Das Bild den BilderproduzentInnen! Wieso es schwierig ist, der VolxTheaterKarawane ihren Preis zu übergeben

“Was ist das Bild der VTK? … Österreichisches Laientheater, TransversalistInnen, NomadInnen, noborder-AktivistInnen, internationale Straßentheatertruppe, Alien Nation, umherschweifende ‘Globalisierungsgegner’, ‘Gaukler oder Guerilleros’, Black Block, Terroristen, Event Hopper, kriminelle Vereinigung, Dr. Jekyll and Mr. Hyde?”

“Was ist das Bild der VTK? … Österreichisches Laientheater, TransversalistInnen, NomadInnen, noborder-AktivistInnen, internationale Straßentheatertruppe, Alien Nation, umherschweifende ‘Globalisierungsgegner’, ‘Gaukler oder Guerilleros’, Black Block, Terroristen, Event Hopper, kriminelle Vereinigung, Dr. Jekyll and Mr. Hyde?” So skizziert Gini Müller, Theaterwissenschaftlerin und Aktivistin Außenansichten auf das Projekt VolxTheaterKarawane in einem Beitrag zu dem 2003 in der Reihe republicart erschienenen Reader “Transversal. Kunst und Globalisierungskritik”. Die VolxTheaterKarawane operiert mit Praxen zwischen unsichtbarem Theater und Performance, politischem, vernetztem Aktivismus, multimedialer Information und Dokumentation, Kommunikationsguerilla-Strategien, Provokation und DJ-Culture in einer nomadischen Projektstruktur. In den Reisen der Karawane, konzertierten Aktionen, geht es um Handlungsformen, die absolute Differenzen und allzu schroffe Grenzen zwischen Kunst und Politik, zwischen Tat und Theorie nicht anerkennen. Es geht um Möglichkeiten des Theaters als Instrument der Widerrede.

Die erste transnationale VolxTheaterKarawane war 2001 in Zusammenarbeit mit der Plattform für eine Welt ohne Rassismus und dem europaweiten “noborder”-Netzwerk auf offenen Plena organisiert worden und tourte sechs Wochen im Sommer dieses Jahres in das Dreiländereck zwischen Slowenien, Ungarn und Kroatien und zu Konzentrationspunkten des globalisierungskritischen Widerstands, den Anti-WEF-Protesten in Salzburg und dem G8-Gipfel in Genua.

Ein Jahr zuvor war die Idee entstanden, den politischen Aktionismus des Volxtheaters in Form einer Karawane nach außen zu tragen. Als Teil der “Kulturkarawane gegen rechts”, im Rahmen derer im Oktober 2000 kulturelle Veranstaltungen in Dörfern und Kleinstädten Kärntens und der Steiermark und internationale Widerstandstage in Klagenfurt stattfanden, zog die Theatergruppe als fahrende Karawane durchs Land. Ziel war es, durch theatrale Aktionen Aktionismus und Information zu verbinden. Sie hinterließ Denkmäler mit der Aufschrift “NO BORDER NO NATION – FÜR EIN OFFENES KÄRNTEN, FÜR EIN OFFENES EUROPA”.

Das VolxTheater Favoriten wiederum war schon 1994 als offenes Theaterkollektiv gegründet worden. Zielsetzung des “Volxtheaters”, das über kein feststehendes Ensemble im klassischen Sinn verfügt und somit nicht als kontinuierlich organisierte Theatergruppe verstanden werden will, ist die kreativ-künstlerische Auseinandersetzung mit zentralen gesellschaftspolitischen Themen wie Rassismus, Sexismus, sozialer Ungerechtigkeit, institutionalisierter Ausgrenzung, Unterdrückung und Benachteiligung im Rahmen des demokratischen Systems.

Die Reise der Karawane nach Genua endete am 22. Juli 2001 mit der Verhaftung der 25 TeilnehmerInnen auf einem Parkplatz vor Mocconesi außerhalb Genuas. Bereits am Tag zuvor hatte sich abgezeichnet, dass die Gewalteskalation auf Seiten der italienischen Exekutive in der willkürlichen Verhaftung und Misshandlung von TeilnehmerInnen der zu Ende gegangenen Demonstrationen eine Fortsetzung finden würde. Die Karawane brach aus Genau auf, die Verhaftung am Treffpunkt der einzelnen Mitglieder legt eine Observierung der Gruppe während ihres Italienaufenthaltes bereits im Vorfeld nahe.

