Identitäre Grenzziehungen?
Heteronormative Begehrens- und Beziehungsstrukturen sowie traditionelle Geschlechterbilder und Kontexte wurden in „queeren“ Arbeiten in der Ausstellung u.a. auf den Kopf gestellt.
Die Ausstellung seems to be. differente identitäten zwischen ich / wir / queer – entwickelt und organisiert von den Kuratorinnen Ingeborg Erhart (Tiroler Künstlerschaft) und Gudrun Pechtl (tki) – zeigte künstlerische Positionen, die verschiedene Zugänge zu Identität(en) und deren Dekonstruktionen widerspiegeln. Die zentralen Orientierungspunkte des Ausstellungskonzeptes waren „ich“, „kulturelle Identität“ und „Geschlecht“, entlang welcher die Komplexität der „differenten“ Identitäten verhandelt wurden.
differente identitäten
Identität ist ein schwieriges Unterfangen: ob künstlerisch bearbeitet, politisch diskutiert oder antirassistisch kritisiert; Identität ist ein Projekt, das niemals zu Ende geht. Komplizierter wird die Angelegenheit, wenn wir die Welt der monolithischen Identitäten verlassen und von multiplen Zugehörigkeiten und fragmentarisierten Identitäten zu sprechen beginnen: Augenfällig ist die Beschäftigung mit dem Selbst und demselben, denn Identität leitet sich vom lateinischen idem („der Selbe“) ab. Differente Identitäten sind an sich ein Widerspruch, denn different heißt ja auch buchstäblich „auseinander gezogen“ oder „auseinander getragen“. Anhand der Herkunft der Wörter kann eine „differente Identität“ Stücke desselben sein, die aufgebrochen oder in kleinere Bestandteile zerlegt wurden. Different heißt also nicht, dass es sich um ein Zusammentragen der auseinander gebrachten Stücke handelt, sondern dass diese fortwährend in Bewegung sind. Diese Bewegung ist keinesfalls wahllos; sie ist nicht einfach „unterwegs“, sondern vielmehr auf dem Weg zu Anknüpfungspunkten, zu zeitweiligen Aufenthaltsorten. Genauer gesagt, in der Bewegung dieser differenten Identitäten ist eine Recherche: Sie „suchen“ nicht nach einem Platz, wo alles endgültig vereint wird – sondern je nach Fokus oder Begehren – nach einem Ort (bzw. mehreren Orten) wo sie sich festmachen können, um anzudocken, Raum zu bekommen, Platz zu haben. Die identitäre Problematik des „Selben“ wird also durch das „differente“ in Bewegung gesetzt, ent-setzt und hinterfragt. Dasselbe findet mit der Verschiebung der Ausrichtung von „homosexuell“ (griechisch homós bedeutet auch „gemeinsam“, „gleich“, „ähnlich“) hin zu „queer“ statt. Die queere Art der „differenten Identität“ bewegt sich weg von den (heterosexuellen und binären Geschlechter-) Normen, hin zur Erschaffung einer zeitweiligen (aktivistischen) Community (einem „wir“). Dies ist eine Gebärde der Unordnung, die auch Verwirrung stiftet. In der Ausstellung geht es daher gleichzeitig um „queer“ und „kwir(r)“. Von der Bewegung in der Identität zur Unruhestiftung im kwir(r)en Sinne, geht es jetzt weiter mit einer Reflexion der Verbindung zwischen einer Politik der Identität und der Verortung – aus queerer Perspektive, versteht sich.
queer home
Als eingeladene Vortragende im Rahmen der Ausstellung wurde ich gebeten u.a. die thematischen Stränge des Ausstellungskonzeptes zu erläutern. Die Einladung erfolgte z.T. aufgrund meines spezifischen wissenschaftlichen, kulturpolitischen und aktivistischen Hintergrunds. Ich dachte viel über meine Verortung als Vortragende in dieser Ausstellung nach und auch darüber, was es bedeutet Teil des Programms bzw. der Ausstellung zu sein. Entlang welcher Merkmale und Positionen wurde/werde ich „identifiziert“? Was spielt meine eigene Platzierung bzw. Verortung für eine Rolle bei den durchaus unterschiedlichen Identitäten, die ich zu „verkörpern“ habe?
