Kolonisiere deine Nächsten wie sie dich! Österreichs Sendung im Donauraum
Aus: Kulturkolonien. Kulturrisse. August 1998.
Daß Monarchiesehnsüchte hierzulande außerordentlich gut gedeihen, verdeutlicht die Stimme des Volkes beim Eröffnungsfest der österreichischen EU-Präsidentschaft am Heldenplatz: "I bin für die EU, weil der Herr Habsburg dann Präsident ist...“ Daß derartige Retro-Romantik aber auch mit handfesten ökonomischen Interessen korreliert, zeigen
Daß Monarchiesehnsüchte hierzulande außerordentlich gut gedeihen, verdeutlicht die Stimme des Volkes beim Eröffnungsfest der österreichischen EU-Präsidentschaft am Heldenplatz: "I bin für die EU, weil der Herr Habsburg dann Präsident ist...“ Daß derartige Retro-Romantik aber auch mit handfesten ökonomischen Interessen korreliert, zeigen
Aus: Kulturkolonien. Kulturrisse. August 1998.
Daß Monarchiesehnsüchte hierzulande außerordentlich gut gedeihen, verdeutlicht die Stimme des Volkes beim Eröffnungsfest der österreichischen EU-Präsidentschaft am Heldenplatz: "I bin für die EU, weil der Herr Habsburg dann Präsident ist...“ Daß derartige Retro-Romantik aber auch mit handfesten ökonomischen Interessen korreliert, zeigen Oliver Marcharts Betrachtungen zur Verkabelung Mitteleuropas.
In den 80ern war die Idee Mitteleuropas von konservativen Intellektuellen - meist aus den ehemaligen Kronländern des austro-hungarischen Kaiserreichs - u.a. konstruiert worden, um dem europäischen "kulturellen Erbe” wieder seine zentrale Rolle zu erstreiten und, über diesen Umweg, den Fremdenverkehrsmythos eines k.u.k.-Mosaiks von Nationen "with close cultural ties” wiederzubeleben. Die früheren Kronländer und ihre jeweiligen "Ethnien” werden bis heute charakterisiert durch allgemeines Wohlwollen und wechselseitige Toleranz. Natürlich hat das Bild eines gutherzigen, wenn auch senilen Kaisers, der einer friedvollen Völkerfamilie vorsteht, nichts mit der historischen Realität zu tun, hatte der gütige Monarch doch z.B. ein Spitzelsystem von nie dagewesenen Ausmaßen errichtet und seine geographische Umgebung mit fortgesetzten Annexionen bedacht. Historische Fakten hindern jedoch Mitteleuropa-Ideologen nicht daran, das österreichische Kaiserreich gelegentlich als ein Rollenmodell für die EU zu präsentieren. Als europäischen melting pot.
Es würde also nicht weiter überraschen, wenn der Techno-Eurozentrismus Bangemannscher Prägung (das schon historische Stichwort zur Verkabelung der EU lautet "Bangemann-Report”) in unseren Breitengraden im historischen Kostüm des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs auftaucht. Und tatsächlich wurde in Österreich Mitte der 90er Jahre auf Regierungsanstoß ein "National Host” etabliert, der sich u.a. zum Ziel gesetzt hat, die elektronische Integration Mitteleuropas zu erleichtern.[1]
Hauptaufgabe des Austrian National Host ist die Stärkung von Kooperationen zwischen mittel- und osteuropäischen Ländern durch ihre Verlinkung mit "Mainland Europe”. Zu diesem Zweck arbeitet er in der Forschungsinitiative PACT (Programming Environments, Algorithms, Applications, Compilers, and Tools for Parallel Computation) der Zentraleuropäischen Initiative (CEI) als Provider von "Central und Eastern European partners in the PACT project with access to modern high-speed computing equipment”.[2] Als Mitglied der "Central and Eastern European Networking Association” (CEEnet) errichtete das österreichische akademische Breitbandnetzwerk ACOnet seinerseits Gates zu den meisten mittel- und osteuropäischen Staaten, die in der Mehrzahl der Fälle mit vormaligen Teilen des Habsburgerreichs zusammenfallen. Eine kartographische Repräsentation der ACOnet-Verbindungen nach Osteuropa illustriert anschaulich, wie die Verkabelung vom imaginären Zentrum Wien und den deutschsprachigen Heartlands des Imperiums in dessen frühere östliche Kolonien ausstrahlt.
