Grüne Mittagsstunde
„Kein Fleisch und keine Flüge” lautet die grüne Formel des norddeutschen Regisseurs und Produzenten Lars Jessen. Das galt auch bei der Produktion seines neuen Kinofilms „Mittagsstunde”, mit dem er den gleichnamigen Beststeller der Romanautorin Dörte Hansen auf die Leinwand bringt.
Nachhaltige Filmproduktion ist in Deutschland seit zehn Jahren ein Thema
„Kein Fleisch und keine Flüge” lautet die grüne Formel des norddeutschen Regisseurs und Produzenten Lars Jessen. Das galt auch bei der Produktion seines neuen Kinofilms „Mittagsstunde”, mit dem er den gleichnamigen Beststeller der Romanautorin Dörte Hansen auf die Leinwand bringt.
Schon in der Vorproduktionsphase hat der Filmemacher sein Team darauf eingestimmt, rücksichtsvoll mit natürlichen Ressourcen umzugehen und verfügbare Mittel effizient einzusetzen. „Auch dieses Mal wollen wir so grün drehen, wie es irgendwie möglich ist“, erklärten Lars Jessen und die grüne Beraterin Anika Kruse vor Drehstart in einer Rundmail an die Filmcrew.
Die Beschäftigung eines sogenannten Green Consultants gehört zu den ökologisch-nachhaltigen Kriterien, welche die MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein an die Vergabe des „Grünen Filmpasses" und das seit 2022 vergebene „Green Motion“-Labels stellt. Um sich als grüne Produktion zu qualifizieren, sollen möglichst in allen Phasen und Gewerken einer Filmproduktion umweltschonende Maßnahmen ergriffen werden. Dies beginnt mit der Auswahl und Umsetzung des Stoffes und erfordert eine genaue Planung, um große Entfernungen zwischen den Motiven zu vermeiden, die stets aufwendige Umzüge von Cast, Crew und Equipment bedeuten.
Bei der Produktion von „Mittagsstunde“ gab es keine Reisen quer durch Deutschland oder ins Ausland, aber viele Fahrten in der Region. Der Film spielt zum Großteil in den 1960er und 1970er Jahren in einem nordfriesischen Dorf, das es in dieser Form heute nicht mehr gibt. Der Protagonist in „Mittagsstunde“, der als Erwachsener in seine Heimat „Brinkebüll“ zurückkehrt, muss feststellen, dass das Dorf seiner Kindheit, der Laden, die Bäckerei, die Störche auf der Dorfkirche und die bucklige Dorfstraße mit dem Kopfsteinpflaster der Flurbereinigung zum Opfer gefallen sind. Um ein typisches norddeutsches Dorf im Look der 1960er Jahre drehen zu können, musste das Filmteam diverse Motive miteinander kombinieren, die sich an sechs verschiedenen Orten zwischen Schleswig und Husum befanden. Als Hauptmotiv im Film diente ein alter Gasthof, in dem der Professor für Archäologie (Charly Hübner) einst aufgewachsen ist. Die Location für das Gasthaus der Familie hat Lars Jessen gemeinsam mit der Romanautorin Dörte Hansen ausgesucht. Für die Zeitreise in die Kindheit des Protagonisten war dort alles vorhanden: „Die Gaststube, der Festsaal mit dem verschrammten Parkett, die Zimmer und die Scheune für das Vieh.“
Bei dem 15-tägigen Dreh an diesem Motiv wurde der Strom aus dem Festnetz bezogen. „Ein Generator ist kaum zum Einsatz gekommen“, sagt Anika Kruse, die auch die CO2-Bilanzierung der Produktion vorgenommen hat. Nachhaltigkeit war auch ein Thema bei Kostüm und Ausstattung. Die Komparsen stammten aus der Region und trugen zum Teil eigene Kleidung. Die Weihnachtsdekoration im Gasthaus bestand aus gebrauchten Tannenbäumen. „Die Szenenbildnerin tauscht sich in einer WhatsApp-Gruppe mit ihren Kolleginnen aus, ob sie Materialien haben, die sich wiederverwenden lassen“, erläutert die grüne Beraterin.
