Plädoyer fürs unbezahlbare Tätigsein
Wohl bewusst, dass aktuelle sozialtheoretische Diagnosen ehrenamtliche Arbeit im Verhältnis zu Prekarität, Erwerbsarbeitslosigkeit und un- bzw. unterbezahlter Produktivität besonders von Frauen kritisch betrachten, möchte ich in einer ersten Skizze affirmative Aspekte zur Diskussion stellen. Seit Jahrzehnten „fröne“ ich unbezahlter politischer Arbeit und damit ist jener Teil feministischer Politiken gefasst, der auf weibliche Autonomie, Kritik am männerdominierten und kapitalistischen System, strukturelle Veränderungen, den Kampf für die Rechte aller Minderheiten, Bezugnahmen unter Frauen und subversiven Widerstand gesetzt hat.
Wohl bewusst, dass aktuelle sozialtheoretische Diagnosen ehrenamtliche Arbeit im Verhältnis zu Prekarität, Erwerbsarbeitslosigkeit und un- bzw. unterbezahlter Produktivität besonders von Frauen kritisch betrachten, möchte ich in einer ersten Skizze affirmative Aspekte zur Diskussion stellen. Seit Jahrzehnten „fröne“ ich unbezahlter politischer Arbeit und damit ist jener Teil feministischer Politiken gefasst, der auf weibliche Autonomie, Kritik am männerdominierten und kapitalistischen System, strukturelle Veränderungen, den Kampf für die Rechte aller Minderheiten, Bezugnahmen unter Frauen und subversiven Widerstand gesetzt hat. Das wird selten – manchmal erstaunt – anerkennend gelobt und eher mit kopfschüttelnder Ignoranz oder einem milden Lächeln quittiert. Also wenig „Ehr“ und „Amt“ auch keines.
Professionalisierungen
Kurz erinnernd: Zu Beginn der zweiten Frauenbewegung engagierten sich Feministinnen vorbehaltlos und ohne pekuniäre Sicherungen in (und für zu erfindende) Frauenkontexte(n). Doch dies wurde bald umstrittener Weise in Bahnen staatlicher Frauenpolitik und in Berufsfeminismen gelenkt, ohne jedoch darin aufzugehen, denn diese Entwicklung ging quer zum Aufbau von Frauenräumen (wie -buchhandlung, -zentrum, -haus, -beratung). Doch mit der Zeit wurde aus den selbstorganisierten antihierarchischen politisch motivierten und last but not least selbstausbeutenden Projekten zum Großteil Sozialarbeit mit zu bezahlenden Mitarbeiterinnen: von der Mitstreiterin zur Kollegin, vom Kollektiv zum Team. Die Dialektik von hier Emanzipation und der Notwendigkeit, sich ökonomisch selbst zu erhalten (linksfeministisch: Unabhängigkeit durch Erwerbsarbeit) und dort Einpassung in die Arbeits- und Kapitallogik mit Anpassung an Vorgaben der fördernden Institutionen sowie auch die nicht zu unterschlagenen Wünsche nach bürgerlichen Lebensumständen und deren warenförmigen Verpflichtungen, transformierte politische Berufung zu femi-sozialen und akademischen Berufen. Professionalisierung wurde zum Schlagwort erfolgreicher Sozial-, Team- und Organisationsmanagements der jeweiligen „Selbst-“Institutionalisierung. In dieser Phase zeichnete sich bereits die Tendenz zur Disziplinierung und Ökonomisierung der Frauenprojekte ab. Inzwischen sind wir im Neoliberalismus mit seinen schizophrenen Anforderungen angekommen: Qualitätsstandardisierung der Projekte, Selbstoptimierung der Individuen auf der einen und freiwillige (Bürger)Dienste, unbezahlte Praktika, prekäre Jobverhältnisse auf der anderen Seite. Schlagworte wie Struktur-, Prozess- und Ergebniseffektivität sind Symptom und Manifestation einer Ideologie, die sich als solche nicht reflektiert und daher alles, was ihrer ökonomischen Rationalität nicht entspricht, als irrealistisch abtut. Ethische, politische oder gar feministische Wertvorstellungen, Eigensinn und Gestaltungsraum werden durch Effizienzkriterien ersetzt. Und eine der wesentlichen Maximen der Frauenbewegung – die Selbstbestimmung – wurde enteignet und zur Kategorie des neoliberalen Selbst, dem es um die Optimierung seiner Kompetenzen geht, degeneriert.
