Perspektive Leerstand

Ungenutzte Geschäftslokale, verlassene Gebäude und brachliegende Flächen beflügeln die Fantasie: Was da alles passieren könnte! Zahlreiche Initiativen suchen nach Räumen, um Projekte realisieren zu können. Bis jetzt gibt es sehr wenige Beispiele, in deren Rahmen diese Nachfrage mit dem vermeintlichen Angebot vermittelt werden konnte.

„Stadtgestaltung von unten“ braucht Raum. 

Ungenutzte Geschäftslokale, verlassene Gebäude und brachliegende Flächen beflügeln die Fantasie: Was da alles passieren könnte! Zahlreiche Initiativen suchen nach Räumen, um Projekte realisieren zu können. Bis jetzt gibt es sehr wenige Beispiele, in deren Rahmen diese Nachfrage mit dem vermeintlichen Angebot vermittelt werden konnte. Und so werden die Ideen ganz schnell wieder auf den Boden der Tatsachen gebracht: Für Eigentümer_innen bestehen mehr Anreize, Räume leer stehen zu lassen, als sie zum Beispiel auf Betriebskostenbasis zur Verfügung zu stellen.

Die Frage, wie Räume genutzt werden und wem sie zur Verfügung stehen, ist auch in Wien ein brisantes, hochaktuelles Konfliktfeld. Seit 2002 ist wieder viel in Bewegung, Raumnahmen verschiedenster Art finden statt. Die Wohnwägen werden mehr, Kollektive bilden sich, Wohnprojekte, Landwirtschaftsprojekte, autonome Kunst- und Kulturproduktionen: Es geht um solidarische Gemeinschaftskonzepte, die ohne geeignete Räume nicht stattfinden können. Ihrer wertvollen Entfaltung stehen hohe Mieten im Wege.

Die Wiener Stadtpolitik reagiert auf aktive Raumnahmen und Besetzungen meist reflexartig mit Räumung. Wurden einige Leerstands- oder Nachnutzungen, wie das Amerlinghaus, das WUK, die Arena II anerkannt und subventioniert, so heißt es dort jetzt: Anpassung an die Verwertungslogik und Beschneidung der Selbstverwaltung. Das Druckmittel dafür sind genau die Fördergelder, die eigentlich den kulturellen und sozialen Mehrwert gewährleisten helfen sollen. Für freie und autonome Projekte ist bei dieser „sozialdemokratischen Beglückungsstrategie“ (Dieter Schrage) kein Platz.

Trotz Lippenbekenntnis wurde bis jetzt noch kein nachhaltiges Konzept entworfen, das die vorhandenen Interessen und Bedürfnisse tatsächlich aufnimmt. Die Stadtregierung hat im Regierungsübereinkommen seitens der SPÖ die Entwicklung einer „Agentur für Zwischennutzung“ festgeschrieben, aber deren Realisierung lässt auf sich warten.

„Da hat Wien starken Nachholbedarf im Vergleich zu anderen Städten“, so Mara Verlic, „ein erfolgreiches Leerstandsmanagement, das Eigentümer_innen und Nutzer_innen vermittelt, kann Raum für Experimente schaffen und auf lange Sicht soziokulturellen Mehrwert und Innovationen generieren.“

Studie „Perspektive Leerstand“

Verlic leitet gemeinsam mit Wencke Hertzsch von der TU Wien den zweiten Teil der Studie „Perspektive Leerstand“, die Möglichkeiten und Konflikte im Zusammenhang mit leer stehenden Räumen untersucht. Von der IG Kultur Wien in Auftrag gegeben soll diese wissenschaftliche Studie Handlungsfelder abstecken, in denen nicht genutzte Räume mit dem großen Bedarf seitens sozialer, künstlerischer, kultureller und politischer Initiativen zusammen gebracht werden können. Die Studie verweist auf den dringenden Handlungsbedarf und die Notwendigkeit, Lösungsansätze zu erarbeiten. Wird die Leerstandsproblematik von den politisch Verantwortlichen eher verdrängt und auf den Kulturbereich abgeschoben, soll die Studie das Thema wieder auf die stadtpolitische Agenda bringen.

