Die Kulturinitiative "Die Hupfauer“ ist schwer zu fassen

Die Kulturinitiative "Die Hupfauer“ ist schwer zu fassen – Klemens Pilsl hat es trotzdem versucht

Die Hupfauer Kulturinitiative Klemens Pilsl

Die Hupfauer aufzuspüren hat Charme: Nach zwei Tagen mit falschen Telefonnummern aus dem Netz, toten Mailboxen und Sackgassen erreicht mich eine freundliche SMS der Hupfauer mit Kontaktdaten. Bereits am nächsten Tag leihe ich mir ein Auto und fahre eine Stunde lang ins Hinterland. Auch wenn das Navi schon überzeugt ist, am Ziel zu sein – ich stehe mitten im Nichts, am Rande des Mostviertels. Ein junger Mann steigt schließlich von seinem Traktor und weist mir den schlaglochreichen Weg durch den Wald. Und dann geht es schnell: Brigitta und Kurt heißen mich in ihrem Häuschen herzlich willkommen und bezaubern mich mit ihrer Geschichte.
Es fällt mir schwer, das Wesen der Hupfauer zu beschreiben – sie selbst vermögen es ohnehin nicht. Ich versuche es mit wenigen Worten: Die Hupfauer sind eine Familie, eine Kommune, KünstlerInnen, eine politische Gruppe, eine freie Schule, SozialarbeiterInnen und BildungsexpertInnen. Radikale ProtagonistInnen einer radikalen Praxis. Und natürlich ein Kulturverein. Der Verein Kulturinitiative Die Hupfauer, das sind Brigitta Edler und Kurt Kopta, aber auch ihre 12 Kinder (wobei man hier keine zu engen bürgerlichen oder biologistischen Definitionen anwenden sollte) und etliche Supporter und FreundInnen.
Wer die Hupfauer verstehen möchte, muss sich vielleicht fragen, was sie nicht sind: „Wir sind keine Sekte“, erklärt mir Kurt, der Maler. „Wir sind keine Hippies, keine Aussteiger, und wir sind keine Bauern.“ Er und seine Partnerin Brigitta, ebenfalls bildende Künstlerin, sind die Elterngeneration, die Motoren und die Urgesteine der Hupfauer. „Wir arbeiten immer in der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit als Korrektiv.“

Angefangen hat es, erzählen mir die beiden, mit 1968 – und vermitteln mir in den kommenden drei Stunden mehr als ihre Biografien. Auf mich prasselt oberösterreichische und internationale Bewegungsgeschichte ein, die Entwicklung von „freier Szene“ und linker Praxis, und lässt mich berauscht zurück. Ich kann hier nur eine stark verkürzte Zusammenfassung der Historie wiedergeben: Eine der zahllosen linken Gruppierungen, die sich damals in Linz mit den anderen stritt, die AKI (Arbeitsgruppe kultureller Initiativen, ein Sammelbecken linker Gruppierungen), unternimmt einen folgenreicher Schritt. Auf der Suche nach einer wirksamen, politischen Praxis, ermüdet von den Grabenkämpfen zwischen KommunistInnen und Antiautoritären, beeindruckt von den Tupamaros und anderen internationalen Vorbildern, erwerben die AktivistInnen einen Bauernhof: das Dangl-Gut in der Hupfau bei Wels.
Hier entsteht Anfang der 1970er die Kooperative Hupfauer, es soll ein Modell für politische Arbeit, das gute Leben und neue Horizonte gefunden werden. Erwachsene und Kinder versuchen, dem alten Vierkanter neues Leben einzuhauchen, torpediert von Staatspolizei, Sicherheitsdirektoren, finanziellen Zwängen und internen Querelen. Mitte der 80er gelingt es, einen weiteren Standort in einem „türkischen Nomadendorf“, Sultaniye, zu gründen.

