Zur Geschichte von Zirkus in Österreich
<p><strong>Österreich, insbesondere Wien, spielt in der Zirkusgeschichte eine bedeutende Rolle. </strong>Die Etablierung des Zirkus als neues, innovatives Unterhaltungsgenre fand um 1800 statt, als KunstreiterInnen-Truppen nach dem Vorbild von Philip Astley’s Amphitheatre in London und Paris feststehende Gebäude errichteten. „Cirque olympique“ nannte Henri Franconi, ein ehemaliger Mitarbeiter Astleys sein Unternehmen in Paris zu Beginn des 19. Jahrhunderts, er prägte
Österreich, insbesondere Wien, spielt in der Zirkusgeschichte eine bedeutende Rolle. Die Etablierung des Zirkus als neues, innovatives Unterhaltungsgenre fand um 1800 statt, als KunstreiterInnen-Truppen nach dem Vorbild von Philip Astley’s Amphitheatre in London und Paris feststehende Gebäude errichteten. „Cirque olympique“ nannte Henri Franconi, ein ehemaliger Mitarbeiter Astleys sein Unternehmen in Paris zu Beginn des 19. Jahrhunderts, er prägte damit den Namen für das spezifische Genre Zirkus. In Wien ließ sich der Kunstreiter Christoph de Bach (1768-1834) nieder, der im Prater 1808 einen fixen Zirkusbau südlich der Prater Hauptallee (heute Zirkuswiese) errichtete. Der elegante Kuppelbau von Josef Friedrich Kornhäusel (1782-1860) erlaubte es bis zu 3000 BesucherInnen die Produktionen de Bachs zu bewundern. Der sogenannte „Circus Gymnasticus“ bot diverseste Reitkunststücke: Turniere, KunstreiterInnen, aber auch dressierte Hirsche, SeiltänzerInnen, Schlangenmenschen und Clowns. Als besondere Attraktion galten Pferdepantomimen, die nach französischem Vorbild mythologische oder historische Ereignisse darstellten. De Bach vermietete das Gebäude an andere KunstreiterInnentruppen, wenn er mit seiner Gesellschaft durch Europa tourte. Zu Werbezwecken wurden um die Mittagszeit Paradeumritte im Prater gezeigt, eine Tradition, die sich bis in 1880er hielt.
1845 erhielt der „Circus Gymnasticus“ Konkurrenz durch den „Cirque du Paris“, ein Unternehmen der gefeierten Kunstreiterin Pauline Cuzent, die ganz in der Nähe ein Amphitheater errichtete. In den 1850er Jahren folgten noch zwei weitere Zirkus-Bauten im Prater, der von Janos Toldy und von Pierre Corty. Außerhalb des Praters, in der damaligen Großen Fuhrmanngasse 419, (ab 1862 Zirkusgasse), wurde 1853 von den Architekten K. May und Franz Schebek ein Zirkusprachtbau errichtet. Der Auftraggeber Ernst Jakob Renz (1805-1892) galt als einer der erfolgreichsten Zirkusbetreiber des 19. Jahrhunderts, neben dem neuen Wiener Gebäude besaß er bereits feste Zirkusgebäude in Hamburg und Breslau, sein Hauptsitz war in Berlin. Mit dem zwölfeckigen Bau mit fast 4000 Sitzplätzen, der Innenraum prunkvoll im Windsor Stil gehalten, verfügte Wien nun über einen der modernsten und sensationellsten Zirkusse in Europa. Der Name Renz stand als Synonym für Zirkus, edle Pferde und komplizierte Dressurkunst auch von exotischen Tieren, Ballerinen zu Pferde, Luftgymnastik, Fahrradartistik, Parterreakrobatik, Clownkunst und Pantomimen. Wien war für weitere große ZirkusunternehmerInnen höchst attraktiv, so errichtete der „Königlich Niederländische Zirkus“ von Oscar Carré (1846-1911) 1873 einen Bau für 4000 Personen an der Ausstellungsstraße mit einem eigenen Wohnbau für seine Belegschaft. Auch dieser bis 1884 bestehende Zirkus diente, wie alle anderen fixen Gebäude, als Gastspielhaus für weitere internationale Zirkusgesellschaften. Carré veranstaltete Amateurringkämpfe, die den Ruf Wiens, als „Stadt der starken Männer“ mitbegründete. Und die 1873 anlässlich der Weltausstellung im Prater errichtete Rotunde diente als Gastspielort für große Zirkusunternehmen, so für den „größten Zirkus der Welt“, den Zirkus „Wulff“, mit 1600 Sitzplätzen und 5000 Stehplätzen oder 1900 für den amerikanische Riesenzirkus „Barnum & Bailey“, mit drei gleichzeitig bespielten Manegen und allabendlich ca. 8000 Besuchern.