Ein großes Einsparpotential wurde bei „Mittagsstunde“ durch das Catering erzielt. Die Vorgaben wie Lebensmittel in Bioqualität oder regionaler Herkunft zu beziehen, praktizieren die „Kitchen-Rebels“ Wolfgang Müller und Max Zijlstra aus Überzeugung. Regionale Produkte, Vermeidung von Einweggeschirr und Einsatz eines Fettabscheiders zur umweltschonenden Entsorgung von fett- und ölhaltigen Schmutz- und Spülwasser gehören bei ihrem Catering-Service längst zum Standard. „Beim Dreh von ‚Mittagsstunde‘ sind wir noch einen Schritt weitergegangen“, sagt Anika Kruse. „Wir haben für jedes Gericht den damit verbundenen CO2-Fußabdruck auf der Speisekarte aufgeführt.“ Die Maßgabe von Lars Jessen, möglichst wenig Fleisch, Fisch und Milchprodukte zu verwenden, wurde durch die CO2-Bilanzierung der Angebote auf der Speisekarte untermauert. „Catering ist die effektivste Maßnahme für grünes Drehen“, versichert der Regisseur. „Fleisch zu essen ist das größte Problem, denn die Herstellung eines Burgers hat so einen großen Wasserfußabdruck, dass diese Menge ausreicht, um mehrere Wochen zu duschen. Wer gerne grün drehen möchte, sollte einen veganen Koch engagieren.“
Neben der bewussten Beschaffung von Lebensmitteln zählt der sorgsame Umgang damit. Um das „Food Waste“-Problem am Set zu vermeiden, gab der Caterer am Set Essensboxen an Cast- und Crewmitglieder aus, um übrig gebliebenes Essen mit ins Hotel zu nehmen. Mit kompostierbarem Bambusbesteck, das mit einem hohen transportbedingten CO2-Rucksack geliefert wird, gab sich Green Consultant Anika Kruse nicht zufrieden. „Ich habe mit der Hotelleitung vereinbart, dass unseren Gästen in ihrem Zimmer Essbesteck zur Verfügung gestellt wird.“ In den ökozertifizierten Hotels, in denen das Filmteam untergebracht war, ließ sich diese Anforderung einfach erfüllen.
Als wesentlich schwieriger erweist sich für Produktionen der Einsatz umweltschonender Fahrzeuge. „Dabei sind wir wieder an die gesellschaftliche Glasdecke gestoßen“, betont Lars Jessen. Emissionsarme Lastfahrzeuge werden von Autovermietungen bisher nicht angeboten. LKWs mit Elektroantrieb sind bislang kaum verfügbar, da sie sich aufgrund der tonnenschweren Batterien und geringen Reichweite nicht gut für den Lastverkehr eignen. Bei anderen Antriebsarten wie Compressed Natural Gas (CNG) oder grünem Wasserstoff ist das löchrige Tankstellennetz das größte Handicap. Die fehlende Infrastruktur im Verkehrssektor kann durch eine steigende Nachfrage im Film- und Medienbereich allein nicht verbessert werden. Für Kleintransporte wurden bei „Mittagsstunde“ Lasträder eingesetzt.
Aber nicht jeder Schauspieler und nicht jedes Teammitglied möchte beim Dreh alle grünen Register ziehen. Der Regisseur Lars Jessen, der stets vorbildlich öffentliche Verkehrsmitteln nutzt, hat in der Vergangenheit oft mit den Schauspieler*innen darüber diskutiert, ob ein Flug unbedingt nötig ist, nur um ein, zwei Stunden Zeit zu sparen. Für den Filmemacher, der als Kind mit seiner Mutter in eine Aussteiger-WG auf dem Land gelebt hat, gehört umweltschonendes Verhalten zur Normalität. Dies musste der Filmbranche zunächst vermittelt werden. Als die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein 2012 den Grünen Drehpass für umweltfreundliche Produktionen aufgelegt hat, überzeugte Lars Jessen die Geschäftsführung von Studio Hamburg vom grünen Drehen – mit nachhaltigem Effekt. Nach der ersten grün gedrehten Serie „Großstadtrevier“ sind mit der „Notruf Hafenkante“ und „Die Pfefferkörner“ weitere Serien auf eine umweltfreundliche Produktionsweise umgestellt worden.
