Kulturbegriffe: freie, autonome, emanzipatorische...was meinen wir, wenn wir von Kultur sprechen?
Freie Szene, autonome Kultur, freie oder partizipative Kultur, Kulturarbeit, Sozio- oder Subkultur? Wie definiert sich die Kultur abseits von öffentlichen Körperschaften und den großen Tankern? Reicht es schon, dass sie eben diese offizielle, repräsentative Kultur nicht sein möchte? Oder drückt sich im verwendeten Begriff auch ein Selbstverständnis jenseits von Abgrenzung aus? Was assoziieren wir mit den verschiedenen Begriffen? Wir haben mit unterschiedlichen Menschen aus dem Sektor aus verschiedenen Teilen Österreichs und verschiedenen Generationen gesprochen.
Kommen wir gleich zu Sache: Wie bezeichnen wir die Kultur, die wir meinen? „Das ist doch nicht banal!“ ruft Gabriele Gerbasits, langjährige Geschäftsführerin der IG Kultur, in Erwiderung auf die Frage aus, dass ich gern mit den einfachen Fragen beginne. Schmunzelnd fügt sie hinzu, dass wir ja „von einem breiten Kulturbegriff plappern“ könnten. „Damit kann man Bibliotheken füllen!“ ergänzt ihre Nachfolgerin und aktuelle Geschäftsführerin Yvonne Gimpel. Thomas Randisek, langjähriger Geschäftsführer des Dachverbands Salzburger Kulturstätten sieht in der Frage, wie man das Feld abstecken kann, eine nicht endend wollende Diskussion. Wir haben es also mit einer Frage zu tun, die sich darum bemüht, nicht geklärt zu werden. Doch dazu später mehr.
Von der Kulturpolitik wird der Sektor gerne unter dem leeren Ausdruck „Kunst und Kultur“ subsummiert. So bezeichnen sich häufig die Förderabteilungen oder Förderschienen, wir haben ein Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport, wo die „Fördermöglichkeiten im Bereich Kunst und Kultur“ des Bundes angesiedelt sind. Sebastian Linz von der ARGE Kultur in Salzburg meint dazu aber ironisch, dass das Begriffspaar nicht ausreicht, da so schlichtweg nur Bereiche zusammengefasst würden, die nicht mehr verbindet, als dass sie alle schlecht bezahlt werden. An diesem Umstand arbeitet sich die IG Kultur übrigens schon seit über zehn Jahren ab.
Kommen wir also zu den Selbstdefinitionen. Die hatten zunächst einmal damit zu tun, was man nicht sein wollte, nämlich Repräsentation, Elite, Brauchtum und Touristenattraktion. Einer der ältesten Abgrenzungsbegriffe ist wohl jener der Subkultur. Andreas Fränzl von Lames in St. Pölten und vielen bestimmt auch durch seine Band Bauchklang bekannt, identifiziert sich immer noch damit. Der Begriff wird heute allerdings eher als soziologischer Begriff verstanden, obendrein als einer, der etwas verstaubt daherkommt. „Dass der Begriff veraltet ist, hab ich halt erst 20 oder 25 Jahre später mitgekriegt!“ scherzt Klemens Pilsl, der lange Zeit bei der KAPU in Linz und auch KUPF Oberösterreich tätig war. Etwas ernster fügt er hinzu, dass der Begriff fallengelassen wurde, weil er eine Hierarchie der Kulturbereiche vornimmt, die Subkultur also beispielsweise unter der Hochkultur anzusiedelt. „Für mich war es aber immer mit Underground, Popkultur und den jungen Wilden verknüpft“. Die Konnotation ist immer noch eher positiv, wenn auch nicht besonders modern.
Ein Begriff der in den 1990er Jahren seinen Höhepunkt erlebte, war jener der autonomen Kultur. Zentral ist dabei die Selbstverwaltung und Unabhängigkeit von institutionellen Strukturen — mitunter so weit, dass auf Förderung verzichtet wird. Die Verwendung des Begriffs nahm aber durch sehr einseitige politische Konnotationen stark ab. Günther Friesinger, gegenwärtig im Vorstand der IG Kultur Wien, sieht in Wien noch einige Gruppen, die sich so definieren. Andrea Hummer, frühere Geschäftsführerin der IG Kultur und auch lange des Festivals der Regionen, erinnert sich, dass Mitte der 1990er starke Debatten in Gange waren, ob dieser Begriff nicht zu einseitig politisch vereinnahmt wird und deshalb negative Konnotationen hervorruft oder sogar angefeindet wird. Der Begriff „autonom“ wurde damals immer stärker mit anarchistischen bis linksextremen Gruppierungen assoziiert. Sie plädierte deshal damals dafür, auf eine andere, breitere Selbstbezeichnung zu setzen.
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Der Begriff „freie Szene" war für mich in den 2000ern gefühlt der am häufigsten verwendete Begriff. Auch Serena Laker von Lames in St. Pölten spricht von freier Szene. Das erklärt sie so, dass die Leute, die bei Lames andocken, ihrer Tätigkeit selbstständig nachgehen. Der Verein ist eine Struktur, die den Raum hält und von größtenteils ehrenamtlichem Engagement der Mitglieder getragen wird. So versteht sich Lames als frei, weil nicht institutionalisiert. Alina Zeichen, vom UNIKUM in Klagenfurt und im Vorstand der IG KIKK sowie IG Kultur, verwendet „freie Szene“ wegen seiner deutlichen Abgrenzung zum öffentlichen Kulturbetrieb. Klemens Pils fügt hinzu, dass es entgegen dem Unabhängigkeitsverständnisses autonomer Gruppen, natürlich nicht darum gehe, frei von Subventionen zu sein.