Diese Geographie der elektronischen Netzwerke ist hauptsächlich auf Österreichs erfolgreichen Versuch zurückzuführen, seine zentraleuropäischen Nachbarn davon zu überzeugen, Wien als Gateway in den "Westen” zu nutzen, d.h. als Anschlußbahnhof an das 1 Mb/s EBONE von Wien nach Paris. Solche Bemühungen kommen aber natürlich nicht aus dem politischen Vakuum. Sie stehen im spezifisch österreichischen Kontext einer Politik im Sinne der Mitteleuropaidee, wie sie traditionell mit der ÖVP verknüpft ist. So sind "Kaiserenkel” Karl Habsburg und "Kaisersohn” Otto Habsburg bekanntlich Flaggschiffe der Mitteleuropaidee, Otto als Präsident der Internationalen Paneuropa-Union, Karl als Präsident der Paneuropabewegung Österreich, deren vordringliches Ziel das "Eintreten für ein vereintes Europa nach christlich-abendländischen Wertvorstellungen” ist. Die Avantgarderolle der Europaeinigung fällt in den ex-kaiserlichen Phantasien naturgemäß Österreich zu. So behauptet Karl Habsburg, Österreich hätte "die einmalige Chance, als Vorhut Mittel- und Osteuropas in der Europäischen Union aufzutreten. Es könnte damit seine alte geschichtliche Sendung im Donauraum und darüber hinaus erneut aufnehmen.”
Nun steht natürlich auf der anderen Seite außer Streit, daß in elektronischen Netzwerken "Menschen eher elektronisch miteinander verbunden werden als durch geographische Nähe”[3], so David Morley und Kevin Robins; und über solchen neo-imperialen Versuchen der Standortsicherung von Wien als "Tor in den Osten” (bereits mit dem Einsturz der EXPO-Brücke Wien-Budapest gescheitert) schwebt schon allein aus diesem Grund ein Hauch von Vanitas. Doch selbst technische Determinanten wie der Ausbau von Bandweite sind nicht rein technisch, sondern unterliegen politischen Entscheidungen, die wiederum durch bestimmte Ideologien gestützt werden. Genausowenig lassen sich kapitalistische Interessen nur als die Profitgier, die sie sind, vermitteln, sie müssen als altruistische Beihilfe zum "Aufbau Ost”, wie das in Deutschland heißt, rübergebracht werden. Das rein finanzielle Interesse an der Kolonisation Osteuropas muß mit diversem ideologischem Humbug "verkauft” werden. Hierzulande kommen da die alten Habsburger nicht ungelegen.
Zur Zeit des Kalten Krieges war es die Absicht der Mitteleuropa-Ideologen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs, einen Platz im Westen zu ergattern, indem man den Vorhang durch einen weiten Begriff "grenzüberschreitender” Kultur, d.h. eines gemeinsamen kulturellen Erbes dekonstruierte. (So sieht andererseits Karl Habsburg bei nachlassender Paneuropa-Begeisterung die Gefahr dräuen, "daß die politische Entwicklung Österreich von der Vorhut Mitteleuropas zur Nachhut des ehemaligen Ostblocks macht”.) Heute wird dieser Versuch zwar über die elektronische Verkabelung von Mitteleuropa fortgesetzt, doch die Mitteleuropa-Idee erfüllt noch eine andere Rolle im Euro-Imaginären.
Heute arbeitet die Mitteleuropaidee, so vermute ich, wohl weniger an der Überbrückung jenes Eisernen Vorhangs, den die Schengen-EU wiedererrichtet hat, als an der Auflösung der Nationalstaatlichkeit innerhalb der EU, indem sie die Abgabe nationalstaatlicher Kompetenzen nach oben (EU-Kommission) und nach unten (Stichwort Subsidiarität und "Europa der Regionen”) im kulturellen Diskurs abstützt. Sie zieht quasi eine Mitteldecke ein zwischen einer als anonym, heterogen und "zu groß” erfahrenen EU und den regionalistischen Monaden von Landesfürsten und Dorfkaisern. Das verkabelte Mitteleuropa kann darin als eine Komponente jener Vermittlungsideologie zwischen EU und Regionalismus bzw. zwischen EU und den neuen osteuropäischen Beitrittskandidaten verstanden werden. Und zwar als jene Komponente, die den Anschluß und die Vermittlung (zwei kommunikationstechnische Begriffe übrigens) im HighTech-Diskurs herstellt.
