Neue Égaliberté. Kampflinien der antirassistischen Szene in Österreich

Die Politik hat in Österreich, wie auch auf EU-Ebene, im vergangenen Jahrzehnt verstärkt eine österreichische, europäische und westliche "Identität" vorangetrieben. Vor allem durch die Konstruktion von ethnisierten "AusländerInnen" scheint das auch zu gelingen. Es ist immer der Türke, Serbe, Rumäne, Nigerianer, der ein Verbrechen begangen hat, um ein Beispiel aus der alltäglichen medialen Praxis zu erwähnen.

Bei der letzten großen Kundgebung gegen die rechte Regierung in Österreich am 16.03.2001 war auf der Bühne ein großes Transparent mit der Aufschrift "Gleiche Rechte für Alle!" zu sehen. Die Demonstration, die gegen die einjährig jubilierende Regierung veranstaltet wurde, zeigte gleichzeitig, in welche Richtung sich die theoretischen Auseinandersetzungen innerhalb der sich abzeichnenden neuen sozialen Bewegung entwickelt hatten.

Nicht mehr nur "Wir sind ein besseres Österreich" war Parole des Tages - obwohl dies auch vom Hauptredner bei dieser Demonstration gefordert wurde. Es war eine neue Sicht der Dinge, die keinen moralisierenden nationalistischen Standpunkt mehr einnimmt und sich klar und deutlich für Egalité in der Form von gleichen Rechten ausspricht. Was versteckt sich hinter dieser Forderung? Wie wird dieser neue Diskurs der Gleichheit betrieben - und von wem?

Die Politik hat in Österreich, wie auch auf EU-Ebene, im vergangenen Jahrzehnt verstärkt eine österreichische, europäische und westliche "Identität" vorangetrieben. Vor allem durch die Konstruktion von ethnisierten "AusländerInnen" scheint das auch zu gelingen. Es ist immer der Türke, Serbe, Rumäne, Nigerianer, der ein Verbrechen begangen hat, um ein Beispiel aus der alltäglichen medialen Praxis zu erwähnen. Die antirassistische MigrantInnenszene antwortet darauf mit der Forderung nach gleichen Rechten für alle. Dies besagt vor allem, dass eine Abweichung von der nationalstaatlichen Norm kein Grund ist, jemandem die vollständige Teilhabe an der Gesellschaft zu verweigern.

Im Fall der MigrantInnen heißt das: Die Handhabe von Staatsbürgerschaft kann nicht ein Grund sein, um sie zu diskriminieren, wie das in den vergangenen Jahrzehnten der Fall war. Es ist die Forderung nach Inklusion in die Gesellschaft, die hier an Terrain gewinnt. Einerseits also Inklusion innerhalb des Bestehenden, andererseits aber auch eine Forderung nach dessen Erweiterung durch die Aufgabe der rassistischen Praxen, wie sie begründet sind in den ideologischen Ausschließungstechniken des Nationalstaats. Wenn jemand ohne Staatsbürgerschaft die gleichen Rechte wie StaatsbürgerInnen bekommt, dann ändert sich unter anderem der Begriff der Staatsbürgerschaft. Das ist eine Forderung nach einem "Wir", wobei es zu fragen gilt, ob dieses "Wir" unter diesen Voraussetzungen noch etwas anderes als ein symbolisches Zugeständnis ist.

Was das Recht betrifft, befinden wir uns in einer Situation, in der diese Forderungen möglich sind. Universalistische Forderungen sind mit dem Diskurs der Menschenrechte möglich geworden, und es steht dem nichts im Wege, diesen einmal angefangenen Weg durch weitere Rechte vertiefend zu verfolgen. Die Teilhabe an der Gesellschaft, in der jemand lebt, ist nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 eine der wesentlichen Voraussetzungen für das menschliche Wohlergehen, daher muss sozial eine vollständige Partizipation in allen Bereichen ermöglicht werden.

