Schnurstracks auf das Terrain der Marktwirtschaft. Netzkulturelle Kleinunternehmen betreiben das ganz normale Geschäft des Kapitalismus

Open Source ist in aller Munde. Was einst eine Spielerei avancierter Technikfreaks war, die darin mitunter so etwas wie Gesellschaftskritik transportieren wollten, ist zu einem Millionengeschäft geworden. Bei den Linux-Tagen im Mai in Wien dominierten die Stände und Präsentationen von großen EDV-Firmen.

Open Source ist in aller Munde. Was einst eine Spielerei avancierter Technikfreaks war, die darin mitunter so etwas wie Gesellschaftskritik transportieren wollten, ist zu einem Millionengeschäft geworden. Bei den Linux-Tagen im Mai in Wien dominierten die Stände und Präsentationen von großen EDV-Firmen. Richard Stallman, Begründer der Freien Softwarebewegung, hielt seinen Gastvortrag in der Wirtschaftskammer. Und die Veranstalter der Ökonux-Konferenz, ebenfalls im Mai in Wien, hatten sich für die Uni statt das Austrian Social Forum als Veranstaltungsort entschieden, um Leute aus der Wirtschaft nicht zu verschrecken. Für eine Gruppe, die sich der Ausweitung des Open Source Prinzips auf die gesamte Gesellschaft (und somit zumindest ein Stück weit dem Antikapitalismus) verschrieben hat, eine bemerkenswerte Entscheidung. Wie es scheint, geht die zunehmende kommerzielle Akzeptanz für Freie Software/Open Source nicht ohne Veränderungen auf den Charakter der Sache ab.

Während der konservative “Economist” Open Source jüngst wieder mal wohlwollend als vernünftige Lösung für bestimmte informationsreiche Bereiche lobt, wird in der NY Times besorgt berichtet, wie Linux zu einer Mainstream Technologie und dadurch gezwungen wird, sich immer mehr auch wie eine solche zu benehmen: Unlängst hat Linux-Chef Linus Torvalds angekündigt, künftig jeden Beitrag zum Kollektivwerk Linux mit einem Entwicklungs-Ursprungszertifikat seiner/m jeweiligen AutorIn zuzuschreiben. Damit soll die wachsende Zahl jener GroßkundInnen beruhigt werden, die Angst vor Klagen raubritterischer Copyright-BesitzerInnen haben, die behaupten, Bestandteile ihrer Software seien in Linux verwendet worden. Unlängst hat die Firma SCO Linux-Anwender IBM mit dem Vorwurf vor Gericht gezerrt, IBM-EntwicklerInnen hätten Teile des in SCO-Eigentum stehenden Unix-Codes in Linux eingespeist, und damit das Copyright von SCO verletzt. Daraus könnte sich eine Verunsicherung unter potenziellen Anwenderfirmen ergeben, die die Linux-Verbreitung beschädigt. Um das zu verhindern, rückt Linux einen Schritt von der anonymen Kollektivität seines Entwicklungsprozesses ab. Führt die Kommerzialisierung mit ihrer wachsenden Rücksichtnahme auf die Interessen kommerzieller UserInnen zu Kompromissen, die bald an die Substanz gehen? Die Hoffnung, soziale Veränderungen über den Abschneider technologischer Innovation zu erreichen, statt sich auf mühsame gesellschaftliche Auseinandersetzungen einzulassen, erweist sich als trügerisch: Das kollektive Schreiben von Computerprogrammen verändert nicht die Welt, auch wenn es den anderen noch so effizienzüberlegen ist. In der Free Software-Community herrscht deshalb nicht überall Feierstimmung. Aber nicht nur deshalb. Während Open Source-Software den großen Durchbruch erlebt, und viele der Beteiligten nun mit Entwicklung, Schulung, Beratung etc. ein gutes Geschäft machen, gibt es in anderen Teilen der globalen Netzkultur Krisenanzeichen, zum Teil gerade deswegen.

Zum einen mehren sich die Zweifel an der Unschuld der viel gepriesenen “Offenheit”, die das Kernprinzip der Community darstellt und über die Netzkultur hinaus zum Leitmotiv in neuen sozialen Bewegungen geworden ist. Jüngste Indizien einer bereits länger schwelenden Diskussion: Bei der Ökonux-Konferenz wurde etwa daran erinnert, dass die “Ökonomie des Schenkens”, als die freie Softwareentwicklung charakterisiert wurde, auch als Konkurrenz mit anderen Mitteln interpretiert werden kann, in der Reputation statt unmittelbarer monetärer Gewinn verfolgt wird. In der Jänner-Ausgabe von Mute, dem Print-Flaggschiff der Netzkultur, reflektiert ein Aktivist über die versteckten Hierarchien und Elitenbildungsmechanismen, die sich in “offenen Foren” immer wieder einstellen. Und wo Offenheit konsequent angewendet wird, kann sie zu Missbrauch und Diskursverwahrlosung führen, wie die BetreiberInnen der alternativen basisdemokratischen Nachrichtenplattform Indymedia Austria zuletzt feststellen mussten, bevor sie schließlich den Betrieb für eine Reflexionspause einstellten.