[1] The Austrian National Host
[2] S. Kapitel 1.6.1 - "Cooperation with Central and Eastern European Countries"
[3] David Morley und Kevin Robins: Spaces of Identity. Global Media, Electronic Landscapes and Cultural Boundaries, London/New York (Routledge) 1995, S.61
Mehr zu diesem und anderen Themen in: Oliver Marchart: Die Verkabelung von Mitteleuropa. Medienguerilla - Netzkritik - Technopolitik. Wien (Verlag edition selene) 1998.
Oliver Marchart ist Kulturtheoretiker, derzeit Junior Fellow am Internationalen Forschungsinstitut Kulturwissenschaften (IFK) in Wien.
Daß Monarchiesehnsüchte hierzulande außerordentlich gut gedeihen, verdeutlicht die Stimme des Volkes beim Eröffnungsfest der österreichischen EU-Präsidentschaft am Heldenplatz: "I bin für die EU, weil der Herr Habsburg dann Präsident ist...“ Daß derartige Retro-Romantik aber auch mit handfesten ökonomischen Interessen korreliert, zeigen Oliver Marcharts Betrachtungen zur Verkabelung Mitteleuropas.
In den 80ern war die Idee Mitteleuropas von konservativen Intellektuellen - meist aus den ehemaligen Kronländern des austro-hungarischen Kaiserreichs - u.a. konstruiert worden, um dem europäischen "kulturellen Erbe” wieder seine zentrale Rolle zu erstreiten und, über diesen Umweg, den Fremdenverkehrsmythos eines k.u.k.-Mosaiks von Nationen "with close cultural ties” wiederzubeleben. Die früheren Kronländer und ihre jeweiligen "Ethnien” werden bis heute charakterisiert durch allgemeines Wohlwollen und wechselseitige Toleranz. Natürlich hat das Bild eines gutherzigen, wenn auch senilen Kaisers, der einer friedvollen Völkerfamilie vorsteht, nichts mit der historischen Realität zu tun, hatte der gütige Monarch doch z.B. ein Spitzelsystem von nie dagewesenen Ausmaßen errichtet und seine geographische Umgebung mit fortgesetzten Annexionen bedacht. Historische Fakten hindern jedoch Mitteleuropa-Ideologen nicht daran, das österreichische Kaiserreich gelegentlich als ein Rollenmodell für die EU zu präsentieren. Als europäischen melting pot.
Es würde also nicht weiter überraschen, wenn der Techno-Eurozentrismus Bangemannscher Prägung (das schon historische Stichwort zur Verkabelung der EU lautet "Bangemann-Report”) in unseren Breitengraden im historischen Kostüm des österreichisch-ungarischen Kaiserreichs auftaucht. Und tatsächlich wurde in Österreich Mitte der 90er Jahre auf Regierungsanstoß ein "National Host” etabliert, der sich u.a. zum Ziel gesetzt hat, die elektronische Integration Mitteleuropas zu erleichtern.[1]
Hauptaufgabe des Austrian National Host ist die Stärkung von Kooperationen zwischen mittel- und osteuropäischen Ländern durch ihre Verlinkung mit "Mainland Europe”. Zu diesem Zweck arbeitet er in der Forschungsinitiative PACT (Programming Environments, Algorithms, Applications, Compilers, and Tools for Parallel Computation) der Zentraleuropäischen Initiative (CEI) als Provider von "Central und Eastern European partners in the PACT project with access to modern high-speed computing equipment”.[2] Als Mitglied der "Central and Eastern European Networking Association” (CEEnet) errichtete das österreichische akademische Breitbandnetzwerk ACOnet seinerseits Gates zu den meisten mittel- und osteuropäischen Staaten, die in der Mehrzahl der Fälle mit vormaligen Teilen des Habsburgerreichs zusammenfallen. Eine kartographische Repräsentation der ACOnet-Verbindungen nach Osteuropa illustriert anschaulich, wie die Verkabelung vom imaginären Zentrum Wien und den deutschsprachigen Heartlands des Imperiums in dessen frühere östliche Kolonien ausstrahlt.
