Gràcia: Eine Gemeinschaft schlägt zurück

<p><strong>„Haben sie denn bei der versuchten Zwangsräumung von Can Vies und der Reaktion der Menschen darauf vor einigen Jahren nichts gelernt? Haben sie noch immer nicht verstanden, dass ein Angriff auf das autonome Gefüge eines Viertels in einer Stadt wie Barcelona zu einem Ausbruch der darunterliegenden sozialen, politischen und ökonomischen Gegensätze führt?“</strong></p> <p>Diese Fragen schossen mir sofort durch den Kopf, als am Montag die Nachrichten

„Haben sie denn bei der versuchten Zwangsräumung von Can Vies und der Reaktion der Menschen darauf vor einigen Jahren nichts gelernt? Haben sie noch immer nicht verstanden, dass ein Angriff auf das autonome Gefüge eines Viertels in einer Stadt wie Barcelona zu einem Ausbruch der darunterliegenden sozialen, politischen und ökonomischen Gegensätze führt?“

Diese Fragen schossen mir sofort durch den Kopf, als am Montag die Nachrichten eintrafen, dass die Banc Expropriat, ein von Squattern besetztes soziales Zentrum im Gràcia-Viertel von Barcelona bei einem massiven Polizeieinsatz geräumt werden sollte. Gràcia ist ein Viertel im Norden der Stadt mit einer starken Tradition an sozialer Organisation und Bewegung. Es ist eine alte Stadt mit einer stolzen Identität, die vom Volk als „Vila de Grà- cia” bezeichnet wird, der Stadt Gràcia. Daher werden wir wieder ZeugInnen einer weiteren Revolte der Bevölkerung in Barcelona. Während der Entstehung dieses Artikels erleben wir den vierten aufeinanderfolgenden Tag mit Protesten, Demonstrationen und Zusammenstößen mit der Katalanischen Bereitschaftspolizei (den berüchtigten Einheiten der BRIMO der Mossos d’Esquadra) und ihrem Gewalteinsatz, der bereits zu mindestens 67 Verletzten geführt hat.

Die Banc Expropriat liegt einen Katzensprung vom zentralen Marktplatz entfernt, im alten Gebäude der Catalunya Caixa Bank, die zu den größeren Nutznießern der Bankenrettung während der aktuellen Krise zählt und daher auch „Die Enteignete Bank“ heißt. Das Gebäude wurde 2011 besetzt, am Ende einer Demonstration gegen die Zwangsräumung eines anderen lokalen sozialen Zentrums, als eine Versammlung von etwa 40 Menschen beschloss, dass genug Energie und Engagement vorhanden seien, um gemeinsam das Management der neu eröffneten Räume zu übernehmen. Mit einer klaren Haltung gegen Kapitalismus und gegen Gentrifizierung sieht sich das Projekt in diesem Viertel innerhalb des Rahmens und der Praxis von Autonomie, Selbstverwaltung und gegenseitiger Unterstützung aufgestellt. Fünf Jahre lang war es Teil der Gemeinschaft im Gràcia, doch nun ist es aufgelöst und mit Metallplatten verschlagen. Die Banc Expropriat ist ein Raum, der die Inklusion, Öffnung und Partizipation fördert und sich dadurch deutlich von anderen politischen/autonomen Räumen und Szenen abhebt, die sich gegen ihre Umgebung „einbunkern“. Bereits die räumliche Auslegung des Gebäudes unterstützt diese Einstellung, denn die Banc Expropriat besteht vor allem aus einem Erdgeschoß mit einem offenen Zugang von der Straße und Außenwänden aus großen Glasplatten. In einem Video, welches für die Kampagne gegen die Vertreibung gemacht wurde, sagt eines der Mitglieder der Gruppe: „In der Bank haben wir immer darauf geachtet, dass wir möglichst keine Symbologien verwenden, damit sich die Menschen wirklich willkommen fühlen können. Aber das heißt natürlich nicht, dass man nicht gleich beim Hereinkommen merken würde, dass hier ganz klar eine bestimmte Art von politischer Einstellung vorherrscht, dass die wichtigste hier verlaufende Achse, entlang derer die Kämpfe und Projekte stattfinden, der Antikapitalismus ist.“ Banc Expropriat führt eine lokale Tradition fort, die auf die Macht von unten setzt, was in Barcelona von vielen als „Poder Popular“ bezeichnet wird. Diese zeigt sich in Solidaritätsnetzwerken, die auf die Probleme vieler dort lebender Menschen reagieren und gemeinsame Lösungen finden können. Die wild wuchernde Gentrifizierung des Viertels, der eingeschränkte Zugang zu gesichertem Wohnraum für viele Menschen ist eines der Hauptprobleme, das von den im sozialen Zentrum engagierten Menschen als kollektives Anliegen verstanden wird.

