits vor fast 20 Jahren gegen „Ausländer raus! Schlingensiefs Container“. Wir haben mit dem Regisseur der Kino-Doku, Paul Poet, über die Anfeindungen gegen kritische Kunst gesprochen, ob Kunst politisch sein muss und ob so etwas wie die Container-Aktion wieder nötig wäre – oder überhaupt noch möglich.
Kwasi: Soll Kunst aufregen?
Poet: Ja, natürlich. Kunst geht immer dahin, wo man die Grenzen sonst nur schwer ausloten könnte. Deswegen muss Kunst auch inkorrekt sein und diese Grenzen verletzen dürfen, um herauszufinden, was möglich sein könnte. Da muss natürlich darauf geachtet werden, was da transportiert wird und wo es den Rahmen der Kunst verlässt. Einige Hetzer beanspruchen diesen Rahmen ja bereits für sich, indem sie Leute fertigmachen und verbal niederprügeln und dann „Satire“ darunterschreiben. So einfach ist es natürlich nicht. Kunst sorgt für eine ganze Erzählung, in die so etwas eingebettet ist und stellt auch einen sicheren Rahmen her. Innerhalb dieses Rahmens muss alles möglich sein.
Kwasi: Wenn sich beispielsweise der Rechtspopulismus oder der rechtsextreme Aktivismus dieses Rahmens nun annimmt, wird es dann nicht schwer, diese Grenze zu ziehen? Was darf Kunst, was muss sie dürfen und wo kann das für politische Ziele ausgenutzt werden?
Poet: Wenn man genau hinschaut, erkennt man das. Handelt es sich nur um verbalen Hooliganismus, wo der Täter sich danach nur in die Kunstschutzzone zurückziehen möchte, ist es relativ leicht zu erkennen. Wenn man das aber macht, um eine Geschichte zu erzählen, die in einem gehobenen Kontext steht, der auch transparent sein muss, ist das auch erkennbar, gleich nach welcher Gesinnung das ausgerichtet ist.
Kwasi: Sollte Kunst politisch sein?
Poet: Sie muss sogar! Die Interaktion im politischen Raum ist eben ein Ausloten dieser Freiheiten und Bedeutungen. Es gibt genug demokratische Grundfreiheiten, derer sich die Menschen nicht mehr bewusst sind. Kunst ist da immer ein Gradmesser und Impulsgeber, um diese Freiheiten wieder zu spüren, die man als Bürger braucht, um ein tragfähiger Bestandteil von Demokratie zu sein. Sobald man eine ohnmächtige, schweigende Masse ist, hört sich das politische Spiel auf.
Kwasi: Welchen politischen Einflussbereich kann man Kunst denn realistischerweise zuschreiben?
Poet: Kunst als Bewusstmachung würde ich einen großen Einflussbereich zuschreiben, sobald hingehört wird. Das ist mittlerweile in einer digitalen Öffentlichkeit sehr zerstreut. Was Kunst eigentlich muss, ist sich von ideologischen Bezogenheiten zu lösen, um nah beim Menschen etwas zu bewirken. Obwohl ich ein klar linksorientierter Mensch bin, versuche ich alle anzusprechen – Menschen aus allen Gesellschaftssphären, ohne Barrieren. Der Container war ja auch allen sozialen Schichten und Ideologien offen (Anmerkung der Redaktion: „Ausländer raus! Schlingensiefs Container“ ist die Kino-Doku zu Christoph Schlingensiefs Container-Aktion "Ausländer raus."). Alle meine anderen Kinofilme auch.
Trailer des Films "Ausländer raus! Schlingensiefs Container":
Kwasi: Der Container kam ja kurz nach Schwarz-Blau I. Hat er etwas bewirkt?
Poet: Eine Bewusstwerdung hat er schon gebracht. Heute kann man kaum noch nachvollziehen, dass die FPÖ bevor sie das erste Mal in wirkliche Staatsmacht kam, relativ befangen war, da man möglichst staatstragend rüberkommen wollte. Es wurde zwar eine entsprechende Politik betrieben, aber unter einer Tuchent sozusagen, unter der man das versteckt. Mittlerweile hetzt man ganz offen. Damals wäre es auch wichtig gewesen, dass die Linke sich mit dieser Offenlegung beschäftigt und sich nicht nur empört davon distanziert. Man hätte sich aktiv zur Wehr setzen müssen. Jetzt hat man den Salat und diese Polarisierung und Hetze sind mittlerweile Grundbestandteil unseres Staates, wie auch der Populismus alle Parteien ungeachtet ihrer Couleur aufgefressen hat. Was aber nicht nur ein österreichisches Phänomen ist, sondern ein weltweites Problem.
Podcast zum Thema:
Kwasi: Bei einem kürzlichen Screening von „Ausländer raus!“ erzählte ein damaliger Fördergeber, dass er sich für die Subventionen rechtfertigen musste. Das war ja keine inhaltliche Kritik, das ist bereits der Versuch, kritische Kunst zu verhindern.
