Kultur, Coolness & Kalkül: Warum es in Kulturstätten höchste Zeit für echtes „Green Catering“ ist.
„Der erfolgreiche Kulturbetreiber ist leider ein Systemgastronom“, sagt ein Bekannter bei einem Bier. Die erfolgreiche Kulturbetreiberin meint er natürlich mit. Er – nennen wir ihn der Einfachheit halber BB, für Bekannter und Bier – hat selbst bis vor kurzem die Geschicke eines angesagten Orts verantwortet, in dem ein- und auszugehen diejenigen, die das tun, üppig mit kulturellem Kapital überschüttet werden. Alles angesiedelt im Hoheitsgebiet zwi-schen Ö1 und FM4, mit ordentlich Nischenbewusstsein und progressivem emanzipatori-schen Anspruch. Das volle Programm in Sachen Kultur, Coolness und – wie er unter der Be-dingung, namentlich nicht genannt zu werden, gesteht – purem Kalkül. „Am schlimmsten“, sagt er, „ist es in der Clubkultur. Fast überall basiert die Getränkekarte auf billigem Fusel. Man hat ein cooles Image, aber hinter den Kulissen ist man ein S-Budget-Laden. Du musst eiskalt wie ein Skihüttenbetreiber rechnen, bekommst Zuschüsse von Konzernen, die aber an Mindestabsatzmengen von alkoholischen Getränken geknüpft sind. Wenn du die nicht erreichst, musst du zurückzahlen. Es ist ein einziger Preiskampf. Da braucht sich niemand wundern, dass es beim Buffet backstage keine Bioeier gibt.“
Nun mag es nicht überall genauso zugehen, wie in BBs Erfahrungswelt. Oft genug liegt das aber – meine Unterstellung! – eher am fröhlichen dilettantischen Durchwurschteln und der sich daraus ergebenden Inkonsequenz als an einer prinzipiellen Haltung. Denn wer als Kul-turmensch die Karten diverser Spielstätten, Kulturinitiativen und Bühnenhäuser studiert, muss zugeben, dass diese sehr oft auf eine Praxis hindeuten, die der von BB beschriebenen zumindest ähneln. Gegenbeispiele lassen sich finden, keine Frage. Aber allein, dass diese Ausnahmen ihr auffällig anderes Gebaren als Alleinstellungsmerkmal nutzen und kommuni-zieren können, zeigt die Problematik. Viel zu oft wird billige systemkonforme Konzernware angeboten: das Bier des Marktführers; und ist die Zielgruppe vielleicht doch ein wenig auf Distinktion bedacht, dann gibt es statt Coca halt Kola von Fritz. Und für die Genussmenschen Kaffee aus der Kapselmaschine. Beim Essen wird’s dann oft richtig übel: Paniertes aus dem Tiefkühlfach mit Ei aus dem Kanister, Toast mit Billigbeinschinken aus der Plastiktasse, ve-ganer Currygatsch mit Zutaten unklarer Herkunft. Müll nicht nur was die Verpackung an-geht.
Und fast niemand ist fein raus. Kulturorte, die solch ein Angebot vorweisen oder akzeptieren, indem sie darauf verweisen, „die Gastro verpachtet“ zu haben (Nachsatz: „leider, leider“), agieren unwürdig und argumentieren kulturlos. Auch wer sich mit einer Fremdveranstal-tung einmietet und sich am „Gastropächter“ abputzt, trägt dieses System mit. So leisten wir uns den Luxus des Kulturgeschehens, lassen diesen aber durch Billigware querfinanzieren; nicht anders als Freiwillige Feuerwehren, die sich auf ihren steuerbefreiten Festen durch Vollräusche neue Schläuche und Löschfahrzeuge ermöglichen.
Die Kritik an den „Besseressern“ als denkfaule Ausrede
Dass das Aufs-Essen-Achten als abgehobenes Elitending abqualifiziert wird, kommt gar nicht so selten vor – ist aber leider eine eher bescheuerte Ausrede, frei nach dem Motto „Angriff ist die beste Verteidigung“. In dieser Argumentation steckt eine alles relativierende Ignoranz und fehlendes Problembewusstsein. Die teureren, ökologisch weniger bedenklichen, gesün-deren Biolebensmittel müsse man sich halt auch erst einmal leisten können, hört man oft. Meist reicht diese Entgegnung als Entschuldigung, diese selbst nicht zu kaufen und auch bei den eigenen Veranstaltungen nicht einzusetzen. Obwohl man selbst und die Klientel sich das eigentlich leisten könnte. Der Vorwurf des Elitären ist absurd bis bigott, wenn man sich ernsthaft ansieht, welche Klientel sich aktiv am Kulturleben beteiligt. Freilich, auch Aus-nahmen und vorbildliche Beispiele, was Inklusion angeht, wird man immer finden. Und ich meine da gar nicht das Getue der Repräsentationskultur. Auch dort achtet man wenig darauf, was man wirklich isst oder trinkt, sondern sonnt sich im Glanz teurer Markenprodukte. Viel-fach bleibt Kultur auch in den ach so niederschwelligen Initiativen und Einrichtungen ein Ding der Bildungselite.