Die Folgen sind bekannt: drei Wochen Untersuchungshaft für die Mitglieder der Gruppe, zu Beginn systematische physische und psychische Folter durch Bedrohung, Verhöhnung, Schlafentzug, Tritte, langes Sitzen- und Stehenmüssen in derselben Position. Reflexartige Abwehrhaltung von Seiten der österreichischen Regierungspolitik, nicht einmal Empathie, stattdessen die vorauseilende Inkriminierung der Karawanen-Mitglieder durch Hinweise auf angebliche “Vormerkungen” im Innenministerium und keine Hilfe bis zu einem Zeitpunkt, an dem der mediale Druck insbesondere auf das österreichische Außenministerium zu groß wurde. Die Mitglieder der Karawane wurden entlassen. Ein kurzes Rauschen im österreichischen Blätterwald folgte, Ende August war der Medienhype um die Karawane vorbei.

Drei Jahre nach Genua droht aber nach wie vor ein Nachspiel: Am 2. März 2004 begann in Italien ein Prozess gegen 26 DemonstrantInnen, denen schwerer Landfriedensbruch und Plünderung vorgeworfen werden. Gleichzeitig starten Ende Juni die Vorprozesse gegen insgesamt 76 italienische Polizisten wegen der Gewaltexzesse insbesondere in Zusammenhang mit den Übergriffen auf Quartiere der DemonstrantInnen. Sie werden flankiert von innenpolitischen Auseinandersetzungen darüber, was die Polizei in Ausübung ihres Amtes tun darf und was nicht. Ein von der Lega Nord eingebrachter Antrag auf Änderung der Definition dessen, was als Folter zu verstehen und somit strafbar sei, passierte am 22. April in erster Lesung das italienische Parlament: Strafbar soll nach dem Entwurf nur mehr die “mehrmalige” Gewaltanwendung oder Bedrohung sein. Auch wenn die Gesetzesänderung letztlich vor dem Hintergrund der an die Öffentlichkeit geratenen systematischen Folterungen im Irak nicht beschlossen werden dürfte, zeichnet sich die Tendenz zur Legitimation staatlicher Repression deutlich ab.

Die Asymmetrie der Zahlen 26 (in Prozesse involvierte DemonstrantInnen) zu 76 (angeklagte Polizisten) soll die italienische Justiz und vor allem Alleanza Nazionale-Chef Gianfranco Fini möglicherweise derart irritieren, dass bis zu 50 weitere DemonstrantInnen vor Gericht gestellt werden könnten. Unter ihnen könnten auch die ArtivistInnen der VolxTheaterKarawane sein. Entsprechende Andeutungen fielen zumindest während einer Pressekonferenz der befassten Staatsanwaltschaft. Noch sind allerdings keine Prozessanklagen verschickt worden.

Seit 2002 ist ein adaptierter Doppeldeckerbus permanenter Bestandteil auf den Reisen der Karawane. Er ist mobiles Aktions- und Dokumentationszentrum, ausgestattet mit Computer, Radio- und Internetstation, Bar und Videothek – ein partizipativer Anziehungs- und Kommunikationspunkt auf den Tourstationen.

2003 startete die Tour als “Noborderlab”, als “mobiler Raum für Kommunikationsguerilla, ein Laboratorium für Widerstandstechnologien und virtuell/ physische Interaktion” mit dem Motto “Another war is possible”. Besucht, beziehungsweise parallel bespielt, wurden Orte der Auseinandersetzung mit Politik, Gesellschaft und Kultur: An der fließenden Grenze zwischen dem Austrian Social Forum und der umgebenden Landschaft installierte sich die “Ananas.Sozial.Fabrik”, in Timisoara als Teil des ersten rumänischen Noborder-Camps ein Medienlabor. Die Einladung, im Rahmen des Festivals der Regionen Projekt und Methodik der VolxTheaterKarawane zu präsentieren, endete nach einigen Festivaltagen mit einer symbolischen Niederlegung der Waffen (Spritzpistolen) und einem Stopp der Aktionen. Wie im Jahr zuvor auch auf der documenta11 in Kassel, hatten die Aktionen der Volx TheaterKarawane die Verantwortlichen der Institutionen zu einer (Gegen-)Positionierung und Reflexion ihrer eigenen Ordnung der Dinge veranlasst.

