"Enorme Wünsche"
Das Prestigeprojekt stößt in Tirol auf wenig Gegenliebe. Kritisiert werden u. a. die hohen Kosten, die geplante Übersiedelung des Riesenrundgemäldes, dem „Herzstück“ des neuen Museums, die schlechte Informationspolitik, das Museumskonzept, vor allem aber die Art und Weise, wie die Landesregierung das Projekt auf politischer Ebene durchsetzt.
Innsbruck ist eine Baustelle. Unter der Ägide des ehemaligen Bürgermeisters und Tiroler Landeshauptmannes Herwig van Staa entstanden die Skisprungschanze auf dem Bergisel, ein Fußball- und ein Eisstadion, eine Rathaus-Shoppingmall, das Landhaus 2 und viele andere öffentliche (und private) Bauten mehr, die das Gesicht der Stadt entscheidend, oft auch zum Guten verändert haben. Ein positiver Aspekt dieser regen Bautätigkeit, die unter der amtierenden Bürgermeisterin Hilde Zach und dem derzeitigen Landeshauptmann Günther Platter fortgeführt wird, ist die weitgehend hohe Qualität der Architektur und damit einhergehend eine allgemeine architektonische Belebung der Stadt. Trotzdem liegt in einigen Fällen die Vermutung nahe, dass diese Bauten auch als Denkmäler gedacht sind und ihre „ErbauerInnen“ über die politische Arbeit hinaus im Gedächtnis behalten werden sollen. Ein schönes Beispiel dafür sind die 2003 errichteten Probebühnen des Tiroler Landestheaters, von denen je eine Herwig van Staa und Hilde Zach gewidmet ist.
Museales Vorhaben
Zwei Wunschprojekte van Staas, ein Haus der Kunst und ein Haus der Alpen, wurden nicht verwirklicht. Ein drittes museales Vorhaben aus seiner Amtszeit, das Museum am Bergisel, wird derzeit umgesetzt und soll 2010 eröffnet werden. Laut den Plänen der Tiroler Landesregierung wird das Museum, das inoffiziell auch als „Haus der Geschichte“ und „Museum der Traditionskultur“ gehandelt wird, mehrere Bereiche umfassen: das bestehende Kaiserjägermuseum sowie – im angeschlossenen Neubau – das Riesenrundgemälde, das bisher in einer eigens dafür errichteten Rotunde am Inn gezeigt wurde, und einen beide Teile verbindenden Ausstellungstrakt. Inhaltlich soll das Haus, so der mit der Konzeption betraute Museumsplaner HG Merz, ein „Panorama der Tiroler Dinge und Zeichen“ sein – immer bezogen auf den Ort Bergisel als Schauplatz der Kämpfe von Tirolern gegen Bayern und Franzosen 1809, als Denkmalareal des 19. und 20. Jahrhunderts und als Austragungsort sportlicher Wettkämpfe im 20. und 21. Jahrhundert.
Bau- und andere Kosten
Doch das Prestigeprojekt stößt in Tirol auf wenig Gegenliebe. Kritisiert werden u. a. die hohen Kosten, die geplante Übersiedelung des Riesenrundgemäldes, dem „Herzstück“ des neuen Museums, die schlechte Informationspolitik, das Museumskonzept, vor allem aber die Art und Weise, wie die Landesregierung das Projekt auf politischer Ebene durchsetzt. Obwohl von einer Fertigstellung weit entfernt, hat das Museum bereits eine bewegte Geschichte hinter sich: Im Juli 2007 fasste die Landesregierung einen Grundsatzbeschluss für die Errichtung des Museums und veranschlagte dafür Kosten von 12,725 Mio. Euro. Da in diesem Betrag u. a. Grundankäufe und museale Ausstattung nicht enthalten sind, werden sich die Gesamtkosten für den Neubau, die Verkehrserschließung und Umfeldgestaltung, die Übersiedelung und Restaurierung des Rundgemäldes, das Konzept und die Einrichtung des Museums auf rund 20 Mio. Euro belaufen. Im März 2009 ließ LH Platter den Museumsbau noch einmal evaluieren, nachdem weitere Mehrkosten von 1,7 Mio. Euro anzufallen drohten. Zur selben Zeit teilte die Kulturlandesrätin Beate Palfrader in einer schriftlichen Anfragebeantwortung an den grünen LA Gebi Mair mit, dass die Betriebskosten statt ursprünglich 328.000 Euro jährlich 670.000 Euro betragen würden – eine Summe, die erst bei ca. 180.000 Besuchen pro Jahr eingespielt werden kann, weshalb Palfrader mit einem Verlust von 345.460 Euro pro Jahr rechnet.