„Offen oder verschleiert, wir werden die Banc verteidigen.“

Diese Solidarität erstreckt sich bis hin zur kollektivierten Lebensmittelbereitstellung. Die Xarxa d’Aliments’ (LebensmittelNetzwerk), die durch das Wiederverwenden von Resten und Spenden von Geschäften und Marktständen, die sich an dem Netzwerk beteiligen, Zugang zu Gratis-Lebensmitteln ermöglicht, ist eines der Herzstücke der Projekte der Banc Expropriat. Zu den anderen regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen zählt eine ganze Bandbreite an Kursen und Unterrichtsgegenständen, die unterrichtet werden, außerdem finden hier Treffen der lokalen Grassroots-Gruppen und Kampagnen sowie kulturelle Aktivitäten statt. Obwohl das soziale Zentrum seine Aktivitäten auf das Finden kollektiver Lösungen für Probleme konzentriert, mit denen die Menschen in der Umgebung konfrontiert sind, machten die bei diesem Projekt involvierten Menschen klar, dass sie nicht als „radikale NGO“ gesehen werden wollen, sondern danach streben, Solidaritätsbeziehungen zu reproduzieren statt der Logiken des Staates oder der Charity.

Banc Expropriat führt eine lokale Tradition fort, die auf die Macht von unten setzt, was in Barcelona von vielen als „Poder Popular“ bezeichnet wird.

Über der Banc Expropriat schwebte das Zwangsräumungsurteil schon seit einiger Zeit. Die ursprünglichen EigentümerInnen des Gebäudes, Catalunya Caixa, hatten sich aus dem Räumungsverfahren bereits zurückgezogen. Viele BeobachterInnen gehen davon aus, dass der Grund dafür darin lag, dass man sich der Stärke des Widerstands gegen jeden Versuch einer Räumung bewusst war. Doch im Jahr 2014 verkaufte Catalunya Caixa das Eigentum an Immobilienentwickler, die von Manuel Bravo Solano vertreten wurden, einem bekannten Immobilienspekulanten. Zunächst bot er den Besetzern € 12.000 an, wenn sie das Gebäude räumen würden. Die Antwort war klar: Die Banc Expropriat verhandelt nicht mit den Agenten der Gentrifizierung.

Nach einem vergeblichen Versuch, ein anderes prominentes soziales Zentrum (Can Vies) vor zwei Jahren zu räumen, machte der damalige Bürgermeister der Stadt im Vorfeld zu den Kommunalwahlen einen geheimen Deal mit dem aktuellen Eigentü- mer des Gebäudes und bot an, aus öffentlichen Geldern Miete zu zahlen, um auf diese Art „sozialen Frieden“ zu kaufen. Als dieser heimliche Deal in der Höhe von € 65.000 im Juni 2015 aufgedeckt wurde, veröffentlichte das soziale Zentrum diese Information und bekräftigte gleichzeitig, dass die Banc Expropriat nicht käuflich sei. Im Jänner 2016 geriet die Banc Expropriat wieder unter die permanente Androhung einer Zwangsräumung. Der Stadtrat des neu gewählten Bürgermeisters von Barcelona, Ada Colau, eines bekannten Aktivisten und Ex-Sprechers der PAH, der Bewegung gegen die Wiederinbesitznahme von Wohnungen, widerrief den Deal mit den EigentümerInnen des Gebäudes und stellte die Mietzahlungen ein. Ab diesem Moment begann das soziale Zentrum, eine inklusive Kampagne zu schaffen, die jeder Zwangsräumung widerstehen würde. Das soziale Zentrum betonte, dass jeder eine Rolle bei dessen Verteidigung zu spielen habe. Gleich von Anfang an lautete der wichtigste Slogan des Widerstandscamps gegen die Zwangsräumung: „Amb caputxa o sense, el Banc es defensa”, was in etwa bedeutet: „Offen oder verschleiert, wir werden die Banc verteidigen.“

Als die Protestierenden versuchten, mit einer elektrischen Kreissäge die Metallplatten zu entfernen, die das geräumte soziale Zentrum verschließen, gingen die Polizisten mit Schlagstöcken vor und schossen mit Hartgummigeschossen in die Menge.


