Popmusikerinnen und Ladyfeste. Versuch einer Positionsbestimmung

Diskussionen, wie sie der britische Melody Maker 1991 noch unter der zweifelhaften Schlagzeile "Can Women Do the Rock’n’Roll?" führte, sind mittlerweile obsolet. Denn keine Musikzeitschrift und kein Radio würde es heute noch wagen, so an die Frage nach der Position von Frauen in der Rock- und Popmusik heranzugehen.

Es ist nicht völlig von der Hand zu weisen, dass Frauen im Popbusiness eine zentrale Rolle spielen, die mittlerweile jenseits jener der Vorzeige- und Quotenfrauen angesiedelt ist. Popmusikerinnen wie beispielsweise Madonna verkaufen tonnenweise Tonträger und sind ökonomisch erfolgreich. Christina Aguilera und andere gewinnen Grammys und MTV-Awards, während Tatu mit ihrer Show die lesbische Erotik evozieren und damit auch einen typisch männlich kodierten Voyeurismus bedienen, der bereits für hitzige Diskussionen in der Mainstream-Presse und in Indie-Fanzines sorgte. Selbst in den allgemeinen Charts so mancher Musikzeitschriften werden Künstlerinnen wie Peaches, Beyoncé Knowles oder Missy Elliott gefeiert. Thomas Venker, Chefredakteur des deutschen Musikmagazins Intro, nennt in seinem Buch Ignoranz und Inszenierung. Schreiben über Pop (Ventil Verlag 2003) den "Popfeminismus" das "letzte gute Gewissen des Popjournalismus". Da sollen wir dann mal ganz schnell zufrieden sein, dass wir eines von vier Kapiteln ganz für uns bekommen. Wenn dann in der Dezember-Ausgabe 2003 des deutschen Rockmagazins Visions gar keine Frauen vorkommen – auch nicht auf der beigelegten CD – mag das fast als Marginalie erscheinen. Denn schließlich hat Visions eine Redakteurin und einige freie Mitarbeiterinnen im Team. Also Schwamm drüber, oder?

Diskussionen, wie sie der britische Melody Maker 1991 noch unter der zweifelhaften Schlagzeile "Can Women Do the Rock’n’Roll?" führte, sind mittlerweile obsolet. Denn keine Musikzeitschrift und kein Radio würde es heute noch wagen, so an die Frage nach der Position von Frauen in der Rock- und Popmusik heranzugehen. Die Mechanismen haben sich verändert und sind subtiler geworden. Dennoch stimmt es mich nachdenklich, wenn ich im Winter 2003 im Internet-LeserInnenforum der Zeitschrift Intro derselben Frage begegne, die ich mir bereits 1989 stellte, als ich auf die Suche nach Musikerinnen ging: "Hey, ich suche feministische Musik oder aber auch nur gute Musik von Frauen. [...] Vor allem bei krachiger Gitarrenmusik finde ich es gar nicht so einfach, gute Bands zu finden." Eine ähnliche Frage von FM4-Sumpf-Redakteur Fritz Ostermayer ist mir gleichfalls im Ohr. In einer seiner Sendungen, in der Expertinnen zum Thema Frauen, Musik und Popkultur zu Wort kamen, fragte er, ob es aus Musikerinnen bestehende Rockbands gäbe, die wenigstens ungefähr so lange zusammen spielten wie die Rolling Stones.

Ein schwieriges Thema, denn auch die alternativ erscheinende Popkultur, egal ob im Indie- oder im Mainstream-Bereich, ist nicht frei von gewissen Hindernissen, die das bürgerliche Erwerbsleben den Frauen in den Weg stellt. Forderungen wie Chancengleichheit und gleicher Lohn für gleiche Arbeit, die auch eine Gewerkschaft stellen könnte, werden als hoffnungslos unmodern angesehen, denn nicht zuletzt teilen die Gewerkschaften und der Feminismus das gleiche Schicksal: eine Bewegung von vorgestern zu sein.