Historisches Dokument
Noch mehr Ablehnung als die hohen Kosten rief aber die geplante Übersiedelung des Riesenrundgemäldes auf den Bergisel hervor. Kritik kam etwa vom Verein „Für unser Panorama“, von einem Personenkomitee, dem u. a. Paul Flora, Felix Mitterer, Peter Weiermeier und Alois Hotschnig angehören, vom International Panorama Council und dem Linzer Ludwig Boltzmann Institut Medien.Kunst.Forschung, nicht zu vergessen die einmalige „Flut an Anrufen, E-Mails und Faxen aus der Bevölkerung“, die bei Landeskonservator Ernst Caramelle vom Bundesdenkmalamt (BDA) zum Thema einging. In der Tat setzten die GegnerInnen große Hoffnungen auf den Bescheid des BDA zur Übersiedelung des Panoramas von Michael Zeno Diemer. Dieses entstand 1896 und zeigt die dritte Schlacht am Bergisel 1809, die die Tiroler unter Andreas Hofer für sich entscheiden konnten. 1906 wurde das Gemälde in London und während des Ersten Weltkrieges in Wien ausgestellt. Seit seiner Rückkehr 1924 hängt es in der Rotunde am Inn – ein historisches Dokument und mit seiner eigenen Atmosphäre auch vielen liebgeworden, die sich mit den „HeldInnen“ des so genannten Tiroler Freiheitskampfes 1809 nicht identifizieren.
Im Prinzip …
1974 wurden Gebäude und Gemälde, die sich bis heute im Besitz der Raiffeisen Landesbank befinden, als Einheit unter Denkmalschutz gestellt. Seither hat sich zwar das Bild sehr gut erhalten, das Gebäude ist aber inzwischen so stark renovierungsbedürftig, dass es 2007 geschlossen werden musste. Da etwa zur selben Zeit auch beim Kaiserjägermuseum am Bergisel Sanierungsbedarf geortet wurde, sah die Tiroler Landesregierung die Lösung des Problems in der Errichtung des Museums am Bergisel und der Übersiedelung des Panoramas dorthin. Beim BDA wurde deshalb 2006 nachgefragt, ob eine Translozierung des Gemäldes prinzipiell möglich sei. Damals sei die Rechtsauffassung diejenige gewesen, sagt Caramelle, „dass ein Bild, das schon zwei Mal auf Reisen war, nicht unbedingt an das Gebäude gefesselt sein muss“. Allerdings wäre eine Translozierung immer an bestimmte Auflagen gebunden gewesen, z. B. dass am Bild keine Schäden entstehen dürften und für die Rotunde eine sinnvolle Nachnutzung gefunden werden müsse – für Letzteres gibt es übrigens bis heute kein Konzept.
… und im Detail
Bei genauerer Begutachtung 2008 kam das BDA aber zu einem anderen Schluss. Denn während um 1900 „jedes Kaff“ (Caramelle) ein Panorama besaß, existieren heute nur mehr wenige, und von diesen weltweit nur vier, die in den sie umgebenden Originalbauten erhalten sind. Da in Innsbruck Bild und Gebäude somit eine untrennbare Einheit bildeten, beschied das BDA am 7. November 2008, dass das Gemälde nicht übersiedelt werden dürfe. „Der zweite Grund ist, dass das Bild durch die Transferierung großen Schaden erleidet“, wie man von den zwei Transferierungen nach London und Wien wisse. „Es ist also eine mutwillige Gefahrenaussetzung, die man mit der Translozierung macht.“ Aber ohne Rundgemälde kein Bergisel-Museum. Da zu diesem Zeitpunkt bereits ein Architekturwettbewerb durchgeführt, diverse Baubescheide erlassen und auch schon vorbereitende bauliche Maßnahmen am Bergisel gesetzt worden waren, beriefen LH Platter, LRin Palfrader und die RLB als Eigentümerin gegen den Bescheid des BDA. Bereits am 10. November 2008 verlautete Günther Platter: „Ich habe das Wort der Ministerin, die mir gesagt hat, im Fall eines negativen Bescheides wird es in der zweiten Instanz eine positive Entscheidung geben.“ (Der Standard, 13.1.2009) Das Ministerium dementierte zwar eine Absprache, entschied aber am 11. Januar 2009 zugunsten der Tiroler Landesregierung.
