Schöne neue Werbewelt
Wem gehört die Stadt? Wer bestimmt, wie sie auszusehen hat? Wer hat das Recht zur Bewirtschaftung ihrer Oberfläche? Was macht ein kommerzielles Werbeplakat schöner, besser, sauberer als ein Veranstaltungsplakat einer kleinen Kulturinitiative? Streiten wir hier über Geschmack?
Ein schönes und sauberes Wien. Jedenfalls in den Augen der Gemeinde Wien. Deshalb hat die Gemeinde Wien die GEWISTA Werbegesellschaft mbH beauftragt, dem Wildplakatieren ein Ende zu bereiten. Eigens zu diesem Zweck wurde die KULTUR:PLAKAT GmbH gegründet, an der die GEWISTA 70% hält, die restlichen jeweils 15% liegen bei zwei Mitarbeitern von Planet Music, welche bisher selbst Wildplakatierer waren. Der Großteil der anderen WildplakatiererInnen darf im Auftrag der KULTUR:PLAKAT GmbH weiterhin ihre „Rayons“ betreuen und gleichzeitig alle wilden Plakate abreißen. Weiters wird die Exekution der im § 48 Mediengesetz vorgesehenen Strafen für Wildplakatieren angedroht: Die Höchststrafe liegt zurzeit bei 2.180,- Euro pro angezeigtem Verstoß.
Wien von seiner schönsten Seite ...
Die KULTUR:PLAKAT GmbH bietet ihre Flächen ausschließlich für kulturelle Aktivitäten an. Sie garantiert das Nichtüberkleben während der bezahlten Laufzeit (jeweils eine Woche). Als Plakatflächen stellt sie an ausgewählten Strommasten montierte Halbschalen zur Verfügung, von denen jeweils eine dem Gehsteig, die andere der Straße zugewandt ist. Beide Seiten zeigen die gleichen Plakate. So entsteht eine schöne neue Werbewelt, die „sich elegant ins Stadtbild ein[fügt] – schließlich soll sich Wien, auch in Hinblick auf die Fußball-EM 2008, von seiner schönsten Seite zeigen“ (Originalton GEWISTA).
Die Verknüpfung mit der Fußball-EM kommt einer Kriegserklärung an Kunst und Kultur gleich: Sport und Kultur werden hier zu Ungunsten der Kultur gegeneinander ausgespielt. Wer kein Fußball-Fan ist und dem Ereignis schon bisher mit Skepsis (wenn nicht mit Grauen) entgegen geblickt hat, erhält so einen weiteren Grund, Sport als eine fragwürdige Angelegenheit zu betrachten. Es drängt sich Jelineks Sicht vom Sport als einer anderen Form von Krieg, einem Massenphänomen, unter dessen Deckmantel sich Gewalt hereinschleicht, auf: Für die grölenden, saufenden Fußballrowdies wird die Kultur mundtot gemacht! (Von den zu befürchtenden Auseinandersetzungen zwischen WildplakatiererInnen und -abreißerInnen ganz zu schweigen.)
Für jene unter uns, die dem Sport im Allgemeinen und dem Fußball im Besonderen zugeneigt sind, wird ein Ereignis, auf das man sich – vielleicht abgesehen von den Leistungen der österreichischen Nationalmannschaft – ungetrübt freuen konnte, in ein schiefes Licht gerückt. Wieso sollte frau/man zugunsten der Fußballer auf die eigene Sichtbarkeit verzichten?
Hier kommen wir nun zum Wesentlichen: dem Recht auf Sichtbarkeit, der Möglichkeit zur Kommunikation. Denn in Wien sind wir an das GEWISTA-Monopol so sehr gewöhnt, dass uns auf den ersten Blick vielleicht gar nicht auffällt, was es bedeutet, und welche Konsequenzen diese Entwicklung für uns alle hat.
Ordnungshalber angeordnete Verordnungen
„Zum Anschlagen, Aushängen und Auflegen eines Druckwerkes an einem öffentlichen Ort bedarf es keiner behördlichen Bewilligung.“ So soll im § 48 des Mediengesetzes die Plakatierfreiheit gewährleistet werden. „Sie soll jedem, der nicht über den Zugang zu den Massenmedien verfügt, die Möglichkeit schaffen, mittels Plakat seine Meinung oder Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.“ Und zwar unabhängig davon, ob es sich dabei um Pflückgedichte, Kunstwerke, die Suche nach dem entlaufenen Hund, eine Veranstaltungsankündigung oder Kritik an der Regierung handelt (ausdrücklich ausgenommen ist im Gesetz nur Pornographie).