Immer deutlicher tritt eine konzeptionelle Krise zu Tage: In der gesamten Netzkultur gibt es seit Jahren eigentlich kaum Neues, während die alten Konzepte langsam ihren anfänglichen Glanz verlieren. Mit abnehmendem Neuigkeitscharakter verpufft die Attraktivität und damit die Bereitschaft vieler Kräfte, hier Arbeit zu investieren, ohne auf Entlohnung zu schauen.

Das verweist auf einen zweiten Krisenaspekt, den ökonomischen: Bei der Public Netbase-Konferenz Free Bitflows Anfang Juni in Wien drehte sich ein großer Teil der Debatten darum, wie man in einem Copyright-freien Umfeld Geld verdienen kann, ohne mit Großkonzernen zu kooperieren. Vor zwei Jahren wurde im selben Kontext noch über Modelle einer anderen Gesellschaft philosophiert. 2004 verengte sich die Diskussion auf die Frage, ob digital verfügbare Werke (z.B. Musik) über eine Pauschalabgabe für die NutzerInnen des Internet bzw. bestimmter Vertriebsnetze oder über Umwegeinnahmen, etwa bei Performances, honoriert werden sollen. Das ist offensichtlich Ausdruck der Lage.

Der in den letzten Jahren diskursiv in Schwingung gebrachte digitale Arm der Kreativwirtschaft erweist sich zunehmend als schlapp. Während ein Teil der Netzkultur an der Kommerzialisierung von Open Source und anderer Seitenarme der digitalen Welt mitnaschen kann, steht vor allem der künstlerisch orientierte Teil vor einem immer drängender werdenden Problem: Der new economy Boom ist seit Jahren versiegt, und mit ihm die Finanzierungsquellen für Spielereien ohne kommerzielles Potenzial. Webdesign z.B., ein Bereich, mit dem Netzkultur-AktivistInnen früher nebenbei ein bisschen was verdienen konnten, ist mittlerweile ein hochprofessionalisierter Markt mit geringem Potenzial und einem Überangebot. Gleichzeitig sind staatliche Fördergelder anhaltend knapp, und das Argument, man entwickle eine innovative, aufstrebende Kulturtechnik, zieht nicht mehr: Das Feld “Netzkultur” ist nun etabliert und weitgehend abgesteckt.

Zudem erweist sich das europaweit von KulturpolitikerInnen in Umlauf gebrachte Konzept der Kreativwirtschaft als weitgehend leeres Versprechen. Als Expansionsbereich für marktwirtschaftlich finanziertes Jungunternehmertum ist er sowieso eine Schimäre. Und dort, wo staatliche Fördergelder unter dem Creative Industries-Label zur Verfügung gestellt werden, wie etwa in Wien, erlebten die kulturorientierten AntragstellerInnen eine Enttäuschung. Die Hoffnung, man könne mit ein bisschen Businessplan und dynamischer Rhetorik Gelder fürs private Basteln abgreifen, haben sich nicht erfüllt. Technologie-, vermarktungsorientiert und mit Marktchancen ausgestattet heißen die Voraussetzungen, um in Wirtschaftsförderungstöpfen zulangen zu dürfen. In den Bereichen Mode und Musik geht's (um den Preis der Einreihung in ein Standortmarketing) ein bisschen leichter, aber mit der Netzkultur ist scheinbar wenig bis nichts an Fördergeld zu holen.

In der Szene treten jetzt Brüche zu Tage: Einige haben die Institutionalisierung geschafft, andere stehen vor dem Problem, aus dem Hybridstadium zwischen Studium, kleineren Kulturprojekten, halbherzigen Business-Versuchen und Freizeitspaß jetzt endlich etwas mit ökonomischer Perspektive aufzuziehen. Doch statt dass nun in der Not Konkurrenz aufbricht und geschäftemäßiges Marketing um sich greift, wird es auch in den letzten Kulturzirkeln Zeit für die Einsicht, die sich bei vielen Betroffenen schon 2001 nach dem Zusammenbruch der New Economy-Hoffnungen zwangsläufig einstellte: Die Neuerfindung des eigenen Tuns als Kleinunternehmen ist kein Schritt auf einem “dritten Weg” zwischen Staat und Großkonzernen, sondern führt schnurstracks auf das Terrain der Marktwirtschaft. Dort gilt, dass das überlebt, was sich verkauft. Und alles ohne kommerzielle Relevanz irgendwann untergeht. Als Kleinunternehmen den Kampf gegen “big business” aufzunehmen ist auch nicht “alternativ”, sondern das Betreiben des ganz normalen Geschäfts des Kapitalismus, das Wiederherstellen der Selbstreinigungskräfte eines Systems, dessen Dynamik immer wieder durch Intensivierung der Konkurrenz wiederhergestellt werden muss, wenn die Konzentration und Vermachtung der Märkte zu weit fortschreitet.

Dass die Umwälzung der gesamten Gesellschaft nach dem Open Source Prinzip (noch) nicht gelingt, ist kein Grund, damit aufzuhören, Förderungen zu fordern, bei Konferenzen über Grundeinkommen zu sprechen, und die Konzerne beim Nachdenken über neue Geschäftsmodelle im Internet allein zu lassen.


Beat Weber ist Mitarbeiter der Zeitschrift MALMOE.

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