Im Popbusiness sieht es nur dann wirklich gut für Frauen aus, wenn sie bestimmte Rollen erfüllen und mit Bildern und Stereotypen konform gehen, die dem Publikum vertraut sind. Während die (vorzugsweise solo auftretende) Sängerin gewohnte Bilder reproduziert und in diesem Zusammenhang auch Tabubrüche, Grenzüberschreitungen, Maskeraden aller Art und natürlich auch gerne viel nackte Haut präsentieren darf, sind die rockende Gitarristin oder Schlagzeugerin ebenso wie die aus Musikerinnen bestehende Rockband – vor allem was öffentliche Präsenz anbelangt – die Ausnahmen geblieben. Daran konnten auch die US-amerikanischen Riot Grrrls wenig ändern, zumal diese Selbstermächtigungsbewegung in Europa spät und zum "Modegirlie" verzerrt ankam. Hiesige Magazine wie beispielsweise Der Spiegel (Nr. 50/1992) haben sie verniedlicht und diffamiert, während MusikjournalistInnen zeitgleich das feministische Potenzial der Spice Girls zu entdecken versuchten. Bands wie Girlschool, Lunachicks, Babes in Toyland, L 7 oder auch die Bangles und die Breeders schafften es bislang nicht, in den popmusikalischen Kanon der wegweisenden Bands aufgenommen zu werden.

Musikerinnen zwischen Vermarktung und Ausgrenzung

Mitschnitt des Taubertal-Open Airs im Bayerischen Fernsehen. Wir sehen Farin Urlaub von den Ärzten und seine Band, die – abgesehen von einer Bläsersektion – aus durchwegs exzellenten Musikerinnen besteht und aus einem Background-Chor, der so schön schräg singt wie Farin selbst. Ich denke, da steht diese bekannte Figur, dieser Typ von den Ärzten mit lauter prima Musikerinnen! Wie wird das junge Frauen und junge Männer beeinflussen, wenn sie nur einen Moment mal nicht den guten Farin ansehen. Möchte Frau da nicht gleich zur Gitarre greifen und Mann sofort das Mädchen / die junge Frau von Nebenan bitten, in seiner Band mitzuspielen? Im eingeblendeten Interview mit Farin werden die Namen der Musikerinnen nicht genannt. Farin sagt, es sei schwierig gewesen, sie zu finden. Der Interviewer fragt nicht, wie Farin sie gefunden hat, denn unter Männern ist man sich einig, dass es schon lustig sei, mit gutaussehenden Frauen unterwegs zu sein. Von Signalwirkung für junge Frauen kein Wort, denn es folgt leider nur ein dumpfer Polygamiewitz. Männerbündelei live, die Musikerinnen zu einem Marketing-Gag werden lässt. Ich suche nach den Namen der Musikerinnen im Internet und werde nur über allerlei Umwege fündig: Nessi Sirinoglu von Nicht ohne meine Schwester an der Gitarre, Cindia Knoke von Space Hobos am Bass, Rachel Rep von Glow an den Drums, Gesang und Percussion von Simone Richter und Annette Steinkamp.

Ein weiteres Beispiel aus der Glotze: Mitschnitt von "Rock am Ring" mit Marilyn Manson. Zwei Gogo-Girls in beigen Hemdbrust-Korsagen, beigen Strapsen und roten Slips bewegen sich passend zum martialischen Manson-Sound. Ich denke nicht an Sex, sondern an Arbeit – an Sexarbeit und an Macht. Wer bei diesem Szenario die Macht hatte, wurde spätestens dann klar, als die Frauen in die Knie gingen und Manson so tat, als würde er sie von hinten vögeln. Welche Gage die beiden Frauen wohl bekommen? Die Live-Konzerte auf der aktuellen Tour zu sehen, hätte mich wahrscheinlich schlauer gemacht. Denn einer Kritik entnehme ich, dass Peaches im Vorprogramm wesentlich besser zeigte, wie die Inszenierung von Sex auch Spaß machen kann. Nämlich dann, wenn sich die Frau als Subjekt setzt. Darum ging es auch den Riot Grrls.