Die Rechtsansprüche zu formulieren, heißt im Fall der MigrantInnen, ihre eigene Inklusion zu betreiben. Die Frage, wer dazugehört, wird damit von neuem aufgerollt und führt im Feld des Politischen unter anderem zum Legitimitätsverlust für jene, die sich der Erweiterung der Teilhabe entgegenstellen. Die gängigen Mechanismen der Verschleierung werden zunehmend zerbrechen, und es wird irgendwann der Moment kommen, in dem es zu einer Entscheidung kommen muss: entweder für die "nackte Gewalt", wie Bertrand Russell den Zustand des unverhüllten Zwangs in einer Gesellschaft beschreibt (wo eine Gruppe offensichtlich die andere unterdrückt), die zur Totalisierung der ganzen Gesellschaft führt, oder für die Inklusion der AnwärterInnen auf die Rechte und vor allem auf Schutz und Sicherheit (Russell 2001, S.74). Kurz, das politische Gemeinwesen erweitert sich permanent durch die ständige Neudefinierung der Dazugehörigkeit und im Anschluss daran auch durch einen neuen Ausschluss. Mit diesem Widerspruch müssen wir innerhalb des politischen Feldes leben.

Eine diesbezüglich relevante Ebene ist der Bereich des rechtlich-theoretischen Universalismus, um den herum die Forderungen der Ausgeschlossenen immer wieder formuliert werden; die andere Ebene ist die der konkreten Wirkungen der politischen, ökonomischen, kulturellen, sozialen usw. Inklusion und Exklusion.

Was heißt also in diesem Zusammenhang eine Politik der Erkämpfung gleicher Rechte für Alle? Und wie können in diesem Zusammenhang die Erfahrungen der Inklusion und die der nachfolgenden Exklusion - oder der Bestärkung schon bestehender Ausschließungen - der Anderen bedacht werden?

Rechte sind nur Regeln. Sie sind blind, sie können "diesem oder jenem dienen; sie können diesem oder jenem unterworfen werden." (Foucault 1974, S.95). Die Frage ist nur, wer sich dieser Regeln bemächtigt, um aus ihnen einen Nutzen zu ziehen. In der Moderne haben die Rechtsregeln sowohl der Emanzipation als auch der Schaffung von Privilegien (innerhalb eines Diskurses der formalen Gleichheit) gedient. Sie schützen gegen die Machtwillkür und begründen diese Macht gleichzeitig, indem sie die dominanten Mächte naturalisieren.

Die Frage, die sich fast zwangsläufig aufdrängt, ist die nach einem Ausweg aus dieser Situation. Zunächst möchte ich aber skizzieren, um welche Rechte es bei der oben genannten Forderung überhaupt geht. Die rechtspolitischen Kämpfe, die die Forderung nach Gleichheit ohne Einschränkung nach sich zogen, haben als wichtige Komponente der antirassistischen Bewegung in Österreich eine lange Vorgeschichte. Sie führen mehrere Strömungen des Antirassismus zusammen, es entsteht auf dieser Ebene zum ersten Mal eine breitere Koalition dieser Oppositionsbewegungen.

Dabei denke ich an die NGOs, die Jahrzehnte lang mittels Berufungen und unter Ausschöpfung des Rechtswegs in einem Rechtsstaat, Missbrauch und Kaltschnäuzigkeit der Verwaltungen im Asylwesen und auf der allgemeinen Ebene des Aufenthalts zurückgedrängt haben. Die "Überfremdungsbescheide" des ehemaligen Leiters der Wiener Aufenthaltsbehörde, Herrn Sokop, um ein Beispiel zu erwähnen, sind uns allen in Erinnerung geblieben, weil sie von diesen politisch denkenden Menschen bekämpft und in die Öffentlichkeit gebracht wurden.

Weiters sind da die linksliberalen, ehemals moralisch-antirassistischen NGOs, denen im Zuge der theoretischen Auseinandersetzungen mit den Formen des Protests gegen die neue rechte Regierung in Österreich klar geworden ist, dass sie jahrzehntelang der alten Regierung als Feigenblatt gedient haben, und die jetzt diese Rolle nicht mehr ohne Widerspruch von außen, aber auch von innerhalb der Organisationen selbst erfüllen können.

