Stadt- und Regionalentwicklung: Kunst im öffentlichen Raum als Hoffnung
<p>Sprechen wir über die Potenziale von Kunst im öffentlichen Raum, leben wir alle in einer Zwitterposition, ja wir agieren als Doppelagenten. Einerseits sind wir – als professionelle Advokaten der Hoffnung auf Verbesserung unseres Gemeinwesens durch Kunst – tagtäglich damit befasst, den Wert und die Hoffnungen hervorzuheben, zu denen die Produktion zeitgenössischer Kunst Anlass gibt. Andererseits haben wir zugleich aus dieser Arbeit heraus den genauestens Einblick in
Sprechen wir über die Potenziale von Kunst im öffentlichen Raum, leben wir alle in einer Zwitterposition, ja wir agieren als Doppelagenten. Einerseits sind wir – als professionelle Advokaten der Hoffnung auf Verbesserung unseres Gemeinwesens durch Kunst – tagtäglich damit befasst, den Wert und die Hoffnungen hervorzuheben, zu denen die Produktion zeitgenössischer Kunst Anlass gibt. Andererseits haben wir zugleich aus dieser Arbeit heraus den genauestens Einblick in ihre Fragilitäten, ihre Unzulänglichkeiten, ja auch in ihr Versagen. Blicken wir zum Beispiel auf große Institutionen, so müssen wir derzeit er- leben, dass manche Museen, denen wir ein hohes aufklärerisches, ja volksbildendes Potenzial zugeschrieben haben, eben „nicht“ zur Ausbildung einer besseren Gesellschaft führen, sondern zu Bühnen postfeudaler Repräsentation geworden sind.
Ich würde also gerne die Frage in den Raum stellen, ob wir angesichts der beständigen Abwanderung aus den dezentralen Räumen nicht anerkennen müssen, dass es doch nicht die Kunst sein wird, die sich entvölkernde Landstriche retten wird, und dass es vielleicht doch nicht die Kunst sein wird, der es gelingen wird, vernachlässigten Stadtteilen oder Regionen neues Leben einzuhauchen. Viele unserer Begründungsargumente stammen aus einer Hochkonjunkturphase, in der wir den Über- bau optimierten, während eine boomende Nachkriegswirtschaftsentwicklung die Basis dafür legte. Diese Phase scheint vorbei zu sein. Sind wir nicht mittlerweile an einem Punkt angelangt, an dem wir akzeptieren müssten, dass es doch eher sozi- ale und wirtschaftliche Innovationsfähigkeit in Verbindung mit einem klugen städtebaulichen, raumplanerischen und politischen Instrumentarium braucht, um Abwanderung, Vernachlässigung und die daraus folgende Perspektivlosigkeit zu verhindern? Könnten wir an dieser Stelle im Text also enden, indem wir uns darauf einigen, auf eine bereits abgeschlossene Phase der Hoffnung zurückzublicken? Das sollten wir nicht tun!
Doch bevor ich Sie mit Optimismus versorge, darf ich in eine an- dere Richtung blicken, aus der wir auch immer wieder hören, wie wichtig die Kultur – und dabei natürlich auch die Kunst im öffentlichen Raum – denn für die örtliche Entwicklung wäre: Ich spreche vom scheinbar unschlagbaren Doppelpack „Kunst und Tourismus“.
Natürlich, auch ich verdanke der Wertschöpfung innerhalb einer Tourismusregion letztendlich mein Studium, und es ist sicher realistischer, für bestimmte Landstriche eine touristische Entwicklung zu prognostizieren, als ein zukünftiges Silicon Valley dort zu imaginieren, wo unter den Berggipfeln der Leerstand herrscht.
Es wäre fatal, die Potenziale der Kunst immer nur in Beziehung zu touristischen Notwendigkeiten zu setzen.
Dennoch wäre es fatal, die Potenziale der Kunst immer nur in Beziehung zu touristischen Notwendigkeiten zu setzen. Denn trotz aller Veränderungen hin zu einer Kooperationskultur muss das Verhältnis von Tourismus und kultureller Nahversorgung weiterhin als zwiespältig eingeschätzt werden. Aus der häufigen Arbeit in ländlichen Umgebungen erwuchs sogar der Verdacht, dass es die „Abwesenheit“ von Tourismus sein könnte, die eine der Motivationen für kulturelles Engagement außerhalb der städtischen Zentren darstellt.
