Vieles, nur nicht trivial
Von niederschwelligen Auftritts- und Ausstellungsräumen für lokale Künstler*innen bis zu Häusern mit ganzjährigem Kulturprogramm – die Kulturpraxis am Land hat viele Gesichter. Die Vielfalt des Engagements von Kulturinitiativen in ländlichen Regionen darzustellen, ist schlicht unmöglich. Wir werfen Schlaglichter auf Initiativen quer durch Österreich.
Von niederschwelligen Auftritts- und Ausstellungsräumen für lokale Künstler*innen bis zu Häusern mit ganzjährigem Kulturprogramm – die Kulturpraxis am Land hat viele Gesichter. Die Vielfalt des Engagements von Kulturinitiativen in ländlichen Regionen darzustellen, ist schlicht unmöglich. Wir werfen Schlaglichter auf Initiativen quer durch Österreich. So unterschiedlich ihre Arbeitsschwerpunkte sind, so verschieden ihre Entstehungsgeschichten und Werdegänge, von kürzlich etabliert bis zu jahrzehntelanger Aufbau- und Überzeugungsarbeit, so haben sie doch eines gemeinsam: Sie tragen zu einer nachhaltigen Veränderung des Lebens vor Ort bei.
KunstBox © Leo Fellinger
KunstBox: Alle Zeichen stehen auf grün
Mit der KunstBox hat sich das Gesicht des Ortes Seekirchen nachhaltig verändert: vom verschlafenen Pendlerort zum Kulturort, der auf umweltbewusste Arbeit setzt.
Seekirchen 1988: Neben einem Strandbad und ein paar traditionellen Veranstaltungen hatte der Ort damals nicht viel zu bieten. Auf Initiative des damaligen ÖVP-Bürgermeisters sollte Seekirchen mit zeit- genössischen Kunst- und Kulturangeboten aufgewertet werden. Der Kulturverein KunstBox wurde gegründet. Ort des Geschehens sollte das leerstehende Emailwerk sein.
Doch die Zweifel an dem Projekt waren groß: Für zeitgenössische Kunst- und Kulturangebote könnten die Leute doch in das 14 km entfernte Salzburg fahren. Seekirchen ist allerdings ein „Schlafort“, das heißt, die meisten Leute pendeln früh morgens in die Stadt und haben abends nur selten Lust, für einen Konzert- oder Kinobesuch nochmal in die Stadt zu fahren. So war die KunstBox – aller Bedenken zum Trotz – von Beginn an ein großer Erfolg.
Heute finden jährlich rund 300 Veranstaltungen mit 13.000 Besucher*innen in der KunstBox statt. Workshops machen zwei Drittel des Angebots aus. Die KunstBox ist damit auch als kul- turelles Bildungshaus zu betrachten. Möglich ist dies durch die Rahmenbedingungen für die Umsetzung des Jahresprogramms. Subventionen erhält der Verein von Land und Bund; mit der Gemeinde wurde eine indexgesicherte Förderung vereinbart – eine absolute Seltenheit in der Kulturlandschaft Österreichs. Regelmäßige Publikumsbefragungen liefern aufschlussreiche Erkenntnisse: 70 – 80 % des Publikums kommen aus der Umgebung, 67% der Personen erreichen das Emailwerk mit dem Auto. Das soll sich in Zukunft ändern. Eine überregionale Mitfahrbörse soll die Anzahl der Autofahrer*innen halbieren. Das Pilotprojekt startet 2024 und wird im Idealfall auf ganz Österreich ausgeweitet. Ein weiterer Aspekt der nachhaltigen Arbeitsweise des Kulturvereins, der 2021 bereits das Österreichische Umweltzeichen „Green Location“ erhielt.
Und auch sozial hat die KunstBox Seekirchen verändert: Manch ein*e Zugezogene*r berichtet sogar davon, sich gerade wegen des zeitgenössischen Kunst- und Kulturangebotes für Seekirchen als neuen Wohnort entschieden zu haben.
GemSe Hof (c) Carolina Frank
GemSe: ein queer-feministischer, radikal zärtlicher Versuchsraum
Ein gallisches Dorf im Kärntner Hinterland?
Ende 2021 kaufte der Verein „GemSe – Gemeinsam Sein“ einen ehemaligen Landgasthof in Wertschach / Dvorce im Gailtal und schaffte einen Raum für neue Formen des kollektiven Zusammenlebens und -arbeitens. Die Finanzierung erfolgte mittels Direktkrediten. Rund 70 Menschen leihen dem Verein derzeit Geld. Dieses Kapital ermöglichte den Kauf und sorgt für die Deckung der Fixkosten. Die Idee dahinter: Das Eigentum wird verkollektiviert und damit eine wertvolle Immobilie dem Markt als Spekulationsobjekt entzogen. Durch solche Aktionen will der Verein gewohnte Lebensentwürfe hinterfragen und neue Formen des Zusammenlebens erproben. Und das in einem kleinen abgeschiedenen Dorf im Gailtal – ein lebendiges, aber auch sehr traditionelles Tal. Sich dort als queer-feministisches und patriarchatskritisches Kollektiv zu behaupten, zählt auf jeden Fall zu den Herausforderungen.
