Film und Geschichte in Ruanda
Um Ruandas Geschichte zu verstehen, hilft ein Blick in das audiovisuelle Erbe des ostafrikanischen Staates.
Um Ruandas Geschichte zu verstehen, hilft ein Blick in das audiovisuelle Erbe des ostafrikanischen Staates. War es zunächst ein Propagandamittel unter deutscher und belgischer Herrschaft, wurde das Medium Film nach dem Genozid von 1994 zum Vehikel für die Geschichtsverarbeitung und Emanzipation des seitdem friedlichen und sich rasant entwickelnden Landes.
Unter deutscher Kolonialmacht entstanden die ersten Filmproduktionen aus dem damaligen Königreich Ruanda, das von 1900 bis 1916 Teil von „Deutsch-Ostafrika“ war (siehe Guido Convents, „Images et Paix“, 2008, S.33). Das audiovisuelle Material transportiert die Ideologie einer überlegenen Rasse weißer Abstammung – die sogenannte Hamitentheorie –, womit aus den ruandesischen Klassenbegriffen „Hutu“ und „Tutsi“ Rassenbegriffe wurden. Nach der Kolonialübernahme durch die BelgierInnen verzerrt sich zunehmend das Bild Ruandas in ihren Filmen, gleichzeitig hält das Medium ein Stück Geschichte fest. Es gibt Filmrollen, die Bände sprechen, wie die Dokumentation „Les élevages au Congo Belge et au Ruanda Burundi“ von 1958: Ein Schlachthaus, in dem tausend Kühe in einer Stunde gefoltert werden, musste sich der ruandesische König bei seinem Besuch in Belgien ansehen. Es ist eine explizite Androhung, wussten die Kolonialherren doch, welch enge Bindung die RuandeserInnen zu ihren Kühen hatten: Wegen ihrer Statur und der Milch, die sie produzieren, stehen sie seit jeher für Prosperität und Edelmut. Mit der vorgeführten Kuhschlachtung kündigte die belgische Kolonialmacht dem ruandesischen König an, sie würde fortan nicht mehr auf dessen Seite, sondern jener der unterprivilegierten Klasse stehen, was in der Folge auch geschah (siehe Guido Convents, „Images et Paix“, 2008, S. 191).
Vom Beginn der 1930er Jahre an war die belgische Kolonialmacht bis zur Unabhängigkeit des Landes 1962 ein wesentlicher Motor für seine Destabilisierung, die 1994 zum Genozid an den Tutsi und moderaten Hutu führte. Der Wiederaufbau Ruandas bestand deshalb wesentlich darin, sich vom Einfluss äußerer politischer Kräfte zu emanzipieren und gegenseitiges Vertrauen in der Bevölkerung zu restaurieren. Wieder über das Medium Film wird deutlich, welche Entwicklung Ruanda seitdem durchgemacht hat und wo das Land heute steht, zwischen Geschichtsverarbeitung und selbstsicherer Zukunftsbildung.
Es ist deshalb notwendig, dass die Geschichte Ruandas aus dem Inneren heraus behandelt wird, von RuandesInnen in Ruanda.
Aus dem Drang heraus, den Genozid zu verarbeiten, entstand der erste Film darüber: „100 Days“, eine Fiktion aus dem Jahr 2001, in der aus der Perspektive eines jungen Liebespaares der Beginn des Genozids geschildert wird. Mit Nick Hugues in der Regie übernahm die Produktion der Ruandese Eric Kabera, der, bevor er zum Film kam, als Journalist und Filmproduktionsassistent in Ruanda gearbeitet hatte. Auf „100 Days“ folgten weitere Filme, die fiktional und dokumentarisch den Genozid behandeln. International erfolgreich ist bis heute die US-amerikanische Fiktion „Hotel Ruanda“ von 2004. Darin geht es um einen Hotelbesitzer, der zur Zeit des Genozids Zivilisten Zuflucht in sein Hotel gewährt. Allerdings – zum Leidwesen der ruandesischen Bevölkerung und der Überlebenden des Genozids – deformiert „Hotel Ruanda“ historische Fakten, wie etwa die Rolle der UNO, die, anders als im Film dargestellt, während der Gräueltaten ihre Friedenstruppen aus dem Land abgezogen hatte. Auch die Handlungen des Hotelbesitzers im Film entsprechen nicht den Geschehnissen. Nicht zuletzt erfolgte der Filmdreh außerhalb Ruandas, nämlich in Südafrika (zu den in Ruanda diskutierten Kontroversen hinsichtlich des Films siehe Guido Convents, „Images et Paix“, 2008, S. 497-503). Fortwährend verzerren ausländische Produktionen das Landesbild zu ihren Gunsten, wie die Skandal heischende BBC-Reportage „Rwandas Untold Story“ von 2014, gegen die wegen „Genozidleugnung“ ermittelt wurde (siehe „The Guardian“, 02.03.15, www.theguardian.com/ media/2015/mar/02/bbc-rwanda-documentary-inquiry).