Regulierungen
Das lässt sich als die Wendung vom Subjekt (das Unterlegene) zum Individuum (das Unteilbare) zusammenfassen. Skizziert in der Perspektive der Gouvernementalität (nach Foucault) stellt die Neoliberalisierung die Durchsetzung einer Regulierungsform dar, die nur unter dem Aspekt des Profits regiert und dies in eine Sprache der Selbstverwirklichung gegossen hat: die Selbst/Produktion einer Subjektivität, die sich „freiwillig“ an Regierungsziele anschließt. Durch erwartete Hyperproduktivität wird man sich selbst zum Instrument seiner Selbst/Kontrolle; jede ist selbst Schuld, wenn es ihr an Autonomie, Initiative, Flexibilität, Mobilität mangelt. Arbeit an sich selbst ist dabei vorausgesetzt und wird identisch mit „training for the job“. Es lässt sich heute sozusagen die „Autonomie“ nicht verweigern. Im Gegenteil, es wird einer Selbstverwirklichung gefrönt, die Distinktion zur Voraussetzung und zum Ziel hat.
Begriffe wie „Entfremdung“, „Solidarität“, „Ausbeutung“, „Unterdrückung“, „Verdinglichung“ – sie sind der Option einer permanenten Selbstverbesserung gewichen. Dieses Menschenbild wirkt sich massiv auf die Geschlechterfrage aus. Wo strukturelle Über- und Unterlegenheiten negiert und eine ins Individuum verlegte Zuständigkeit regiert, da scheint auch die Geschlechterproblematik keine mehr zu sein. Die Forderung nach steigernder Professionalisierung durch life-long-learning und -coaching dient dem Leitbild der Karriere als Lebenserfüllung. Wer da nicht mitspielen kann, bzw. sich diesem Lebensentwurf nicht nur unterordnen will sowie von den gesellschaftlichen Anerkennungsritualen emotional nicht maßlos abhängig ist, hat gerade bei jenen, die „es geschafft“ haben, kaum Prestige. Es wird nicht mehr differenziert zwischen der Selbstüberlassenheit eben freiwillig das zu tun, was auferlegt wird und einem voluntary working (der Begriff Ehrenamt scheint nur im Deutschen zu existieren), welches das vorherrschende Arbeitsverständnis nicht als einzige Motivationslogik zum Tätigwerden akzeptiert.
Rationalitäten
Ein für diesen Zusammenhang treffendes Zitat über die Zwieschlächtigkeit des Arbeitsbegriffs stammt von Karl Marx. „Die englische Sprache hat den Vorzug, zwei verschiedene Worte für diese zwei verschiedenen Aspekte der Arbeit zu haben. Die Arbeit, die Gebrauchswerte schafft und qualitativ bestimmt ist, heißt work, im Gegensatz zu labour; die Arbeit, die Wert schafft und nur quantitativ gemessen wird, heißt labour im Gegensatz zu work.“ (MEW 23, S. 61) Er verbindet den „Doppelcharakter“ von Arbeit jeweils mit dem Begriff der Verausgabung: Der abstrakte allgemeine Aspekt produziert den Waren- und Tauschwert und ist damit quantitativ; der konkrete nützliche Aspekt schafft Gebrauchswerte und ist damit qualitativ. Die Jetztzeit hingegen suggeriert Qualitätswachstum dort, wo es durch Management und Standardisierung um Quantitätsoptimierung geht.
Ein System, dem es um die Wahrung privater Bereicherung geht, erträgt prinzipiell jenen Aspekt von Lebendigkeit, der Verlust heißt, nicht. Verausgabung wird nur honoriert als Leistungsausschüttungsgarantie, die sich lohnt. Die unproduktive Perspektive der Verausgabung, die Verschwendung von Zeit, Materialien und Energien ohne Kalkül, ohne Tauschverhältnis und in einem Selbstverschleiß, der nicht als Mittel der Produktion verwendbar ist, also nicht mehr in die ökonomische Rationalität eingebunden werden kann, scheint heute undenkbar geworden. Feste, Kunst und Luxuskonsum waren (nach Georges Bataille) Formen der Verschwendung von Reichtümern, d. h. keine zweckgebundene Produktion. Dem homogenen System arbeitsteiliger Produktion sowie der Reinvestierung von Mehrwert in die weitere Reichtumsproduktion steht eine heterogene Souveränität gegenüber, die ihren Überfluss ekstatisch verausgabt.
