Die illiberale Wende in Ungarns bildender Kunst. Gibt es Konsequenzen?

Ihr ursprüngliches Ziel, die Widerstandsfähigkeit der zeitgenössischen Kunstszene zu demonstrieren, versuchen die OrganisatorInnen der OFF-Biennále mit der Schaffung einer inklusiven Plattform mit flachen Hierarchien und auf Grundlage einer breiten Basisbewegung zu erreichen.

Biennale Budapest
Emese Süvecz

Die illiberale Wende in Ungarns bildender Kunst. Gibt es Konsequenzen?

 

„Niemand ist besser geeignet im Namen der KünstlerInnen zu sprechen als die KünstlerInnen selbst.“

Jack Chambers, Gründer von CARFAC[i]

 

Wie man in internationalen Kunstmedien nachlesen kann, hat die illiberale Wende des rechtsextremen Orbán-Regimes unter anderem dazu geführt, dass sich die Rahmenbedingungen für bildende Kunst in Ungarn grundlegend verändert haben.[ii] Es besteht daher kein Zweifel, dass der Fall Ungarns seine eigene internationale Aufmerksamkeit benötigt. Trotzdem erscheint es notwendig, die historischen Dimensionen dieser Entwicklung zu untersuchen. Meiner Meinung nach benötigen wir in dieser Frage einen viel kritischeren Zugang, um in der Lage zu sein, das System, in dem wir agieren und unsere Rolle, die wir darin spielen, besser zu verstehen; ein System, das global agiert und nicht lokal begrenzt ist. In diesem kurzen Text ist es mir nur möglich, einzelne Themen anzusprechen und entsprechende Fragen zu formulieren. Ich werde weder näher auf die kulturpolitischen Interventionen der Regierung eingehen, noch auf die Rolle der Ungarischen Akademie der Künste („Magyar Müvészeti Akadémia”, MMA). Diese wurde im Rahmen eines neuen Grundrechts, das seit 1. Januar 2012 in Kraft ist, mit einer noch nie dagewesenen Machtfülle ausgestattet, welche die exklusive Kontrolle über weite Teile der Infrastruktur der zeitgenössischen Kultur Ungarns sowie ein gigantisches Budget auf Kosten der Kulturszene des Landes umfasst. Ich werde die Gelegenheit nützen, um einige kritische Anmerkungen wiederzugeben und verschiedene künstlerische Positionen zu präsentieren, die sich zwar nicht direkt auf das Regime und jene ultrakonservativen KünstlerInnengruppen beziehen, die vom MMA gefördert werden, sondern auf AkteurInnen, die von sich behaupten, für den Bereich der bildenden Kunst über eine Strategie zu verfügen, die das kollektive Überstehen der illiberalen Wende ermöglichen soll. Dabei werde ich mich auf eine Studie beziehen, die bereits im Jahr 2010 eben diese AkteurInnen befragt hat, nämlich eine Gruppe von KuratorInnen, die aktuell im Zentrum einer lokalen Debatte rund um die OFF-Biennále stehen. Aus meiner Sicht stellt die Auseinandersetzung mit dieser Problematik einen idealen Ausgangspunkt dar, um über verschiedene Fragen zur lokalen Situation nachzudenken und aufzuzeigen, warum es wichtig wäre, sich mit der Lage in Ungarn auf internationaler Ebene auseinanderzusetzen.

