Eins, zwei, drei. Lasst die Leute frei! Polizeiprobleme und Medienspektakel

Der Erstkontakt vieler politischer AktivistInnen mit VertreterInnen des staatlichen Gewaltmonopols in Aktion geschieht in Österreich üblicherweise im Zuge einer Demonstration oder Kundgebung, in deren Verlauf geprügelt oder perlustriert wird oder in relativ seltenen Fällen Verhaftungen passieren.

Der Erstkontakt vieler politischer AktivistInnen mit VertreterInnen des staatlichen Gewaltmonopols in Aktion geschieht in Österreich üblicherweise im Zuge einer Demonstration oder Kundgebung, in deren Verlauf geprügelt oder perlustriert wird oder in relativ seltenen Fällen Verhaftungen passieren. Weitergehende Verfolgungen bleiben meist im Stadium der Überwachung stehen – Razzien, Festnahmen ohne konkreten Anlass, strafrechtlich relevante Konstruktionen, wie z.B. „kriminelle Vereinigung“ etc., sind mit wenigen Ausnahmen nicht gegen politische AktivistInnen, sondern üblicherweise gegen sozial Benachteiligte gerichtet.

Von Kriminalisierung oder Repression gegen Linke in Österreich zu sprechen, bedeutet also einerseits die Gefahr der Verharmlosung (im internationalen Vergleich ist die Chance, aus politischen Gründen abgestraft zu werden, verhältnismäßig klein). Andererseits ist die Dichte der kleineren und größeren Probleme mit VertreterInnen der Polizei und im Gefolge der Justiz ein permanentes und vor allem in den Medien beliebtes Thema. Im Folgenden werden Beispiele aus den letzten zehn Jahren Thema sein; Beispiele, die aus dem Problem resultieren, dass die Polizei naturgemäß den Auftrag hat, für Ordnung und Erhalt des Status Quo zu sorgen und es für diesen Auftrag unverhältnismäßige Schutzmechanismen sowohl rechtlicher als auch informeller Art gibt, die (um so leichter) im Einzelfall eine Kriminalisierung ermöglichen.

Die Tatsache, dass eine Kriminalisierung meist Einzelne betrifft – abhängig von vielen externen Faktoren wie z.B. der Stimmung unter den PolizistInnen, dem jeweiligen Erfolgsdruck ebendieser oder der An- bzw. Abwesenheit der Presse –, erleichtert nicht nur, dass diese in der Öffentlichkeit als Einzelfälle oder als „schwarze Schafe“ wahrgenommen werden, sondern verdeckt auch oft und gerne die andere Tatsache, dass die Betroffenen bzw. Verdächtigen selten im juristischen Sinne schuldig sind.

Der tragische Fall: Ebergassing

Die Funktionsweise von Kriminalisierung zeigt sich hierzulande beispielhaft an den Folgen eines versuchten Anschlags auf einen Strommasten im niederösterreichischen Ebergassing 1995. Es ist dies in Österreich auch die einzige Angelegenheit in den letzten zehn Jahren, in der konkret linke AdressatInnen einer ausgedehnten polizeilichen und juristischen Verfolgung ausgesetzt waren. Vorneweg: Das Ergebnis war negativ.

Bis zum eventuell möglichen Beweis für eine andere Hergangsweise ist folgendes passiert: Zwei Aktivisten versuchten, selbstgebastelte Bomben an einem Strommasten der damals neuen Hochspannungs-Transitleitung zu installieren – und kamen unter Missachtung aller entsprechenden Anleitungen (nur sägen, niemals sprengen!) durch eine vorzeitige Explosion ums Leben (ihre Leichen wurden erst eine Woche später gefunden).

Noch während die Nachrichtenredaktionen eifrig an ihren Schlagzeilen bastelten, führte die Tatsache, dass, obwohl die Leichen der beiden Toten zwar „völlig entstellt“ und „verkohlt“ waren, ihre Ausweise jedoch unversehrterweise die Identifizierung ermöglichten, zu einer Razzia im Ernst Kirchweger Haus (EKH) in Wien (der Meldeadresse von einem der beiden) und in der Folge zu etlichen weiteren Hausdurchsuchungen. Ohne einen nachvollziehbaren Grund nennen zu können, verbreiteten sowohl Polizei als auch die Medien bereits am nächsten Tag die These von weiteren Beteiligten. „Der dritte Mann“ war schnell Aufhänger der Mediengeschichten, die sich über Monate hinzogen.

