Prekariat am roten Teppich

Im Filmsektor bestehen Anstellungen nur kurzfristig, die frei vereinbarten oder von den Förderstellen festgelegten Honorare reichen zur materiellen Absicherung der Existenz oft nicht aus. Wer als Kameramann oder Cutterin laufend Arbeit hat, kann davon ganz passabel leben. Lange Durststrecken zwischen den Engagements sind aber die Regel.

Ein Leben wie im Kinodokumentarfilm. 

Zwei berühmte klassische Bilder des Künstlers stehen einander gegenüber. Das eine ist der Genius der Renaissance, das andere Der arme Poet von Carl Spitzweg (1839). Der Dichter liegt, den Federkiel zwischen den Lippen, in einer schäbigen Dachkammer. Im Ofen brennt kein Feuer. Der Poet ist voll bekleidet in seine Decken gewickelt und mit einer Schlafmütze gekrönt. Über dem Poeten hängt ein verschlissener, aufgespannter Regenschirm, den man ironisch als vorweggenommene Metapher für den sozialen Schirm der KünstlerInnen interpretieren kann.

Von den klassischen Bildern zur Realität der (Film-)Kunst

Im Filmsektor bestehen Anstellungen nur kurzfristig, die frei vereinbarten oder von den Förderstellen festgelegten Honorare reichen zur materiellen Absicherung der Existenz oft nicht aus. Wer als Kameramann oder Cutterin laufend Arbeit hat, kann davon ganz passabel leben. Lange Durststrecken zwischen den Engagements sind aber die Regel, nicht die Ausnahme. In einer speziellen Lage sind die Regisseurinnen und Regisseure. Braucht man für einen Kinodokumentarfilm ein Jahr, zwei Jahre oder mehr? Es gibt erfolgreiche österreichische Dokumentarfilme, deren Produktionszeitraum vier, fünf Jahre betrug. Doch egal, wie viel Arbeitszeit man reinstecken muss, die Gage bleibt dieselbe. Sie bemisst sich an einem ungefähren Prozentsatz vom Gesamtbudget, das bei einer großen Zahl von gewissermaßen solide finanzierten Produktionen um die 150.000 Euro liegt (es entstehen aber auch Langfilme mit einem mageren Budget von 35.000 Euro, ganz wenige mit einem Budget von mehreren 100.000 Euro). Das durchschnittliche Bruttohonorar der RegisseurInnen beträgt zehn Prozent (bei kleineren Produktionen wenn möglich mehr, bei großen weniger), davon sind Sozialversicherung und Steuern zu bezahlen. Rette sich wer kann!

Bleibt vielleicht die Hoffnung auf den kommerziellen Erfolg des Films? Die Fördermittel zur Filmherstellung werden teils als erfolgsbedingt rückzahlbare Darlehen vergeben. Das heißt, was die ProduzentInnen damit einnehmen, geht an die Förderstellen, bis die Fördersumme zurückbezahlt ist. Daher leben auch die Produktionsfirmen in einer Art Dauerprekariat. In eine halbwegs bequeme Gewinnzone kommen Produktionen so gut wie nie. Und dann wollen einem so komische Piraten auch noch vorschreiben, dass man seine Sachen gefälligst gratis verteilen soll, am bequemsten durch Plattformen, sodass man als Filmerin oder Filmer nur ja nichts von den Verwertungsmöglichkeiten hat.

Ein schräges Erlebnis und sein bitterer Nachgeschmack

Vor ein paar Monaten hatte ich an der University of California ein schräges Erlebnis. Zwei meiner abendfüllenden Filme wurden gezeigt, der eine aus dem Jahr 2006, der andere aus dem Jahr 2012. Nach der Vorführung des ersten kam eine chinesische Studentin auf mich zu und sagte, dass ihr der Film noch besser gefallen habe als beim ersten Mal. Ich fragte sie, wo sie den Film denn schon einmal gesehen habe, und sie antwortete: „In China, dort wird er an jeder Schule gezeigt.“ Ich stand mit offenem Mund da, was die junge Frau offenbar als Zweifel an ihrer Aussage interpretierte. Sie korrigierte sich und meinte, zumindest an jeder chinesischen Schule, an der Deutsch oder internationale Kulturstudien unterrichtet werden. Uns Filmerinnen und Filmern machen also nicht nur Gratisdownloads und Piraten zu schaffen, sondern eine ganze Supermacht! Ich habe von meinem selbstproduzierten Film nicht eine einzige DVD nach China verkauft!

