Fusion als Strategie der Eliminierung? Zum kulturpolitischen Hintergrund der "Abwicklung" von ÖKS, KulturKontakt und Büro für Kulturvermittlung

Da musste ich mir erst die Augen reiben, als mir Burgtheaterdirektor Klaus Bachler in einem großen Standard-Interview im November 2003 vom Verlust von "Kulturpolitik im eigentlichen Sinn", bei der Gelegenheit auch gleich von der "Abwesenheit von Politik im klassischen Sinn" in der Wenderepublik Österreich berichtet hat. Ich sehe sie ja noch vor mir, die Fahne des Widerstands, wie sie - ich nehme an, mit dem Wissen und dem Einverständnis von Direktor Bachler - im Frühjahr 2000 vor dem Portal dieser nationalen Erkenntnis- und Erziehungsanstalt lustig im Wind geflattert ist, um freilich dann irgendwann sang- und klanglos eingerollt zu werden - wie übrigens an vielen anderen Kultur-Orten auch. Irgendetwas musste passiert sein, das einen der führenden Exponenten des österreichischen Kunstbetriebs zu einem solch grundsätzlichen Meinungsumschwung hat kommen lassen.

Da musste ich mir erst die Augen reiben, als mir Burgtheaterdirektor Klaus Bachler in einem großen Standard-Interview im November 2003 vom Verlust von "Kulturpolitik im eigentlichen Sinn", bei der Gelegenheit auch gleich von der "Abwesenheit von Politik im klassischen Sinn" in der Wenderepublik Österreich berichtet hat. Ich sehe sie ja noch vor mir, die Fahne des Widerstands, wie sie - ich nehme an, mit dem Wissen und dem Einverständnis von Direktor Bachler - im Frühjahr 2000 vor dem Portal dieser nationalen Erkenntnis- und Erziehungsanstalt lustig im Wind geflattert ist, um freilich dann irgendwann sang- und klanglos eingerollt zu werden - wie übrigens an vielen anderen Kultur-Orten auch.

Irgendetwas musste passiert sein, das einen der führenden Exponenten des österreichischen Kunstbetriebs zu einem solch grundsätzlichen Meinungsumschwung hat kommen lassen. Immerhin kann man angesichts der ganz konkreten kulturpolitischen Entscheidungen der seit drei Jahren amtierenden national-konservativen Bundesregierung, die von einer Schüssel-hörigen ÖVP-Fraktion dominiert wird, durchaus zum Schluss kommen, dass soviel Politik in der Kulturpolitik schon lange nicht mehr war; ja dass die zuletzt getroffenen Maßnahmen eigentlich nur den Befund einer umfassenden Re-Politisierung von Kulturpolitik zulassen. Diese Einschätzung ist freilich nur dann plausibel, wenn man sich von der Idee von Kulturpolitik als einer Art exterritorialer Zone, in der unter einer staatlicherseits zur Verfügung gestellten Schutzglocke der Kulturbetrieb seine Ränkespiele unter sich ausmacht, gesellschaftliche oder gar parteipolitische Interessen keine Rolle spielen, verabschiedet. Die KulturpolitikerInnen Morak, Gehrer und Co. haben damit kein Problem. Sie zeigen uns vor, wie es anders geht: Sanktionsgeprüft verstehen sie es - frei nach dem Motto "Ist der Ruf erst einmal ruiniert, dann regiert es sich ganz ungeniert" - immer besser, Kulturpolitik für ihre parteipolitischen Interessen zu instrumentalisieren. Dazu gehört auch, jede Gegenwehr mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln zu brechen und damit Zustimmung oder zumindest Tabuisierung ihrer Taten einzufordern.

Ihr zentrales kulturpolitisches Interesse ist nicht vordergründig inhaltlich, sondern in erster Linie machtspezifisch orientiert. Entsprechend begnügt sich ihre Politik damit, gerade im Kunst- und Kulturbereich möglichst alle strategischen Positionen mit unbedingten Gefolgsleuten zu besetzen. Überall dort hingegen, wo sich in verbleibenden Netzwerken noch kritische Öffentlichkeiten bilden könnten, finden sie ein breites Feld, ihre politisch destruktiven Anteile - nach Jahren der kulturpolitischen Stagnation - auf schon nicht mehr möglich erscheinende Weise auszuleben.