Doch wie steht es um ein Selbstverständnis jenseits von Abgrenzungen? Yvonne Gimpel verwendet gerne den verwandten Begriff der „freien Kultur“ und versteht diese als Kultur, die den Anspruch hat, die Gesellschaft zu gestalten. Hans Oberlechner von der Musik Kultur St. Johann in Tirol, sieht sich gar in der „Widerstandskultur“ verortet. Es geht ihm dabei um die Notwendigkeit, mit Kunst etwas verändern zu wollen. Das unterscheidet für Oberlechner Kunst auch erst vom Kunsthandwerk. Ein sozialer oder politischer Aspekt ist für ihn essenziell. Wie sein Kollege David Prieth, p.m.k in Innsbruck und Vorstandsmitglied der IG Kultur, der sich auch als Aktivist und gesellschaftspolitisch vermittelnde Instanz versteht, hat er ein grundlegend politisches Verständnis von Kultur. Michaela Schoissengeier, Gründungsmitglied von FIFTITU%, sah immer ein gewisses Maß an Rebellion als Triebkraft. Für sie ist die Gesellschaftskritik ein elementarer Bestandteil. Für Martin Wassermair, DORF TV, umreißt es ein Möglichkeitsfeld für gesellschaftspolitisches Engagement.
David Prieth begann seine Antwort auf meine Frage aber ursprünglich mit einer ganz anderen Selbstbezeichnung, nämlich als Kulturarbeiter. Hier versteht er sich als „Ermöglicher“. Jolanda de Wit vom OKH Vöcklabruck gefällt am Begriff der „Kulturarbeit“, dass es das Wort „Arbeit“ beinhaltet. Sie betont, dass es auch ein Handwerk ist, dem man nachgeht. Der Begriff drücke aus, dass man etwas umbaut, gestaltet, entwickelt. Ihrem Kollegen Richard Schachinger, auch beim Klimabündnis und lange bei der KUPF OÖ aktiv, gefällt der Begriff aber auch wegen seiner Offenheit: „Man darf sich nicht einspannen lassen!“
Gerald Gröchenig, Urgestein der Szene, früherer Geschäftsführer des Dachverbands Salzburger Kulturstätten, Mitbegründer der IG Kultur und Geschäftsführer der Europäischen Theaternacht, definiert ebendiese Kulturarbeit auch als partizipativ. Er selbst hat seine Anfänge in der damals entstehenden freien Medienlandschaft gemacht, die Partizipation im breitesten Sinne im Zentrum ihrer Tätigkeit sah. Das betont auch Simon Hafner von der IG Kultur Steiermark und auch Gabriele Gerbasits sieht einen stärkeren Einbezug des Publikums im Programm gegeben, als in anderen kulturellen Bereichen.
Es gibt aber auch recht neue Begriffe. Zu der Sammlung an Selbstbezeichnungen hat sich in den letzten Jahren auch die „Soziokultur“ dazugesellt. Der Begriff schwappt gewissermaßen aus Deutschland über, da gibt es die Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren, sie vertritt freie und autonome Kulturinitiativen in Deutschland, die dort selbstverwaltete soziokulturelle Zentren genannt werden. Sie vertreten ihre Interessen gegenüber der Politik, bieten Fortbildung an, setzen aber auch eigene Projekte um, sind Mitglied des deutschen Kulturrates und des ENCC, also ganz ähnlich wie die IG Kultur in Österreich. Der Begriff wird so verstanden, dass es darum geht, mit kulturellen Mitteln einen gesellschaftlichen Einfluss zu erwirken. Ansonsten definiert er sich ganz ähnlich wie freie Szene oder freie Kultur. Der Begriff wird auch in Österreich schon seit ein paar Jahren verwendet, allerdings nur in geringfügiger Verbreitung. Das liegt womöglich daran, dass in Österreich eine noch größere Sentimentalität zu den soziologisch anmutenden Begriffen der Subkultur oder autonomen Kultur bestehen geblieben ist, oder weil die Soziokultur eben doch wiederum zu technisch-soziologisch anmutet.
Welcher Begriff nun die Redelsführung übernimmt, es lassen sich gewisse Übereinstimmungen extrahieren. Thomas Randisek, Geschäftsführer des Dachverbands Salzburger Kulturstätten, sieht den Minimalkonsens eines Kulturbereiches, der sich so ungern einigt, durch ein paar Eigenschaften umrissen. Einerseits als frei im Sinne von zeitgenössisch, aber auch als unabhängig, politisch und partizipativ orientiert, andererseits aber auch als offen, um sich an neue Gegebenheiten anpassen, neue Felder explorieren zu können. Die Auseinandersetzung mit den Kulturbegriffen ist wohl komplex genug, um nicht banal zu sein, gleichzeitig bleibt sie relevant genug, um nicht trivial zu werden. Wir werden die „ewige Debatte“ wohl oder übel fortsetzen müssen. Schließlich ist nicht nur eine gewisse Offenheit in der Selbstdefinition verankert, sondern auch ein Selbstverständnis als Experimentierfeld, als Avant-Garde für neue kulturelle Formen. So ist es zu erwarten, dass in Zukunft wohl noch der eine oder andere Begriff dazukommen wird.
Beitrag als Podcast:
Mitwirkende (u.a.)
Gabriele Gerbasits, Yvonne Gimpel, Alina Zeichen, Simon Hafner, Gerald Gröchenig, Andreas Fränzl, Jolanda de Wit, Richard Schachinger, Serena Laker, David Prieth, Hans Oberlechner, Klemens Pilsl, Günther Friesinger, Martin Wassermair, Michaela Schoissengeier, Thomas Randisek, Andrea Hummer, Sebastian Linz