Es ist deshalb notwendig, dass die Geschichte Ruandas aus dem Inneren heraus behandelt wird, von RuandesInnen in Ruanda. Auf diesem Horizont erstreckt sich die Motivation Eric Kaberas, der sein zweistöckiges Haus umbauen ließ, um darin ein Filminstitut, ein Café und Gemälde ruandesischer KünstlerInnen zu beherbergen. Das Kwetu Film Institute ist eine Erweiterung seines knapp 20-jährigen Engagements für die Film- und Kulturentwicklung des Landes, zwei Elemente, die Hand in Hand gehen.
Die Medienkultur Ruandas kann nicht gefördert werden, wenn ausländische Produktionen aus ihr Profit schlagen. Lediglich Gelder für ruandesische Filme zu vergeben, ist allerdings angesichts der knappen Fachkräfte im Land genauso wenig zielführend. Wie Ruandas Filmentwicklung nachhaltig geleistet werden kann, macht das Fernseh- und Filmausbildungsprogramm „Rwanda Media Project“ (RMP) vor. Das RMP gründete der renommierte deutsche Regisseur Volker Schlöndorff, mit dem Anliegen, die Medien- und Filmbranche Ruandas durch „Hilfe zur Selbsthilfe“ zu entwickeln. So startete 2014, in Kooperation mit dem Europäischen Filmzentrum Babelsberg, der Deutschen Welle Akademie und dem deutschen Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, die zweijährige Ausbildung zum Mediengestalter in Eric Kaberas Filminstitut, dessen zweiter Jahrgang Ende dieses Jahres beginnen wird. Die duale Ausbildung setzt den Schwerpunkt auf die Praxis beim Umgang mit der Filmtechnik, etwa Kamera, Ton, Licht und Schnitt. Die erste Klasse des RMP besteht aus 15 Auszubildenden, die im Schnitt Mitte 20 sind. Sie engagieren sich freiwillig im Kwetu Film Institute auch außerhalb der regulären Arbeitszeit von 40 Stunden wöchentlich. Für eine Semestergebühr von € 400 erwerben sie in den Kursen Kenntnisse, die sie während Praktika in Ruanda und in Deutschland vertiefen. Die Kosten für ihre Praktikumszeit in Deutschland (Flug, Lebensunterhalt, Unterkunft und Praktikumsdurchführung) werden vom RMP getragen. Nach Abschluss der Ausbildung sind sie qualifiziert für Berufe in der wachsenden Fernsehbranche Ruandas, die derzeit einen öffentlich-rechtlichen und sieben private Fernsehsender zählt.
Eine Besonderheit des RMP: In Workshops der sogenannten Meisterklassen lernen fortgeschrittene Auszubildende von erfahrenen internationalen Fachkräften das Handwerk für die Realisierung von Filmen, wie Produktion, Drehbuch und Regie. In diesen Workshops entstand der Kurzfilm „The Burning“ (2014) von Robert Karara. Diese Doku über einen versehrten Musiker hat das junge Filmteam bestehend aus vier angehenden FilmemacherInnen nach einem Workshop eigenständig abgeschlossen. Wenig später gewann der Kurzfilm den Jury-Award beim australischen Filmfestival „Focus on Ability“.