Als dritte Gruppe möchte ich die Defensivorganisationen der MigrantInnen erwähnen, die einen Teil der soziopolitischen Netzwerke ausmachen und mittels Gefolgschafts- und Lobbypolitik einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zur Erhaltung, Stabilisierung und Weiterführung der migrantischen Communities leisten. Ihnen ist zu verdanken, dass die Zahl der MigrantInnen in Österreich seit 1991 um 215.549 gestiegen ist.

Und als vierte Gruppe in dieser unvollständigen Aufzählung möchte ich die neueren partizipationsorientierten Selbstorganisationen der MigrantInnen erwähnen, die sich einem politischen Antirassismus verschrieben und wesentlich zur Radikalisierung der Forderungen beigetragen haben. Alle diese politischen Gruppen begreifen die rechtspolitischen Kämpfe als ein bedeutendes Mittel, um die Idee der Gleichheit durchzusetzen. Die Rechte werden hier als ein symbolischer Eintritt in die Gesellschaft begriffen.

Es sind Bestrebungen nach Respekt, nach Integrität, nach Legitimität, nach Autonomie, nach Sichtbarkeit und vielleicht am Wichtigsten nach Sicherheit, die sich die MigrantInnen von den zu gewinnenden Rechten erwarten. Um diese Rechte wird gleich auf mehreren Ebenen gekämpft: Zunächst ist das die Forderung nach Wohnbürgerschaft, die so etwas wie Gleichstellung auf politischer, sozialer, wirtschaftlicher, kultureller usw. Ebene bedeutet. Innerhalb dieser Forderung existieren mehrere Kampflinien.

Als erste dieser Linien zeichnet sich die Forderung nach sozialen und politischen Rechten ab. Soziale Rechte sind eine der Voraussetzungen, um politische Rechte wahrzunehmen. In Österreich können wir, solange die Verwaltung mittels des "Ausländerbeschäftigungsgesetzes" eine der direktesten Formen des rassistischen Ausschlusses in Europa betreibt, nur von einer begrenzten Mobilisierungsmöglichkeit der MigrantInnen der ersten Generation sprechen. Trotzdem können wir die zwei Rechtsbereiche nicht trennen, weil sie sich gegenseitig bedingen. Gleichberechtigung auf der sozialen Ebene würde sehr schnell zum Kampf um politische Rechte führen und umgekehrt. Solange ein Drittel der MigrantInnen in Wien, also 6% der Wiener Bevölkerung, im Reinigungsgewerbe arbeitet, mit zwei Schichten täglich von 5 bis 10 Uhr und am Nachmittag wieder von 16 bis 20 Uhr, mit selbstverständlich mehrstündigen Anreisen, weil sich die Reinigungsplätze in mehreren Stadteilen befinden, haben die Menschen einfach keine Zeit, über Auswege nachzudenken. Ihr Leben ist ein Überleben. Darum hat die in Wien befindliche, österreichweit größte Versammlung der MigrantInnen, die Integrationskonferenz, schon bei ihrer Versammlung im Dezember 2000 einen Antrag zur Abschaffung dieses Gesetzes mit 100% Zustimmung angenommen. Es handelt sich nicht nur um das Gesetz, seine Folgen sind aber so drastisch, dass wir genau da das Herz des gesetzlich legitimierten Rassismus in Österreich orten können.

Die MigrantInnen haben in keiner gesellschaftlichen Sphäre Entscheidungsbefugnis. Den Kampf im Bereich der sozialen Rechte führen seit der Ära Minister Dallingers, seit Mitte der achtziger Jahre, viele beratende und betreuende Einrichtungen österreichweit. Allerdings ist hier zu bemerken, dass mit der einsetzenden Professionalisierung dieser Einrichtungen seitens der Geldgeber auch eine Entpolitisierung aufgezwungen wurde. Damit sind sie jetzt, nachdem endlich eine hohe Fachkenntnis erreicht wurde und das Wissen über das hyperkomplizierte Gesetzeswerk genannt "Ausländergesetzgebung" systematisiert wurde, in einer paradoxen Lage: Sie werden seit einiger Zeit systematisch abgebaut, ohne dass sie einen nennenswerten Widerstand dagegen leisten. Symptomatisch für diese Situation ist die Lage der "Ausländerberatungsstellen", die seit Mitte der neunziger Jahre jedes Jahr sowohl personell als auch aufgabenmäßig beschnitten werden.