Sehen wir uns mal an, was die Berliner Gitarrenband Britta sagt, die in gewissem Sinne Paradigmatisches über Frauen in der Rockmusik repräsentiert. Auf dem Cover ihrer aktuellen CD "Lichtjahre voraus" schauen Christiane Rösinger, Barbara Wagner, Julie Miess und Britta Neander streng und ernst. Das Photo zeigt vier lebenserfahrene Frauen, die sich – entgegen jedem gesellschaftlich angesagten Gesundheitswahn – auch das Rauchen erlauben. "Das ist ein Statement gegen dieses popkulturelle Jugendgebot. Wir wollten uns lieber wie die Adams Family, als Characters, präsentieren", meint Christiane Rösinger in einem Telefoninterview. Dennoch schlägt sich die Lebens- und Musikerfahrung der beteiligten Musikerinnen (Schlagzeugerin Britta Neander war schon mit Ton Steine Scherben auf der Bühne und Christiane Rösinger blickt auf zehn Jahre Lassie Singers und nunmehr drei Britta-Alben zurück) nicht in der Popularität der Band nieder. In den Musikzeitschriften gibt es zwar immer wieder Rezensionen über die jeweils neu erschienenen Alben. Doch bleiben die Artikel über die Band auf ein Minimum reduziert. Das Gleiche galt/gilt auch für Bands wie Die Braut haut ins Auge oder Parole Trixi. Was Britta für die Besetzung der großen Open Airs konstatieren – dass nämlich kaum Musikerinnen vertreten sind, egal ob einzeln oder als Band – betrifft alle Musiksparten, die R’n’B-Sängerin ebenso wie die Songwriterin. Und das sind m.E. noch die am ehesten akzeptierten Erscheinungsformen von Frauen im Musikbusiness. Britta reagieren mit Schulterzucken und Selbstbewusstsein auf die Tatsache, dass die Popdiskussionen in Deutschland zumeist über andere Bands geführt werden. "Wir sind ’ne tolle Band, wir haben unsere Fans und unsere Erfolge. Aber wir werden eben nicht wirklich ernstgenommen. Auch wenn es um deutschsprachigen Pop geht, ist Britta immer so unter ferner liefen. Wir sind darauf gekommen, dass es nicht nötig ist, darauf zu schielen. In unserer sozialen Kompetenz, in unserer Kompetenz als Musikerinnen, in unserer Ausstrahlung sind wir Lichtjahre voraus", konstatiert Christiane Rösinger in einem Telefoninterview im September 2003. Damit könnte frau sich zufrieden geben, wäre das selbstbewusste und unbeirrte Weitermachen nicht auch an finanzielle Mittel gebunden und ohne Selbstausbeutung kaum möglich. Ein anderer Weg ist die Anpassung an Erwartungshaltungen, der jedoch die Gefahr birgt, zu einem Klon von beliebten und akzeptierten Stereotypen zu werden. Denn ob Christina Aguilera, Shakira, Britney Spears oder Anastacia und Pink, ob Sugarbabes oder Atomic Kitten – allzu große Eigenständigkeit erlaubt der Erfolgsrahmen nicht.

Die älteren Damen des Showgeschäfts, ob sie nun Little Annie, Patti Smith oder Marianne Faithfull heißen, werden eher totgeschwiegen, außer sie huldigen allgemein verständlichen Fitnessidealen wie beispielsweise Tina Turner, oder sie realisieren die immer wieder trendigen Körperideale wie z.B. Cher. Allenfalls Deborah Harry mit ihrer Band Blondie steht so etwas wie ein Mittelweg offen. Vor diesem Hintergrund muss frau dann bestimmte Tendenzen loben und sei es nur die Liebe zu den 1980ern, die dazu führt, dass Lizzie Mercier Descloux’ Frühwerk inklusive ihrer Band Rosa Yemen wiederveröffentlicht wurde oder sich gleich drei Sampler mit dem Titel "I’m A Good Woman" den Soulsängerinnen der 1960er und 1970er Jahre widmen. Sie waren/sind Sängerinnen, die nicht immer und nicht unbedingt das Bild der passiven, wartenden Frau verkörperten, sondern aktiv und frech ihre Meinung sagten.

