Reizvoll, aber mit großem Risiko
Kulturinitiativen am Land sind in Bezug auf Förderungen gegenüber den Städten und urbanen Zentren stark benachteiligt. Die Standortgemeinden verfügen in den seltensten Fällen über eine kulturpolitische Agenda, geschweige denn Kriterien und Budgets, die lokalen Kulturvereinen nachhaltige Fördermodelle ermöglichen. Eine EU-Regionalförderung für Kulturprojekte erscheint daher eine reizvolle Alternative – zumindest in der Theorie. Ein Erfahrungsbericht aus der Praxis.
Kulturinitiativen am Land sind in Bezug auf Förderungen gegenüber den Städten und urbanen Zentren stark benachteiligt. Die Standortgemeinden verfügen in den seltensten Fällen über eine kulturpolitische Agenda, geschweige denn Kriterien und Budgets, die lokalen Kulturvereinen nachhaltige Fördermodelle ermöglichen. Das Verständnis für Gegenwartskunst und Kulturarbeit abseits von Tradition und Ehrenamt ist enden wollend.
Lokale Kulturvereine, die sich zudem mit zeitgenössischen gesellschaftskritischen Inhalten auseinandersetzen, sind gefordert, sich abseits der Fördertrias Stadt, Land, Bund mit EU-Strukturförderungen wie LEADER, LEADER Transnational, Interreg oder CERV auseinanderzusetzen. Damit Kunst und Kultur der vielbeschworene Motor für Regionalentwicklung sein kann, müssen die Rahmenbedingungen für Kulturvereine erleichtert werden!
Was haben die „Art Machine“, „Ten Days & Ten Artists“ und „Kultur Talks & Walks“ gemeinsam? Aus einem umgebauten Zigarettenautomaten entstand die von einem Künstlerkollektiv gestaltete „Art Machine“, die an einem oststeirischen Hauptplatz 24/7 Kunstminiaturen lokaler Künstler*innen auswirft. Das Projekt „Ten Days & Ten Artists“ unterstützte vor allem junge Künstler*innen aller Kunstsparten in ihrer Auseinandersetzung mit ihrer ländlich geprägten Region und ihrem Alltag. Die Bevölkerung nahm dabei in einem offenen Atelier am künstlerischen Prozess teil. Unter dem Motto des „freien Flanierens“ werden bei „Talks & Walks“ öffentliche Wanderungen durchgeführt, die sich verschiedenen Themen wie Wasser, Erde, Luft und Feuer widmen. Bei diesen Wanderungen wird durch Mischwälder, Weiler und Hügel gestreift, während Gespräche und Diskussionen mit Einheimischen, Wirtschaftstreibenden und Bäuerinnen*Bauern stattfinden. Zudem können Referate und Workshops mit Expert*innen aus Kunst, Philosophie und Wissenschaft besucht werden.
Art Machine, Styrian Summer Art © Richard Frankenberger
Gemeinsam haben diese Kulturprojekte, dass sie mit EU-Fördermitteln des Landwirtschaftsministeriums durchgeführt wer- den konnten – als sogenannte LEADER-Projekte. LEADER ist eine Förderung mit Bottom-up-Ansatz, bei dem Landwirt*innen, Unternehmen, lokale Organisationen und Einzelpersonen aus verschiedenen Sektoren in lokalen Aktionsgruppen (LAG) zusammenkommen. LEADER-Projekte unterstützen Innovationsprozesse, vernetzen die Akteur*innen vor Ort und gestalten aktiv den regionalen Entwicklungsprozess in den derzeit 83 ausgewiesenen Regionen Österreichs. Zu Beginn einer EU-Förderperiode erarbeitet jede LAG unter Einbeziehung der Bevölkerung ihre Lokale Entwicklungsstrategie (LES), an der sich zu fördernde Projekte orientieren müssen.
In der Praxis gibt es für gemeinnützige Kulturvereine echte Hürden.
So die Theorie, und das ist durchaus reizvoll. In der Praxis gibt es für gemeinnützige Kulturvereine echte Hürden. Zuallererst muss das Projekt den Ansprüchen der LEADER-Förderschiene genügen. Das vorgelegte Kulturprojekt muss sich auch in der jeweiligen Lokalen Entwicklungsstrategie (LES) spiegeln. Als Bottom-up-Ansatz gedacht, entscheidet dann ein lokales Projektauswahlgremium über die Förderzusage oder -ablehnung. Ohne Lobbyarbeit, die große zeitliche Ressourcen im Vorfeld bindet, und eine regionale Verankerung ist es schwierig, hier eine positive Zustimmung zu bekommen.
Aber auch die Förderrichtlinien halten Fallstricke für Kulturvereine bereit. Vom eingebrachten Förderantrag bis zum unterschriebenen Fördervertrag kann es durchaus sechs bis zwölf Monate dauern, bis alle Instanzen durchlaufen sind. Von einem kurzfristigen Projektstart ist daher abzuraten. Ein echtes wirtschaftliches Problem für gemeinnützige Kulturvereine ist, dass Projekte wie LEADER vorfinanziert werden müssen. Zwar kann mehrmals pro Projektdauer abgerechnet werden, die Kulturvereine warten dennoch meist sechs bis neun Monate auf eine Refundierung. Das können sich nur wirtschaftliche potente Vereine leisten, oder man findet einen Projektträger in Form einer Gemeinde, eines Tourismusverbandes oder Regionalverbandes und wickelt sein eigenes Projekt als externe Auftragnehmer*in ab. Für autonome Kulturvereine mit gesellschaftskritischen und -relevanten Themen eine echte Herausforderung. Ansonsten bleibt der Weg zur Bank. Bankzinsen können nicht abgerechnet werden und die Vereine bleiben darauf sitzen.
Damit Kunst und Kultur der vielbeschworene Motor für Regionalentwicklung sein können, müssen die Rahmenbedingungen für Kulturvereine erleichtert werden!
Soeben läuft die aktuelle EU-Förderperiode 2023–2027 an. Neu ist die Möglichkeit, um eine Vorfinanzierung bei der AMA ansuchen zu können. Dabei wird aber eine Sicherstellung aus dem Vereinsvermögen oder vom Vereinsvorstand, der mit seinem Privatvermögen haftet, verlangt. Für gemeinnützige Kulturvereine ist das keine attraktive Vorstellung.
Michaela Zingerle engagiert sich in verschiedenen Kulturorganisationen, u.a. als Gründerin des Kultur- vereins Styrian Summer Art. Dabei setzt sie nationale, transnationale und interdisziplinäre Kulturprogramme in ländlichen Regionen um.
Dieser Artikel ist erstmals in der Ausgabe 1.23 „LAND KULTUR ARBEIT“ des Magazins der IG Kultur Österreich – Zentralorgan für Kulturpolitik und Propaganda erschienen.
Das Magazin kann unter @email (5 €) bestellt werden.
Coverbild: TALKS AND WALKS © Richard Frankenberger