Die Tour “Another war is possible” wurde durch die Jury des Förderpreises für politische Kulturarbeit als eines von vier herausragenden Projekten ausgezeichnet. Die Meinung der Jury war schon in der ersten Runde der Sitzung einhellig, dass Projekt No. 29 so etwas wie ein prototypischer Preisträger sei: wegen der Vielfalt der eingesetzten Techniken und Strategien, der Wandlungsfähigkeit der ProjekträgerInnen, der Niederschwelligkeit, dem politischen Anspruch, dem An-Grenzen-Gehen, der überzeugenden Theoretisierung der eigenen Praxis, der Fähigkeit zur Verschiebung selbstverständlicher Bilder. Es sei logisch, hier einen Preis zu vergeben, sagte ein Mitglied der Jury. Einzig, sagte ein anderes, sei es doch so, dass die VolxTheaterKarawane schon ein relativ stark in der Öffentlichkeit stehendes Projekt sei. Könne da der Preis noch etwas bewirken? Ein dritter Juror trug ein VolxTheaterKarawane-Shirt.

Die Sache mit dem Shirt ist symptomatisch. Die Wahl des Shirts war wohl weder Zufall noch Absicht. Vielmehr zeigt sie, dass es der Karawane, der VTK, der VXTK, der PublixTheatreCaravan gelingt, als Label - auch über eine Personalisierung hinaus - für eine widerständische Haltung zu stehen. Natürlich sah das Shirt nicht schlecht aus.

Shirts, der adaptierte Doppeldeckerbus als Arbeits- und Vernetzungsvehikel, ein Logo, immer wieder weiße Overalls als Berufsbekleidung der VolxAktivistInnen - die Karawane spielt als Label mit den Insignien zeitgemäßer Repräsentation. Allerdings ohne sich deswegen auf ein Programm mit Repeat-Taste festlegen zu lassen. Zu zahlreich sind die Websites, zu vielfältig die Mittel des künstlerischen Aktivismus, zu vielstimmig der Chor des Kollektivs. Aus den gewählten Praxen und dem Verzicht auf narzisstische Nährung ergibt sich die Möglichkeit einer Kritik aus der Handlung heraus. Es ergibt sich die Möglichkeit, widerständig zu handeln, politische Forderungen zu stellen, ohne Gefahr zu laufen, zum einen die Strukturen des kritisierten Systems zu reproduzieren bzw. von ihm als Hofnarr, der den Spiegel vorhält, inkorporiert zu werden.

Der VolxTheaterKarawane, einem politischen Kunst- und Medienprojekt, versiert in der feinen Klinge der Kommunikationsguerilla, das die eigene Arbeit auch als Inszenierung von Öffentlichkeit versteht, im Sinne des Preises eine “möglichst breite - und hier vor allem mediale - Öffentlichkeit” zu erschließen, erscheint wie Eulen nach Athen zu tragen. Oder knapp an Athen vorbei. Den Start des Maßnahmenpakets, das das Bild den BilderproduzentInnen überlässt, macht also zunächst die Weiterleitung eines Appells im Dienste der derzeit in Zusammenhang mit dem G8-Gipfel angeklagten DemonstrantInnen: Die Staatsanwaltschaft stützt sich bei den Anklagen auf Foto- und Videomaterial aus eigenen Archiven und denen der Medien sowie von Internetseiten der sozialen Zentren. Indymedia Italia beginnt nun mit der Aufarbeitung eines Gegenarchivs des Widerstands, das zum einen im Rahmen der Verhandlungen eingesetzt werden kann, zum anderen eine andere Sicht auf Genua strukturiert. Für die Vollzeitarbeit an der Sichtung der Materialien hat Indymedia eine Finanzierungskampagne gestartet, die auch von der VolxTheaterKarawane mitgetragen wird.

Nähere Informationen dazu auf:

http://no-racism.net/noborderlab/

Informationen über die Karawanen der vergangenen Jahre:

http://no-racism.net/benita/volx_geschichte.htm

Weitere Literatur zur Karawane findet sich in den beiden ersten republicart-Bänden.


Patricia Köstring ist Vorstandsmitglied der IG Kultur Österreich und moderierte die öffentliche Jurysitzung zur Vergabe des Förderpeises für politische Kulturarbeit.

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