Wie in anderen Genres bewegen sich Frauen in der Rock- oder Popmusik zwischen Vermarktung und Ausgrenzung. Frauen in den Toppositionen der Charts? Ja durchaus, aber das dient oft als Argument, um die so genannte "Frauenfrage" erst gar nicht mehr erörtern zu müssen. Außerdem stellt sich hier sehr wohl die Frage, was außer coolen und trendigen Bildern bleibt. Die eigentlich überflüssigen und ärgerlichen Markierungen von Musikerinnen mit Slogans wie "Frauen in der Rockmusik" mögen dann sogar notwendig sein, um zu demonstrieren, dass es diese Frauen gibt. Unvermeidlich erscheinen solche Festschreibungen ohnehin. Denn Frauen sind scheinbar immer eine Ausnahme und das "Extra", das benannt werden muss. So titelte auch Intro (Nr. 112, 12 / 03–1 / 04) mit "Girls in Pop" zur vorwitzigen Analyse Kerstin Grethers über Pink, Sugarbabes, Kylie Minogue, Christina Aguilera und Britney Spears.

Aber wo bleibt die Untersuchung des "neuen-Mann"-Faktors in der Popmusik? Auch in musiksoziologischen Diskursen werden auf die Körperbilder und Repräsentationsstrategien der jungen Frauen mehr Worte verschwendet, als auf die der jungen Männer. Eigentlich schade, denn es wäre interessant zu wissen, ob bestimmte musikalische Formationen wie die Bands XiuXiu und Belle & Sebastian oder Antifolk-Musiker wie Jeffrey Lewis Indikatoren für real existierende Veränderungen sind. Aber Vorsicht mit Bands wie den Strokes, The Black Rebel Motorcycle Club oder dem Pseudo-Duo The Raveonettes, wo die Sängerinnen eben nur die Sängerinnen sind. Hier droht das Pendel gleich wieder zurückzuschlagen. Und ohne die YeahYeahYeahs oder die White Stripes wäre das "neue" Rockding wiederum eine reine Männersache. Andererseits sind Bands wie Movietone oder Pram interessant, die wie selbstverständlich aus Frauen und Männern bestehen, musikalisch jedoch nicht recht in die Rock-/Popecke einzuordnen sind. Gerade in diesem Musikbereich, wo mit Sampling und Elektronik gearbeitet wird, finden sich etliche Musikerinnen. Allerdings sind das spezielle Teilbereiche des Popbusiness. Wir bewegen uns in einem Sektor, wo sich Musikerinnen im Video räkeln und nackte Haut den jungen Frauen als ein Weg zur Erforschung der eigenen Sexualität und zur Selbstbestimmung gewiesen wird. Denn wer außer Les Reines Prochaines, die in der Popdiskussion ohnehin sträflich vernachlässigt werden, wagt es schon, runde Körper mit Speckbäuchlein und Orangenhaut zu präsentieren oder den weißen Hüftslip für die ältere Dame zu entblößen? Dann doch lieber auf zu den "Strictly Woman Only"-Shows der Riot Grrrls oder zur Band Tribe 8, wo sich Musikerinnen und Besucherinnen während des Konzerts einfach mal ausziehen dürfen, wenn sie schwitzen. Es wäre alles viel einfacher und schöner!

