Neues aus der Kleingartensiedlung: Wehret den Anfängen
Ich habe nämlich den Verdacht, dass dieses ganze Anti-RaucherInnen-Getue Ausdruck einer sich stetig verengenden Toleranz gegenüber den Mitmenschen und ihren Eigenheiten oder Gebrechen ist. Jetzt ist es soweit, dass man nicht mehr Nikotin in die Luft blasen darf, morgen darf man vielleicht bei der Gartenarbeit nicht mehr fluchen und schwitzen und in naher Zukunft dürfen hässliche Menschen vielleicht nur noch ab der Dämmerung auf die Straße.
Der beginnende Frühling ist für uns Kleingärtnerinnen und Kleingärtner eine Zeit voll Geschäftigkeit. Jetzt werden etwaige Winterschäden beseitigt, die Frühbeete bestückt und alles getan, um der gezähmten Natur im Kleingarten einen guten Start zu verschaffen. Aber er ist auch bereits eine Zeit der Ernte. Wenn auch nur im übertragenen Sinn. Denn der Kenner sieht auf den ersten Blick, wer im Herbst noch fleißig war und wer nicht. Jene, die noch eifrig gesät und Zwiebel eingelegt haben, können sich sehr viel früher über eine prächtige Blütenpracht freuen und ernten dafür die Anerkennung (manchmal auch den Neid) der Gartennachbarschaft. Und weil im Frühling vieles neu wird, hat sich der Vereinsvorstand über den Winter auch eine neue Kleingartenordnung ausgedacht. Im Wesentlichen enthält diese natürlich Altbekanntes – unsere Kleingartenordnung ist eben ein über viele Jahrzehnte gereifter Rechtstext, an dem es für gewöhnlich nur wenig zu verbessern gibt. Diesmal ist aber eine wesentliche Neuerung hinzugekommen. Eine Neuerung, die noch vor einigen Jahren undenkbar gewesen wäre: Nun ist das Rauchen auf den vereinseigenen Wegen zwischen den einzelnen Kleingärten strikt untersagt.
Ich habe die Zurückdrängung der Raucherinnen und Raucher aus vielen öffentlichen Orten bisher mit Interesse und Sorge beobachtet. Dabei habe ich wohl übersehen, dass im eigenen Vereinsvorstand die Anti-RaucherInnen-Lobby erheblichen Einfluss gewonnen hat. Ich habe nämlich den Verdacht, dass dieses ganze Anti-RaucherInnen-Getue Ausdruck einer sich stetig verengenden Toleranz gegenüber den Mitmenschen und ihren Eigenheiten oder Gebrechen ist. Jetzt ist es soweit, dass man nicht mehr Nikotin in die Luft blasen darf, morgen darf man vielleicht bei der Gartenarbeit nicht mehr fluchen und schwitzen und in naher Zukunft dürfen hässliche Menschen vielleicht nur noch ab der Dämmerung auf die Straße. Die Menschen haben sich schon so an die Idealbilder aus der Waschmittel- und Fett-Frei-Joghurt-Werbung gewöhnt, dass sie rauchende, stinkende, schiache Menschen als widernatürlich empfinden.
Mein gesellschaftliches Engagement beschränkt sich ja seit Jahren auf diesen Kleingartenverein. Hier aber setze ich mich voll ein. Daher habe ich jetzt unter dem Motto: „Wehret den Anfängen“ eine Plakataktion in Vorbereitung. Mein Freund Karl und ich werden in einer der nächsten Nächte überall in der Kleingartensiedlung ein selbstverfasstes Gedicht affichieren:
Als sie den Rauchern den Glimmstängel abnahmen, habe ich geschwiegen. Ich war ja kein Raucher. Als die Männer im Doppelripp-Unterleiberl eine Arbeitsjacke tragen mussten, habe ich geschwiegen. Ich trug keinen Doppelripp. Als sie den Frauen mit Hängebrüsten das Oben-Ohne- Sonnenbad verboten, habe ich geschwiegen. Ich war keine Frau. Jetzt wo sie die Männer mit Bierbauch holen, ist keiner mehr da, der protestieren könnte.
Dieses Gedicht wird wie ein Erdbeben durch die Kleingartensiedlung gehen und die Menschen aufrütteln!