Der Kampf um die sozialen Rechte wird aber zunehmend von den MigrantInnen selber übernommen. Viele können jetzt die Sprache, mit der sie zurückschlagen und sich verteidigen können, die Zweite und folgende Generationen beherrschen inzwischen auch das systemische Wissen, es sind ihre Medien, die sie mit allen relevanten Informationen bezüglich der Ereignisse, Gesetzesänderungen, politischer Bewegungen usw. im Aufnahmeland informieren, und sie kennen nach wie vor alle die kleinen und großen Gesetzeslücken, durch die sie schlüpfen können. Diesen Kampf um soziale Rechte führen die MigrantInnen im Rahmen ihrer persönlichen Möglichkeiten, aber auch ihrer Selbstorganisationen, unabhängig davon, ob es sich um Defensivorganisationen oder um partizipationsorientierte handelt.

Als zweite Kampflinie ist die Forderung nach Antidiskriminierungsregelungen anzuführen; eine Forderung nach Regelungen, die einen Schutz vor Diskriminierung in den Bereichen Arbeit, Wohnen, Kultur, Bildung, Verwaltung, Sprache usw. fordert. Diese Forderungen richten sich an den Staat als Beschützer derjenigen, die innerhalb seines Territoriums leben. Der Staat soll hier Vermittlung übernehmen und den diskriminierten Bevölkerungsteilen, die aus dieser Diskriminierung einen Ausweg suchen, zu ihrem Recht verhelfen. Es existiert auch schon eine Vorlage für ein Antidiskriminierungsgesetz in Österreich, allerdings mit einem Schönheitsfehler: Es bezieht sich nur auf individuelle persönliche Diskriminierungen und nimmt den Hauptschuldigen für die Diskriminierung der MigrantInnen in Österreich, nämlich den Staat selber, kaum ins Visier.

Wie soll es auch, wie soll ein Staat gegen sich selbst prozessieren, werden Sie fragen. Und genau da liegt der Punkt: Will ein Staat für sich den Anspruch erheben, demokratisch zu sein, dann muss er im Stande sein, auch sich selbst anzuklagen und dort, wo es undemokratische Praktiken gibt, diese aufgeben. Ist das nicht der Fall, dann können wir nicht behaupten, in einer Demokratie zu leben. Für 9,1% der Bevölkerung ist somit Österreich kein demokratischer Staat. Die gesetzliche Ordnung kann für MigrantInnen keine Legitimität besitzen, weil sie nur AdressatInnen und keine AutorInnen des Rechts sind.

Hier wackelt eine Säule der staatlichen Souveränität. Um eine Änderung auf Verfassungsebene zu erreichen, um zumindest diese allgemeinen Voraussetzungen der Rechtsstaatlichkeit in Österreich zu erreichen, hat sich die Plattform "ÖsterREICH für alle GLEICH" gebildet. Sie fordert eine Änderung von Artikel 7 der österreichischen Bundesverfassung von "Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich" zu "Alle Menschen, die in Österreich leben, sind vor dem Gesetz gleich" mit dem Zusatz: "Das Handeln aller staatlichen Organe soll von dem Streben nach Gleichstellung aller Menschen unter Einbeziehung ihrer besonderen Bedürfnisse getragen werden."

Erst wenn die Forderung nach Schutz vor jeglicher Form der Diskriminierung, unabhängig ob individuell, kollektiv, staatlich oder persönlich erfüllt ist, kann es glaubwürdig darum gehen, dass der Staat seine Legitimation als Beschützer aller WohnbürgerInnen, aller innerhalb eines bestimmten Territoriums wohnenden Menschen, zurückerhält. Es müssen all die Instanzen beseitigt werden, die ein ökonomisches, soziales, kulturelles, berufliches usw. Leben ohne Vorurteile und diskriminierende Handlungen verhindern. Zugegebenermaßen ein langer Weg, aber ein möglicher.