Art on your skin

Vor der illiberalen Wende existierte bildende Kunst in Ungarn innerhalb eines relativ abgeschlossenen, autonomen Bereichs und wurde weitgehend von öffentlichen Institutionen dominiert. Der Kunstmarkt hatte das Feld noch nicht betreten und interessierte sich eher für populärere Kulturformen. In Folge der staatlichen Interventionen ab dem Jahr 2010 verließen einige KuratorInnen und KunsthistorikerInnen ihre Institutionen oder wurden auf die eine oder andere Art „deinstitutionalisiert“, z.B. indem die Unterstützung ihrer Projekte durch öffentliche Gelder eingestellt wurde. Durch diese Umwälzungen innerhalb der kleinen ungarischen Kunstszene sprangen verschiedene kleinere Institutionen und private Initiativen ein, etwa mit der Gründung eigener Forschungsinstitute. Nach einer Phase der Konfrontationen und des kulturellen Protests, der sich gegen die Übernahme wichtiger Institutionen durch die Ungarische Akademie der Künste richtete, dem die Regierung jedoch mit konsequenter Gleichgültigkeit begegnete, wollte eine Gruppe von KuratorInnen (die meisten von ihnen hatten früher im Ludwig Museum für zeitgenössische Kunst gearbeitet) neue Ansätze entwickeln und sie beschlossen, die OFF-Biennále Budapest zu gründen.


Die Veranstaltung fand erstmals im Frühjahr 2015 statt und bestand aus über 200 Programmpunkten an 136 verschiedenen Orten wie Privatwohnungen, privaten Galerien und öffentlichen Plätzen. Einer selbst auferlegten Regel zufolge waren Veranstaltungsorte, die aus öffentlichen Mitteln finanziert wurden, von der Teilnahme ausgeschlossen. Stattdessen konzentrierten sich die OrganisatorInnen mit ihren Bemühungen um Finanzierung auf die Privatwirtschaft und einen Kreis von SammlerInnen, welche die Initiative unterstützten. Man wollte unter anderem beweisen, dass es möglich sei, eine große Ausstellung ohne staatliche Unterstützung auf die Beine zu stellen. Allerdings handelte es sich bei dem mutmaßlich größten Geldgeber um die „EEA and Norway Grants“, einem gemeinsamen staatlichen Programm von Island, Liechtenstein und Norwegen mit dem Ziel, die europäische Zivilgesellschaft zu stärken, dessen Fokus aber nicht unbedingt auf zeitgenössischer Kunst liegt. Während das Budget der OFF-Biennále intransparent ist, entpuppte sich die Vorgabe, dass nur Sachleistungen bezahlt, die Arbeitsleistungen aller Teilnehmenden (inklusive des Organisationskomitees) hingegen nicht abgegolten würden, als ein zwar viel strapaziertes, aber letztendlich irreführendes kuratorisches Konzept. Irreführend deshalb, weil die teilnehmenden KünstlerInnen – im Unterschied zu den KuratorInnen – von den Erträgen in Form von symbolischem Kapital oder lukrativen, internationalen Einladungen weitgehend ausgeschlossen waren und es zudem nur ein entsprechender finanzieller Hintergrund erlaubt, im Rahmen eines solchen Projektes freiwillige unbezahlte Arbeit zu leisten.

Alfred Palestra

Obwohl die OFF-Biennále auf internationaler Ebene sehr positiv rezipiert wurde (2016 konnte man den Igor Zabel Preis[iii] gewinnen), waren die Kommentare in den lokalen Medien überwiegend kritisch – obwohl einige KritikerInnen zuvor eine aktive Rolle bei der Programmgestaltung und der Unterstützung der Veranstaltung gespielt hatten. Einer dieser KritikerInnen war der bekannte liberale Intellektuelle Péter György, der einen kurzen Artikel in „Élet és Irodalom“ (ungarisch für „Leben und Literatur“) veröffentlichte, einer der führenden liberalen Wochenzeitschriften Ungarns. Darin beschuldigt György die OrganisatorInnen, Selbstmitleid und Selbstdarstellung in den Mittelpunkt zu stellen, was zwar verständlich, aber nicht sonderlich spannend sei. Daher, so György, wäre das Programm der OFF-Biennále von Obertönen dominiert, während die bittersüße Illusion der Subversion genauso in den Hintergrund trete wie auch die fröhliche Praxis der Rebellion oder die Qualität der Unabhängigkeit von staatlichen Strukturen.  Die Verantwortlichen würden zwar regelmäßig die Bedeutung von Selbstreflexion und Aktionismus betonen, blieben die Produktion von ästhetischen und politischen Manifestationen aber weitgehend schuldig. 