Die Rahmenbedingungen sind sehr prekär. Der gesamte Hofbetrieb basiert auf Ehrenamt. Ein Fortbestand in diesem Ausmaß ist ohne öffentliche Förderungen kaum vorstellbar. Ideal wären zwei Jahresanstellungen, um den Aufwand bewältigen zu können.
Die GemSe setzt auf Partizipation als Absage an die Vereinzelung. Jede*r ist eingeladen, Ideen einzubringen und den Ort mitzugestalten. So entstehen Kulturveranstaltungen, Workshops und Abendessen. Allen voran wird an unterschiedlichen Baupro- jekten gearbeitet. Neben den Renovierungsarbeiten wird gerade eine PV-Anlage installiert, barrierefreie Zugänge sind ebenfalls im Entstehen. Die handwerkliche Expertise der sogenannten „Bewohnis“ wird drei- bis viermal im Jahr im Rahmen der Anpack- und Lerntage an FLINTA*-Personen weitervermittelt. Hier soll der Umgang mit großen, schweren Maschinen gelernt, ein Bewusstsein für ressourcenschonendes Arbeiten geschaffen und Bauprojekte geplant werden.
In Kärnten gibt es kaum spezielle Orte für queere Menschen oder FLINTA*-Personen. Die GemSe schafft mit ihrer Initiative einen wichtigen Raum für das Zusammenkommen und die Vernetzung. Willkommen ist aber jede*r, die*der den Grundsätzen der GemSe etwas abgewinnen kann. Wer möchte, kann sich im Landgasthof einmieten und Urlaub in Südkärnten machen.
Quo Vadis Stadel © firestone pics
Quo Vadis: ein Dritter Ort für alle
An der Grenze zur Schweiz gilt Quo Vadis noch als Geheimtipp: Ursprüngliche Kulturarbeit getragen durch ehrenamtliche Strukturen, ohne Konsumzwang und mit großer Beteiligung.
Das Quo Vadis in Höchst, Vorarlberg, kann als eine Verlängerung des Wohnzimmers angesehen werden. Seit gut 25 Jahren ist der ehemalige Stierstadel ein generationenübergreifender Begegnungsort. Der wöchentliche und öffentliche Stammtisch ist Ankerpunkt der Aktivitäten – um sich auszutauschen, gemeinsam an Ideen zu tüfteln oder einfach nur einen gemütlichen Abend zu verbringen. Trotz Konzession herrscht kein Konsumzwang, das Mineralwasser wird gratis angeboten.
Das Kulturprogramm ist ein Mix aus Konzerten, Kabarettprogrammen, Impro-Shows sowie gelegentlichen Themenabenden der Vereinsmitglieder, etwa die legendären Irish Nights. Besonderes Augenmerkt gilt der lokalen Musikszene: Junge Musiker*innen erhalten eine Bühne, auf der sie sich zum ersten Mal ausprobie- ren können – der Stadel als Sprungbrett für die Musikkarriere. Darüber hinaus gilt: „Hauptsache nicht Mainstream“, etwa wenn das weltweit einzige Flossenfußballturnier organisiert wird. Zum Fixprogramm zählt ebenso die jährliche Seeuferreinigung, zu der der Verein die lokale Bevölkerung aufruft.
Die Arbeit im Stadel ist klassisch ehrenamtlich organisiert. Unterstützung erhält der gemeinnützige Verein durch die Gemeinde, deren Jahressubvention die laufenden Kosten für die Infrastruktur (Miete, Betriebskosten, Versicherungen) deckt. Einnahmen werden über Eintritte und das Gastgewerbe erzielt Überschüsse fließen zurück in technische Innovationen oder Vereinsaktivitäten. Nächstes Jahr will der Verein auch im Kulturamt des Landes Vorarlberg anklopfen. Geplant ist ein mehrtägiges World-Music-Festival.
Medienfrische: Experimentierfeld in den Alpen
Was einst als „sterbendes Tal“ galt, erhält durch ein Kunstfestival neue Impulse der Revitalisierung: von Leerstandsnutzung bis zur Wiederbelebung des Dorflebens.
1300 Meter Seehöhe, 93 Einwohner*innen – die Gemeinde Pfafflar ist der Heimatort der „Medienfrische“, einem zeitgenössischen Kunstfestival im Tiroler Bschlabertal. Konzipiert als Artists-in-Residence-Festival, haben Künstler*innen aus aller Welt die Möglichkeit, ihre Projekte umzusetzen. Neben den Präsentationen der Künstler*innen bietet das Festival aber vor allem Austausch und Begegnung. Dorfbewohner*innen und Kunstschaffende kommen nicht nur im Rahmen des abendlichen Kulturprogramms zusammen, sondern ebenso untertags. Künstler*innen helfen den Bäuerinnen und Bauern bei der Feldarbeit, Einwohner*innen greifen den Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen bei den zahlreichen Bauprojekten unter die Arme.