Angeregt von diesen Fragen, und vor allem dem Verhältnis zwischen der politischen Verortung und strategischen Identität, führten meine Recherchen u.a. zur feministischen Geografie, die theoretische Überlegungen zu Orientierungen, Verortung und Zugehörigkeit in Hinsicht auf reale bzw. imaginäre Räumen bietet. Raum als verhandelbar, wandelbar und prozesshaft zu verstehen – eine Errungenschaft des spatial turns – brachte zusammen mit feministischen Reflexionen neue Perspektiven auf Identität hervor. Sie wird als Strategie der Verortung verstanden und zwar unter Berücksichtigung (der Konzeptualisierungen und Effekte) von Nation, Kultur, Kolonialisierung, Raum, Heimat, „home“, etc. Die feministische Geografin Susan Stanford Friedman definiert Identität als eine Positionalität, Standpunkt, Verortung, Schnittpunkt oder als eine Kreuzung von mehrfach situiertem Wissen. Demnach wird Identität relational, situativ und interaktiv hergestellt. Die Verbindung von Verortung-als-Praxis und Identität lässt sich mit dem Konzept eines Zuhauses oder „home“, das unter anderem als identitätsstiftender Raum theoretisiert wird, gut verbinden.
Nicht zuletzt sind meine Erfahrungen und Überlegungen bzgl. Migration ausschlaggebend für das Interesse an einer Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten von „home“: Welche Handlungsmomente sind in „home“ eingeschrieben? Was für eine Auffassung von „home“ bedarf es um diesen Aktionsraum ausleuchten zu können, um „home“ auch als Raum der Ermächtigung und der Veränderung gesellschaftspolitischer Verhältnisse und Strukturen denkbar zu machen? In interdisziplinären, queeren, feministischen und migrationspolitischen Studien wird „home“, ähnlich wie Identität, auch als eine Art des Ein- und Ausschlusses, ein Parameter, ein Bezugspunkt, eine Fiktion und als eine Realität verhandelt. „Home“ und Identität sind aber keinesfalls austauschbare Konzepte, obgleich sie mit einander verstrickt sind. Sowohl „home“ als auch Identität sind Felder, wo Machtverhältnisse und -strukturen verhandelt und vermittelt werden.
Zusätzlich zur feministischen, raumtheoretischen Perspektive füge ich hier eine queere Sichtweise hinzu. Damit möchte ich den Blick auf Methoden, Theorien, Praxen, Strategien und Aktivismen schärfen, welche zur Erschütterung der Vorherrschaft binärer Geschlechterkategorien und heteronormativer Lebens-, Arbeits- und Schaffensbedingungen beitragen. In der letzten Dekade sind vor allem in der angloamerikanischen Literatur Schriften zu „queerer Migration“ von Protagonistinnen, die in der Migration oder auch Diaspora leben, verstärkt erschienen. Anne-Marie Fortier, beispielsweise, bezieht sich auf „homemaking practices“ (home-erschaffende Praktiken), die queere „homes“ in der Migration möglich, lebbar und erlebbar machen. Diese orientierenden, recherchierenden, suchenden Bewegungen, die ich den differenten Identitäten zugeschrieben habe, nennt Fortier „motions of attachment“. In diesem Konzept ist „home“ an sich mobil. Es wird konkret durch Bewegung und temporäre Anbindungen in Erinnerung gerufen und hergestellt. Von der Warte dieser Anbindungen (Verortungen) der Bewegung aus, wird „home“ nicht nur zeitweilig an Orte, die wir versuchen als „home“ zu gestalten gebunden, sondern auch an Körper und Beziehungen, die uns berühren oder auf eine bedeutsame Art berührt haben. (Fortier 2003, S. 131) Es scheint so zu sein, dass der Versuch einer Verortung der „differenten Identitäten“ zur Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis von In-Bewegung-sein und (queer) homes, aber auch zu einer Infragestellung und Produktiv-Machung von Zwischenräumen führte.
Zwischenräume
Heteronormative Begehrens- und Beziehungsstrukturen sowie traditionelle Geschlechterbilder und Kontexte wurden in „queeren“ Arbeiten in der Ausstellung u.a. auf den Kopf gestellt. Beispielsweise Katrina Daschners Fotocollage Wanting Sweet (2000); Thomas Hörls Thomas Nacht – Ein Sommergespräch, ein Pool mit Erinnerungen und andere Verständnisse (2008); Nilbar Güres’ Collagen der Unbekannten Sportarten (2007) mit den Titeln Wachstag und Lust auf Fußball und Stefanie Seibolds A Reader – A Visual Archive. Letzteres wurde in der Lese- und Café-Ecke der Ausstellung ausgestellt und bringt Erinnerungsstücke in Bild und Text zusammen, um lesbare collagierte Dokumente queerer Geschichte zu erstellen.
