Eingeklemmt. Zwischen politischer Kunstöffentlichkeit und öffentlicher Kunstpolizei

Im Titel dieser Kulturrisse-Ausgabe findet sich die Kategorie der Kunst eigentümlich eingeklemmt zwischen zwei einander ausschließende Kategorien: Public und Policy. Also Öffentlichkeit auf der einen Seite und etwas auf der anderen, das nur schwer aus dem Englischen zu übersetzen ist, aber im Kern mit dem Ausdruck Politikfeldadministration am besten getroffen wäre. Kunst- bzw. Kulturinstitutionen wären damit eingeklemmt zwischen zwei unterschiedlichen und miteinander konkurrierenden Politikvorstellungen.

"Jawohl, ich erspare mir eine Theorie des Staates, ich will und muss mir eine Theorie des Staates ersparen – so wie man sich eine ungenießbare Mahlzeit ersparen kann und muss."
(Michel Foucault) [1]


Im Titel dieser Kulturrisse-Ausgabe findet sich die Kategorie der Kunst eigentümlich eingeklemmt zwischen zwei einander ausschließende Kategorien: Public und Policy. Also Öffentlichkeit auf der einen Seite und etwas auf der anderen, das nur schwer aus dem Englischen zu übersetzen ist, aber im Kern mit dem Ausdruck Politikfeldadministration am besten getroffen wäre. Kunst- bzw. Kulturinstitutionen wären damit eingeklemmt zwischen zwei unterschiedlichen und miteinander konkurrierenden Politikvorstellungen: der Vorstellung von Politik als Publizität und Debatte, d.h. als Form öffentlicher Austragung von Konflikt auf der einen Seite und der von Politik als staatlichem Verwaltungshandeln auf der anderen. In diesem strengen Sinn müssten wir Öffentlichkeit im Register des eigentlich Politischen verorten, also im Register des Konflikts. Politikfeldadministration wäre dagegen im Register der Polizei bzw. Polizeiwissenschaft zu suchen, also im Feld staatlicher Regulation von Konflikten. Tatsächlich stehen die eingeklemmten Kulturinstitutionen genau vor dieser Frage: welche Art von Politik wollen wir verfolgen, welcher zuarbeiten – der Politik der Öffentlichkeit oder der Politik der Verwaltung? Dem Konflikt oder der Polizei? Der politischen Kunstöffentlichkeit oder der öffentlichen Kunstpolizei?

Natürlich könnte man jetzt auftrumpfen und einfach behaupten: Wir sind klarer Weise auf der Seite der Öffentlichkeit und nicht auf jener der Polizei! Das muss man auch sagen. Das Problem ist nur aus vielen Gründen komplizierter, als diese relativ einfache Entscheidungsfrage nahelegt. Die Entscheidung findet nämlich auf einem Terrain statt, das sie zugleich verunmöglicht oder zumindest verkompliziert.

Da wären einmal die ganz praktischen Gründe: Kulturinstitutionen finden sich heute unter einem immensen Legitimationsdruck gegenüber den marktwirtschaftlichen Effizienzansprüchen wie auch gegenüber den politischen Anmaßungen der staatlichen und kommunalen Fördergeber. Schließlich haben sich in den meisten europäischen Ländern rechte bis rechtsradikale Regierungen etabliert, die in der Kultur jede Politisierung zu verhindern suchen – nicht zuletzt mit neoliberalen Argumenten. Die gute alte josephinistische Idee der Aufklärung-von-oben ist so gut wie tot. Die ausgestorbenen Josephinisten der sozialdemokratischen Ära der 1970er bis hinein in die 1990er Jahre waren ja gegenüber Öffentlichkeits- und Politisierungsargumenten zumindest ansatzweise noch aufgeschlossen.[2] Heute lautet eine der ausgegebenen Parolen "Kreativwirtschaft". Der Begriff ist nichts anderes als ein Shortcut für die Auslagerung ehemals öffentlichkeitsorientierter Kulturfunktionen an Private, die daran kein Interesse haben: ein Sieg der policies über die Politik. In dieser Situation müssen die Hoffnungen, durch "Einflüsterung" beim Fürsten etwas erreichen zu können, aufgegeben werden. Das Terrain, auf dem das Verhältnis von politischer Kunstöffentlichkeit und öffentlicher Kunstpolizei verhandelt wird, hat sich also verschoben. Ein Strategiewechsel ist erforderlich, der die breitere politische Lage berücksichtigt und neue Allianzen bildet.