Das Volk und seine Vertreter
Dass sich das Ministerium über einen Bescheid des BDA hinwegsetzt, kommt zwar eher selten vor, ist aber in einem rechtsstaatlichen Verfahren selbstverständlich ebenso vorgesehen wie eine Übereinstimmung mit der ersten Instanz. Im Fall des Riesenrundgemäldes wurde der positive Bescheid u. a. damit begründet, dass es kein Veränderungsverbot gebe, dass das Gemälde in gutem Zustand, die Rotunde aber sanierungsbedürftig sei und es am neuen Standort mehr klimatechnische, konservatorische und wartungstechnische Leistungen zugunsten des Gemäldes gebe. Zudem enthält der Bescheid strenge Auflagen für die Übersiedelung. Ein gewichtiges Argument bei der Entscheidung war aber auch, dass „die Errichtung des Museums […] mit dem […] Panorama-Riesenrundgemälde als Herzstück […] ein ganz wesentliches kulturpolitisches Anliegen des Landes Tirol“ ist. Oder, wie Nikolaus Pelinka, Pressesprecher von Ministerin Schmied, es ausdrückt: „Die Entscheidungsgrundlage ist in diesem Fall eine kulturpolitische Entscheidung, das muss man ganz ehrlich sagen. [Sie ist] vor allem begründet in der Geschichte der Riesenrundgemälde, […] in der Alternative [des Verbleibs in der Rotunde] und […] in dem Grundgedanken, dass das reine Totalverhindern von Dingen nicht Ziel des Denkmalschutzes sein kann, kombiniert auch mit den enormen Wünschen der Tiroler Landesregierung, hier als gewählte Vertreter der Tiroler Bevölkerung diesen Schritt zu setzen.“
Protest und Beschluss
Dass sich mit dem positiven Bescheid zwar die „enormen Wünsche der Tiroler Landesregierung“, aber nicht unbedingt die der Tiroler Bevölkerung erfüllten, wurde nach dem positiven Bescheid mehrfach deutlich. Abgesehen von zahlreichen Leserbriefen in den Tiroler Zeitungen gab es u. a. eine Protestversammlung der Innsbrucker Grünen und einen offenen Brief der Tiroler Kulturinitiativen (TKI) an Platter und Palfrader, in dem auch inhaltliche Bedenken gegen das Museumskonzept geäußert wurden. Die Landesrätin kündigte daraufhin an, die Kritiker zu einem Termin einzuladen, bei dem sie sich über das Konzept informieren könnten. Laut TKI wurden von der Veranstaltung am 18. Februar 2009 aber viele Kritiker erst gar nicht oder sehr spät informiert, und in ihren einleitenden Worten hielt Beate Palfrader „unmissverständlich fest […], dass hier und jetzt keine Diskussion über die Translozierung stattfinden wird. Die Tanslozierung ist beschlossene Sache.“ (Tonmitschnitt vom 18.2.2009)
Mut zur Lücke
Stattdessen wurde das Konzept für das Museum am Bergisel vorgestellt, das von Seiten des Landes dem Ort Bergisel, dem Riesenrundgemälde, dem Kaiserjägermuseum – als Regimentsmuseum und als Museum zum Ersten Weltkrieg und zur Teilung Tirols – gewidmet ist und in dem dies alles in einen europäischen Kontext gestellt sein soll. Den Einwand, dass in einem Ausstellungshaus, in dem die Kriegsgeschichte Tirols im Jahr 1809 und während des Ersten Weltkriegs bestimmenden Raum einnimmt, der Zweite Weltkrieg auch als eigener Themenbereich (und nicht nur in Zusammenhang mit anderen Inhalten) behandelt werden müsse, lässt nicht nur Benedikt Erhard vom Kulturamt des Landes Tirol, sondern auch die wissenschaftliche Koordinatorin des Museums, Isabelle Brandauer, nicht gelten: „Man muss natürlich Mut zur Lücke beweisen, es soll ja bewusst kein reines Haus der Geschichte werden.“ Eine kontinuierliche Geschichte Tirols erzähle schon das Innsbrucker Zeughaus, außerdem fehle am Bergisel der Platz dafür. Und so wird das Museum am Bergisel trotz seines neutralen Titels wohl doch eher ein Haus der Traditionskultur werden, oder – auf dem bedeutungsschweren Boden des „Denkmalareals“ Bergisel – ein weiteres Denkmal für die Tiroler „HeldInnen“ von 1809, 1914 bis 1918 und in den Landesregierungen der Nuller Jahre.
Anmerkung
Die Zitate stammen, wenn nicht anders angegeben, aus Interviews der Autorin mit Isabelle Brandauer, Franz Caramelle, Benedikt Erhard und Nikolaus Pelinka im März 2009.
Esther Pirchner lebt in Innsbruck und ist freiberuflich als Journalistin mit Schwerpunkt Kultur, Lektorin und Autorin von Programmheften tätig.