Der erste Teil der Studie, erstellt unter Leitung von Oliver Frey, diskutiert die grundlegenden Begrifflichkeiten des Themenfeldes Leerstand und nähert sich dieser Problematik durch eine Bestandsaufnahme von gegenwärtigen und vergangenen „Freiraum“-Projekten in Wien an. Er stellt Initiativen und die wesentlichen Akteur_innen vor, um sowohl die Strategien der Nachfrageseite als auch die der Stadt und Eigentümer_innen zu beleuchten.

Verengtes Planungsverständnis

Während in anderen Ländern rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen wurden, um zum Beispiel das spekulative „Leer-stehen-Lassen“ unattraktiver zu machen, so ist in Österreich das Nutzungsrecht klar mit dem Eigentumsrecht festgeschrieben. Dies hat zur Folge, dass der_die Eigentümer_in die Entscheidungen trifft. Ohne öffentliche, rechtliche Instrumente kann so nur auf eine freiwillige Kooperation gehofft werden. Der politische Wille, hier grundlegende Änderungen herbeizuführen, fehlt bisher.

Ein weiteres strukturelles Problem ist, dass sich auf der Ebene der Stadt Wien durchaus verschiedene Stellen mit Leerständen beschäftigen. Aber Wissen und Verantwortlichkeiten werden nicht verknüpft und eine kohärente Bearbeitung verunmöglicht. Die IG Kultur fordert die Etablierung eines erweiterten Planungsverständnisses, das die verschiedenen Interessen und Akteur_innen aktiv einbindet, koordiniert und Kommunikationswege verkürzt. Soziokultureller und nicht ökonomischer Mehrwert muss gefördert werden.

Verengte Debatte

Das Fehlen einer breiten und umfassenden Bearbeitung des Themas in der Stadtpolitik zeigt sich auch in einer konstanten Engführung der Debatte. Kann eine unkomplizierte temporäre Nutzung bzw. Zwischennutzung dem Bedürfnis einiger Projekte durchaus entsprechen, so ist für andere die Prekarität der Kurzzeitigkeit ein Problem. Verbesserte Zwischennutzungsmöglichkeiten helfen nicht darüber hinweg, dass insgesamt Räume fehlen, die langfristig bespielt werden können. Es sollte nicht passieren, dass von Seiten der Stadt diese Interessen gegeneinander ausgespielt werden und aktive Raumnahmen und Besetzungen mit Verweis auf ein Zwischennutzungsangebot delegitimiert werden.

Weil gerade Zwischennutzungen häufig im Dienste einer unternehmerischen Stadtentwicklungspolitik als Instrumente eingesetzt werden, um Viertel aufzuwerten und Räume zu rekapitalisieren, wäre es sinnvoll, die Debatte nicht allein auf das „Lösungskonzept“ Zwischennutzung zu verengen, sondern sie über Leerstand und dessen Perspektiven breit zu führen.

Nach zwei Jahren rot-grünem Zuwarten ist es jetzt an der Zeit, konkrete Lösungen zu erarbeiten. Dazu braucht es die Ideen und die Kritik von einer freien und autonomen Kunst- und Kulturszene. Die IG Kultur Wien und die Studie „Perspektive Leerstand“ sind ein Knotenpunkt, über den eine Vernetzung dazu stattfinden kann.

Anmerkung

Der erste Teil der Studie kann auf der Seite der IG Kultur Wien heruntergeladen werden: www.igkulturwien.net/index.php?id=236

Anna Hirschmann und Raphael Kiczka sind aktiv bei Platzda!? (www.platzda.net) und kümmern sich bei der IG Kultur Wien um die Öffentlichkeitsarbeit zum Thema Leerstand, damit sich eine „Stadtgestaltung von unten“ auch aktiv Raum im Blätterwald nimmt.

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