Nach dem Ende der Politik
Konrad Becker / Martin Wassermair (Hg.): Nach dem Ende der Politik. Texte zur Zukunft der Kulturpolitik III. Wien: Löcker Verlag 2011
Baustopp in Novi Sad. Eine Museumsinitiative bekommt keine Genehmigung, weil sich eine Immobilienfirma für das Grundstück interessiert. An einer anderen Stelle droht ein Ökopark, Siedlungen von Romafamilien und Flüchtlingen vom Donauufer zu verdrängen. Und hier könnte nach gängigen Erzählmustern auch schon wieder Schluss sein. Unfriendly Takeover, Neoliberalismus unser aller Ende und Ende. Aber so wie Branka Ćurčić und Zoran Pantelić mit diesen zwei Beispielen genauer hinschauen und in den Verflechtungen kultureller AkteurInnen Hierarchien zwischen Zentrum und Peripherie herausarbeiten, so fragen alle 13 AutorInnen im Sammelband „Nach dem Ende der Politik“, wie es nach dem vermeintlichen Schachmatt genauer betrachtet so weitergeht.
Gleich im ersten Beitrag stemmt sich Jodi Dean angesichts der Ressourcenmasse, die in den USA zur Entscheidung von Wahlen, Schullehrplänen oder Klimaforschung mobilisiert wird, gegen die Rede von „Entpolitisierung“, „Post-Politik“ oder „Ent-Demokratisierung“. Nur weil einer die Politik nicht gefalle, sei die Politik noch lang nicht zu Ende. „Kultur“, so wiederum Thomas Macho am Ende, sei zum „begrifflichen Dachstuhl“ geworden. Ein Begriff, der fast alles umfasse und fast alles können soll. Was soll also eine kulturpolitische Intervention in so einem Kontext? Die Selbstbefreiungsversuche künstlerischer Avantgarden werden, wie Jens Kastner es beschreibt, heute als Vorreiter der Flexibilitätsnorm kritisiert. Hamburger Künstler-/Aktivist-/BewohnerInnen, die sich seit 2009 gegen die Verdrängung durch das Stadtplanungskonzept der „Wachsenden Stadt“ wehren, wirft man zum einen „bornierten Kultursozialismus“, zum anderen ihre Verstrickung in das größere Ganze vor. Zu diesem „bornierten Kultursozialismus“ will Christoph Spehr sich bekennen und findet, dass die Vereinnahmung von Kritik und emanzipatorischen Forderungen über die Zeit nicht dazu führen dürfe, jegliche Forderung zu „denunzieren“.
Saskia Sassen vergleicht, wie Hochfinanz und Zivilgesellschaft die gleichen Netzwerktechnologien nutzen und welches informelle politische Wissen dabei entsteht. Während die Finanzwelt es geschafft habe, an vielen Orten Netzwerkplattformen speziell für ihre Zwecke zu installieren, hätten zivilgesellschaftliche Organisationen durch politische Hemmnisse eher die Form von Aktiengesellschaften angenommen. Es sei nicht allein durch Kulturpolitik machbar, so Felix Stalder, das Verwischen der Grenzen von Produktion, Rezeption und Reproduktion im Digitalen in ein neues Verständnis von individueller Leistung und kollektiven Ressourcen sowie in allgemeine Zugriffsrechte auf Digital Commons zu übersetzen. Kulturpolitik könne aber neue Erfahrungen des Gemeinsamen artikulieren. Dies bekommt weitere Bedeutung mit Martin Wassermairs Blick auf die mauretanische Hafenstadt Nouadhibou, wo Flüchtlinge die Bühne betreten und wo eine Politik, die sich von kriegerischen Mitteln kaum unterscheidet, vielen Leben ein Ende setzt.
Und wie nun zu der Zukunft? Gegenüber dem „Massenzynismus“ einer konformistischen Mehrheit empfiehlt Franco Berardi Bifo ein durch Ironie „gemeinsam bewerkstelligtes Aussetzen der Realität“. Konrad Becker appelliert dafür, sich die Autonomie der Vorstellungskraft zurück zu erobern. Es gehöre mittlerweile zum Mainstream, das Erfassen komplexer und zufälliger Zusammenhänge vortäuschen zu müssen. Dabei würden mythische, ambivalente Ordnungskategorien überschätzt. Realistische Ziele seien oft schwerer zu erreichen als unrealistische. Eine ganz praktische Utopie. Die eingangs erwähnte Immobilienfirma ging übrigens später in Konkurs, und der Festivalpark wurde wegen einer Überschwemmung nicht realisiert. Was aus den bereitgestellten Fördergeldern wurde, ist den AutorInnen unbekannt.