Das Diagonale-Desaster ist dafür ein gutes Beispiel, das aufgrund der wirtschaftlichen Interessen, die ganz unmittelbar davon betroffen sind, zumindest einige öffentliche Aufmerksamkeit erregt. Ein anderes Kampffeld, das zur Zeit, von einer breiteren Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, vonstatten geht, ist die existenzielle Verunsicherung diverser ministerieller Förderungs-, Service- und Beratungseinrichtungen wie Österreichischer Kultur-Service, KulturKontakt Austria oder Büro für Kulturvermittlung. Ähnlich wie bei der Filmpolitik setzen Gehrer und Morak auch in diesem Fall nicht auf neue konzeptive Lösungen, sondern ausschließlich auf personelle Loyalitäten. Folgerichtig lautet bisher die einzige politische Vorgabe: Fusionieren, verbunden mit der ernüchternden Auflage, zu den bisherigen Kürzungen bis zu weitere 50% Einsparungen zu erzielen. Als Leiter dieses neuen heterogenen Konglomerates auf Abruf ist ein ehemaliger Sekretär von Ministerin Gehrer, Kurt Wagner, vorgesehen.

Mit der Absage an schulische Kunst- und Kulturvermittlung wird die jahrlange Aufbauarbeit des ÖKS zur Schaffung eines Netzwerkes von LehrerInnen und KünstlerInnen vernichtet, die zu unverzichtbaren TrägerInnen kultureller Projektarbeit geworden sind. Mit der Forderung nach Rückbesinnung auf österreichische Interessen wird das hervorragende Image von Kultur Kontakt vor allem in Mittel-, Süd- und Osteuropa zerstört, das Österreich zu einem für viele Kultur- und Bildungsinitiativen unverzichtbaren Partner hat werden lassen. Und in Kauf genommen wird - ganz entgegen der herrschenden Sparphraseologie - die bewusste Zerstörung unwiederbringlicher materieller und immaterieller Werte, inklusive der zynischen Frustration des Engagements vieler KollegInnen und KooperationspartnerInnen, die in erster Linie mit sich selbst und ihrem beruflichen Überleben beschäftigt sind.

Offenbar geht das Ministerium bei seinen Destruktionsversuchen von einer längerfristigen Strategie aus. Bereits im Sommer 2002 eröffnete Ministerin Gehrer in öffentlichen Interviews den Verunsicherungsreigen mit der Ankündigung einer Zusammenlegung diverser "Ministeriumsvereine". Diese sollten Einsparungen öffentlicher Zuwendungen in der Höhe von 50% ermöglichen. Knapp vor der letzten Nationalratswahl wurde der Autor nach 17jähriger Tätigkeit als Geschäftsführer gekündigt, das Unternehmen auf diese Weise gezielt kopflos gemacht; mehr als eine Warnung für die verbleibende Belegschaft, sich künftig in politischem Wohlverhalten zu üben. Damit war auch der Weg frei für eine interimistische Führung durch Sektionschef Heinz Gruber, der seither alle nur denkbaren ÖKS-Führungsfunktionen wahrnimmt: Geschäftsführer, Vorstandsvorsitzender und ministerieller Auftraggebervertreter. In einer derartigen Rollenkumulation gewinnen bei diesem weisungsgebundenen Erfüllungsgehilfen die persönlichen Interessen von Ministerin Gehrer, als deren Mann für’s Grobe Heinz Gruber gilt. Dies umso mehr, als Gruber selbst kultureller Bildung oder gar Kunstvermittlung gegenüber skeptisch bis ablehnend gegenüber steht und im Fachzusammenhang den ÖKS nach außen auch gar nicht zu vertreten versucht: Was ihn bestenfalls interessiert, ist die Umwandlung in eine politische Agentur, die kostengünstig ministerielle PR-Projekte durchführt, in jedem Fall widerspruchslos das macht, was man ihr sagt. Heinz Gruber tritt am 1.12. als Beamter in den Vorruhestand, ob er in seinen übrigen Funktionen bleibt und auf diese Weise Verantwortung für dieses Desaster wahrnimmt, wird sich bereits in wenigen Wochen zeigen.

