Eine gute Geschichte! Meta-Replik auf Oliver Marcharts "Farbe der Hoffnungslosigkeit"
Angetan von der Marchartschen Farbenlehre, die sich als ihre eigene Parodie in der Trivialität ihrer blassgrauen Aussage spiegelt, fragen wir: Was will dieser Text von uns? Er will nicht aussagen. Er will uns rühren. Das tut er.
Eine Replik auf Oliver Marchart in Kulturrisse 0101.
Angetan von der Marchartschen Farbenlehre, die sich als ihre eigene Parodie in der Trivialität ihrer blassgrauen Aussage spiegelt, fragen wir: Was will dieser Text von uns? Er will nicht aussagen. Er will uns rühren. Das tut er.
Eine gute Geschichte braucht
1. einen Schurken, vor allem, wenn der Autor sich sonst nicht hervortun kann.
Mit rührendem, theologischem Eifer wird da einer zum Auserwählten stilisiert, auf dass er uns entbinden möge von der Erbärmlichkeit unseres allzu gewöhnlichen Lebens, auf dass wir entrinnen, ohne dass wir uns selbst erheben müssen.
2. Sie braucht schöpferische Tiefe und knallige Effekte:
Auf die Frage, was die Gründe für die Oppositionsunfähigkeit der Grünen sind, kommt sogleich die messerscharfe Antwort, dass sich die SPÖ nach 30 Jahren an der Macht abgenützt hat, dass der Schurke sich selten revolutionär kleidet, so gut wie nie vermummt ausgeht, eben ein Altbundespräsident.
3. Sie braucht mindestens drei Ebenen: innen und außen.
4. Sie braucht eine romantische Metapher, einen emotionalen Höhepunkt:
Die in Ketten liegende Linke! Diese Höhe, diese Tiefe!
Die in Ketten liegende Linke, verängstigt ihrer unbändigen Kraft beraubt, das grooved, hat drive. Ohne Opfer kein Bösewicht, einfacher Tatbestand.
Viktimisierungsphantasmen turnen uns an, wir spüren die hungrige Erwartung des Autors an den Schurken, die zielgerichtete Omnipotenzfantasie: der knüppelnde Kerl, mit dem zu balgen es sich lohnt, Mann gegen Mann, Testosteron liegt in der Luft, es riecht nach Turnhalle.
Als moralischer Höhepunkt ungeeignet an dieser Stelle war daher zu verwerfen: Die Linke liegt im Bett, seit 89, leicht sediert, träumt vor sich hin, halbwach geplagt von der Furcht, das Bett würde abkühlen, sobald sie sich daraus entfernte.
5. Sie braucht einen guten Schuss Humor, eine brillante Pointe:
Der Besenstiel als Spitzenkandidat! Unvergleichlich! Dieser Wortwitz! Diese Schlagfertigkeit! Diese Logik, das Subjekt ist öffentlich, also benütze ich es!
Diese Chuzpe, dem prominenten Subjekt den Status öffentlicher sanitärer Anlagen aufzudrücken!
6. Sie braucht was Geistiges, Anspruchsvolles. Für die geneigten LeserInnen. Eine Wortschöpfung, wenn möglich eine Hybris. Am besten Gegenkonsens.
7. Sie braucht vor der Zielgeraden noch was Tiefes, die Schlüsselsequenz, sonst geht es sich am Schluss nicht aus: Verrat! Rache! Innere Ursache für 4. Unsere Lieblingsstelle: Stattdessen ließ man die gesamte freie Opposition und alle, die sich dieser chauvinistischen Mobilisierung nicht beugen wollten, im Regen stehen. Darin liegt die eigentliche Ursünde der Opposition. Ursünde! Die siebenfache Dialektik rutscht im nassen Regen ihrer Kontersäkularisierung aus.
8. Der Schluss, die Neige, das Ende: Da geht's lang! Gefolgschaft erzeugen! Nicht addieren! Lasset uns ein gutes altes Kommet-alle-herbei-Lied anstimmen!
Danke für diese Geschichte. Sie hat uns nicht politisiert, aber wir spüren wieder! Ein biblisches Vergnügen.
Jutta Taubmann ist Assistentin der Geschäftsführung der Grünen.