Weiters zeichnet sich eine dritte Kampflinie ab, die vor allem von NGOs im Bereich des Asylwesens jahrzehntelang unterschwellig verfolgt wurde und sehr zur Vermehrung des Wissens über die Praxis der sogenannten Fremdenpolizei, sowohl im Asylwesen als auch auf allen anderen Verwaltungsebenen, geführt hat. Es handelt sich um die Forderung nach einer Entkriminalisierung, und zwar sowohl der MigrantInnen mit Papieren als auch derjenigen, die diese nicht haben, sowohl der AsylwerberInnen insgesamt als auch von einzelnen Gruppen unter ihnen, die je nach geopolitischer Lage gerne als Drogendealer, Frauenverkäufer, Schlepper oder nach dem 11. September 2001 als "Schläfer" und Agenten dargestellt werden. Und es ist eine Forderung nach Entkriminalisierung der einzelnen Gruppen unter den MigrantInnen, deren Kriminalisierung teilweise sehr erfolgreich inszeniert wurde, um von anderen Repressionen in diesem Bereich abzulenken. Ein Beispiel, das zu einer regen Politisierung der MigrantInnenszene geführt hat, ist der Mord an Markus Omofuma. Um die Folgen für sein Amt zu mildern und gleichzeitig neuere Abhörmethoden zu testen, inszenierte der damalige sozialdemokratische Innenminister Schlögl die "Operation Spring".

In diesem Bereich des Kampfes um die Entkriminalisierung reichen die Kämpfe von Beratung und Betreuung der AsylwerberInnen, Medienkampagnen wie "Kein Mensch ist illegal", Gefängnisbesuchen von organisierten basisdemokratischen SozialarbeiterInnengruppen, der Arbeit hoch politisierter Organisationen wie der "Plattform für eine Welt ohne Rassismus" bis zum konkreten Sichtbarwerden wie bei der Demonstration der "Black Community" anlässlich des Todes von Markus Omofuma. Eine Bewegung ähnlich der "Sans Papiers" in Frankreich, der Schweiz oder in Spanien gibt es in Österreich nicht, weil ein starker zivilgesellschaftlicher Schutz in der Form einer nicht protektionistischen Gewerkschaft fehlt. Was die Rolle des Staates in diesem Zusammenhang betrifft, geht es vor allem darum, dass sich dieser mit allen seinen Mechanismen einer Handlung enthält. Der Staat ist derjenige, der kriminalisiert, und eine Entkriminalisierung würde dementsprechend heißen, dass der Staat bestimmte Handlungen unterlässt.

Eine vierte Kampflinie ist die Forderung nach rechtlicher Anerkennung. Diese Forderung ist im Zusatz der oben genannten Kampagne "ÖsterREICH für alle GLEICH" enthalten. Es ist eine Forderung nach Absicherung in der Differenz. Dieser beinhaltet das Kleidungsrecht, das Recht, die Lebensmittel nach eigenem Brauch zu bereiten, das Recht, die eigene Kultur, die eigene Sprache zu pflegen und zu entwickeln, usw. Auch hier ist der Adressat der Forderung der Staat, und von ihm wird genau wie bei der Forderung nach Antidiskriminierung eine beschützende Rolle erwartet, will er die Legitimität für sich behalten oder durchsetzen. Hier aber, im Unterschied zu den Forderungen nach Antidiskriminierung, von der Gruppen betroffen sind, befinden wir uns auf einer individuellen Ebene. Jede/r muss das Recht haben zu entscheiden, ob er oder sie sich bestimmten Regelungen unterwirft, und der Staat muss eine Garantie abliefern, dass diese Entscheidungen durch nichts von anderen Entscheidungen anderer Menschen zu unterscheiden sind. Es sind nicht Rechte für eine Gruppe gemeint, sondern für alle Mitglieder der Gesellschaft. Jede/r soll das Recht haben, einen Tschador zu tragen, unabhängig davon ob er/sie nationalstaatlich als ÖsterreicherIn, TürkIn, SerbIn, oder anders definiert wird. Hier wird die allgemeine Gleichheitsidee um ihrer selbst willen neuformuliert.