Laut Gesetz hat also jede/r das Recht, sich der Öffentlichkeit mittels Plakat mitzuteilen. Nur wenn die EigentümerInnen der zu beklebenden Oberfläche nicht einverstanden sind oder die Gemeinde an der betreffenden Stelle (und unabhängig von EigentümerInnen!) ein Plakatierverbot erlässt, darf nicht plakatiert werden: „Doch kann die Bezirksverwaltungsbehörde (Bundespolizeibehörde) zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung durch Verordnung anordnen, dass der Anschlag nur an bestimmten Plätzen erfolgen darf. [...] Gesetzliche Schranken nicht inhaltlicher Natur können sich [...] auf Grund allgemeiner Rechtsvorschriften im Hinblick auf Straßenverkehr, Umweltschutz, Ortsbildpflege usw. ergeben.“
Den Straßenverkehr beeinträchtigende Plakate werden im Allgemeinen nur im Wahlkampf für Plakate der wahlwerbenden Parteien genehmigt (Stichwort Dreieckständer). Da dies auch im Eigeninteresse der Wiener Stadtregierung liegt, steht die Stadt Wien nicht an, Wien flächendeckend mit Dreieckständern zu überschwemmen. Wo Plakate mit dem Umweltschutz in Konflikt geraten könnten, bleibt unklar. Es ist aber davon auszugehen, dass das diesen speziellen Fall nicht betrifft. Bleibt also noch die Ortsbildpflege. Damit wird nun gegen das Wildplakatieren argumentiert: Wildplakatieren sei eine Verschandelung und Verschmutzung, die „richtige“ Werbung sei nicht wahrnehmbar vor lauter Reizüberflutung, und das Stadtbild werde beeinträchtigt.
Wem gehört die Stadt?
Das führt direkt zur Frage: Wem gehört die Stadt? Wer bestimmt, wie sie auszusehen hat? Wer hat das Recht zur Bewirtschaftung ihrer Oberfläche? Was macht ein kommerzielles Werbeplakat schöner, besser, sauberer als ein Veranstaltungsplakat einer kleinen Kulturinitiative? Streiten wir hier über Geschmack? Ich unterstelle: Nein. Es geht nicht um Geschmack oder um das Aussehen. Wie schon jeder Krimi-Kommissar sagt: Folgen Sie dem Geld. Rolling Boards aufstellen? Kein Problem, bringt der Stadt Geld. City Lights? Elektronische Werbe- und Ankündigungsflächen? Solange die Kasse klingelt, ist viel niemals zuviel. Hier spricht niemand von Reizüberflutung.
Die meisten, die ihre Veranstaltungen oder Ankündigungen per Wildplakat veröffentlichen, bringen der Stadt kein Geld. (Die meisten, denn auch große Player wie die Albertina oder mittelgroße wie die Viennale haben bisher zusätzlich zu ihrer legalen Plakatwerbung immer wild plakatiert. Viele von ihnen stellen übrigens nun der GEWISTA lobende Testimonials für deren Werbung zur Verfügung. Das ist, höflich gesagt, geschmacklos.) Die Stadt zu nutzen, ohne dafür zu bezahlen, mag man sich im Rathaus gedacht haben, kann nicht angehen. Flugs war also eine GEWISTA-Tochterfirma gegründet, die damit aufräumen soll.
Doch die von dieser Firma zur Verfügung gestellten Flächen decken die Bedürfnisse jener, die auf das Wildplakatieren angewiesen sind, nicht annähernd ab:
- Frau/man kann nicht dort plakatieren, wo sie/er möchte und wo nach eigener Einschätzung Bedarf dafür besteht. Es stehen nur zwei Netze zur Verfügung: Netz 1 umfasst den 1. Bezirk, Netz 2 alle anderen Bezirke.
