Ich bin hier, also wähle ich. Die Linzer Wahl Partie im oberösterreichischen Wahlkampf

Am 28. September 2003 sind Wahlen in Linz und Oberösterreich. Aus diesem Anlass haben sich eine Reihe von Einzelpersonen und Organisationen in der Inhalts- und Mobilisierungskampagne Linzer Wahl Partie (LWP) zusammengeschlossen. Sie sprechen MigrantInnen als politische Subjekte an, zeigen Diskriminierungen auf und schreiben sich mit ihren Forderungen in den politischen Raum des Wahlkampfs ein, der traditionell von den wahlwerbenden Parteien besetzt wird.

"Aus ihrer Erfahrung wissen die aus der Migration hervorgegangenen AktivistInnen, dass sie nicht primär auf die Integration in die bestehenden politischen Institutionen setzen dürfen, wenn sie als politische Kraft bestehen wollen, die zu sozialen Transformationen fähig ist. Sie müssen sich selbst organisieren, um die aus ihrer spezifischen Situation erwachsenden kulturellen, sozialen und politischen Ansprüche vorzutragen, und gleichzeitig Bündnisse mit anderen sozialen Bewegungen eingehen, um neue Formen zu finden um Politik zu machen."

Mogniss H. Abdallah, "Kämpfe der Immigration in Frankreich. Übergänge in die Politik und soziale Transformationen. In: Ljubomir Bratic, Landschaften der Tat. Vermessung, Transformationen und Ambivalenzen des Antirassismus in Europa. St. Pölten, 2002.

Am 28. September 2003 sind Wahlen in Linz und Oberösterreich. Aus diesem Anlass haben sich eine Reihe von Einzelpersonen und Organisationen in der Inhalts- und Mobilisierungskampagne Linzer Wahl Partie (LWP) zusammengeschlossen. Sie sprechen MigrantInnen als politische Subjekte an, zeigen Diskriminierungen auf und schreiben sich mit ihren Forderungen in den politischen Raum des Wahlkampfs ein, der traditionell von den wahlwerbenden Parteien besetzt wird. Die Linzer Wahl Partie verwendet Methoden und Mittel der herkömmlichen Wahlpropaganda für die Artikulation ihrer demokratiepolitischen Forderungen. Im Gegensatz zu den Parteien, denen es um Stimmenmaximierung für ihre jeweiligen Anliegen geht, zielt die Partie auf die Änderung der Spielregeln, ohne dabei selbst zur Wahl zu stehen oder an eine Partei gebunden zu sein. Sie verweist auf die rassistischen Grundlagen "demokratischer" Prozesse und fordert politische Partizipation und Mitbestimmung jenseits nationaler Zugehörigkeit. Sie nimmt die Parteien in die Pflicht, sich mit diesen Themen zu befassen. Die Linzer Wahl Partie kann nicht gewählt werden, aber sie kann Wahlen beeinflussen.

Die unterstützenden Vereine decken ein breites politisches Spektrum ab: vom Verein der Polen in Oberöstereich über den Verein zur Betreuung der AusländerInnen und den AusländerInnenIntegrationsbeirat der Stadt Linz bis hin zur Vereinigung kurdischer Frauen in Oberösterreich und MAIZ-Autonomes Integrationszentrum von und für Migrantinnen. Einige der Forderungen der Linzer Wahl Partie, die der Kampagnen-Website zu entnehmen sind, überraschen angesichts dieser politischen Breite hinsichtlich ihrer Klarheit und Radikalität. Etwas spröde in der Formulierung in "Haupt- und Zusatzforderungen" aufgeteilt, verlangen sie neben dem "aktiven und passiven Wahlrecht auf kommunaler Ebene für nicht EU- und EWR-BürgerInnen" auch die "Einführung eines Antidiskriminierungsgesetzes", die "Einführung der Wohnbürgerschaft ohne Kopplung an die Staatsbürgerschaft", die "Abschaffung des Fremdenrechts" und eine "aktive Gleichstellungspolitik - positive Diskriminierung". Die Forderung nach einer "flächendeckenden Beratung und Betreuung der AsylwerberInnen -> faires Asylverfahren" ist dagegen in ihrem Inhalt eher unklar und wirft die Frage auf, was denn genau fair ist/sein soll und wer diese Fairness festlegt.
Auch wenn die Intentionen der Linzer Wahl Partie und die Kraft hinter den Forderungen spürbar wird, lässt der kurz gehaltene Einleitungstext zur Kampagne doch einige inhaltliche und politische Unschärfen erkennen. Mit dem Hinweis, dass in Oberösterreich seit 1997 21.000 Personen (inkl. Minderjährige) die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen bekommen haben, wird postuliert: "Dieses Potential zeigt die Wichtigkeit, die Interessen und Forderungen der MigrantInnen zu thematisieren." Dieser Satz vermittelt den Eindruck, demokratische Grundrechte wären erst ab einer gewissen Gruppengröße legitim - und steht damit eigentlich im Widerspruch zu den Zielen und Anliegen der LWP. Oder es wirkt, als würden die Mitglieder der LWP die Parteien beraten, welche zahlenmäßig interessante Zielgruppe sie in der Zukunft noch indoktrinieren könnten. Antirassismus als ausschließliches Nützlichkeitsprinzip für die Parteien - das ist dann doch eine Portion zu viel Pragmatismus.