 

„Mon 23 Mai #ElBancResisteix“. Das Viertel erwachte zum Lärm der Zwangsräumung. Sofort wurde ein Aufruf ausgesendet, sich zu wehren. #ElBancReisteix wurde zum Twittertrend, und die Menschen begannen, sich nahezu sofort vor den Reihen der Polizei zu versammeln. Mittlerweile hatten sich zwei Personen im alten Safe der Bank eingeschlossen. Es dauerte fast acht Stunden, bis es der Polizei gelungen war, in den Safe einzubrechen und das Gebäude in ihre Gewalt zu bringen. Den ganzen Tag über bildeten sich Menschenansammlungen in den Straßen rund um das soziale Zentrum. Später marschierten 1800 Menschen durch die Hauptstraßen des Viertels. Als die Protestierenden versuchten, mit einer elektrischen Kreissäge die Metallplatten zu entfernen, die das geräumte soziale Zentrum verschließen, gingen die Polizisten mit Schlagstöcken vor und schossen mit Hartgummigeschossen in die Menge. Die nun aufgelöste Menge war in der ganzen Umgebung bis nach Mitternacht mit weiterer Polizeigewalt konfrontiert. Am Montagabend waren etwa 50 Personen verletzt – darunter vier, die von Hartgummigeschossen am Kopf getroffen worden waren – und eine verhaftet worden.

Di 24 Mai #TornemAlBanc“. Die Reaktionen auf die Polizeigewalt am Montag waren unterschiedlich, die Plattformen der Mainstream-Medien versuchten, die DemonstrantInnen in „friedliche“ und „gewalttätige“ auseinander zu dividieren, um die Gewaltanwendung der Polizei zu rechtfertigen. Die sozialen Medien waren überschwemmt mit Aufnahmen aus der vorhergehenden Nacht, um dagegen zu halten. Viele davon waren von BewohnerInnen von ihren Balkonen aus gefilmt worden, die entsetzt waren von der Polizeigewalt, die sie gesehen hatten, und auch die alternativen Medienplattformen berichteten. Die Banc Expropriat veröffentlichte ein Kommuniqué mit dem Titel „Tornarem al Banc“ („Wir kehren zur Banc zurück”). Das Kommuniqué dankte für die Solidarität, die in den Straßen des Gràcia-Viertels in der Nacht zuvor zum Ausdruck gebracht worden war, bestätigte die Entschlossenheit, das soziale Zentrum zurückzuerobern und machte darauf aufmerksam, dass der öffentliche Zorn der letzten Nacht eine direkte Konsequenz der Polizeibrutalität und deren Straffreiheit gewesen sei. #TornemAlBanc rief zu einer Reihe von Solidaritätsdemonstrationen an diesem Abend in verschiedenen Vierteln der Stadt auf. Menschen aus den Vierteln Sants und Raval marschierten gemeinsam auf Gràcia zu, und gegen 21 Uhr setzten sich Hunderte Menschen in die Richtung der Banc Expropriat in Bewegung. Als die Demonstration das soziale Zentrum erreichte, schaffte es eine Gruppe, eines der Metalltore aufzustemmen, woraufhin die Menge in lautstarken Jubel ausbrach. In diesem Moment er- öffnete die Bereitschaftspolizei brutal das Feuer und verletzte viele DemonstrantInnen. Die Polizei eroberte das Gebäude zurück, als sich die Menge in verschiedene Teile des Viertels zerstreute. Kleinere Gruppen versammelten sich wiederholt und traten bis nach Mitternacht immer wieder der Polizei entgegen.