In bestimmten Segmenten wie dem Mainstream-Pop und dem R’n’B scheinen Frauen zu dominieren. Ein realistisches und im Alltag brauchbares neues Frauenbild transportieren sie jedoch kaum. Die Musikerin Katrin Achinger meint dazu: "Remember: ‚Freiheit ist ein junger Mann!‘ Jung, ungebunden und liquide, haha. Und very busy. Und very cool. Und schnell. Wenn ich mir das neue Frauenbild angucke, dann gehöre ich lieber zu den Schwachen und Hässlichen, den Langsamen, den Langweiligen, den Einsamen, den Unfitten, den Versagern. Es gehört mehr Mut dazu, eigene Wege zu gehen." (Aus: "Feminismus und Selbstverständnis. Eine Diskussion". WochenZeitung / WoZ Musikbeilage, 05 / 02) Auch die Experimental- und Indiemusikszenen zeichnen sich nicht unbedingt durch eine größere Offenheit für Frauen, feministische Anliegen oder einen zahlenmäßig höheren Musikerinnenanteil aus. Positiv erscheint es dann allemal, wenn Mike Evans in seinem Buch New York City Rock. Underground und Hype von 1950 bis heute (Ventil Verlag 2003) zahlreiche kaum bekannte Bands aufzählt, in denen Musikerinnen mitspielen, und frauendominierte Bands wie die Roger Sisters und die Rapperinnen Northern State vorstellt. Ausnahmen wie Chicks on Speed oder Gudrun Gut mit ihrem in Berlin beheimateten Schallplattenlabel Monika Enterprise bestätigen nur die Regel: Solange Musikmagazine und Radiostationen – wie das restliche Popbusiness auch – von Männern und vom männlichen Blick dominiert werden, ist von einer gleichberechtigten Teilhabe von Frauen, die sowohl ihrem Anteil am Geschehen gerecht wird, als auch eine angemessene Würdigung (mit Sex, aber ohne Sexismus) ihrer Arbeit vornimmt, noch nicht die Rede.

Frauenfestivals: Passé oder dernier cri?

Immer wieder gibt es Versuche, dem männerdominierten Status Quo gegenzusteuern, indem Frauen ihr eigenes Ding machen. Frauenfestivals und feministische Musikfestivals verschiedener Couleurs existieren seit den 1970er Jahren und erhielten mit dem "Third Wave Feminismus" eine Neuauflage. Zu nennen wären da z.B. das Michigan Womyn’s Music Festival, das seit immerhin 28 (!) Jahren veranstaltet wird. In der Jazzmusik gab es lange Jahre das Canaille Festival, bei dem ausschließlich Musikerinnen miteinander improvisierten und spielten. In den USA organisierten Frauen als Gegengewicht zu den vielen männerdominierten Festen in den 1990er Jahren das Lilith Fair Festival. Die von der Kanadierin Sarah McLachlan initiierte Dreijahrestour lässt sich leicht als Mainstream und Kommerz dissen, die ohnehin nur ein ausgewähltes Frauenbild und damit nur bestimmte Künstlerinnen zugelassen habe. Aber auch auf diesem Gebiet gilt, es Zeichen zu setzen, Verbundenheit und Solidarität zu demonstrieren, unbekannten Künstlerinnen ein Forum zu bieten und Diskussionen anzuregen. Das schaffte Lilith Fair allemal. Der Impuls, der von der Bühnenpräsenz der vielen Musikerinnen ausging, sollte nicht unterschätzt werden. Zudem erhielt frau die Möglichkeit, interessante Musik zu hören und neue Künstlerinnen kennen zu lernen.

Die Riot Grrrls gaben feministischen Zusammenschlüssen und Festen einen anderen, dringlicheren und revolutionäreren Charakter. Das Zusammentreffen der lesbisch-queeren Hardcoreband Tribe 8 und ihrer kathartischen Dildo-Kastrationsshow mit den feministisch traditionelleren und eher essenzialistisch orientierten Besucherinnen des Michigan Womyn’s Music Festival sorgte für Diskussionen, die – trotz unterschiedlicher Standpunkte – zu Anregungen und Neuorientierungen unter feministischen Musikerinnen führten. Gut zehn Jahre nach dem Erscheinen der Riot Grrrls entstand das "Ladyfest".