Auch wird darauf hingewiesen, dass die MigrantInnen im Wahlkampf "sogar von diversen Parteien kriminalisiert und als ein gesellschaftliches Problem dargestellt werden". Dabei wird nicht ganz klar, welche Parteien denn genau gemeint sind. Da dies im Nebulosen verbleibt, öffnet sich ein Interpretationsspielraum, der entlang des gängigen Musters - in der Tradition des moralischen Antirassismus - gefüllt wird: rassistische Rhetorik als konstituierendes Element von Rassismus, Rassismus als "Anomalie", als Verhaltensauffälligkeit und die - zumindest nach meiner Lesart - Zuweisung dieser Verhaltensauffälligkeit an eine rechte Partei und ihre Anhängerinnen. Damit wird der Blick weggelenkt von rassistischer Gesetzgebung und Staatsrassismus und davon, dass auch andere Parteien als Teil des hegemonialen Konsenses für den zunehmenden Rassismus verantwortlich sind.

Die in der LWP engagierten AktivistInnen sind in erster Linie MigrantInnen - ein wichtiges Signal, dass StellvertreterInnentum und Paternalismus nicht mehr gefragt sind, und ein wesentlicher Schritt in Richtung Selbstorganisation und politische Emanzipation. Die Zusammenarbeit der verschiedenen MigrantInnen(organisationen) und ihr Auftreten als politische Subjekte werden nicht ohne Effekt bleiben. Abgesehen vom wachsenden Selbstbewusstsein der Beteiligten selbst, dem Eindringen antirassistischer Forderungen in die Programme und Politiken der Parteien sowie ins Bewusstsein der Menschen wird durch eine Initiative wie die Linzer Wahlpartie im Migrationsbereich einer Selbstverständlichkeit der Weg bereitet, nämlich der Subjektwerdung der bisherigen "Objekte" der Politik.

Die transversale Praxis der Wiener Wahl Partie (die über weite Strecken Vorbild der Linzer Wahl Partie ist), felderübergreifend - MigrantInnen und AktivistInnen aus Kunst/Kultur, politischen Initiativen, Minderheitenbereich (wie im Fall der WWP die Initiative Minderheiten) - zusammenzuarbeiten, wurde von der Linzer Wahl Partie nur in Ansätzen aufgegriffen. In erster Linie wurden ethnische Vereine und Initiativen angesprochen. Will die Partie an politischem Gewicht gewinnen und einer erneuten nationalstaatlichen Spaltungslogik entgegenwirken, muss sie Allianzen mit anderen gesellschaftlichen Kräften - auch mit MehrheitsösterreicherInnen - eingehen. Dadurch wird die Kampagne nicht nur an Effektivität gewinnen, sondern auch verdeutlichen, dass Antirassismus nicht die alleinige Angelegenheit der rassistisch Diskriminierten ist.

Der Website der Linzer Wahl Partie und den Gesprächen mit ihren ProtagonistInnen ist zu entnehmen, dass sie sich prioritär an Menschen mit migrantischem Hintergrund, die bereits die österreichische Staatsbürgerschaft haben, wenden. Es ist sehr wichtig, diese Zielgruppe im Blickfeld zu haben, sie aufzufordern, die Parteien einem Rassismus-Check zu unterziehen und ihr Wahlrecht in Anspruch zu nehmen. Es kann jedoch nicht in ihrer alleinigen Verantwortung liegen, sich gegen Rassismus zu wehren und gleiche Rechte für Alle einzufordern. Zudem wäre es ein Trugschluss anzunehmen, dass MigrantInnen grundsätzlich emanzipatorisch eingestellt sind. Als ein Beleg dafür sei hier nur die Kampagne der Wiener FPÖ "Zuhause in Wien" angeführt, in der junge Neo-ÖsterreicherInnen gegen das kommunale Wahlrecht für Alle eintreten (vgl. dazu auch die Kolumne von Hito Steyerl, S.17). Aus diesen Gründen scheint es mir zentral, die Bewusstseinsarbeit bei den MehrheitsösterreicherInnen und den MigrantInnen, die (noch) nicht wählen dürfen, als wichtiges Ziel in die Kampagne aufzunehmen.

Es ist zu hoffen, dass die Bildsprache der Kampagne sich nicht an die des LWP-Logos anlehnt. Der Kreis, in dem Hände mit offenen Handflächen nach oben abgebildet sind, signalisiert eine demütige Erwartungshaltung in der Art "Wir nehmen, was wir kriegen!" oder "Bitte, gebt uns ...!" Die MigrantInnen sind nicht in der Position, um etwas zu bitten. Den WählerInnen, den Parteien und auch den Personen, die (noch) nicht wählen dürfen, muss vermittelt werden, dass es sich um berechtigte Forderungen handelt, deren Umsetzung notwendige Grundpfeiler auf dem Weg zu wirklicher Demokratie und Gleichheit für Alle sind.
Der Linzer Wahl Partie, die sehr wichtige Arbeit leistet und diese Gleichheit für Alle zu ihrem Anliegen gemacht hat, ist jede Menge Kraft und viel Erfolg zu wünschen. Mögen noch viele NachahmerInnen ihrem Beispiel folgen...


Andrea Hummer ist als PR-Beraterin und Organisatorin von (Kultur-)Projekten tätig. Sie ist Co-Direktorin des eipcp und lebt in Linz.

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