 

Eine weitere kritische Reaktion zur OFF-Biennále war eine Studie von Gábor Andrási, dem Chefredakteur von „Műértő – Művészeti és műkereskedelmi folyóirat“. Das akademische Journal war ursprünglich mit dem Ziel gegründet worden, über neue Entwicklungen am Kunstmarkt zu berichten, hat sich jedoch mittlerweile zu einem der führenden Publikationen für zeitgenössische Kunst in Ungarn entwickelt. Andrási formulierte neun Fragen und stellte diese an verschiedene KuratorInnen, KunsthistorikerInnen und Kunstschaffende, die an der OFF-Biennále beteiligt waren. Da die Umfrage bereits in Englisch in der 47. Ausgabe von „IDEA arts+society“, einem Journal für zeitgenössische Kunst, veröffentlicht wurde, möchte ich an dieser Stelle nur auf einen Kommentar von Katalin Timár eingehen, Kunsthistorikerin und Kuratorin am Budapester Leopold Museum. Ihrer Argumentation zufolge hätte die OFF-Biennále zwar versucht, Antworten auf die herrschende Situation zu finden, die gewählten Instrumente seien jedoch nicht die richtigen gewesen. Nach der Wende von 1989 hätten es die AkteurInnen der ungarischen Kulturszene verabsäumt, eine Kulturpolitik zu betreiben, die demokratische Konzepte artikuliert und umsetzt. Stattdessen hätten sie versucht, ihre eigenen institutionellen Existenzen und Funktionen durch individuelle Übereinkommen abzusichern. Es genüge, so Timár weiter, ein Blick auf die Statistiken bezüglich öffentlicher Transferleistungen für Kultur in den letzten zwanzig Jahren, um zu verstehen, dass das Phänomen der Marginalisierung von zeitgenössischer Kunst nicht von einer bestimmten Regierung abhängt.

Off Biennale


Ihr ursprüngliches Ziel, die Widerstandsfähigkeit der zeitgenössischen Kunstszene zu demonstrieren, versuchten die OrganisatorInnen der OFF-Biennále mit der Schaffung einer inklusiven Plattform mit flachen Hierarchien und auf Grundlage einer breiten Basisbewegung zu erreichen. Es stellt sich die Frage, wie sich eine derartige Initiative zu einer – ihren KritikerInnen zufolge – exklusiven Veranstaltung für ein paar Ausgewählte entwickeln konnte?  Eine mögliche Antwort auf diese Frage stellt der Beitrag der KünstlerInnengruppe „Third Sector“ dar, einem gemeinsamen Projekt von Ádám Albert, Anna Balázs, Gábor Erlich, Dóri Ferenczy, David Karas, Szabolcs KissPál, Partizan Architecture und Adrienn Zubek. Obwohl sie der OFF-Biennále kritisch gegenüber stehen, formulierten sie ihre Kritik durch ihre Teilnahme. In ihrem Beitrag legten sie das Hauptaugenmerk auf die Frage, wie demokratische Strukturen auf einer Mikroebene umgesetzt werden können und welche Formen von hierarchischen Systemen sie hervorbringen. Die Gruppe führte eine Umfrage unter drei ungarischen Gemeinschaftsinitiativen durch (Auróra, Gólya Közösségi Ház és Presszó und OFF-Biennále Budapest) – mit dem Ziel, ihre Erkenntnisse der Öffentlichkeit vorzustellen und damit die Entwicklung neuer kultureller Paradigmen auszulösen. Im Rahmen einer vergleichenden Analyse zeigten sich innerhalb der OFF-Biennále Widersprüche und Konflikte in Bezug auf interne Entscheidungsprozesse und deren Nachvollziehbarkeit für TeilnehmerInnen. Davon betroffen waren vor allem KünstlerInnen und studentische KuratorInnen, die von ihren kuratierenden ProfessorInnen dazu angehalten waren, sich an der OFF-Biennále zu beteiligen und dafür verschiedene unbezahlte Leistungen zu erbringen. Bedeutet diese Vorgangsweise nun, dass die OFF-Biennále an der Umsetzung ihres ursprünglichen Programms gescheitert ist? War das Programm nur Fassade? Falls nicht, was geht in den Köpfen der OrganisatorInnen vor, wenn sie nach außen hin eine Sache behaupten und in ihrem Handeln das Gegenteil davon umsetzen?