Als erfolgreiche Regisseurin wird bereits jetzt Shenge Claudine Ndimbira gehandelt. Die vielseitig Talentierte besucht ebenfalls die Meisterklassen, in denen ihr Kurzfilm über Prostitution, „Hora Mama“ (2015) entstand, nachdem sie bereits eine Fiktion über gleichgeschlechtliche Liebe, „She“ (2014), gedreht hatte: zwei kühn gewählte Themen, bei denen sie wider Erwarten auf keinerlei Widerstand stieß, weder vom Filminstitut noch von staatlichen Institutionen Ruandas (siehe Shenge im Interview mit der Autorin, Mediathek des Deutschlandradiokultur, 17. 02. 16). Dieses Jahr werden Ndimbiras Filme bei internationalen Filmfestivals gezeigt (siehe Ndimbira im Interview mit der ruandesischen Zeitung „The New Times“, 03.01.16, www.newtimes. co.rw/section/article/2016-01-03/195786/).
In Deutschland habt ihr eure Geschichte bereits geschrieben, es gibt Museen und Bücher. Bei uns heißt es aber, andere hätten unsere Geschichte im Eigeninteresse aufgeschrieben.
Das „Rwanda Media Project“ ist eine Initiative unter mehreren, die Filmförderung in Form von Ausbildung leistet. Weitere sind das Austauschprogramm der Hochschule Mainz und die Workshops des Goethe Instituts, in denen Clémentine Dusabejambo, eine angehende ruandesische Drehbuchautorin und Regisseurin, ihren Film „Behind The Word“ (2013) gedreht hat, ein Film, der sich mit aktuellen Problemen im Land befasst: Schüler werden ausgegrenzt, weil sie Fremdsprachen nicht beherrschen, und Lehrer vergreifen sich an Schülerinnen. Für Clémentine Dusabejambo ist eben diese Verhandlung der Aktualität entscheidend beim Filmemachen: „In Deutschland habt ihr eure Geschichte bereits geschrieben, es gibt Museen und Bücher. Bei uns heißt es aber, andere hätten unsere Geschichte im Eigeninteresse aufgeschrieben. Was wir kreieren, sollte deshalb zur Geschichtsschreibung beitragen.“ (Siehe Dusabejambo im Interview mit der Autorin, Mediathek des Deutschlandradiokultur, 17. 02. 16). Ein Zeitdokument für die Geschichtsschreibung Ruandas ist auch das am RMP entstehende Filmprojekt über die Stadt Kigali, ein „Diary of Kigali“ als Erinnerung der Stadt bei ihrer rasanten Entwicklung.
Weil die Kursteilnehmenden am Kwetu Film Institute frei sind, das Thema und das Genre ihrer Filme zu wählen, ermöglichen die Ausbildungsinitiativen Räume für soziale Reflexionen, die von der jungen ruandesischen Generation angegangen werden. Auch gewähren ihre Filme Einblick in die Situation des Landes. Sie sind zukunftsweisend und geschichtsbewältigend zugleich: Die Spanne, in der sich Ruanda heute befindet. Noch bekommen Cineasten keine Unterstützung von staatlichen Organen Ruandas – Fernsehausstrahlungen müssen Filmschaffende gar selbst bezahlen –, doch ihre Bedeutung für die Entwicklung des Landes bleibt nicht unbeachtet. Denn schon lange trägt die Resonanz ruandesischer Filmtalente über Landesgrenzen hinaus. Die anspruchsvollen Filme des jungen Regisseurs Kivu Ruhorahoza, früherer Produktionsassistent von Eric Kabera, wurden in den letzten Jahren etwa auf dem Filmfestival von Venedig (2007), der Berlinale (2009) und dem Sundance Filmfestival (2015) gezeigt. Sie demonstrieren, wie mit wenig Mitteln und starkem Engagement die ruandesische Film- und Kinobranche wächst und dabei das Land zunehmend in die kulturelle Unabhängigkeit hebt.
Links:
www.kwetufilminstitute.com
www.europeanfilmcenter.de
www.dw.com
Arlette-Louise Ndakoze ist Frankreichwissenschaft- ostafrikanischen Staates. lerin im Schwerpunkt Philosophie. Als freie Journalistin produziert sie u.a. im Deutschlandradio Kultur und dem freien Radiosender reboot.fm Beiträge über Politik, Soziales und Künstlerisches.
Fotos: Kwentu Film Institute