Die Folgen waren vielfältig: Die spürbarsten waren wohl die Nennung eines Namens als den dritten Mann durch die FPÖ und in der Folge der internationale Haftbefehl gegen diesen, ein staatsanwaltlicher Versuch, den Revolutionsbräuhof (RBH) als politischen Arm der Toten von Ebergassing und entsprechend als kriminelle Vereinigung zu verfolgen (das Verfahren gegen ca. 20 Personen lief von 1996 bis 2000 – ohne Ergebnis) und ein Vorfühlen für spätere Aktivitäten schwarzblauer Prägung gegen linke und im Speziellen feministische Initiativen: Im Zuge der Ermittlungen erklärte der damalige Innenminister Einem, dass er dem Tatblatt eine Spende habe zukommen lassen – woraufhin staatliche Förderungen für den HerausgeberInnenverein des Tatblatts Medienthema waren und u.a. AMS-Zuschüsse für Angestellte des Vereins illegal eingestellt wurden.

Der per internationalem Haftbefehl gesuchte „Dritte Mann“ war nach der ersten Woche der Ermittlungen nach Mexiko ausgereist und hatte nach bekannt werden des Haftbefehls verständlicherweise keine Lust, zurückzukehren. Verschiedene Anträge auf freies Geleit seinerseits wurden von den österreichischen Behörden abgelehnt. Statt eines Besuchs in seinem „Exil“ (News berichtete bereits 1997 über ihn und seinen Aufenthaltsort) wurde er von den österreichischen Behörden sogar in die Top 10-Liste der Interpol reklamiert – und in der Folge in der Medienberichterstattung auf dieselbe Stufe wie ebenfalls gesuchte Nazi-Kriegsverbrecher gestellt. Im Jahr 2001 wurde er tatsächlich festgenommen, fast ein halbes Jahr in Auslieferungshaft behalten und schließlich in Mexiko freigelassen. Die mexikanischen Behörden hatten lange auf belastendes Material aus Österreich gewartet und als nichts Entsprechendes vorgelegt werden konnte, war das Kapitel Ebergassing sozusagen beendet. Politisch war Ebergassing ein schwerer Rückschlag für alle antifaschistischen Aktivitäten: War die Rechte nach 1988 und vor allem nach den Brief- und Rohrbomben 1994/1995 zumindest angeschlagen, wurde nach dem missglückten Anschlag in Ebergassing sowohl in den Medien als auch quer durch alle parlamentarischen Parteien das altbekannte Rechts = Links-Schema erneut absolut gesetzt und inhaltlich für einige Jahre mit der Gleichung Oberwart = Ebergassing gefüllt.

Der Spezialfall: Die Operation Spring

Wie bereits oben erwähnt, richten sich polizeiliche Verfolgung und Kriminalisierungsversuche in Österreich vor allem gegen sozial Benachteiligte – und im Besonderen gegen Personen mit der „falschen“, also nichtweißer Hautfarbe. Die Operation Spring stellt insofern einen Spezialfall dar, als die als DrogendealerInnen bezichtigten Betroffenen zumindest zum Teil an den Mobilisierungen und vor allem Selbstorganisierungen nach dem Tod von Marcus Omofuma (gestorben durch Klebeband über Mund, Nase und Brustkorb in einem Flugzeug bei seiner zwangsweisen Abschiebung) beteiligt waren.

Der erste als „Drogenboss“ öffentlich Vor-Verurteilte – Charles Ofoedu – konnte nicht lange als solcher geführt werden. Wohl vor allem um ihm keine Haftentschädigung zahlen zu müssen, wurde er allerdings später zu einer unbedingten Haftstrafe wegen Geldwäsche verurteilt – in der Länge so bemessen, dass seine U-Haft-Zeit abgedeckt war. Von den ca. 100 anderen Verdächtigen wurden viele zu jahrelangen Haftstrafen verurteilt. Und wie erst letztes Jahr erneut in einem Film dargestellt, waren die Gerichtsverhandlungen zum Großteil juristisch unter jeder Kritik (z.B. wurde eben erst per Gericht festgehalten, dass die vielen Verfahren und Verurteilungen zugrunde liegenden Übersetzungen der polizeilichen Überwachungsmaßnahmen rechtlich nicht zulässig sind). Wie bei vielen anderen Fällen staatlicher Kriminalisierung ist bei den Verurteilungen im Anschluss an die Operation Spring schlicht ersichtlich, dass Verurteilungen mit der Beweislage wenig zu tun haben.

Der Normalfall: Widerstand gegen die Staatsgewalt

Das Delikt „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ ist ein klassischer Gummiparagraf, der eigentlich den Zweck hat, amtshandelnde PolizistInnen präventiv vor Gewalttaten zu schützen. In der Ausführung ist es natürlich eine Angelegenheit, die sich gegen alle potentiell missliebigen Personen richten kann und auch richtet – denn einerseits sind die amtshandelnden PolizistInnen meist mehr als die Angeklagten und andererseits gilt ihr Wort mehr. So beschrieb Peter Pilz die Auswirkungen sinngemäß bereits 1988 in einem Sammelband mit Einzelfällen beamtshandelter Personen mit Folgeproblemen.