Die Forderung nach der Verschiedenartigkeit, nach Abweichungen und Ungleichheiten haben eine Funktion, sie verfolgen ein Ziel, nämlich die Erreichung der Gleichstellung innerhalb eines tatsächlichen sozialen, politischen, ökonomischen, beruflichen usw. Alltags. Es ist die Idee der positiven Diskriminierung, die sich mit der oben zitierten Textpassage der Kampagne "ÖsterREICH für alle GLEICH" verbreitet. Hier soll eine Vertragstauglichkeit für jene hergestellt werden, denen die Verträge bis jetzt nur aufoktroyiert wurden, und zwar mit der Forderung nach Entschädigung für das erlittene Unrecht. Egal wie ein Individuum handelt, wenn er/sie durch seine/ihre Handlung die Rechte der Autonomie und Freiheit anderer Individuen nicht verletzt, dann muss seine/ihre rechtliche Anerkennung garantiert sein. Wenn das nicht der Fall ist, dann muss auch klar sein, dass der Staat nur für diejenigen eine Legitimität besitzt, die er schützt. Für die Anderen hat er die "nackte Gewalt" als Mittel, um seine Macht durchzusetzen.

Die Anerkennungsrechte verleihen Selbstwertgefühl und Würde, deswegen werden sie auch von politischen TheoretikerInnen oder von partizipationsorientierten MigrantInnenorganisationen vehement verlangt. Die Rechte, die auf soziopolitische Partizipation, Antidiskriminierung, Entkriminalisierung und Anerkennung hinauslaufen, werden gefordert, weil sie die Souveränität des Einzelnen stärken und alle Hemmnisse der vollen Zugehörigkeit zur Gesellschaft beseitigen. Vor allem signalisieren sie für die gesellschaftliche Mehrheit, die jetzigen StaatsbürgerInnen, dass bestimmte Praktiken nicht legitim sind.

Was ist es also, das alle diese Kampflinien vereint? Es ist die Forderung nach Beseitigung des Ausschließungszwangs, auf dass alle Menschen gemäß ihren Vorstellungen leben können. Es ist jede und jeder, der/die hier gemeint ist, und in diesem Punkt wird das enge Korsett der Identitätspolitik verlassen. Ein Ergebnis dieser Überwindung sind neu entstandene Koalitionsmöglichkeiten unter den oben erwähnten Gruppen, aber auch außerhalb des Spektrums des direkten Antirassismus, wie zum Beispiel die Wiener Wahl Partie, innerhalb derer die politisierte Künstlerschaft, die Kulturszene, die Szene, die eine "minoritäre Allianz" der Minderheiten fordert, die niedrigschwelligen sozialarbeiterischen Jugendeinrichtungen und die politische antirassistische Szene sehr erfolgreich zusammenarbeiteten.
Die Forderung nach Inklusion "für Alle" hat Konsequenzen, deren Erfüllung innerhalb nationalstaatlicher Grenzen nicht mehr denkbar ist. Allein die zentrale Forderung, die in der Ablehnung von Exklusion besteht, zieht die Revolution des gesamten Systems nach sich, das von seiner Definition her nicht anders funktionieren kann, als ununterbrochen die Anderen, die Nicht-dazu-Gehörenden zu konstruieren. In diesem Sinne können wir hier auch von einer Überwindung der BürgerInnen sprechen, allerdings nicht im Sinne der privilegierten Global Player, der Hyperbourgeoisie, sondern im Sinne der Gleichstellung in einer für jede und jeden zugänglichen und ermöglichenden Freiheit. Diese sich überlappenden, einander ergänzenden Inhalte der Gleichheit aller einerseits und der Freiheit, die von Einzelnen als Freiheit zur Freiheit in Anspruch genommen wird, markieren die Eckpunkte des Begriffsinhaltes von Égaliberté. Die Gleichheit garantiert sozusagen die Freiheit, und diese sorgt für die Dynamik innerhalb der Beziehung.