Daneben gibt es aber tieferliegende Gründe, die mit der Funktion und Rolle der Kulturinstitutionen selbst zu tun haben. Tritt man einen Schritt zurück und betrachtet deren Funktion aus gesellschaftsanalytischer Perspektive, wird man feststellen, dass sie sich mit der Opposition zu den Apparaten staatlicher Verwaltung wohl deshalb schwer tun, weil sie selbst Staatsapparate sind. Unser Problem ist, dass wir vom Staat immer nur in einer sehr monolithischen und klar eingegrenzten Weise denken: als unser Gegenüber, an das wir Förderungsansuchen richten usw., ohne uns dabei klarzumachen, dass die eigenen Institutionen selbst immer schon Teil des Staates sind.

Egal, ob wir die Kunst- und Kulturinstitutionen mit Gramscis Kategorie der Zivilgesellschaft oder mit Althussers Kategorie der ideologischen Staatsapparate beschreiben, in jedem Fall gehören sie schon zum Staat. Sie sind immer schon Staat. Bei Gramsci etwa ist die Zivilgesellschaft – der Bereich der Kultur im weitesten Sinn – einschließlich ihrer Institutionen Teil des erweiterten oder integralen Staats, der die politische Gesellschaft und die Zivilgesellschaft umfasst. Bei Althusser, der das strukturalistische Update Gramscis lieferte, treffen sich die ideologischen Staatsapparate (Familie, Schulen, Medien, etc.) mit den repressiven Staatsapparaten (Polizei, Gefängnis, Verwaltung, etc.) in einem erweiterten Staatsbegriff: beides sind Staats-Apparate. Bei Laclau und Mouffe, die wiederum das poststrukturalistische Update Gramscis liefern, findet Politik auf der Ebene des Diskursiven statt [3], welche ihrerseits quer zur Unterscheidung Staat und Zivilgesellschaft steht. Die – scheinbare – Grenze zwischen Staat und Kultur/Zivilgesellschaft wird von politischen und sozialen Diskursen immer überschritten und dekonstruiert. Zu ganz ähnlichen Ergebnissen kommen die Regulationstheorie (in Bezug auf das Verhältnis Staat-Ökonomie) und die Gouvernementalitätsstudien.

Nun mag diese Behauptung der notwendigen Komplizität von Kulturinstitutionen mit der staatlichen Kulturpolizei für manche ein Skandal sein, für andere eine Selbstverständlichkeit, doch entscheidend sind die Konsequenzen, die daraus gezogen werden müssen. Manche dieser Konsequenzen werden nämlich eher selten bedacht.

Operiert man immer schon am selben Terrain wie das Gegenüber ("der Feind"), dann verliert die alte Rekuperationskritik an "Ausverkauf!" oder "Vereinnahmung!" erst mal ihren Sinn. Sie setzt ja voraus, dass es eine klare Unterscheidung geben kann zwischen der Instanz der Macht oder des Staates auf der einen und der des Widerstands oder der Verweigerung auf der anderen Seite. Nicht nur macht der moralische Vorwurf des "Sell-out" keinen Sinn, es macht auch keinen Sinn, jegliche Kooperation mit dem Staat (im engeren Verständnis) prinzipiell zu verweigern. Das bedeutet aber umgekehrt keinen Freibrief, um sich zum opportunistischen Büttel staatlicher Kulturadministration – zum Agenten der öffentlichen Kunstpolizei – machen zu dürfen. Dass eine grundlegende Trennlinie nicht existiert, bedeutet ja nicht, dass überhaupt keine Unterscheidungen mehr gemacht werden können. Was folgt, ist vielmehr, dass man sich der eigenen komplizenhaften Rolle bewusst sein muss, und dennoch der Grad konkreter Zusammenarbeit am konkreten Fall pragmatisch-strategisch zu diskutieren ist. Zu Beginn der schwarz-blauen Koalition gab es zum Beispiel den Konsens, schwarzblauen PolitikerInnen keine Repräsentationsflächen im Feld der Kultur zu bieten, das Geld aber dennoch zu nehmen. Auch wurden alternative Modelle des Umgangs mit staatlichen Förderungen und Preisgeldern diskutiert (eigene Töpfe zur Umschichtung des Gelds hin zu oppositionellen Projekten) – was erwartungsgemäß allerdings nicht sehr weit führte. Das konkrete Gegenüber war und ist ein anderes als zu Zeiten des kulturpolitischen Josephinismus, man muss ihm deshalb mit anderen Strategien begegnen.