Die Geschichte geht den lauf vieler derartiger Projekte: Unbezahlbare Lebenserfahrungen, wertvollste Momente, ernüchternde materielle Armut, Spaltungen und die Verlockungen bürgerlicher Existenzen nagen an der Kooperative. Und einige Reisen, Hausdurchsuchungen und Zäsuren später gründen zwei „abgespaltene“ ProtagonistInnen, eben Kurt und Brigitta, 1993 schließlich den Verein Kulturinitiative Die Hupfauer. Mit einem Standbein im Mühlviertler Mönchwald und einem in Sultaniye. Schon vor der Vereinsgründung, zu Zeiten der personell breiter aufgestellten Vorgängerorganisation Kooperative Hupfauer, spielen die Themen Jugendarbeit und Erziehungsarbeit eine wichtige Rolle – die Hupfauer experimentieren mit offenem Lernen, Lernwerkstätten und der Idee, „dem herrschenden Bildungssystem die Kinder zu entziehen“. Die Kooperative Hupfauer arbeitet gut mit Sozialeinrichtungen wie dem bekannten Linzer Erziehungszentrum Spattstrasse zusammen: Junge Stricherinnen, drogenabhängige oder „schwer erziehbare“ Mädchen landen bei den Hupfauern, man offeriert erfolgreich die Idee des offenen Hauses. Die Kooperative Hupfauer will die Jugendlichen nicht „resozialisieren“, sondern ermächtigen, ein selbstbestimmtes Leben zu wählen. Neue Probleme mit Polizei und STAPO sind vorprogrammiert. Ein Detail am Rande: Jahrzehnte später spendet das Land OÖ einen Landespreis für innovative Jugendarbeit an die Hupfauer. Die Urkunde hängen sie aufs Klo. 

Bis dahin passiert aber noch viel: Nicht zuletzt um die zahlreichen eigenen Kinder dem österreichischen Schulsystem zu entziehen, reisen die Hupfauer in die Türkei. Nach der Rückkehr nach Österreich, Anfang der 1990er, verstecken Kurt und Brigitta ihre Kinder wieder vor den Schulbehörden, die Durchsetzung des Rechtes auf Unterricht ohne Schule frisst Ressourcen. Zu diesem Zeitpunkt, etwa 1993, treffen sie auf die oberösterreichische Kulturplattform (KUPF) und bekommen zwischenzeitlich einen neuen Spin: Der Kulturverein wird gegründet, die Abspaltung von der ursprünglichen Initiative dadurch quasi offiziell gemacht. Die Begriffe „Jugendarbeit“, „Bildungsarbeit“ und „Kulturarbeit“ verwenden die Hupfauer dabei beinahe synonym - jede Kulturveranstaltung ist eine Bildungsveranstaltung, jede Bildungsveranstaltung dient auch der außerschulischen Erziehung der Jugendlichen im Haus. „Freies Lernen“, verstanden als Recht der Kinder auf Unterricht anstatt auf Schule, wird zum lustvollen Primat. Der Liedermacher Gust Maly lehrt einem Hupfauer-Buben das Gitarrenspiel, von der Schriftstellerin Eugenie Kain kommen die Inputs zu Text und Literatur. Umgekehrt kann der jetzige Geschäftsführer des freien Radio FRO, Andreas Wahl, bei den Hupfauern sein für den Lehrabschluss benötigtes Tischler-Praktikum absolvieren, dafür leitet er auch die „Geschichtswerkstatt“ der Kinder, gemeinsam recherchieren sie die Historie des Februar 1934. Ein dicht gesponnenes Netzwerk begleitet die Hupfauer.

Als leitmotiv für ihr außergewöhnliches und beispielhaftes Dasein kann man Kurt und Britta die Sehnsucht nach einem selbst- bestimmten, politischen Leben unterstellen. Der Versuch Kunst, Liebe, Lernen, Familie zusammen zu bringen. Ein Leben, das nicht fragmentiert, sondern als Ganzheit im Sinne der eigenen Ideologie, Ansprüche und Begehren gelebt wird. „Die eigene Biografie selber schreiben“, sagt mir Kurt, „Schritt für Schritt, das ist immer ein dialektischer Prozess“. Brigitta und Kurt beeindrucken mich tief – die Kombination von sonnigem Wesen und entspannter Selbstreflexion macht unser Gespräch sehr sympathisch, ich kann mich dem (sicher nicht zufälligen) Charme der beiden kaum erwehren. Frei von jedweder Überzeugungsarbeit oder Dogmatismus sprudelt es aus den beiden raus: Sie erzählen mir von der Schönheit der Erfahrungen, die sie in ihrem sicher außergewöhnlichem Leben machen durften, von der hohen Relevanz der politischen Selbstbestimmung, die es ihnen gelingt zu leben. Und als ich erzähle, dass ich die Hupfauer nach dem Verhältnis von Kultur und Ökonomie befragen soll, scheuen sie nicht, die Kehrseite eines solchen Lebens klar zu legen. „Schau dich um“, fordert mich Britta schmunzelnd auf, „wer will denn so leben?“ Ein Leben von solcher Freiheit und Fülle sei eben oft nur um den Preis materiellen Verzichts zu haben gewesen.