Das ist der Punkt, den Oliver Marchart in seinem, abgesehen vom Lobgesang an die bekannte revisionistische Theoretikerin, sehr treffsicheren Artikel in den letzten Kulturrissen übersieht, in dem er auf den Nationalstaat als politische Agitationsebene zurückgreift und die antirassistische Szene in Österreich kritisiert. Abgesehen davon, dass wir, wie oben geschildert, von antirassistischen Politiken und nicht von einer Politik reden können, übersieht Marchart, dass der Nationalstaat in der bestehenden Form eine Agitationsebene ist, aber eben nur um ihn - der in keiner anderen Form als der des Ausschlusses funktionieren kann - zu überwinden. Er verwechselt einfach die Ebene des Kampfes mit der des Zieles. Die eigene Bequemlichkeit projiziert Marchart zwecks Vereinfachung und theoretischer Distanz zum anvisierten Ziel in die antirassistische Szene als eine superbequeme Lösung des Sich-die-Hände-nicht-schmutzig-Machens, die seiner Meinung nach diese charakterisiert.

Am Ende hört sich das, was er schreibt, trotz der andauernd verwendeten Kann-Wörter wie eine Kritik an verträumten Internationalisten an, die verblendet langsam im Sumpf des Nationalstaates untergehen. Einfacher und polemischer geht es nicht. Nicht jede Grenze und jeder Ausschluss ist automatisch rassistisch, wie er der antirassistischen Szene unterstellt, sondern ohne Bekämpfung jeglicher Grenzen und jedweder Ausschlüsse wird es auch keine Überwindung des Rassismus geben. Den Wegen, diese Phänomene infrage zu stellen, entsprechen die diversen politischen Praktiken der antirassistischen Szene in Österreich.

Und dass es da in diesem Geflecht diverse politische Praxen gibt, die auch zu Übereinkünften fähig und dafür zuständig sind, dass es ein Bewusstsein der Aufgabenverteilung geben kann, das ist ein Wissen, das sehr lange nicht ausgesprochen war, und erst in letzter Zeit hochkommt. Eine der Errungenschaften des Widerstands in den letzten zwei Jahren in Österreich ist, dass zum Beispiel so unterschiedliche Einrichtungen wie die "Initiative Minderheiten" mit den viel radikaleren politischen Praxen einer "Plattform für eine Welt ohne Rassismus" leben, zusammenarbeiten und sich ergänzend verhalten können. Die Begrenztheit des möglichen politischen Handelns einer Gruppe wird hier durch die Allianzenbildung innerhalb des bestehenden Systems der antirassistischen Politiken überwunden. Die Lösung, die sich allen anbietet, ist die Parole "Gleiche Rechte für Alle!"; als Orientierungsidee, als neue Utopie oder wie so etwas sonst noch genannt werden kann; aber auch als Forderung, die von zunehmend mehr Menschen getragen wird.

Die sich hier abzeichnende Dialektik ist eine durchaus absichtliche und die Flexibilität, die damit einhergeht, ist Ergebnis jahrelanger Arbeit. Die Suggestion des Rechts, die auch mit der Politik der kleinen Schritte erreichbar ist, wird durch den Zusatz "für Alle!" bekräftigt und gleichsam übersprungen. Innerhalb der Grenzen des Nationalstaates ist die Forderung nach Rechten für alle Menschen unmöglich zu erreichen, denn hier sind nicht "Alle", sondern "Wir" am Werk. Das ist das Paradoxon der neuen antirassistischen Szene in Österreich; allerdings eines, mit dem viele gut politisch kämpfen können. Die Rechte, die mit kleinen Schritten erreichbar sind, werden in dieser paradoxen Perspektivität immer wieder auf ihre soziale Ungleichheit und politische Desintegration hinterfragt. Innerhalb des Nationalstaates ist immer noch die alte Frage im Spiel, wer das Recht auf Rechte hat.