Diese Geographie der elektronischen Netzwerke ist hauptsächlich auf Österreichs erfolgreichen Versuch zurückzuführen, seine zentraleuropäischen Nachbarn davon zu überzeugen, Wien als Gateway in den "Westen” zu nutzen, d.h. als Anschlußbahnhof an das 1 Mb/s EBONE von Wien nach Paris. Solche Bemühungen kommen aber natürlich nicht aus dem politischen Vakuum. Sie stehen im spezifisch österreichischen Kontext einer Politik im Sinne der Mitteleuropaidee, wie sie traditionell mit der ÖVP verknüpft ist. So sind "Kaiserenkel” Karl Habsburg und "Kaisersohn” Otto Habsburg bekanntlich Flaggschiffe der Mitteleuropaidee, Otto als Präsident der Internationalen Paneuropa-Union, Karl als Präsident der Paneuropabewegung Österreich, deren vordringliches Ziel das "Eintreten für ein vereintes Europa nach christlich-abendländischen Wertvorstellungen” ist. Die Avantgarderolle der Europaeinigung fällt in den ex-kaiserlichen Phantasien naturgemäß Österreich zu. So behauptet Karl Habsburg, Österreich hätte "die einmalige Chance, als Vorhut Mittel- und Osteuropas in der Europäischen Union aufzutreten. Es könnte damit seine alte geschichtliche Sendung im Donauraum und darüber hinaus erneut aufnehmen.”
Nun steht natürlich auf der anderen Seite außer Streit, daß in elektronischen Netzwerken "Menschen eher elektronisch miteinander verbunden werden als durch geographische Nähe”[3], so David Morley und Kevin Robins; und über solchen neo-imperialen Versuchen der Standortsicherung von Wien als "Tor in den Osten” (bereits mit dem Einsturz der EXPO-Brücke Wien-Budapest gescheitert) schwebt schon allein aus diesem Grund ein Hauch von Vanitas. Doch selbst technische Determinanten wie der Ausbau von Bandweite sind nicht rein technisch, sondern unterliegen politischen Entscheidungen, die wiederum durch bestimmte Ideologien gestützt werden. Genausowenig lassen sich kapitalistische Interessen nur als die Profitgier, die sie sind, vermitteln, sie müssen als altruistische Beihilfe zum "Aufbau Ost”, wie das in Deutschland heißt, rübergebracht werden. Das rein finanzielle Interesse an der Kolonisation Osteuropas muß mit diversem ideologischem Humbug "verkauft” werden. Hierzulande kommen da die alten Habsburger nicht ungelegen.
Zur Zeit des Kalten Krieges war es die Absicht der Mitteleuropa-Ideologen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs, einen Platz im Westen zu ergattern, indem man den Vorhang durch einen weiten Begriff "grenzüberschreitender” Kultur, d.h. eines gemeinsamen kulturellen Erbes dekonstruierte. (So sieht andererseits Karl Habsburg bei nachlassender Paneuropa-Begeisterung die Gefahr dräuen, "daß die politische Entwicklung Österreich von der Vorhut Mitteleuropas zur Nachhut des ehemaligen Ostblocks macht”.) Heute wird dieser Versuch zwar über die elektronische Verkabelung von Mitteleuropa fortgesetzt, doch die Mitteleuropa-Idee erfüllt noch eine andere Rolle im Euro-Imaginären.
Heute arbeitet die Mitteleuropaidee, so vermute ich, wohl weniger an der Überbrückung jenes Eisernen Vorhangs, den die Schengen-EU wiedererrichtet hat, als an der Auflösung der Nationalstaatlichkeit innerhalb der EU, indem sie die Abgabe nationalstaatlicher Kompetenzen nach oben (EU-Kommission) und nach unten (Stichwort Subsidiarität und "Europa der Regionen”) im kulturellen Diskurs abstützt. Sie zieht quasi eine Mitteldecke ein zwischen einer als anonym, heterogen und "zu groß” erfahrenen EU und den regionalistischen Monaden von Landesfürsten und Dorfkaisern. Das verkabelte Mitteleuropa kann darin als eine Komponente jener Vermittlungsideologie zwischen EU und Regionalismus bzw. zwischen EU und den neuen osteuropäischen Beitrittskandidaten verstanden werden. Und zwar als jene Komponente, die den Anschluß und die Vermittlung (zwei kommunikationstechnische Begriffe übrigens) im HighTech-Diskurs herstellt.
[1] The Austrian National Host
[2] S. Kapitel 1.6.1 - "Cooperation with Central and Eastern European Countries"
[3] David Morley und Kevin Robins: Spaces of Identity. Global Media, Electronic Landscapes and Cultural Boundaries, London/New York (Routledge) 1995, S.61
Mehr zu diesem und anderen Themen in: Oliver Marchart: Die Verkabelung von Mitteleuropa. Medienguerilla - Netzkritik - Technopolitik. Wien (Verlag edition selene) 1998.
Oliver Marchart ist Kulturtheoretiker, derzeit Junior Fellow am Internationalen Forschungsinstitut Kulturwissenschaften (IFK) in Wien.