Die im 19. Jahrhundert expandierende Zirkusbranche erfuhr durch den 1. Weltkrieg die erste einschneidende Krise.
1892 kam auch Ernst Renz Berliner Konkurrent Paul Busch (1850-1927) nach Wien, um das Panoramagebäude im Prater als „Zirkus Busch Wien“ zu adaptieren. Seine Spezialität waren, neben dem wie bei Renz und Carré gezeigten aufwändigen Zirkusprogramme, große Manegeschauspiele und Wasserpantomimen. Renz musste 1897 schließen, die Konkurrenz von Busch, die in Berlin und Wien schmerzlich spürbar war, trug zum Ende des Unternehmens bei. Die Familie Schumann zählte ebenfalls zu einer großen Zirkusdynastie, wobei Albert Schumann als berühmtester hervorgehoben wird. Auch hier liegt das Hauptaugenmerk auf der Pferdedressur, ja Schumanns Name galt als Synonym für den Pferdezirkus. 1902/03 errichten die Architekten Heinrich und Franz Stagl das Schumann-Zirkusgebäude in der Märzstrasse im heutigen 15. Wiener Gemeindebezirk.
Als einzig ständiges Zirkusgebäude in Wien blieb ab 1920 oder 1923 der „ZIRKUS ZENTRAL“ im Wiener Vergnügungspark. Die Halle war bereist 1919/20 unter Gustav Altschul als Zirkus genutzt worden. Das Zirkus-Renz-Gebäude wird von gastierenden Zirkussen bespielt und ab 1929 als Varieté weitergeführt. Das gegenüberliegende Zirkus-Busch-Gebäude war bereits in ein Kino umgewandelt worden. Unter der Direktion von Jakob Staub, gemeinsam mit Oskar Fischer, bot der „ZIRKUS ZENTRAL“ Spielmöglichkeiten für verschiedene zirzensische Attraktionen, aber auch für Ausstattungsstücke und Revuen. Der Zirkus war in einer Halle der Kriegsausstellung, im ehemaligen Kaisergarten, untergebracht bzw. zum Zirkus umgestaltet worden. Die kleine Menagerie des Zirkus gilt neben der exotischen Tierschau im Volksprater Nr. 25 bis 1935 als die einzige im Prater.
Aus der Programmgestaltung ist zu schließen, dass sich der „ZIRKUS ZENTRAL“ eine Zwischenposition zwischen einer (österreichischen) Zirkustradition und der eines modernen Riesenzirkusses schafft.
Ein ehemals österreichisches, dann tschechisches Großunternehmen, allerdings ohne festes Gebäude, war der Zirkus von Karl Kludsky, der vom späten 19. Jahrhundert bis zum Februar 1934 existierte. Nach den Memoiren von Kludsky erfolgte die Schließung des Unternehmens aufgrund der Februarkämpfe, da der Zirkus da gerade im „ZIRKUS ZENTRAL“ im Prater gastierte und die ausbleibenden Einnahmen den Zirkus ruinierten. Die im 19. Jahrhundert expandierende Zirkusbranche erfuhr durch den 1. Weltkrieg die erste einschneidende Krise, manche große Unternehmen stellten sich mit patriotischen Programmen auf die Kriegssituation ein, für die meisten Unternehmen aber wurde die Arbeit verunmöglicht, da die internationale personelle Struktur zerstört, das Futter für die Tiere knapp bzw. Tiere für den Kriegseinsatz beschlagnahmt wurde(n). In der ersten Republik lassen sich an die 40 Zirkusunternehmen nachweisen, die unter den schwierigsten wirtschaftlichen Bedingungen arbeiteten. Kleine Familienbetriebe konkurrieren mit Riesenunternehmen wie etwa dem deutschen „Circus Krone“, der mit seinen Gastspielen BesucherInnenmassen anzog.