In Unkenntnis der weit verzweigten Kanäle, in denen österreichische Kinodokumentarfilme verschwinden und fernöstlich wieder auftauchen können, hatte ich bis dahin angenommen, als unabhängiger Dokumentarfilmer niemals in Dimensionen geschädigt zu werden wie die MusikerInnen. Bevor ich jene USA-Reise antrat, hatte ich gegenüber FilmkollegInnen für Solidarität mit den MusikerInnen plädiert, wenngleich Gratiskultur und die Geiz-ist-Geilisten uns unabhängigen FilmemacherInnen nur in vernachlässigbaren Größen zusetzen würden. Und dann stellt sich heraus, dass der bevölkerungsreichste Staat mit Sicherheit nicht nur meinen Film, sondern die Filme vieler KollegInnen aus den Download-Portalen zieht, gratis, für sein gigantisch großes Bildungssystem und wer weiß für welch andere Zwecke noch. Da kann man leicht sarkastisch werden.

Viel Liebe, aber wenig Geld

Vom deutschen Dichter Uwe Dick stammt der Satz: „Verdienen würde ich für meine Arbeit ein Vermögen, aber ich krieg’s nicht.“ Ein arbeitsloses Grundeinkommen gibt es nicht. Es wäre im europäischen Kontext zu diskutieren, aber auch bei seiner Verwirklichung wäre es dem Risiko der Arbeit und den üblichen 60 bis 80 Stunden Arbeit pro Woche nicht angemessen. Die SpezialistInnen im Filmsektor können nur hoffen, häufig genug kollektivvertraglich geregelte Arbeit zu haben, um es sich leisten zu können, auch an Filmen mitzuarbeiten, die keine Bezahlung in der gesetzlichen Mindesthöhe bieten können. RegisseurInnen können ihre Kapazitäten nicht so streuen. Man ist mit einem Projekt voll eingedeckt, ein zweites kann man vorbereiten. Es gibt Mittel für Projektentwicklung und Herstellung, mit denen man seine Unkosten decken und einigermaßen auch selbst finanziell über die Runden kommen kann – solange nichts Außertourliches passiert, ein Unfall etwa. Die Regiegagen habe ich schon beziffert. Wir sind also darauf angewiesen, aus der Verwertung finanziellen Gewinn zu ziehen.

Die sogenannte Verwertung findet auf verschiedenen Ebenen statt – national wie international. Der Anteil an den Kinokarten kann ein paar Tausender einbringen, auch der Verkauf von DVDs und Lizenzen, etwa im Bildungssektor, sowie Verkäufe an Fernsehstationen.

Wollen Sie wissen, wie viel zum Beispiel ein russischer Fernsehsender für die landesweite Kabelsendung eines abendfüllenden Films bezahlt? Kurzer Suspense!

In Österreich ist es üblich, mit Einkommensfragen Geheimniskrämerei zu betreiben, außer man kann über Armut klagen. Freimütig erschallt in der Straßenbahn die Frage, wie soll ich mit 880 Euro im Monat auskommen? Hört man andersrum jemals österreichische GutverdienerInnen, die sich zufrieden zu ihren 14 Mal 4.444 Euro netto äußern? Mit Dokumentarfilmen kann man keine goldene Nase verdienen. In schlechten Jahren ist man am Niveau einer Billa-Kassiererin, in guten in etwa in der Nähe der LehrerInnen mit ein paar Dienstjahren.

Nun zur Auflösung des Suspense: Der russische Kabelsender bezahlt für den abendfüllenden Film 1.500 Euro. Und das ist bei Weitem nicht der niedrigste Tarif. Es kostet rund 1.000 Euro, einen Film technisch so anzulegen, dass er auf i-tunes angeboten werden kann. Aber wird es die 300 legalen Downloads geben, die nötig sind, um die eingesetzten Mittel auch wieder retour zu bekommen?