Was die konkrete Umsetzung der Fusionierung betrifft, so existiert seit Herbst 2003 ein ministerielles Schreiben an die Vereine ÖKS, KulturKontakt und Büro für Kulturvermittlung mit dem Auftrag zu fusionieren. Seither tagen verschiedenste Arbeitsgruppen, die versuchen, diesen Auftrag umzusetzen und dabei zu retten, was zu retten ist. In Ermangelung eines konzeptiven Auftrages, der über den Bedarf eines "stärkeren Österreichbezugs" und "Einsparungen" hinausreicht, gestaltet sich diese Fusionierung im Freistil zunehmend zu einer Selbstzerfleischung der KollegInnen. In jedem Fall ergibt sie eine weitere Schwächung der Unternehmen, deren ausschließliche Innenorientierung bis auf weiteres alle Kräfte bindet. Dies wird noch einmal verschärft durch Hinzuziehung des externen Beraters Christian Pultar von der "Gesellschaft zur Förderung der Digitalisierung des Kulturgutes" (er hat sich als Moraks Mann bei der Auslagerung der Artothek bereits einen Namen gemacht), dessen Hauptaufgabe darin zu bestehen scheint, die betriebswirtschaftlichen Auseinandersetzungen unter den Organisationen noch weiter zu verschärfen. Zum Inventarium dieser Form von Kulturpolitik gehört auch die Einschüchterung aufmüpfiger Akteure. Personen, die sich kritisch äußern, werden seitens des Ministeriums mehr oder weniger unsanft daran erinnert, dass sie abhängig sind und die Hand, die füttert, nicht gebissen werden darf. Und es werden ihnen - wie zuletzt im Rahmen einer KünstlerInnen-Initiative gegen Stundenkürzungen kunstvermittelnder Gegenstände - ganz konkrete Sanktionen (die von "Ich grüße Sie nicht mehr" bis "Dann gibt es eben keine Subvention mehr" reichen) angedroht.

Jetzt weiß ich nicht, ob Klaus Bachler auch solche "gutgemeinten" Anrufe erhalten hat. Dann wäre es immerhin verständlich, dass er aus einer Art institutionellem Selbstschutz mithilft, einen interpretativen Mantel des Schweigens über dieses machtgetriebene Re-Politisierungsprogramm auch von Kulturpolitik zu legen. Vielleicht ist ja auch nur sein kulturpessimistisches Grundverständnis übergeschwappt. Immerhin schließt er mit seinen Äußerungen nahtlos an konservative Kulturvorstellungen an, die die gesellschaftliche Modernisierung seit nunmehr hundert Jahren begleiten, wenn er einerseits die Politik für nicht existent erklärt und statt dessen die Bereiche Wirtschaft und Medien als die eigentlichen, wenn auch nicht fassbaren Feinde ins Visier nimmt. Sie wären es, die die Kultur "versklaven" würden; ihnen gegenüber gälte es, zumindest ein kleines Reservat an künstlerischer Freiheit zu verteidigen.

Programmatisch finden Franz Moraks Ankündigungen über die Bedeutung der "Cultural Industries" bislang keine Entsprechung in einschlägigen kulturpolitischen Maßnahmen. Trotzdem sollte man sich nicht täuschen lassen: Die neue Kulturpolitik bedient sich in erster Linie ökonomischer Mittel zur Durchsetzung ihrer machtpolitischen Ziele, und zwar ausschließlich im Sinne der Umverteilung und selektiven Verknappung öffentlicher Ressourcen. Das Argument vom Sparzwang eignet sich da als durchaus probates Mittel, eine Politik der Ausgrenzung Andersdenkender durchzusetzen, während dieselben Akteure politisches Wohlverhalten diverser Seilschaften verschwenderischer denn je honorieren.

