Bis dass das Gras nach unten wächst

Gedenkpolitik im postnazistischen Österreich.

„Gelernte“ Österreicher_innen wissen, dass in diesem Land auf dem Gebiet des Gedenkens kaum etwas Fortschrittliches passiert, wenn es nicht von engagierten Menschen errungen wird. Während – land auf land ab – die Verehrung der gefallenen Soldaten der beiden Weltkriege der Normalzustand ist, bleiben kritische Auseinandersetzungen mit der Vergangenheit und Gegenwart der Geschichte oftmals nur das Feld der unerlaubten, unerwünschten und selten tolerierten Intervention. Am 10. Oktober 2003 etwa stellte die Bildhauerin Ulrike Truger den Marcus Omofuma Gedenkstein ohne Genehmigung vor die Wiener Staatsoper. Nach dem Einschreiten der Baupolizei und mehreren Verhandlungen wurde der Gedenkstein an den bei einer Abschiebung von Fremdenpolizisten getöteten Flüchtling vor das Museumsquartier verpflanzt, wo er sich bis heute befindet.

Gerungen wurde auch um die Errichtung eines Deserteursdenkmals, eine Initiative, die sich gegen die Übermacht der Kriegerdenkmäler nach Jahren durchsetzte und somit den sogenannten Wehrkraftzersetzer_innen eine lange notwendige Würdigung ermöglicht. Erst am 7. Oktober 2009 kam es zum Beschluss zur pauschalen Aufhebung aller Urteile der NS-Militärgerichte durch den Justizausschuss im Nationalrat.

Prekär ist immer noch die Situation des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Schwulen, Lesben und Trans*gender-Personen: Der ursprünglich geplante Entwurf Der Rosa Platz von Hans Kupelwieser wurde nicht ausgeführt (was ich aufgrund der in meinem Text „Hurra, ein pinkes Pinkelbecken!“ (1) beschriebenen Gründen sehr wohl befürworte, angegeben wurden jedoch technische Umsetzungsprobleme), und seit her wird in temporären Installationen der Opfer gedacht.

Bedeutungen kippen, Nazi-Fundamente ausgraben

Das Gedenken, Erinnern und Mahnen ist in seinen Ausformungen vielfältiger geworden, und trotz der Schwierigkeiten, die damit verbunden sind, gibt es immer mehr Initiativen, die in deren Rahmen etwa den 52 Nebenlagern des KZ Mauthausen und den durch „Vernichtung durch Arbeit“ Ermordeten ein Denkmal gesetzt wurde. Dem jahrelangen antifaschistischem Widerstand ist es auch zu verdanken, dass der Heldenplatz am 8. Mai 2013 erstmalig in der postnazistischen Geschichte Österreichs nicht von deutschnationalen Burschenschaftern mit seiner Heldenverehrung besudelt, sondern dieser Tag mit einer ganztägigen Mahnwache des Bundesheeres und einem vom Mauthausen Komitee Österreich organisiertem Konzert begangen wurde.

Viele öffentliche Einrichtungen stehen vor dieser Aufgabe der kritischen Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte. Dazu gehören unter anderem die Kunst-Universitäten, die sich zum einen mit Restitutionsfragen und zum anderen mit der weiteren Involviertheit in die antisemitische Verfolgung auseinandersetzen (müssen). Martin Krenn von der Universität für angewandte Kunst initiierte zum Beispiel den Arbeitskreis zur Umgestaltung des Lueger Denkmals. Der Arbeitskreis schrieb einen Wettbewerb aus, die erstgereihte Arbeit sah vor, das Denkmal 3,5 Grad nach rechts zu kippen. Aber selbst diese subtile Intervention war den politisch Verantwortlichen zu viel. Immerhin wurde der Teil des Wiener Ringes, der nach dem Antisemiten Karl Lueger benannt war, auf Betreiben der Universität Wien in Universitätsring umbenannt, diese wollte international ihre Adresse nicht mehr mit einem Lueger assoziiert wissen.

Man müsse den „Sockel dieser Mentalität freilegen“ meint Josef Haslinger nicht umsonst angesichts der von der Plattform Geschichtspolitik durchgeführten Intervention am Weinheber Denkmal in Wien. Die Plattform, die auf offiziellem Wege versuchte, den Umgang der Stadt mit dem Denkmal des von Hitler in die „Gottbegnadeten-Liste“ aufgenommenen Nazi-Lyrikers sichtbar zu machen, setzte ihre archäologische Aushebung im Juni 2013 nach langem Warten einfach um. Das Denkmal, das schon mit zahlreichen Interventionen bedacht worden war, wurde 1991 von der Stadtregierung gegen Umgestaltungen gesichert. Der schwer zu reinigende Sandsteinsockel wurde durch einen polierten Marmorstein ersetzt und mit einem Kubikmeter-großen Betonfundament vor Umstürzen verankert. Josef Weinheber muss mensch sich seitdem als Stehaufmännchen vorstellen, gestützt von der Mentalität des konsequenzenlosen Schweigens, das die Republik Österreich seit seiner Gründung geprägt hat. Aktivist_innen wollten diese Mentalität freischaufeln und versuchten mit der Strategie des Fakten-Schaffens die Regierungsformen zu unterlaufen. Am 28. Juni 2013 wurde deshalb das Fundament des Josef Weinheber Denkmals durch Ausgrabung sichtbar gemacht, der umliegende Bereich abgeflacht und mit Grasmatten ausgelegt. Das Denkmal selbst wurde nicht verändert. Am darauffolgenden Werktag schüttete das Stadtgartenamt das ausgegrabene Fundament wieder zu, der zuständige Stadtrat Andreas Mailath-Pokorny erklärt sich für nicht zuständig. Ein weiteres gelungenes Beispiel dafür, dass Erinnerungskultur und Gedenkpolitik nicht denen zu überlassen sind, die in diese Denkweise des Schweigens und Verdeckens immer noch verstrickt sind. Beharrlichkeit gegen diese Verfasstheit tut jedenfalls Not, vielleicht könnte der dadurch evozierte Diskurs so manch demokratisch geprägtes Rückgrat stärken.

Marty Huber, Sprecherin IG Kultur Österreich, queere Aktivist_in und Autor_in des Buches „Queering Gay Pride. Zwischen Assimilation und Widerstand“

(1) Kulturrisse 03/2006

http://www.no-racism.net/racismkills/denkmal_truger.htm

http://www.pk-deserteure.at

http://kulturrisse.at/ausgaben/032006/kunstpraxen/hurra-ein-pinkes-pinkelbecken-zum-denkmal-fuer-lesbischwule-und-transgender-opfer-des-nationalsozialismus-in-wien

http://www.koer.or.at/cgi-bin/page.pl?id=418;lang=de

http://www.luegerplatz.com

http://www.plattform-geschichtspolitik.org

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