Ich finde zwar, dass ein moralischer Standpunkt wichtig ist, würde aber in diesem Fall einen wissenschaftlichen Zugang bevorzugen, da dieser eine strukturelle Kritik sozialer Systeme erlaubt. Kurz vor der illiberalen Wende im Jahr 2010 hatte die Soziologin Ágnes Szanyi annähernd die selbe Gruppe von KuratorInnen befragt wie später Gábor Andrási. Ihrer Schlussfolgerung zufolge würden KuratorInnen zum Erhalt der bereits erwähnten Autonomie der zeitgenössischen Kunst in vielerlei Hinsicht beitragen. Durch die Anwendung eines hohen Qualitätsstandards im Hinblick auf künstlerische Diskurse und Praktiken definiere eine kleine, dominante Elite – ExpertInnen im Bereich der internationalen zeitgenössischen Kunst – ein Feld, das lokalen KünstlerInnen weitgehend verschlossen bleibe, da sie allein auf sprachlicher Ebene vom Diskurs ausgeschlossen seien. Das Resultat sei eine Gegenselektion, die zu Exklusivität und in weiterer Folge zu einer Autonomie der zeitgenössischen Kunst führe. Laut Szanyis Studie hätten KuratorInnen außerdem die Tendenz, zeitgenössische Kunst generell zu legitimieren und ihre Autonomie aufrechtzuerhalten, indem sie die grundsätzliche Notwendigkeit dieses Bereichs betonten. Dabei bleibe, so Szanyi, das grundlegende Konzept von Kultur unhinterfragt, was im Gegensatz zum ausgesprochen kritischen Charakter stehe, der zeitgenössischer Kunst in der Regel zugeschrieben wird.

Mazart

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Konzept des „curatorial turns“ in Ungarn immer noch sehr umstritten ist. Die OFF-Biennále hat gezeigt, dass die Trennlinie zwischen KünstlerInnen und KuratorInnen nicht nur immer noch existiert, sondern dass dieses Verhältnis deutlich zu Ungunsten der KünstlerInnen besteht: diese sind von wichtigen Entscheidungen ebenso ausgeschlossen wie auch von den symbolischen, praktischen und finanziellen Vorzügen, die eine kuratorische AutorInnenschaft mit sich bringt. In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, ob es sich dabei um ein lokales Phänomen handelt oder um einen strukturellen Aspekt der Kunstwelt. Können wir von den Erfahrungen der OFF-Biennále ableiten, dass eine von KünstlerInnen getragene Organisation zu mehr Sicherheit und Gerechtigkeit in der Kunstwelt führt?

Emese Süvecz ist freiberufliche Kunstkritikerin und setzt sich bei der „Patent Association Against Patriarchy“ in Budapest für Frauenrechte ein.

 

[i] CARFAC (Canadian Artists Representation/Le Front des Artistes Canadiens) ist eine kanadische Interessensvertretung für KünstlerInnen. [http://www.carfac.ca/]

[ii] Aus dem Englischen übersetzt von Chris Hessle.

[iii] Der Igor Zabel Preis wurde im Jahr 2008 von der Erste-Stiftung ins Leben gerufen und zeichnet die Arbeit von KunsthistorikerInnen und TheoretikerInnen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa aus, mit dem Ziel die Produktion von Kulturtechniken sowie den Austausch zwischen „Ost“ und „West“ zu fördern. [http://www.erstestiftung.org/project/igor-zabel-award-for-culture-and-t…]

 

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