Nicht selten wird vom Bschlabertal als dem „sterbende Tal“ gesprochen. Die Medienfrische ist ein Versuch der Wiederbelebung. Infrastruktur wird aufgebaut, Leerstand wird genutzt. So wurde das alte Bschlaber Sägewerk in ein Kino mit rund vierzig Sitzplätzen und die leerstehende Volksschule in Boden in eine Werkstätte verwandelt. Doch der Aufbau von Infrastruktur ist sehr teuer. Die Fördergelder von Gemeinde, Land und Bund reichen nicht, um auch faire Arbeitsbedingungen zu gewährleisten. Andere Probleme lassen sich nicht unmittelbar lösen, etwa stabile Internet- und Telefonverbindungen.
Doch obwohl das Festival 2023 erst zum zweiten Mal stattfand, hat es bereits nachhaltige Veränderungen angestoßen: Im Sägewerk-Kino finden mittlerweile regelmäßig Schulvorführungen statt. Noch dieses Jahr soll ein Kulturverein in Pfafflar gegründet werden, der das Kino in Zukunft verwalten wird. Und die leer- stehende Volksschule wird voraussichtlich zu einem Wohnhaus umgebaut – bei letzterem dürfte die Medienfrische eine von mehreren Faktoren gewesen sein.
Fearleaders bei Medienfrische 2023 © C. Salvemini
Nonseum: Nonsens als Wirtschafts- und Tourismusfaktor
Jahrzehntelang als Unsinn abgetan, schafft ein Museum als touristischer und wirtschaftlicher Katalysator eine neue Identität für die Gemeinde und setzt Weichenstellungen für die Zukunft.
Die Geburtsstunde des Nonseums ragt weit zurück: 1984 wurde die erste Nonsens-Erfindermesse im niederösterreichischen Herrnbaumgarten ins Leben gerufen. Völlig unerwartet besuchten 5.000 Menschen die Veranstaltung. Selbst die Kronen Zeitung verfasste einen dreiseitigen Artikel über grandiosen Unsinn. Aus dieser spontanen Aktion entwickelte sich in jahrzehntelanger Arbeit ein Museum mit einer Fläche von 700 m2 und 483,27 unbrauchbaren Erfindungen – bezahlt mit sehr viel Ehrenamt und Herzblut.
Präsentiert werden Erfindungen, die keine*r braucht – aber jede*r sehen möchte. Das Metakonzept funktioniert: Jährlich sehen sich rund 10.000 Personen die nutzlosen Erfindungen an. Das Erfolgsrezept des Nonseums? Skurriles, Absurdes, Schräges macht Spaß („durchsichtige Schnapskarten“) und die Erfindungen sprechen Menschen aus allen Ländern in allen Alters- gruppen aus allen Berufsfeldern an – also wirklich: alle.
Es hat lange gedauert, bis die umliegenden Betriebe erkannten, dass sich mit dem Nonseum Geld verdienen lässt: Vom Museum zum Weingut und schließlich zum Gasthaus. Die Gemeinde überlegte sich 2001 ein touristisches Konzept und gibt Herrnbaumgarten die Marke „Das verruckte Dorf“. Heute ist unbestritten, dass das Nonseum ein touristischer und wirtschaftlicher Katalysator für die Gemeinde ist. Dennoch kämpft der „VVG – Verein zur Verwertung von Gedankenüberschüssen“ immer noch um faire Arbeitsbedingungen. Die Forderung nach einer angemessenen Strukturförderung gleicht dem Anblick des berühmten 24-Stunden-Schneckenrennens, das im Nonseum Tradition hat.
Der Generationenwechsel soll eine nachhaltige Struktursiche- rung bewirken, aber auch inhaltlich neue Impulse für die Zukunft setzen: Etwa durch ein Erasmus+ Projekt mit Jugendlichen zum Thema „Artivism for Future“ oder Open Spaces für Künstler*innen, die sich im verruckten Dorf mit gesellschaftspolitischen und klimarelevanten Themen auseinandersetzen.
Nonseum - Regenschirm für Pessimisten © Jiro Shimizu
Marco Friedrich Trenkwalder ist freischaffender Filmemacher, Initiator des DIAMETRALE Filmfestivals in Innsbruck, Co-Organisator des Film Campus Innsbruck sowie Vorstandsmitglied im Theater praesent und der TKI – Tiroler Kulturinitiativen.
Dieser Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1.23 „LAND KULTUR ARBEIT“ des Magazins der IG Kultur Österreich – Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter @email (5 €) bestellt werden.
Coverbild: GemSe Anpacktage 2023 © Carolina Frank