- Wie viele (oder wenige) Plakate affichiert werden sollen, ist nicht frei bestimmbar: Die Zahl der Plakate ist fix. Für Netz 1 werden 100 Plakate für 50 Standorte verlangt, für Netz 2 200 Stk. für 100 Standorte.
- Kurzfristiges Buchen ist nicht möglich: Für eine Buchung heute (Mitte November) stehen erst Termine im März zur Verfügung.
- Viele werden es sich nicht leisten können: Ein Plakat in Netz 1 kostet 10,50.- Euro exkl. Steuern – das sind 13,23.- Euro inkl. USt. und Werbeabgabe; Gesamtkosten daher: 1.323,- Euro
- Ein Plakat in Netz 2 kostet 2,95.- exkl., 3,17.- Euro inkl.; gesamt 743.- Euro
- Die Formate gibt die GEWISTA vor, Sonderformate sind nicht möglich.
Fazit
Gezielte Werbung im Grätzel für ein Grätzelfest, Einzelaushänge (Hund entlaufen...), Pflückgedichte und Kunst sind so nicht mehr möglich. Privatpersonen (die handgeschriebene oder -gemalte Zettel aufhängen) und Newcomer (die meist froh sind, wenn sie sich überhaupt Plakate leisten können und diese selbst affichieren) werden sich die Preise nicht leisten können. Und da die großen Player im Gegensatz zu kleinen Kulturinitiativen langfristig planen, werden die relativ wenigen Flächen (insgesamt sollen 21.000 Plakate geklebt werden können) schnell ausgebucht sein.
Bleibt also nur zu hoffen, dass die Wiener Gesetzmäßigkeiten auch diesmal wieder zum Tragen kommen? Nach dem Motto: Die hier herrschenden Verhältnisse sind meist ohnehin ein bisserl schlampert. Wildplakatieren war schließlich auch bisher nicht erlaubt. Gekümmert hat das niemanden. Im besten Falle bleibt es auch in Zukunft so ... Denn dass die Stadt sich dazu herablässt, Spielregeln zu verhandeln in Abstimmung mit jenen, für die der § 48 geschaffen wurde (also jenen, denen der Zugang zu Massenmedien verwehrt ist), muss wohl als übertrieben blauäugige Träumerei angesehen werden. (Als meist übertrieben blauäugige Träumerin erwarte ich von der Stadt Wien selbstverständlich, dass sie mich Lügen straft.)
Für alle jene aber, die sich nicht mit bloßer blauäugiger Hoffnung zufrieden geben wollen, gibt es andere Möglichkeiten. Beginnend mit orchestrierten Presseaussendungen betroffener Gruppen bzw. deren VertreterInnen (der genaue Termin stand zu Redaktionsschluss noch nicht fest) sind eine Reihe von Aktivitäten geplant, um in einem ersten Schritt die Betroffenen und die Öffentlichkeit auf die Problematik aufmerksam zu machen. Schon jetzt gibt es beispielsweise die Möglichkeit, unter www.freieplakatierung.at eine Petition für den Erhalt der freien Plakatierung in Wien zu unterschreiben.
Ziel all dieser Aktivitäten ist es, mit diplomatischen Mitteln der von der GEWISTA veröffentlichten Kriegserklärung zu begegnen und das Entfernen der wilden Plakate zu stoppen. So lange nicht sichergestellt ist, dass „jedem, der nicht über den Zugang zu den Massenmedien verfügt, die Möglichkeit [geboten wird], mittels Plakat seine Meinung oder Informationen der Öffentlichkeit zugänglich zu machen“, stellt das Entfernen von Plakaten, Kunstwerken und Meinungsäußerungen Zensur dar. Da ich der Stadt Wien weder faschistische Methoden noch diktatorische Absichten unterstelle, kann ich nur davon ausgehen, dass es zu einer Sistierung der Kampfhandlungen – sprich, der allfälligen Verhängung von Strafen im Falle des Zuwiderhandelns gegen das Wild-Plakatier-Verbot sowie des Abreißens wilder Plakate – kommt.
Anmerkung
Informationen zum aktuellen Stand der Auseinandersetzung und geplante Aktivitäten unter freietheater igkulturwien
Nicole Delle Karth ist Regisseurin und Dramaturgin, lebt und arbeitet in Wien.