„Mi 24 Mai #RodegemElBanc“. Die Proteste breiteten sich auf verschiedene weitere Bezirke Barcelonas aus, es folgten Aufrufe, die „Bank zu umzingeln“. Abordnungen aus Clot, Sants, Vallcarca und Poble Sec machten sich am Abend auf den Weg nach Gràcia, und um etwa 21 Uhr versammelten sich rund 2400 Menschen am Platz in der Nähe der Expropriat. Das war die bis dahin größte Demonstration. Ganze Reihen an Bereitschaftspolizei blockierten alle Straßen um das sozialen Zentrum, sodass viele gezwungen waren, die Polizeireihen zu umgehen. Um etwa 23.30 Uhr schoss die Polizei noch einmal in die Menge, sodass sich einige Gruppen wieder auflösten. Einige Bankfilialen wurden angegriffen, und um Mitternacht zerstreuten sich die Menschen. Ein Aufruf erging an die BewohnerInnen des Viertels, Aufnahmen von Polizeigewalt von ihren Häusern aus zu machen und in den sozialen Medien zu veröffentlichen, um so weiteren entschuldigenden Reaktionen in den Medien entgegenzuwirken. Die alternativen Medienprojekte Contrainfos und La Directa veröffentlichten täglich Videozusammenfassungen.

Ganze Reihen an Bereitschaftspolizei blockierten alle Straßen um das soziale Zentrum, so dass viele gezwungen waren, die Polizeireihen zu umgehen.

Der Kampf um die Rückeroberung der Banc Expropriat findet gerade statt. Ein neues Kommuniqué mit dem Titel „Tornarem a Intentar Entrar” („Wir werden erneut versuchen, hinein durch zu brechen“) erklärt: „Wir haben nichts zu verhandeln … die Bank gehört uns, weil wir sie Minute um Minute unter all den Menschen geschaffen haben, die über all die Jahre hereingekommen sind und mit hunderten verschiedenen Erfahrungen dazu beigetragen haben. Die Bank gehört uns, und wir werden sie bis zum Ende verteidigen.“ Der Aktionstag #TornemAlBanc („Wir gehen zur Bank zurück“) wurde am Sonntag, den 29. Mai veranstaltet, mit dem Aufruf, sich in Gràcia ab Mittag zu versammeln. Mittlerweile wurde eine Reihe von Straßenaktionen organisiert, um die regelmäßigen Aktionen des sozialen Zentrums fortzusetzen. Wie sich das alles entwickeln wird und welche Zukunft der Banc Expropriat bevorsteht, wird man sehen. Andererseits werden wir in Gràcia Zeuge einer unverminderten kollektiven Entschlossenheit, ein fünf Jahre altes, gut eingeführtes Projekt zurückzugewinnen. Es scheint, dass die Verteidiger der Banc Expropriat Verhandlungen mit Institutionen, Parteien oder Repräsentanten nicht als Option betrachten.
Andererseits gibt es jetzt den neuen „Stadtrat der Änderung“ von Barcelona, der den „sozialen Wert“ der Aktivitäten des sozialen Zentrums anerkennt und festhält, dass er alles in seiner Macht stehende unternehmen wird, um eine für alle Parteien akzeptable Einigung zu verhandeln. Die Einsätze der Polizei gegen diejenigen, die ihren Raum diese Woche verteidigt haben, waren brutal und gewalttätig. Die soziale Reinigung der Stadt wird über unterschiedliche Prozesse von staatlicher Gewalt und Enteignung übertragen, auch wenn es schon einige Zeit zurückliegt, dass eine solch unverhüllte Zurschaustellung von staatlicher Gewalt in Barcelona beobachtet wurde. In dem Artikel „Das Unsichtbare sichtbar machen”, der diese Woche in „Critic“ (Anm. der Red. 30. Mai 2016) veröffentlicht wurde, argumentiert Journalist Sergi Picazo, dass das was wir diese Woche in den Straßen von Gràcia sehen, nicht nur „das Resultat einer Zwangsräumung eines besetzten sozialen Zentrum“ sei, sondern vielmehr „Resultat einer verheerenden, heruntergekommenen, ungleichen und konfliktreichen Lage“ im heutigen Barcelona.

 

 

Übersetzung: Patricia Lorenz
Fotos: @La_Directa, Victor Serri

Jordi Blanchar, Sozial- und Kreativaktivist, lebt in Großbritannien und Katalonien und beteiligt sich an verschiedenen zivilgesellschaftlichen Basisbewegungen für soziale Veränderungen. Sein besonderes Interesse gilt kollektiven und demokratischen Prozessen, Methoden und Erfahrungen bezüglich autonomen Gesellschaftsmodellen als Alternative zu herrschenden undemokratischen Institutionen und politischen Machtgefügen.

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