2003, the year continuity broke. Graz nach der Kulturhauptstadt

Graz hat gerade sein Landeskulturhauptstadtjahr hinter sich gelassen und gleichzeitig auch die Bereitschaft, mehr aus sich zu machen.

Graz, im April 2004. Die Causa Estag zieht landespolitische Kreise, während beinahe zeitgleich wieder parteipolitisch Spitzenjobs in einer Grazer Bau-GmbH vergeben werden und die mediale Öffentlichkeit mit einer obskuren Neufassung der steiermärkischen Landeshymne massiert wird. Geht diskurstechnisch alles seinen gewohnten postfeudalen Gang? Nicht ganz.

Graz hat gerade sein Landeskulturhauptstadtjahr hinter sich gelassen und gleichzeitig auch die Bereitschaft, mehr aus sich zu machen. "Nachhaltigkeit" postulierte man keck im Vorfeld, vom "Ruck" der durch die Landeshauptstadt gehen möge, war die Rede. Das will hinterher niemand gesagt haben. Dennoch: Ein doppelter historischer Bruch wurde vollzogen und paradoxerweise nimmt ihn die Öffentlichkeit noch nicht als solchen wahr. Ein Grund war die Angst der freien Szene, die Graz03-GmbH würde bestehen bleiben und mögliche Subventionen killen. Diese Angst wurde von Kulturstadtrat Christian Buchmann (ÖVP) geschickt ausgenützt und mit wirtschaftspsychologischem Schmäh instrumentalisiert.

Medienpartnerschaftliche Verpflichtungen (Der Standard, Kleine Zeitung, in welcher immer wieder der Fortbestand der 03-Gesellschaft als Dach herbeigeschrieben wurde und letzte Rettungsversuche via ORF-Treffpunktkultur) gehören mittlerweile der Vergangenheit an, die Vierte Gewalt hat sich nach dem Ausbleiben der Finanzen wieder dem Alltagsgeschäft gewidmet. Das Kulturjahr als Topos glänzt nach seinem kalendarischen Ablauf durch abwesende Abwesenheit. Sämtlicher Glanz ist verpufft, man wähnt sich geradezu in einem Möglichkeitsuniversum der versäumten Chancen.

Bereits mit Jahresbeginn machte sich in der freien Kulturszene wieder jene Stimmung breit, die man vor 2003 kannte, man fühlt sich beinahe so, als ob allein der Begriff "Kulturhauptstadt" in einem virtuellen Parallelgraz vorzufinden war. Bürgermeister Siegfried Nagl (ÖVP), der Anfang 2003 das Amt von Alfred Stingl (SPÖ) übernahm, der wiederum zusammen mit dem Ex-Kulturstadtrat Helmut Strobl (ÖVP) als Macher der Kulturhauptstadt galt, merkte an, dass man schon vor fünf Jahren darüber hätte nachdenken sollen, wie es nach 2003 weitergehen soll. Im Sommer waren er und Neostadtrat Buchmann (ÖVP) vor ORF-Kameras noch frohen Mutes, dass die Miteinbeziehung der Kulturschaffenden in die Diskussion ausreiche, den Standortvorteil zu sichern. Zu dieser Zeit war Intendant Lorenz noch der Meinung, er würde, trotz wiederholtem Hinweis, er verschwände mit Jahresende wieder nach Wien, davon abgehalten werden zu gehen. Dies hat er getan mit allen Konsequenzen, im übrigen ohne sich um das Fortkommen seiner ehemaligen engsten Mitarbeiter zu kümmern.

Mittlerweile passierte das, was zu befürchten war. Man installierte auf Stadtebene einen Kulturbeirat, bestehend aus 23 Personen, besetzt von den üblichen großen Players über einige Initiativenleute bis hin zum "kritischen Publikum". Vorangegangen ist dem ganzen ein Riesendiskussionsforum, ein "open space" im Herbst 2003, bei dem man sich ehrenamtlich engagieren und aufzeigen konnte. Freilich stand da schon fest, dass das Budget der freien Szene nicht mehr wird. Im Gegenteil: das Ergebnis einer Evaluierung Grazer Initiativen wurde so umgesetzt, dass die negativ Evaluierten aus der Förderung gekickt und positiv Evaluierte nach wie vor nicht mit Dreijahresverträgen ausgestattet wurden.

In weiterer Folge wurde zusätzlich ein Fachbeirätesystem eingesetzt, das sich aus sage und schreibe weiteren 32 Mitgliedern zusammensetzt. Das erinnert stark an spätchristliche Mythologie mit symbolischer Belohnung für Eifer und Bestrafung für Gier und Arroganz. Ganz so wurde auch bei der Auswahl der Beiräte verfahren, für deren Besetzung in überregionalen Zeitungen Annoncen geschaltet wurden. Dieser Wust an Gremien treibt momentan möglichst breitenwirksam den Nichtentscheidungsprozess voran. Gezielt wurde hier mit den handelsüblichen wirtschaftspsychologischen Kniffen jeder mögliche kritische Widerstand von vornherein ausgeschaltet, indem unter dem eleganten Mantel der Scheinfreiheit Pöstchen vergeben werden. Man befriedet und waltet macchiavellistisch: nicht verwunderlich, dass die IG Kultur Steiermark als kritische Konstante trotz mündlicher Zusage nicht eingeladen wurde, eine Person in die Gremien zu entsenden.