Dass unser globalisiertes Ernährungssystem als einer der wesentlichen CO2-Emittenten die Klimakrise befeuert, hat sich längst herumgesprochen. Allein, es fehlen die ernsthaften Kon-sequenzen im eigenen Alltag und Wirkungsbereich. Und Ungleichheit und sozialer Unfrie-den lässt sich nicht dadurch aus der Welt schaffen, indem man selbst Wertschöpfung aus dem Weiterverkauf unfair produzierten Orangensafts aus dem Tetrapak erzielt. Es stimmt natürlich, wer sich mit dem Biomarkt beschäftigt, wird erkennen, dass die Hauptzielgruppe vieler Produkte „die besserverdienende Familie“ ist. Damit lassen sich keine Mehrheiten schaffen, damit allein lässt sich nicht die Welt retten.
„Viele Unternehmen stellen sich einen Bienenstock aufs Dach, um nachhaltig zu wirken. Sie sollen ihre Kantine auf Bio umstellen, das wäre ernst zu nehmen und hilft den Bienen wirk-lich.“ Was der Bioimker Dietmar Niessner über die scheinheilige, es gut meinende Unter-nehmenswelt sagte, bedeutet auf die Sphäre der Kultur umgelegt sinngemäß: /Viele Kultur-initiativen thematisieren den Kilmawandel oder durch diesen verursachte soziale Krisen. Doch meist begnügen sie sich damit, darüber zu reden. Sie sollten in ihrem eigenen Einflussbereich aber auch unmittelbare Konsequenzen ziehen, ein Biobuffet mit regionalen Zutaten betreiben. Erst das wäre richtig ernst zu nehmen. Fairtrade muss man konsequenterweise mitdenken./
Gerade kleine Kulturinitiativen haben oft direkten Einfluss auf die Unternehmen, mit denen sie zusammenarbeiten, deren Produkte sie beziehen. Es wäre ein Leichtes, ein Buffet auf Bio umzustellen. Verbände wie die Bio Austria begleiten beim Zertifizieren, haben lokale Produ-zenten parat. Was sich vor Ort nicht auftreiben lässt, ist über Großhändler (wie BioGast) problemlos verfügbar. Um bessere Preise zu erzielen – nichts spricht gegen Kostenbewusst-sein – könnten sich Initiativen zusammentun, gemeinsam einkaufen. Vielleicht lässt sich so sogar Solidarische Landwirtschaft ermöglichen, an lokale Kreisläufe andocken anstatt bei anonymen, zum steten Wachstum gezwungenen Agrarfabriken einzukaufen, die für den Weltmarkt produzieren. Landauf, landab suchen gerade zigtausende bäuerliche Betriebe händeringend nach Lösungen, lokalen Abnehmern und Mitstreiterinnen, die sich auch ge-danklich einbringen, die gemeinsam nachdenken und die auszuprobieren bereit sind, wel-che Rolle in einem globalisierten Ernährungssystem für sie künftig noch bleibt. Absurder-weise leben gerade die Produzentinnen und Produzenten der hochwertigsten Lebensmittel selbst oft prekär, weil ihre Produktionsweise kein Skalieren ermöglicht und den Wert endli-cher Ressourcen anerkennt …
Auch könnten Kulturinitiativen gemeinsam lokale Brauereien dazu bringen, endlich ein Bio-bier zu brauen. Lässt sich der Stammwinzer nicht umstimmen, gibt es längst überall vorzüg-liche Bioweine. Auch sollte man sich fragen, ob das Kulturpublikum wirklich so borniert ist, als dass ihm Veranstaltungen mit weniger Fleisch nicht zuzumuten wären? Oder ob man nicht vielleicht einfach selbst gedanklich träger ist als man gedacht hätte.
Gerade belebte Kultureinrichtungen und aktive Initiativen gehören in ihrem Umfeld defini-tiv zu den unmittelbar meinungsbildenden Milieus. Die Sphäre der Kultur hat also - sorry für diese abgeschmackte, durchgekaute Phrase – auch Teil der Lösung sein. Sich einfach mit regionalen Zutaten abspeisen lassen, ist intellektuell ohnehin inkonsequent.
Bleibt die Frage, warum, wenn es ums „Greening“ von Orten, an denen Kultur stattfindet, geht, vor allem an die energetische Sanierung der Gebäude gedacht wird, selten aber an Verpflegung. Ich behaupte, das hat vor allem mit Bequemlichkeit zu tun. Erstens gibt es für Bauvorhaben seitens der öffentlichen Hand Geld für Infrastrukturförderung und einmalige Investitionen. Zweitens kann man sich damit selbst beruhigt zurücklehnen, weil es damit scheinbar getan ist und man gleichzeitig ja langfristig auch noch Heizkosten spart. Es ist also bequem, alles mit einem Mal abgehakt zu haben, andere zahlen zumindest mit. So muss sich niemand gedanklich auf den Wandel im Alltag einlassen. Wir begnügen uns bequem mit dem Schrauben an der Hardware, wo wir eigentlich ein neues Betriebssystem bräuchten.
Thomas Weber ist Gründer und Herausgeber von BIORAMA (Magazin für nachhaltigen Le-bensstil) sowie Herausgeber der Buchreihe „Leben auf Sicht“ im Residenz Verlag. Er war u.a. über mehrere Förderperioden Kulturinitiativenbeirat des Bundes und hat selbst zwei Rat-geber veröffentlicht: „Ein guter Tag hat 100 Punkte. … und andere alltagstaugliche Ideen für eine bessere Welt“ und „100 Punkte Tag für Tag. Miethühner, Guerilla-Grafting und weitere alltagstaugliche Ideen für eine bessere Welt“. In dem viel gelesenen Text „The Great Regional Swindle“ hat er ausführlich ausgeführt, warum es nicht reicht, regionale Lebensmittel zu kaufen und warum Bio besser und Bio aus der Region am besten ist.