Und doch ist es wunderbar, FilmemacherIn zu sein. Sigmund Freud sah den Künstler nicht romantisch genial wie Renaissance und Aufklärung, er sah nicht den armen Poeten wie Spitzweg. Für Freud sucht und findet der Künstler den Ruhm, das Geld und die Liebe der Frauen. Das dürfte nicht so falsch sein – bis auf den einen blinden Fleck: Künstlerinnen hat Freud nicht mitgedacht.

Tatsächlich bekommt man viel Liebe von den Menschen, wenn ihnen die Werke gefallen, und es ist ein gutes Gefühl, Sachen zu machen oder an ihnen mitzuwirken, die für Gerechtigkeit eintreten, fragwürdige Zustände oder spannende Entwicklungen darstellen, die die Kultur bereichern. Man erlebt immer wieder so etwas wie Ruhm, wenn man über den roten Teppich gehen darf und den Applaus des Publikums und gute Kritiken genießen kann. Man dreht mitunter im Ausland, freut sich über Einladungen zu internationalen Festivals, man kommt herum. Allerdings ist den wenigsten SeherInnen bewusst, dass diese doch augenscheinlich so erfolgreichen Menschen aus der Filmbranche, die mit dem gelungenen, freien Leben, unter finanziell äußerst problematischen Bedingungen arbeiten und – außer sie haben Vermögen geerbt – ohne jede materielle Sicherheit. Den freien MitarbeiterInnen beim Sender Ö1 geht es nicht besser. Sie rechneten kürzlich öffentlich vor, dass ihr Honorar zwischen drei und zehn Euro pro Stunde beträgt. Das kommt einem als Filmer bekannt vor.

Ausweitung des Urheberrechts für die zeitgenössische Kunst

Helmut Brandstätter hat in seinem Leitartikel im Kurier kürzlich die Erhöhung der Filmbudgets verlangt. Diese Forderung tragen wir mit. Außerdem gehören die Ankaufpreise aller Fernsehstationen Europas angehoben. Eine Festplattenabgabe könnte dem Kunstsektor helfen, die Verluste aus den geänderten Distributionswegen abzufedern. Gratis Download Plattformen dürfen nicht durch ACTA-Methoden bekämpft werden, aber vielleicht kann man ihnen durch Mittel wie Bewusstseinsarbeit an der Mentalität der UserInnen etwas Terrain entziehen. Und statt einer Aufweichung des Urheberrechts, was manche fordern, schlage ich eine Ausweitung vor!

Zurzeit ist es so, dass das Urheberrecht 70 Jahre nach dem Tod des Künstlers bzw. der Künstlerin erlischt. Das führt zur paradoxen Situation, dass es bei Veranstaltungen billiger ist, alte Kunst aufzuführen als zeitgenössische. Eine Löschung dieser zeitlichen Befristung brächte mehr Chancengleichheit. Ich trete nicht dafür ein, die Erben zu enterben. Die 70 Jahre sollen weiter gelten, die Tantiemen danach schrittweise abflachen und ein immer größerer Teil der Allgemeinheit zugutekommen.

Stellen wir uns einmal vor, wie viel zum Beispiel allein die Werke von Wolfgang Amadeus Mozart einspielen würden. Stellen wir uns vor, eine entsprechende Regelung gälte für jede kommerzielle Reproduktion der Werke alter Kunst, für Homer, Dante, Shakespeare, Moliere, Goldoni, Hayden, Beethoven, Brahms, Nestroy, Tschaikowski … bis über Eric Satie hinaus, dessen Urheberechte 2005 erloschen. Daher sollte nicht der Ruf nach Abschaffung des Urheberrechts erklingen, was die KünstlerInnen finanziell weiter schwächen würde, sondern nach der Einführung seiner Ausweitung, Stichwort „Mozart-Dividende“.

Allein Eine kleine Nachtmusik brächte viel Geld für die zeitgenössische Kunst. Um bei der „Nacht“ zu bleiben: Welche Summen spielte wohl alleine das Lied Stille Nacht, heilige Nacht mit jeder kommerziellen öffentlichen Aufführung auf der Welt ein? Gewiss ein Vermögen.

Harald Friedl ist Filmemacher, Musiker und Schriftsteller, Mitglied im Vorstand von dok.at, der Interessengemeinschaft Österreichischer Dokumentarfilm, und lebt in Wien und Niederösterreich.

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