Visions for the Future - Part 1: Liebe Soziokultur, wohin geht die Reise?
Anfang März 2024 fand der Auftakt des Projekts „Visions for the Future“ – die Zukunft der Soziokultur in Europa“ statt. Im Rahmen einer ersten online Brainstorming-Session trafen Mitarbeitende soziokultureller Initiativen aus ganz Europa zusammen um eine Standortbestimmung vorzunehmen: Was passiert gerade in der Welt? Wie beeinflussen diese Ereignisse uns und unsere Kulturorganisationen? Und inwiefern teilen wir Erfahrungen über regional-spezifische Kontexte hinweg und inwiefern divergieren sie?
Ausgehend von diesen Fragen sollte mittels Design Thinking eine Landkarte erarbeitet werden, von der aus Visionen für eine zukunftsfähige Kulturarbeit im Rahmen der nächsten Brainstroming-Session erarbeitet werden. Eine Nachschau.
Was sind aktuelle Herausforderungen soziokultureller Arbeit?
Über die europäischen Grenzen und genre-spezifische Kontexte hinweg konnten folgende Themen als Herausforderungen in der Kulturarbeit wahrgenommen werden:
- Der Aufstieg populistischer Politik: Die Verbreitung von populistischen bis rechtsextremen Narrativen, die erfolgreich Ängste angesichts unsicherer sozialer, ökonomischer und ökologischer Entwicklungen schüren, stellt eine Bedrohung für die Demokratie und pluralistische Gesellschaften dar.
- Digitale Technologien als zweischneidiges Schwert: Der Zugang und Einsatz neuer Technologien ist ein Katalysator – sowohl für positive Entwicklungen (vereinfachte Kommunikation, kollaborative Kreativität, etc.) als auch negative Entwicklungen (Falschinformation, Hate Speech, etc.); eine Vertiefung sozialer Ungleichheiten ist zu befürchten.
- Kulturarbeit als Diskursarena: In Kulturzentren werden hohe Erwartungen gesetzt, als Diskurs- und Zukunftsschmieden zu fungieren, die Extrempositionen herausfordern, Dialog ermöglichen und ein gemeinsames, besseres Verständnis schaffen können.
- Wirtschaftliche Instabilität und Schieflagen: Ein starker Wunsch nach systemischer Veränderung, die bestehende Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten behebt (Gender Pay Gap, Prekäre Arbeits- und Lebensumstände, ungleichen Auswirkungen der Globalisierung) und ein ökonomisch gesichertes Leben für alle ermöglicht.
- Psychische Belastung: Die zunehmende Komplexität, der schnelle Wandel sowie gestiegene Druck in unsicheren Zeiten führen zu Stress, Angst und anderen psychischen Belastungen, sowohl für Mitarbeitende als auch Teilnehmende und Besucher*innen von Kulturinitiativen.
Wo beginnen, wenn alles dringlich ist?
Die Kulturarbeit steht genauso wie die Gesellschaft an einer kritischen Weggabelung, geprägt vom Siegeszug der Populisten und extremen Rechten, über die existenzielle Bedrohung durch die Klimakatastrophe bis zur digitale Transformation der Gesellschaft und der Gesundheitskrise – zu sehen nicht als isolierte Phänomene sondern als miteinander verwobene Entwicklungen, die einander auf komplexe Art und Weise bedingen, beeinflussen und verstärken können.
Doch wie können, wie sollen wir darauf reagieren, wenn alles dringlich ist? Müssen wir den „Pauseknopf“ betätigen und uns die Zeit für die gemeinsame Reflexion nehmen, um wieder Kapazitäten für die Entwicklung neuer, kreativer Lösungsansätze zu haben? Oder müssen wir vom Reden ins Handeln kommen und gemeinsam in die Aktion gehen?
Eine Antwort darauf konnte die erste Brainstorming-Session nicht bieten. Dies war jedoch auch nicht das Ziel. Die nächste Session wird auf das Spannungsverhältnis zwischen Kontemplation und Erfahrungsaustausch und handlungsorientiertem Anspruch eingehen müssen. Dennoch wurden erste, vorläufige Schlüsse bereits aus der Bestandsaufnahme abgeleitet und zur Diskussion gestellt.
Wie geht es weiter?
Auch wenn die Brainstorming-Session nur der Auftakt war, so gibt der Nachbericht dennoch erste Anregungen, wie der Weg zu einer zukunftsfähigen Soziokultur aussehen könnte. Folgende Empfehlungen werden u.a. zur Diskussion gestellt:
- Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit stärken. Dies umfasst nicht nur die Vermittlung notwendiger Kompetenzen und Fähigkeiten, sondern muss auch die grundsätzlichen Rahmenbedingungen, wie wir arbeiten, ernst nehmen (z.B. physische und psychische Gesundheit).
- Offene Kommunikations- und Dialogplattformen schaffen. Dies ist die große Stärke und Chance soziokultureller Arbeit, sie beginnt jedoch bei der eigenen Organisation – die immer wieder proaktiv sich selbst, ihre Struktur und Inhalte, Angebote wie Haltungen kritisch hinterfragen muss, insbesondere ob sie tatsächlich alle Stimmen, auch diskriminierte und marginalisierte, willkommen heißt.
- Kollektive Innovation und Kreativität ermöglichen. Komplexe, interdependente Herausforderungen können nicht nur im „Kultursilo“ bearbeitet werden, sie erfordern das Zusammenwirken von Künstler*innen, Kulturarbeiter*innen, Wissenschafter*innen, Umwelt- und IT-expert*innen, Sozialarbeiter*innen, Aktivist*innen, Ingenieur*innen, Jurist*innen, etc.
- Verantwortung teilen, lebenslanges Lernen leben. Nur wenn wir uns bewusst werden, dass Individuen wie Gemeinschaften Teil eines größeren, globalen Ökosystems sind, deren Handlungen weitreichende Auswirkungen haben können, kann eine inklusivere, gerechtere Zukunft erreicht werden. Kulturinitiativen können dazu beitragen, indem sie dies nicht nur vermitteln sondern auch selbst leben und kontinuierlich Lernmöglichkeiten schaffen. In einer Welt, in der Veränderung die einzige Konstante ist, wird die Fähigkeit kontinuierlichen Lernens und Anpassens zur Überlebensfähigkeit.
Die nächste Brainstorming-Session ist für Frühjahr 2025 geplant, er steht allen Interessierten offen, Anmeldungen sind erst Ende des Jahres möglich (hier mehr Infos zum Projekt). Der offizielle Bericht über die Ergebnisse der erste Brainstorming-Session „Visions for the future. Part 1: Scanning the Now“, verfasst von Anna Maria Ranczakowka, steht hier zum Download zur Verfügung.