Die politische Realität sieht freilich noch weit trister aus. Eine politische Pattsituation auf Grazer Ebene in punkto Kulturgesellschaftsinstallierung lähmt die Weiterentwicklung und Entscheidungsfreudigkeit zusätzlich. Schon im laufenden Kulturjahr wurde verlautbart, dass die 03-Gesellschaft im Frühjahr 2004 aufgelöst werde. Zeitgleich arbeitete man auf Landesebene am Konzept einer "Gegengesellschaft". Ein Grazer Wirtschaftsprüfungsunternehmen wurde beauftragt, sich mit der Ist-Situation des steirischen Kulturbetriebes auseinanderzusetzen - eine Studie sollte die neue Kulturholding legitimieren. In einem vorerst als Geheimpapier kursierenden Basiskonzept hieß es u.a.: "Ab 2004 sind sowohl die Stadt Graz sowie das Land Steiermark als auch die Kulturträger mit der Situation konfrontiert, dass einerseits die Hoteliers und Zimmervermieter mit einem weiterhin hohen Niveau der touristischen Nachfrage rechnen, es aber andererseits keine Sonderbudgets wie im Jahr 2003 gibt. Die knapper werdenden Mittel werden dringend zum Betrieb der neuen Einrichtungen (Kunsthaus, Literaturhaus, Listhalle) benötigt."

Noch eindringlicher wurde das Papier bei einer Stärken/Schwächen-Analyse einiger Häuser, wobei kurzerhand recht salopp das Literaturhaus und das Forum Stadtpark zu einem Label verschweißt wurden: "Stärken: neu adaptiertes Gebäude. Schwächen: Kultureller Zugang für überregionale Gäste und Besucher schwer erkennbar." Kultur in Zeiten ihrer ökonomischen Plausibilität.

Die neue Kulturservicegesellschaft jedenfalls nahm im März 2004 als One-man-Show ihren Betrieb auf. Auf Stadtebene fordert die sozialdemokratische Fraktion naturgemäß weiterhin den Erhalt der 03-Gesellschaft, um ganz manierlich einen politischen Gegenpol zu konstatieren. Die Bedeutung der Nachhaltigkeit und des Know-How der Graz03-Macher wird dabei zur Nebensächlichkeit degradiert, und proporzianische Verhältnisse sind wieder hergestellt. Gerade im Hinblick auf das aufgewandte Kapital, die Humanressourcen und die internationalen Kanäle, die gelegt wurden, wäre ein kategorischer Nichtmiteinbezug eine Katastrophe und eine Peinlichkeit. Die Vorgangsweise erinnert an jene anderer Kulturhauptstädte. Parallel dazu läuft das Grazer Programm "Haushaltskonsolidierung", die Stimmung auf Beamtenebene ist denkbar schlecht.

Umso dringlicher wären klare Entscheidungen vonnöten: So ist das Kulturstättenentwicklungskonzept als Dreh- und Angelpunkt der weiteren Vorgangsweise eine Entscheidung, auf die die freie Szene seit Jahren wartet, um nur ein Beispiel zu nennen. Ein anderes ist die Umsetzung der Forderung nach speziellen Fördertöpfen für die freie Szene aus Wirtschaft und Tourismus: Die momentane Stadtratsposition vereint alle notwendigen Agenden, die Ausgangsbasis wäre wie geschaffen dafür.

Die radikalen Klassifizierungsmaßnahmen für Beamte auf Stadtebene, die permanenten Umkrempelungen für Beamte in der Landeskulturabteilung auf allen Ebenen, die Entpolitisierung der steiermärkischen Kulturpolitik, die folgenschwer zu sozialpartnerschaftlichem Stillstand führt, der radikale Generationenwechsel in der ersten Liga der Stadtpolitik, die Arbeitslosigkeit des 03-Gesellschaftsmittel- und unterbaus, für die sich naturgemäß niemand verantwortlich fühlt, ein Beirätesystem, das den Kulturbetrieb zu einem lahmenden, unbeweglichen Moloch umformt, und schlussendlich die Propagierung von Veranstaltungen in den neuen großen Häusern, die dem Adorno’schen Begriff des Fun-Stahlbades eher nachkommen, denn als kulturpolitische Zeichensetzungen dienen: Dies macht die Ikonographie einer Stadt aus, die auf dem besten Wege ist, sich noch einige Jahre über das Autocluster zu definieren, um schlussendlich als Autobahnraststätte zwischen München und Beograd zu enden.

Die freie Szene hat sich Vorteile erhofft und sich momentan zum Großteil mit dem System arrangiert. Bei Diskussionsveranstaltungen mit Stadt- und Landespolitikern sind kritische Stimmen kaum vorhanden, man will ja um die 2.130,- Euro Jahresförderung nicht auch noch umfallen. Kann man ihnen aber gar nicht zum Vorwurf machen, die großen Players funktionieren ebenso. Es gibt keine kritische Position bei der Führung der großen Häuser, die das eigene Universum verlässt und im Kollektiv denkt.

Nachhaltigkeit Nummer Eins: Eine Agenturgründung der Marketingbeauftragten von Graz03, die die aufgelegten Kanäle und Kontakte für ihr berufliches Fortkommen nützen werden. Nachhaltigkeit Nummer Zwei: Finanzstadtrat Riedler (SPÖ) wertet den Erhalt des Uhrturmschattens des Künstlers Markus Wilfling als Teil des Nachhaltigkeitskonzeptes. Die Konstruktion wurde abgebaut, um an der Südgrenze der Stadt auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums zum Gaudium der Kaufkräftigen neu errichtet zu werden.


Michael Petrowitsch arbeitet für den steirischen Artikel-VII-Kulturverein und das Pavelhaus und ist Vorsitzender der IG Kultur Steiermark.

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