Doch der Begriff der Nahversorgung hilft, wenn es nun doch da- rum geht, die Hoffnung zu bejahen, die mit kultureller Tätigkeit einhergeht. Es scheint mir dabei mittlerweile unerheblich, ob es dabei um Orte in den Zentren, Dörfer oder periphere Stadtteile geht. Sowohl Stadt- wie auch Regionalentwicklung mussten er- kennen, dass es neben den großen Strukturen auch unzählige Kleinaktivitäten braucht, um lebendige Orte zu schaffen: Feste, lokale Märkte, Nachbarschaftszentren, Kleingewerbe, vielfältige Angebote für Kinder und Jugendliche, Teil- und Tauschökonomien sowie Medienproduktion stehen mittlerweile ebenso im Repertoire aktueller Stadt- und Regionalbelebung wie deren Entsprechungen aus dem weiten Feld der Kunst im öffentlichen Raum.
In der Kunstwelt werden dabei zwei Aspekte häufig als Gegensätze gegeneinander ausgespielt: Einer vermeintlich nur der Kunst verpflichteten Kunst wird dabei eine angeblich unkünstlerische – abschätzig „Sozialarbeit“ genannte – Praxis gegenüber- gestellt. Ich halte diese hierarchisierende Unterscheidung für schädlich: Kunst kann in allen ihren Ausformungen wertvolle Im- pulse liefern, vor allem dort, wo sie sich in konkrete Beziehungen zu Orten und Menschen setzt. Trotz einer großen Nahebeziehung zu den vielfältigen Erscheinungen partizipativer Kunst möchte ich also betonen, dass es auch außerhalb der Zentren sperrige Minderheitenprogramme und hermetische Kunstäußerungen geben muss. Gerade dadurch entstehen oft starke Beziehungen, da sich die speziell daran Interessierten darüber freuen, ihren – lokal marginalisierten – Vorlieben einmal vor der eigenen Haustüre nachgehen zu können.
Meine Hoffnung liegt auf einer Kunst im öffentlichen Raum, die versteht, dass sie nur ein Teil der gesellschaftlichen Äußerungen an einem gegebenen Ort zu einer bestimmten Zeit ist. Eine Kunst im öffentlichen Raum, die sich überlegt, wie sie sich mit anderen Äußerungen am gegebenen Ort und zu einer bestimmten Zeit verbinden könnte, um zur Entwicklung von Orten etwas beizutragen. Diese Verbindung kann natürlich auch im Konflikt ent- stehen oder indem an jene gesellschaftlichen Gruppen gedacht wird, die in den üblichen Erzählungen von „Bürgermeister und Blasmusik“ nicht vorkommen. Orte mit Problemen brauchen zu- allererst eine funktionierende Gesellschaft, um sich zu entwickeln, und eine funktionierende Gesellschaft braucht Öffentlichkeit, um sich zu konstituieren. Die alten Orte der Öffentlichkeit – Gemeinderat, Gasthaus, männlich dominierte Stammtische oder Kirchen mit ausschließenden Methoden – reichen für diese Aufgabe nicht mehr. Kunst im öffentlichen Raum, die – mit an- deren! – andere Räume und andere Kommunikationen schafft, kann also jene Öffentlichkeiten bilden, die Gesellschaften in Städten und Dörfern brauchen, um sich selbst und ihre Umgebungen zu entwickeln.
Gekürzte Schriftfassung eines Vortrags im Kunstraum Niederösterreich am 27. November 2014 anlässlich der Buchpräsentation zum Projekt „Elseworlds“ von Sonia Leimer und Christian Mayer.
Erstabdruck: artmagazine, Link: www.artmagazine.cc/ content82520.html
Autor:
Martin Fritz, Kurator, Berater und Publizist. Leiter des Festival der Regionen 2004 bis 2009.
Fotos: © Andrea Huber