Subventionen etwa spielten bei den Hupfauern immer nur eine kleine Rolle: In den 1970ern und 80ern waren öffentliche Förderungen aus ideologischen Gründen verpönt, erst der Kontakt zur KUPF in den 1990ern ändert diese Einstellung, gelegentlich fließen geringe Subventionen. Das bisschen Grund und Haus im Mühlviertel und in der Türkei, „unfertig und bescheiden“, sei erworben durch harte Arbeit, durch Selbstausbeutung, Kunstverkäufe, Projekte, durch Handel mit landwirtschaftlichen Gütern oder Produkten. Aber halt auch durch das Austragen von Kronenzeitungen, wenn es notwendig war. Mittlerweile stünde auch eine kleine Alterspension zur Verfügung. „Solche Lebensumstände, wie die, die wir auf uns genommen haben, ertragen nur wenige.“ Kurt pflichtet Brigitta ohne Sozialromantik, aber grinsend bei: „Ich brauche keine Armut. Aber es geht nicht anders.“ Brigitta betont: „Ich halte mich immer noch für privilegiert, ich kann in meinem Leben tun und lassen, was ich will.“ Dieses selbstverständliche Operieren mit alternativen Wertebegriffen zieht sich durch unser gesamtes Gespräch. Fernab jeder Missionierung gelingt es den beiden, die Qualität von „Leben“, „Arbeit“ oder „Zeit“ jenseits neoliberaler Kurzfristigkeiten und wirtschaftlicher Eindimensionalität zu definieren. Mit großer Freude und fast nebenbei vermitteln die beiden die unscheinbare, aber große Möglichkeit, ein lustvolles Leben jenseits des Hamsterrades zu führen.

Heute, so die beiden zum Ende unseres Treffens, leben sie größtenteils in der Türkei, kommen aber regelmäßig nach Österreich. Sie finden endlich Zeit für Kunst, vor allem Kurt hätte diese Passion lange Zeit beiseite geschoben. Sie veranstalten aber auch, zuletzt ein Symposion in Sultaniye, sie beschäftigen sich intensiv mit Dorfentwicklung, mit Permakultur und Nachhaltigkeit. Die Kinder sind aus dem Haus, arbeiten als Hufschmied oder Gastronomin, eine lebe als politische Aktivistin in Bolivien, andere haben sich gänzlich von alternativen Lebensformen verabschiedet. Kurt und Brigitta erzählen gerne von ihren Kindern, den Schwierigkeiten und den wunderschönen Momenten. Davon, dass die Kinder sehr respektvoll mit der Idee „Hupfauer“ umgehen, aber ökonomischer orientiert seien. Einige Kinder betreuen das Erbe der ursprünglichen Kooperative Hupfauer, das vom Kulturverein Die Hupfauer vollkommen separiert ist, eine Stiftung trägt die verbliebenen Immobilien und auch die Schulden.

Wie es jetzt noch weiter gehe mit den Hupfauern, frage ich gegen Ende unseres langen Gesprächs. „Kurt hat ja gesagt, wir lösen den Verein auf“, lacht Brigitta, „aber es ist einfach noch zu viel zu tun, also geht das nicht“. Und legt freundlich nach: „Ich erzähl’ dir ja unsere G‘schicht nicht, weil sie so nett ist, sondern weil wir Kooperationspartner suchen. Du musst uns bald in der Türkei besuchen – und bring‘ doch deine Familie mit!“ Ich freue mich.

 

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