Möglicherweise haben die KulturpolitikerInnen Morak und Gehrer überhaupt keinen elaborierten Kulturbegriff. Ihren wenigen öffentlichen Äußerungen ist zu entnehmen, dass sie Kunst hassen, vor allem diejenige, deren Exponenten ihre Kreise stören bzw. nicht ihrem parteipolitischen Lager zuzuordnen sind. Eine Kulturpolitik, deren Hauptzweck darin besteht, diese Spreu vom Weizen zu trennen, setzt naturgemäß nicht mehr auf Ermöglichung von Vielfalt, vielstimmigen Diskurs oder auf die Verbesserung von Zugangschancen kulturell benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Statt paternalistischem Wohlwollen oder zumindest repressiver Toleranz ist ausschließlich ein parteipolitischer Selektionsbedarf handlungsleitend (zugegeben bei Morak mit hohem Anti-Peymann-Drive); mit dem zusätzlichen Novum, jede öffentliche Diskussion über die Entscheidungsfindung zu verweigern. Was bleibt, ist das ungläubige Staunen der Betroffenen, die ihre Faust in der Tasche ballen.

Das Ergebnis dieser Machtverschiebung soll - quasi naturgegeben im Kulturland Österreich - eine Erneuerung einer konservativen kulturellen Hegemonie in Form der Wiederauferstehung des seit den 70er Jahren eingemotteten Lodenmantels bringen, so das politische Kalkül. Die institutionellen Interpreten, die meinen, auf Gedeih und Verderb sich mit den neuen kulturpolitischen Verhältnissen arrangieren zu müssen, werden sich darum reißen, den zugehörigen ideellen Überbau zu liefern. Ob sich eine solche Kulturpolitik dann überhaupt noch als eine Politik, oder gar als eine konservative Kulturpolitik wird bezeichnen (lassen), ist übrigens ziemlich egal, wenn es nur gelingt, die wesentlichen Machtpositionen auch im Kulturbereich dauerhaft mit unbedingten Parteigängern der herrschenden ÖVP-Seilschaften zu besetzen. Das national-konservative Projekt ist weniger charakterisiert durch den allgemeinen Verlust des Politischen und eine umfassenden Ökonomisierung von Kultur, als durch die sehr konkrete Re-Politisierung von Kulturpolitik mit allen möglichen Mitteln. Die im Moment kursierenden kulturpessimistischen Interpretationen negieren die größte Machtverschiebung, die es seit 1945 in Österreich gegeben hat. Eine Kulturpolitik, die es vorgeblich gar nicht gibt, tut sich leicht, diese Machtverschiebung zu legitimieren und, wo das nicht möglich ist, zu tabuisieren, wofür Klaus Bachler mit seinen Einschätzungen eindrucksvolle Zuarbeiten liefert. In diesem Sinn ist sein Tabuisierungsversuch ein Hinweis darauf, dass die kapitale Niederlage, die der Kulturbetrieb im kurzfristigen Aufbäumen gegen diese neue Regierungsform im Frühjahr 2000 erlitten hat, bisher weitgehend unbearbeitet und daher auch nicht verarbeitet worden ist. Seine Aussagen sind ein Symptom für eine Kulturszene, die schlicht ihre Badges "Schwarz-Blau Nein Danke" abgenommen hat und seither vorauseilend oder zynisch, raisonierend oder verzweifelt, jedenfalls ohne überzeugenden politischen Gegenentwurf im Hinterkopf mit den neuen Verhältnissen zurecht zu kommen versucht. Solange die Opposition keine Anstalten macht, neue Allianzen für ein gemeinsames überzeugendes Zukunftsprojekt zu schmieden, wird sich - so meine Vermutung - daran auch nichts ändern. Konsequenter Weise ist daher - zum jetzigen Stand der politischen Alternativen-Entwicklung - das mögliche Ende dieser Regierung einmal mehr ihre wahrscheinliche Fortsetzung bis auf weiteres.


Michael Wimmer ist Direktor von Educult -Institut für die Vermittlung von Kunst und Wissenschaft und war davor langjähriger Geschäftsführer des ÖKS.

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