Die höchsten Haftstrafen aufgrund dieser Rechtslage gab es in der Folge der Anti-Opernball-Demonstration 2000. Drei im Anschluss an die Demonstration von vermummten ZivilpolizistInnen Festgenommene mussten in Summe mehr als ein Jahr Gefängnis absitzen (in allen drei Fällen beinhaltete die ursprüngliche Anzeige weitere Delikte – Verurteilungen gab es jedoch „nur“ wegen Widerstand). Viele andere diesbezügliche Anzeigen verliefen im Sand oder endeten glimpflicher.

Eine ganze Batterie an potentiellen Anzeigegründen enthält auch das Verwaltungsstrafgesetz. Vor allem im Gefolge der Februar 2000-Proteste gab es viele Anzeigen wegen u.a. unterlassener Anmeldung einer Demonstration oder Fehlverhalten von FußgängerInnen. Während eine einzelne Strafverfügung durch solidarisches Verhalten vieler AktivistInnen wenig schmerzt, ist eine Beschickung von 17 Leuten mit dem gleichen Delikt zu je 70.- Euro schon empfindlich teurer (so geschehen z.B. im Zuge einer Demonstration gegen die Einführung der Studiengebühren im Herbst 2000).

Im vergangenen Jahr gab es ebenfalls etliche kleinere Zwischenfälle (vorneweg: möglicherweise stattfindende Verfahren stehen bislang noch aus): In Salzburg und Klagenfurt kam es in der Folge von Hausbesetzungen zu etlichen Strafandrohungen; in Ried steht ebenso möglicherweise ein Verfahren nach einer antifaschistischen Kundgebung an (zwei Personen wurden vorübergehend festgenommen, weil sie ein Transparent gegen eine zwar untersagte aber problemlos stattfindende Kundgebung des „Bunds Freier Jugend“ (BfJ) nicht auf Zuruf zusammenrollten); in Wien gibt es sehr wahrscheinlich einige Verfahren zur Anti-Bush-Demo (die Festnahmen wurden weder in den Medien noch von den VeranstalterInnen zur Kenntnis genommen) und auch eine Prügel- und Pfefferspray-Aktion der Wiener Polizei anlässlich des MayDay-Umzuges könnte noch Nachwirkungen für DemonstrantInnen haben.

Wer das eben Erzählte für normal und unverzichtbar für eine funktionierende Gesellschaft hält, wird wie der Standard-Redakteur Thomas Rottenberg in seiner „Zusammenfassung“ des MayDay-Umzugs 2006 in Wien zum Schluss kommen, dass AktivistInnen auf Demos prinzipiell selbst Schuld sind (sie hätten ja sozusagen auch zuhause bleiben können). Für den Rest bleibt wohl nur: Weitermachen. Und wenn was passiert, zusammenhalten.

Im Übrigen: Die Verschärfungen im Versammlungsrecht (z.B. Vermummungsverbot) und die Erweiterung der Überwachungs-Befugnisse hatten bislang kaum spürbare Auswirkungen auf die polizeiliche Praxis gegenüber Linken. Die Gefahr, dass eine erneut ÖVP-geführte Rechtsregierung bald durchgreifen würde, ist virulent – siehe Anti-Ulrichsberg-Proteste 2005.

Literatur:

GEMMI (Hg.) (2005): 1000 Jahre Haft. Operation Spring und institutioneller Rassismus – Resümee einer antirassistischen Gruppe. Wien (erhältlich im Amerlinghaus)

Grüner Klub im Parlament (Hg.) (1988): Prügelnde Polizisten. Zum 40. Jahrestag der Erklärung der Menschenrechte. Eine Bilanz. Wien

Karl Parks (2002): „McCarthyismus auf österreichisch. Der Realitätsverlust der ÖVP in der Euroteam-Affäre“. In: Kulturrisse 04/02, S. 19-21

Obiora Ci-K. Ofoedu (2000): Morgengrauen. Wien

O.A. (2000): Ebergassing. Eine Untersuchung. Wien (erhältlich im Archiv für soziale Bewegungen)

Links:

n3tw0rk
no-racism
operation-spring
Widerstandschronologie

Tipps:

Archiv für soziale Bewegungen. Wipplingerstrasse 23. 1010 Wien

Solidaritätsgruppe. Schottengasse 3A/1/4/59. 1010 Wien. E-Mail: solidaritaetsgruppe(at) chello.at

Clemens Christl schrieb eine Diplomarbeit zu Ebergassing.

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