Hingegen wird heute eine work-life-balance angepriesen, die keine überflüssige Zeit mehr zulässt; die Einzelnen müssen sich nicht nur fragen, welche Aufgaben sie in der Arbeitszeit optimal erfüllen, sondern auch, welche sie in der Freizeit effizient erledigen „wollen“. Der Topos der Verschwendung ist in der Topologie ununterbrochener Verwendbarkeit von „human ressources“ verschwunden.
Unbezahlbarkeiten
Eine Möglichkeit dieser „Rationalität“ sinnvoll zu entkommen – und das ist meine These – ist es, sich in unbezahlter politischer Arbeit zu verausgaben. Und dies nicht nur – wie gemeinhin – als Selbstausbeutung zu charakterisieren. Nach Hannah Arendt ist die Politik zu einem Job wie jeder andere verkommen. Bekanntlich kritisierte sie die Verherrlichung der Arbeit in unserer Kultur. In ihrer Differenzierung der menschlichen Tätigkeiten in Arbeit – Herstellen – Handeln, verweist sie die Arbeit in den Bereich der Notwendigkeit, also in die Unbedingtheit des Überlebens, um nicht, wie wir es (abendländisch kontaminiert) gewohnt sind, Arbeitsauffüllung mit Lebenssinn zu verwechseln. Durch den Sieg des „animal laborans“ in Kombination mit dem „homo faber“ brauchen wir unsere Zeit im Produzieren auf, um sie dann im Konsum zu verbrauchen. Diese Form der Selbstbezogenheit führt zur Weltentfremdung, denn der politischen Freiheit, im und durchs Handeln Welt mitzugestalten, wird die Freiheit des Privatmenschen vorgezogen. Und dadurch sind wir in radikaler Weise der öffentlich-politischen Dimension unserer Existenz beraubt. Die freiwillige und in diesem Sinn unbezahlbare Tätigkeit hingegen hebt sich als Arbeit auf und wird zum gemeinsamen, also pluralen Handeln. Politisch Tätigsein in dieser Bedeutung geht nicht von der planbaren Herstellbarkeit von Perfektion aus; sie entbehrt jeder Zweckrationalität, sie ist sich selbst Zweck.
In diesem Zusammenhang lässt sich die ekstatische Verausgabung (Bataille) vergleichen mit diesem ex-zentrischen Politikverständnis des zweckfreien Handelns – das nicht bezogen ist auf die individuelle Selbstheit, sondern auf das Sprechen und Tun der sich gegenseitig Fremden als Bezogenheit auf öffentliche gemeinsame Belange. Diese Art der Selbstlosigkeit – im Unterschied zur heute erforderten Selbststeigerung – mag luxuriös wirken („Wer es sich eben leisten könne, unentgeltlich Zeit zu investieren“, ist ein wiederholter Einwurf). Aber es braucht keinen materiellen Reichtum, um das scheinbar Überflüssige – einen anderen Reichtum – wollen zu können. Der mögliche Vorwurf, es würden damit die typische weibliche Selbstausbeutung sowie prekäre Arbeitsverhältnisse prolongiert, trifft dort nicht zu, wo es sich eben nicht um Tausch, sondern um ein sich Verschenken jenseits der Verwertbarkeit handelt. Diese Idealität lässt sich als mise-en-scene einer immanenten Transzendenz begreifen; ein Außerhalbort des Aberglaubens an das Vorgegebene, der deshalb möglich ist, weil wir uns unabhängig vom jeweils bezahlten Arbeitsplatz organisieren können. Freizeit wird nicht konsumiert, sondern tätigt Gestaltung.
Nichtanerkennung von ehrenamtlich getragenen politischen Projekten wäre also deren eigentlicher Nutzen und Reichtum: Gebilde kollektiver Bezugnahmen, Systemdistanzierung und dadurch kritischer Urteilsvermögen.
Anmerkung
Dieser Fassung liegt ein Vortrag gehalten in Rom, Zürich und Innsbruck zu Grunde.
Literatur
Arendt, Hannah (1989): Vita Activa oder Vom tätigen Leben. München/Zürich
Bataille, Georges (1985): Die Aufhebung der Ökonomie. München
Bröckling, Ulrich/Krasmann, Susanne/Lemke, Thomas (2000): Gouvernementalität der Gegenwart. Frankfurt/M.
Marx, Karl (1867): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Bd. I.; zit. aus: Textlog
Birge Krondorfer ist frauenbewegt aktiv, politische Philosophin, „freie“ Universitätslektorin, Autorin, lebt in Wien.