Von den österreichischen Zirkussen mittlerer Prägung seien hier „Medrano“ und „Rebernigg“ erwähnt, die zu den erfolgreichen österreichischen Zirkussen in der Zwischenkriegszeit und darüber hinaus zählten. Der Circus „Medrano“ von Ludwig und Therese Swoboda reiste mit einem Zwei-Masten-Zelt durch Europa. Drei der sechs Töchter des Ehepaars Swoboda, Therese, Wanda und Anita, verhalfen dem elterlichen Unternehmen zu nachhaltigem Ruhm. Als „Sisters Medrano“ wurden sie mit einem Balance-Reitakt an die größten Häuser Europas verpflichtet. 1942/43 nennt sich „Medrano“ „Der Wiener Circus“, und besitzt bereits ein Vier-Masten-Zelt. Eines der letzten Programme, der Zirkus wird 1969 eingestellt, wirbt mit der Romantik im Raketenzeitalter. Ein weiteres relativ großes Familienunternehmen war der Circus „Rebernigg“, „dessen Popularität bei der österreichischen Bevölkerung die von Medrano noch übertroffen hat und der den Titel 'Der österreichische Nationalcircus' führte"1. Dazu muss gesagt werden, dass „Rebernigg“ sich erst nach dem 2. Weltkrieg „Österreichischer Nationalcircus“ nennt, während der NS-Herrschaft heißt das Unternehmen „Der Circus der Ostmark“. Bisher konnte ich erst wenig Material zum Zirkus in Österreich während des Nationalsozialismus ausfindig machen, die Forschung dazu wäre von großer Bedeutung, da Zirkus sich trotz aller Reglementierungsversuche durch die Reichskulturkammer nicht vollständig kontrollieren ließ. Während der NS-Herrschaft prägten Großunternehmen wie das von Carl Hagenbeck die Zirkusszene. Das Busch Gebäude fungierte als Kino. Im „ZIRKUS ZENTRAL“ fanden Zirkusvorstellungen, Revuen und Ausstattungsstücke statt, als besondere Attraktion wurden Ringkampfkonkurrenzen abgehalten. Der Direktor des „ZIRKUS ZENTRAL“, Jakob Staub, floh 1938 in die USA, Oskar Fischer leitet bis 1942 den Zirkus, der im September desselben Jahre abgetragen wurde. 1944 wurde das Renz Gebäude durch Bomben zerstört.
Nach 1945 prägten Unternehmen wie „Medrano“ und „Rebernigg“, später der „Circus Althoff-Jacobi“ die österreichische Zirkuslandschaft. Als äußerst populäre Einrichtung fungierte die über Jahrzehnte stattfindende Zirkusshow „Artisten Tiere Attraktionen“ in der Wiener Stadthalle. Ende der 1960er Jahre gilt als einschneidende Zäsur für den traditionellen Zirkus, da die Konkurrenz durch das Fernsehen für die meisten Unternehmen drastisch spürbar wurde. Als Bernhard Paul gemeinsam mit André Heller Mitte der 1970er Jahre im Rahmen der Wiener Festwochen mit traditionellen Zirkuselementen arbeitete, griffen sie eine Stimmung auf, die dem traditionellen Zirkus wieder zugeneigt war. Die Gründung des „Zirkus Roncalli“ durch Bernhard Paul folgte kurze Zeit später.
Neben diesem bekannten Unternehmen reisen in Österreich zahlreiche Zirkusse, die allerdings kaum Aufmerksamkeit seitens der Öffentlichkeit erhalten. Die Wiener Theaterwissenschaftlerin Marlene Groihofer hatte mit ihrer Diplomarbeit „Wanderzirkusse in Wien und Niederösterreich in der Saison 2013/14“ (2015) belegt, wie reich die Kultur des traditionellen Zirkus ist. Es tourten folgende Unternehmen: „Circus Alex Kaiser“, „Circus Aramannt“, „Circus Aros“, „Circus Barlay“, „Circus Belly“, „Circus Berlin“, „Circus Don Eduardo“, „Circus Emilio“, „Circus Frankello“, „Circus „Louis Knie jun.“, „Circus Pikard“, „Circus Pimpenelli“, „Circus Salto“, „Circus Safari“, „Circus Zaubertraum“, „Zirkus Budapest“. Es wird also deutlich, dass Österreich auf eine reiche Zirkusgeschichte und eine besondere Stellung innerhalb Europas zurückblicken kann. Obwohl die Zirkuskünste bis in die späten 60er Jahre das österreichische Kulturleben maßgeblich mitgestalteten, bleiben sie vom heutigen Kulturverständnis und damit einhergehenden Förderstrukturen großteils ausgeschlossen. Es ist also umso wichtiger, sich historisch mit der Stellung von Zirkus auseinanderzusetzen und diesen als immanenten Teil des österreichischen Kulturerbes zu begreifen.
1 Eberstaller, Zirkus und Varieté in Wien S. 78
Autorin:
Birgit Peter studierte Theaterwissenschaft und Philosophie an der Universität Wien. Ihre Dissertation und Habilitationsschrift beschäftigten sich mit der Geschichte von Zirkus. Sie leitet das Archiv und die theaterhistorische Sammlung am Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft der Universität Wien.
Buch:
„Artistenleben auf vergessenen Wegen“
Eine Spurensuchein Wien
herausgegeben von Birgit Peter und Robert Kaldy-Karo
Lit Verlag, 2013
ISBN 978-3-643-50499-9
273 Seiten, Taschenbuch, € 19,90
www.lit-verlag.at