Die typische linke Staatskritik argumentiert hingegen von einem Prinzipienstandpunkt aus, nicht von einem strategischen Standpunkt. Solange Kritik prinzipiell vom Feldherrnhügel aus lanciert wird, erspart man es sich, die allgemeine eigene Komplizität mit dem konkreten Fall abzugleichen (was ja möglicherweise sogar die allgemeine Kritik modifizieren könnte). Stattdessen wird das Konkrete auf allgemeinste Art kritisiert. "Der Staat" – als der Unterdrückungsapparat, der er natürlich auch ist – wird dabei immer schon als das schlechte Andere vorausgesetzt. Aus dieser Perspektive, und das sind die zwei klassischen linken Handlungsalternativen, kann man dann den Staat immer nur entweder übernehmen oder ihn abschaffen wollen. Beides sind keine wirklichen Handlungsalternativen, sondern zwei Seiten ein und desselben Phantasmas: der Existenz einer fest umzäunten Entität "Staat".[4]

Die Schlussfolgerungen, die man hingegen aus der Perspektive Gramscis ziehen würde, ist eine ganz andere als die der meisten Linken. Bei gleichzeitiger Kritik der Funktion des Staats als Gewaltapparat verfolgt sie weder die leninistische Strategie der Übernahme der Staatsmacht noch die anarchistische der Abschaffung des Staates. Ist die Differenz zwischen Staat und Zivilgesellschaft einmal dekonstruiert, dann bedeutet das, dass ein neu auftretendes hegemoniales Projekt den Staat nicht einfach "übernimmt" oder "abschafft", sondern selbst zum Staat wird: Gramsci spricht deshalb vom "Staat-werden" einer Klasse. Auch wenn wir unsere Ansprüche etwas tiefer hängen, sollte klar sein, dass diese Staatswerdung eines gegenhegemonialen Projekts unter anderem auch im Feld der Kulturinstitutionen stattfinden kann, vorausgesetzt es gibt ein solches Projekt. Jedenfalls wäre dies der eigentliche Sinn des Begriffs "Hegemonie", dass nämlich die "ideologischen Staatsapparate" wie etwa Kultur, Familie, Schule, etc. das Terrain sind, auf dem der Kampf um Hegemonie, um Konsens und Zustimmung zu einem bestimmten politisch-sozialen Way-of-Life ausgetragen wird.

Das Problem für die meisten Kulturinstitutionen dürfte also sein, dass die scheinbar so einfache Entscheidung "für die Öffentlichkeit" und "gegen die Polizei" Folgeentscheidungen nach sich zieht: Zum ersten müsste man sich der eigenen Polizeifunktionen klar werden. Zum zweiten müssten sich Kulturinstitutionen als Bestandteil eines breiteren gegenhegemonialen Projekts verstehen, sich an dieses ankoppeln oder, wo es nicht existiert, zu seinem Entstehen beitragen. Ich denke, dass vor dem Horizont der real existierenden Demokratien und nach der Ausschaltung sämtlicher historischer Alternativen zur Zeit nur ein Projekt der Radikalisierung der demokratischen Potenziale in diesem Horizont wirklich hegemoniefähig wäre (und keines der Überschreitung des demokratischen Horizonts an sich). Was uns drittens zur Öffentlichkeit zurück führt. Notwendiger Bestandteil eines radikaldemokratischen Projekts ist die Multiplizierung von Öffentlichkeiten, d.h. die Ausdehnung des öffentlichen Raums als Raum von Publizität (Zugänglichkeit) und Agonalität (konflikthafter Debatte) auf möglichst viele gesellschaftliche Bereiche und Institutionen. Öffentlichkeit hat keine Adresse und keinen festen Ort, sondern vagabundiert zu jenen Stellen, an denen Publizität und Agonalität kurzfristig entstehen und möglicherweise wieder vergehen. Institutionen können also nur die Bedingungen der Möglichkeit des Entstehens von Öffentlichkeit beeinflussen und begünstigen, das Entstehen aber selbst nicht garantieren. Daraus folgt viertens und letztens: Öffentlichkeit ist etwas, das die Logik der Polizei durchbricht und deshalb selbst nicht administriert werden kann. Die Kunst- und Kulturinstitutionen sind also nicht nur eingeklemmt zwischen Öffentlichkeit und Administration, sondern sie sind auch in sich gespalten: Die Grenze zwischen den widersprüchlichen Logiken von public und policy läuft durch die Institutionen der Kunst selbst hindurch.


Anmerkungen

[1] Michel Foucault: "Staatsphobie", in: Ulrich Bröckling et al. (Hg.) Gouvernementalität der Gegenwart, Frankfurt am Main (Suhrkamp) 2000, S.69.

[2] Zu den Problemen dieser josephinistischen Kulturpolitik sh. Oliver Marchart: Das Ende des Josephinismus. Zur Politisierung der österreichischen Kulturpolitik, Wien (edition selene) 1999.

[3] Einschließlich diskursiver Praxen(!), also ein durchaus materiell gefasster Diskursbegriff.

[4] Die dritte Alternative, die heute am verbreitetsten ist, wäre jene des praxisresignativen reinen Kritizismus oder, im besten Fall, der bloß anlassorientierten Aktionen (des "Protests", der "Initiative" etc.).


Oliver Marchart ist Philosoph und politischer Theoretiker und arbeitet an der Universität Basel.

 

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