Um am Ende noch einmal Herrn Foucault zu bemühen: auch wenn Recht einer Disziplinierungstechnik und insoweit der Herrschaft dienlich ist, heißt das immer noch nicht, dass wir das pessimistisch denken müssen. Erstens befinden wir uns durch den aufgelegten Modus der Orientierung in einem Bereich des politischen Kampfes, der kein Ende haben kann. Dies heißt, dass innerhalb dessen eine Orientierung passiert, eine Orientierung die sich um die Frage dreht, wofür in einem ganz bestimmten Moment gekämpft wird. Dieses Wofür, die universalistischen Werte der Freiheit und Gleichheit, sind genauso ein Bestandteil des Rechts wie es auch die Funktion des Rechts ist, eine ganz bestimmte Wahrheit zu naturalisieren.

Recht ist eine Politik, es sind die Regeln, derer sich diese oder jene bemächtigen. Die Zerstörung der Illusion der Geradlinigkeit der Rechtsregeln ermöglicht es auch, ohne Illusion zu handeln. Aber indem bestimmte Rechtspraxen erweitert werden, muss uns auch bewusst sein, dass diese als besondere in einem bestimmten gesellschaftlichen Kategoriensystem eingebettet sind und dementsprechend auch etwas ausschließen. Es liegt an uns, ein Verhältnis zu dem anzuknüpfen, was von den Rechtsregeln ausgeschlossen wird, und sich Gedanken zu machen, auf welche Art eine weitere Inklusion politisch zu erzwingen wäre.

Und zweitens begründet Foucault selber ein Recht "gegenüber den Regierungen", in dem die Gemeinschaft sich selbst das Recht gibt, sich einzumischen (Lemke 2001, 275). Die gegenwärtige politische Kritik und der Aktionismus bleiben, weil es kein Außen gibt, auf rechtliche Kategorien und Prinzipien, wie z.B. die Gerechtigkeit eine ist, angewiesen. Dem können wir nicht ausweichen. Sehr wohl lässt sich aber der Gefahr ausweichen, diese nur in engen nationalstaatlichen Grenzen zu denken. Das Recht, das mit der Parole "Gleiche Rechte für Alle!" gefordert wird, folgt den Imperativen der Gleichheit, Freiheit, Gerechtigkeit usw. innerhalb der bestehenden Systeme, verfolgt aber auch die Intention der Schaffung einer Selbstermächtigung, indem das Recht zum "für Alle!"-Fordern in Anspruch genommen wird.

Die MigrantInnen sprechen für sich, sie repräsentieren niemanden sonst. Die Forderungen sind aber nicht Forderungen für die Einzelnen, sondern etwas, das alle angeht. Sie beinhalten etwas Gemeinsames, etwas, das das gesamte Kollektiv, nicht nur das nationalstaatliche, angeht. Das ist die Gewissheit der eigenen, mit anderen vergleichbaren Benachteiligung und der politische Wille, diese zu beheben. Die Radikalität dieser Forderungen ergibt sich nicht aus dem theoretischen Konstrukt, sondern ist auf dem Boden der praktischen Erfahrungen gewachsen. Genau das konstituiert den Moment der Unausweichlichkeit und Verständlichkeit für alle. Ein neues Machtprinzip ist hier im Entstehen, eine eigene "kreative Kraft", die aus der Bekräftigung der Identität über diese hinauswächst zu einem neuen Rechtsverständnis. In diesem Sinne ist eine "Opposition ohne Land" eine im Gesellschaftssystem - ob in Nationalstaaten oder nicht - tief verwurzelte, die dieses System kennt und als sein Bestandteil agiert.

Ljubomir Bratic ist Bundessprecher von Austrian Network Against Racism (ANAR).

 

Literatur:

Russell, Betrand (2001): Macht, Hamburg/Köln.

Ewald, Francois (Dezember 1994): Recht, Systeme und Strategien. Verantwortung für die Menschenrechte. In: TÜTE. Zur Aktualität Michel Foucaults. Wissen und Macht. Die Krise des Regierens. Tübingen, 68-73.

Foucault, Michel (1974): Von der Subversion des Wissens, München.

Lemke, Thomas (September 2001): "Freiheit ist die Garantie der Freiheit". Michel Foucault und die Menschenrechte. In: vorgänge 155 Heft 3, 270-276.