Eine der Hauptmotivationen der Kuratorinnen war sich mit den Themen der Ausstellung abseits fixierter kultureller Identität zu beschäftigen. Seems to be changiert zwischen diesen verschiedenen Polen von Andockung und Losmachung und untersucht zugleich, was in den Zwischenräumen entstehen kann. Die Ausstellungsidee entstand aus der Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit den Themen „Identität“ seitens der tki und „Grenzziehungen?“ seitens der Tiroler Künstlerschaft: Der Fokus „Identität“ entspringt einer Beschäftigung der tki mit dem Thema des politischen Antirassismus im Kulturbereich. Eine Grundproblematik des Themas „Identität“ ist, dass sie in dem diffizilen Konstrukt der „kulturbedingten“ identitären (Fremd-)Zuschreibungen verstrickt ist. Neben einem offensichtlichen Paternalismus dieser und der Diskriminierung der „kulturellen Identität“ wird sowohl „Identität“ als auch „Kultur“ als selbstverständlich definierbar, abgrenzbar bzw. als unveränderbar verstanden. Als Antwort versuchen die Kuratorinnen den festen Griff von Kultur auf die Identität (und umgekehrt) zu lockern und zwar durch die Verschiebung des Blicks auf die Verrückbarkeit und Vielschichtigkeit von Identität, Kultur, ich, wir und queer.
Die „ich“-bezogenen Arbeiten in der Ausstellung unterstreichen zum einen die Schwierigkeiten die unterschiedlichen Anforderungen an individuellen KünstlerInnen zu erfüllen und zum anderen die inhärente Multiplizität von Identität an sich. Das multiple und oft fragmentarisierte „ich“ findet sich in MEAS von Annette Sonnewend wieder: In drei kurzen Videos, die 3D-Grafik-Nachbauten von Originalfilmszenen sind, spielt die Künstlerin mit. In der Audioinstallation ARGE PANINI/PALERMO/SCHWAB von Christoph Schwarz übernimmt der Künstler die Rolle unterschiedlicher Personen, deren Positionen und Stimmen sowie die Moderation für das Treffen, das langsam aber sicher ad absurdum geführt wird.
Dennoch ist es ein Seiltanz das Fantasma des individuellen künstlerischen Genies zu präsentieren und sich kritisch in der Kunst dem Thema „ich“ zu widmen. Die Frage nach der ersten Person Plural, welches auch Teil des Ausstellungstitels ist, bleibt jedoch offen. Was bleibt von dem „wir“ in differente Identitäten zwischen ich / wir / queer? Abgesehen von ein paar feinen Duo-Beiträgen fehlten die Arbeiten, die von Kollektiven erarbeitet wurden. Was hat der Zwischenraum zwischen ich und wir zu bieten? Wie sieht die Suche nach dem Gemeinsamen aus? Wie ist der Sprung zwischen wir und queer zu schaffen? Angeregt von den besagten Zwischenräumen führte ich Überlegungen zu queer homes aus. Die offenen Fragen können aber teilweise anhand des zweiten Ausstellungsschwerpunkts Grenzziehungen? von der Tiroler Künstlerschaft adressiert werden. Das Fragezeichen verdeutlicht, dass Grenzziehungen keine Selbstverständlichkeit sind bzw. dass sie fortwährend im Begriff sind, sich zu verschieben oder als verschoben oder verrückt gelesen zu werden. Die Hinterfragung von Grenz(ziehung)en und die Dekonstruktion von Identität/en eröffnet eine Perspektive aus der auch Zwischenräume „zwischen“ ich, wir und queer ausgeleuchtet werden können. Die Ausstellung seems to be ein zwischenzeitlicher Zwischenraum und davon kann es ruhig mehr geben.
Literatur
AHMED, SARA: „Home and Away. Narratives of Migration and Estrangement.“ International Journal of Cultural Studies, vol. 2(3), 1999, S. 329-347
AHMED, SARA: „Queer Phenomenology. Orientations, Objects, Others“. New York: Routledge 2007.
BHABA, HOMI K.: „The Location of Culture“. London / New York: Routledge 1994.
BLUNT, ALISON / DOWLING, ROBYN (Hg.) „Home“. London / New York: Routledge 2006.
FORTIER, ANNE-MARIE: „Making home: queer migrations and motions of attachment.“ In: AHMED, S. / CASTANEDA, C. / FORTIER A-M. / SHELLER, M. (Hg.) „Uprootings/Regroundings: Questions of Home and Migration“. Oxford: Berg 2003. S. 115-135
STANFORD FIEDMAN, SUSAN: „Mappings: Feminism and the Cultural Geographies of Encounter“. Princeton, NJ: Princeton University Press 1998.
GEORGE, ROSEMARY MARANGOLY: „The Politics of Home. Postcolonial Relocations and Twentieth-century Fiction“. Berkeley / Los Angeles / London: University of California Press 1999 [1996].
Erika Doucette ist Kulturarbeiterin und Aktivistin zwischen Wien und Amsterdam.