Mit dem Grünen Drehpass fungierte die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein in Deutschland jahrelang als ein Vorreiter, der auch international auf Interesse gestoßen ist. Adaptiert wurde die Idee schließlich von der Filmförderung Baden-Württemberg, die mit dem Greenshooting-Arbeitskreis eine bundesweite Initiative angestoßen hat. Dieses Bündnis, dem öffentlich-rechtliche und private Sender, die Streaming-Plattform Netflix, regionale Filmförderungen sowie Produktionsunternehmen angehören, hat eine Selbstverpflichtungserklärung zur Einhaltung ökologischer Mindeststandards formuliert. Um die Energie- und Ressourcenverschwendung einzudämmen, erklären sich die Produktionen beispielsweise bereit, ihre Flugreisen sowie den Konsum von Fleisch zu verringern. Damit die Branchenvertreter mit ihrem nachhaltigen Engagement in Promotionkampagnen punkten können, wurde das „Green Motion”-Label entwickelt, das die Produktionen im Abspann präsentieren. Damit geht eine Selbstverpflichtung einher, ökologische Mindeststandards einzuhalten. Ab 2023 planen alle regionalen Filmförderungen dieses System als obligatorische Maßnahme einzuführen.
Auf nationaler Ebene ist die Vergabe von Filmförderungsmitteln bereits seit dem 1. Januar 2022 an die Einhaltung von Klima- und Umweltschutzmaßnahmen geknüpft. Im neuen Filmförderungsgesetz (FFG) ist der Einsatz eines CO2-Rechners verbindlich vorgeschrieben. Für besonders nachhaltige audiovisuelle Produktionen vergeben die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und die Filmförderungsanstalt (FFA) künftig ein bundesweites freiwilliges Zertifikat. Die Kriterien, die als Grundlage für die förderrechtlich verbindlichen ökologischen Mindeststandards dienen, sind zunächst von Produktionen in einem Reallabor auf ihre Praxistauglichkeit überprüft worden. Das Ziel war, die Nachhaltigkeitskriterien in sämtlichen Phasen der Produktion von der Planung bis zur Postproduktion zu überprüfen.
Derweil hat die MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein ihre nachhaltige Strategie mit dem Grünen Filmpass weiter ausgebaut, dessen Ansatz vom Development über die Produktion und Vertrieb bis hin zur Auswertung reicht. Um in Hamburg Fördermittel für Projekte zu erhalten, sind die Antragsteller gefordert, mit Hilfe von Beratungsgesprächen und Checklisten grüne Strategien zu entwickeln. „Unser Ziel ist es, den gesamten Workflow eines geförderten Projektes im Sinne der Ökologie und Nachhaltigkeit zu gestalten“, betont Helge Albers, Geschäftsführer der MOIN Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein. „Denn eins ist klar: Den grünen Filmproduktionen gehört die Zukunft.“
In Österreich ist es seit dem Jahr 2017 möglich, eine Filmproduktion nach dem Österreichischen Umweltzeichen als „Green Producing“ zertifizieren zu lassen, wenn sie Ressourcen einspart und klimafreundliche Maßnahmen setzt. Schwerpunkte liegen dabei auf den Bereichen Transport, Abfälle und Catering. Einen Überblick über weitere Richtlinien und Kriterien hat zum Beispiel das Österreichische Filminstitut zusammengestellt: https://filminstitut.at/foerderung/green-filming
Autorin
Birgit Heidsiek ist Gründerin der Green Film Shooting-Plattform und Grüne Kino-Beraterin der Filmförderungsanstalt (FFA)