"Die Anzahl der Ladyfeste, die seit 2000 zunächst in den USA und seit 2001 auch in Europa auf die Beine gestellt werden, liegt mittlerweile bei ca. 50." (www.ladyfest.org) Von Relevanz sind bei den Ladyfesten folgende Aspekte: Musikerinnen, Journalistinnen, Labelmacherinnen und Konzertgängerinnen müssen sich selbstbestimmte Räume und ein eigenes Netzwerk schaffen. Sie müssen einander wahrnehmen, ernstnehmen und fördern, sich gegenseitig helfen und Ideen austauschen, um bekannter zu werden und eine größere mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Ladyfeste können als erfrischend unhierarchische und antikapitalistische Veranstaltungen funktionieren. Sie sind feministische Veranstaltungen im besten Sinn: mit bekannten und unbekannten Musikerinnen, mit Lesungen bekannter und unbekannter Autorinnen, mit Workshops zur Musikproduktion, zum Plattenauflegen und Fanzine-Machen, zu feministischer Theorie und Selbstverteidigung oder auch zum Radical Cheerleading. Interessant wird es, wenn so ein Festival erstmals ohne (praktische und/oder theoretische) Ausschlüsse funktioniert. So lautete auch das Motto des Hamburger Ladyfests 2003: "Whatever gender you may be – if you feel like a lady be a part of Ladyfest." Wenn dann noch eine Umsetzung gelingt, die die Musikerinnen möglichst hierarchiefrei an verschiedenen, bekannten wie unbekannten Spielorten präsentiert, setzt sich ein linkes und feministisches Bewusstsein in Realität um, das selbstverständlich Diskussionen erlauben sollte. Beim Hamburger Ladyfest trafen zwei unterschiedliche feministische Standpunkte aufeinander, die ohne Grabenkämpfe zugelassen werden konnten: "Trotz der Verankerung in der Riot-Grrrl-Tradition hat jedes Ladyfest seinen ganz eigenen Charakter. Es gibt keine Corporate Identity, kein einheitliches Format, sondern jedes Ladyfest ist Produkt der Frauen, die in der Vorbereitungsgruppe ihr Engagement, ihre Interessen und Erfahrungen aus diversen politischen und kulturellen Kontexten einbringen. Die Heterogenität, die sich in der Vorbereitung und im Programm wiederfindet, basiert auf der Koexistenz unterschiedlicher feministischer Ansätze – vom Separatismus und strategischen Essenzialismus bis zu postfeministischen und dekonstruktiven Praktiken. [...] Von ‚auf alle Fälle die Stadt rocken‘ bis ‚sich um keinen Preis anbiedern wollen‘ reichen da die Ansätze. Der Balanceakt bleibt schwierig, auch wenn sich die Organisatorinnen darauf verständigt haben, dass beide Strategien ihre Berechtigung haben: einerseits die Tendenz, eigene Strukturen zu nutzen, zu verstärken und auszubauen (was als Ghettoisierung kritisiert wird), andererseits der Wunsch, möglichst breit und fett präsent zu sein, und auch solche Medien zu nutzen, die kapitalistischen Verwertungszwängen unterliegen (was als Ausverkauf verstanden wird).
Wichtig ist nicht nur, den Spieß umzudrehen und Musikerinnen auf der Bühne zu zeigen, sondern vor allem die Selbstermächtigung, die Stärkung des Selbstbewusstseins und die Förderung der eigenen Kreativität. Wichtig erscheint auch, der Geschichte von Frauen in der Musik eine Kontinuität zu geben, damit nicht jede immer wieder von Vorne anfangen muss, wenn sie Gitarre, Mikro oder Schallplatten in die Hand nimmt. Das gilt für Musikerinnen gleichermaßen wie für Journalistinnen und Hörerinnen. Für einige mag das wenig verlockend klingen, es ist aber keineswegs passé, denn die Bedürfnisse nach Vernetzung und danach, sich selbst zu feiern, sind allemal vorhanden. Allein 2003 gab es in Deutschland Ladyfeste in Hamburg, Berlin und Leipzig. Und 2004 werden in Berlin und Wien (10. bis 13. Juni 2004; www.ladyfestwien.org) Ladyfeste stattfinden.


Tine Plesch befasst sich seit 15 Jahren mit Popmusik und der Repräsentation von Frauen in der Popmusik. Sie ist Mitherausgeberin von testcard – beiträge zur popgeschichte (www.testcard.de) und Musikredakteurin bei Radio Z (www.radio-z.net). Sie lebt und arbeitet in Nürnberg.

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