Poet: Mundtot zu machen! Das wurde mehrfach versucht. Da die Kunstaktion alle angegriffen hat, hatte man nicht viele Freunde – abgesehen von den Festwochen, was in Österreich doch einiges bedeutet. Gerade beim Film haben sich etliche dagegengestellt. Jurymitglieder erzählten von direkten Interventionen des Kulturministers Morak beim BKA, der nicht wollte, dass die Aktion durch den Film ein anhaltendes Gefäß in der Geschichte erhält. Das ist dann trotz fehlender BKA-Förderungen gelungen. Es gab eine kleine Förderung vom Wiener Film Fonds durch Peter Zawrel, der allerdings zu einer eigenen parlamentarischen Anfrage der FPÖ geführt hat. Zawrel hatte dadurch quasi die Schlinge um den Hals, ob er seinen Posten weiter behalten darf und musste die Förderung gegen einen Fragenkatalog mit 30 Fragen vor dem Parlament rechtfertigen. Das war eine klare Einflussnahme, um Kunst mundtot zu machen und sogar jemanden aus seinem Posten zu jagen.
Kwasi: Hast du selbst Angriffe bei der Erstellung oder Veröffentlichung erlebt?
Poet: Ich habe Anfeindungen als Nestbeschmutzer erlebt, vor allem nachdem der Internetsender, für den ich den Film gemacht hatte, als redaktionelles Programm dichtgemacht wurde und ich auf Stellensuche war. Da wurde ich dann mehrere Jahre gemieden. Bemerkenswerterweise auch von links.
Kwasi: Wir haben ähnliches kürzlich bei der Nestroy-Aufführung in Schwechat gesehen, in der die Regierung auf die Schippe genommen wurde und die FPÖ offen drohte, Subventionen nicht mehr zuzustimmen. Da hat sich offenbar in über 15 Jahren wenig geändert.
Poet: Damals musste es noch hinter den Kulissen passieren, mittlerweile geschieht das ganz offen. Ich glaube der Umgang mit kritischer Kunst ist noch aggressiver geworden, weil man nun eine gewisse Machtselbstherrlichkeit hat und das Gesicht nicht mehr so wahren muss und propagandistischer agieren kann. Die Applausgeber und empörten Aufschreie begeben sich in eine Dynamik und man hofft auf eine Art Selbstläufer, dass die Bevölkerung irgendwann genug hat von der Aufregung und das Aufheben um jede Kleinigkeit. Das Ziel ist, dass man sich nicht mehr so laut meldet und man nicht mehr so offen und laut Kritik üben kann. Die Kunst sorgt ja zusammen mit dem unparteiischen, kritischen Journalismus für den Grundpfeiler einer informierten und kritischen Öffentlichkeit. Umso wichtiger ist es, Kunst die Substanz zu geben, dass sie diesen Pfeiler der Demokratie miterfüllen kann – solange wir noch in einer Demokratie leben.
Kwasi: Damals kam es relativ schnell zu entsprechenden Aktionen in der Öffentlichkeit, wie Hubsi Kramars Opernballbesuch als Adolf Hitler verkleidet oder eben Schlingensiefs Container. Bislang bleibt es noch weitgehend aus. Traut sich die kritische Avantgarde nicht mehr?
Poet: Schwierig zu sagen. Das hat wohl auch mit Postdemokratie und der Krise der Linken zu tun. Das beobachtet man ja in vielen Ländern, dass es sich Richtung Autokratien bewegt. Bei der Occupy-Bewegung dachte man noch, es käme zu einer Art Revolution. Heute sind es teils sogar mehr Menschen, aber es hat keinen Nachrichtenwert mehr, wenn Menschen auf die Straße gehen. Wer in der Politik vertritt noch Bürgerrechte, geschweige denn Rechte der Kunst? Dann wirklich Aktionen zu setzen, die Menschen erreichen, ist schwierig. Es war ja ein Glücksfall, dass man mit dem Container so viel Aufmerksamkeit generieren konnte. Das wäre nicht so leicht zu wiederholen. Vor allem so zersplittert, wie die Öffentlichkeit in der Digitalisierung ist.
Kwasi: Ist die Kunst also auch in der Krise, wenn sie nicht mehr vorausgehen kann oder möchte?
Poet: Es sind vor allem Existenzängste, die da mitreinspielen. In der Kunst, wie in der Gesellschaft im Gesamten.
Kwasi: Braucht Österreich noch einen Container?
Poet: Gebraucht wird es, das ist klar. Gebraucht wird es sogar massiv. Aber dieselben Rezepturen werden da nicht mehr funktionieren. Es braucht etwas, dass eine Erdung und Orientierung zulässt. Ich bin froh, dass die Leute sich wenigstens wieder zu den Donnerstagsdemos zusammenfinden, um Gesicht zu zeigen. Den Lauf der Regierung wird es nicht ändern, aber es zeigt zumindest, dass Widerstand da ist und Dinge nicht einfach nur hingenommen werden. Genau das ist gelebte Demokratie.
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Paul Poet ist Filmemacher und Regisseur von „Ausländer raus! Schlingensiefs Container“, die Kino-Doku zur Kunstaktion von Christoph Schlingensiefs Container-Aktion „Ausländer raus.“ Neben Regiearbeit für Film und Theater ist er als Kulturjournalist tätig.
Fotos: Cover - Christian Lehner, Portrait - Götz Schrage