Steirische Kulturpolitik im Zeichen des allseitigen Duckmäusertums

Einst war alles so revolutionär ... natürlich in abgeschwächter, österreichischer Form: Die Generation der in den Fifties geborenen, zum großen Teil von aktiven Nazimitläufern aufgezogenen Steirern hatte eine autonome Initiativenszene aufgebaut, die einiges an Kulturrelevantem umsetzen konnte. Doch was erst die Fahne der Revolution schwenkt, entwickelt sich meist zu neuem Establishment.

"Ihr lieben 68er ... danke für alles ... ihr könnt gehen ..." (Peterlicht)


Einst war alles so revolutionär ... natürlich in abgeschwächter, österreichischer Form: Die Generation der in den Fifties geborenen, zum großen Teil von aktiven Nazimitläufern aufgezogenen Steirern hatte eine autonome Initiativenszene aufgebaut, die einiges an Kulturrelevantem umsetzen konnte. Doch was erst die Fahne der Revolution schwenkt, entwickelt sich meist zu neuem Establishment. Selbstreferenziell. Langweilig, weil uninteressant.

Kurz zuvor, in der Generation der noch die letzten Kriegsjahre als Säugling erlitten Habenden, durfte sich noch ein FORUM STADTPARK, ein STEIRISCHER HERBST (inzwischen zum steirisc[:her:]bst mutiert) entfalten. Große Taten, provinziell gesehen. Wegweisend und mit dem Anspruch der ewigen Avantgarde. Doch jeder, der voranschreitet, bekommt irgendwann schmerzende Füße, sucht sich einen bequemen fahrbaren Untersatz. Und allzu schnell verwandeln sich einst wild im öffentlichen Raum onanierende und schockierende Anti-Citoyens zu anständigen Senioren, die ganz spießbürgerlich und autoritär auf Respekt pochen, den "Jungen" ihre mangelnde Risikobereitschaft ankreiden, nicht selten Hochschulprofessuren und Hofratsposten besetzen und gut befreundet sind mit Stadt- und Landpolitik. Da fragt sich der in den Siebzigern zum Jugendlichen gereifte Jungkünstler (und laut 2003-Intendant Lorenz sind alle Künstler unter 65 als "jung" zu bezeichnen), wozu denn eigentlich Engagement? Und findet die Antwort. Um irgendwann auch ein guter Hawara der Kulturpolitik zu sein, der ordentlich Subventionen abräumt. Die erste neoliberale Versuchsboje namens achtziger Jahre prägte ein Künstlerbild, dem das darauf folgende Jahrzehnt die Narrenkrone aufsetzte und das im Kulturhauptstadtjahr 2003 seine perverse Hochblüte feiern durfte: Der pragmatisierte "Szene"-Künstler, dessen Revolutionspotenzial proportional zu steigenden Subventionen absank ... übrigens völlig unabhängig von der Couleur der jeweils vorherrschenden politischen Richtung. Oft nur aus vorauseilendem Gehorsam. So ist schon eindrucksvoll zu erkennen, wie der Grundstein zur heutigen Situation gelegt wurde. Oder, um kultur.at-Betreiber Martin Krusche zu zitieren: "Der Typus Grazer Jazzfestival bei freiem Eintritt zeigte, dass kontinuierliche Basisarbeit an Spielorten und Publikum wirklich für die Katz' ist, da doch jederzeit das landesfürstliche Personal in die Schatulle fassen kann, um dem Volk Vergnügungen zu bieten."

Als Reaktion begnügte sich die so genannte Freie Szene nun damit, Kulturpolitik zu betreiben, erschöpfte sich in kulturpersonellen Debatten und damit, sich öffentlichkeitswirksam zu entpolitisieren. Damit überließ man plötzlich einer neuen Gruppe von Mitspielern einen wesentlichen Teil des Spielbretts: den "Privaten". Auf einmal entstanden GmbHs, Kulturgesellschaften, die mit wenig Lust und Kompetenz zum offenen Diskurs die Würfel zu werfen begannen. Künstler hatten Knebelverträge zu unterfertigen oder waren nicht mit im Spiel. Die Company hat zu überleben. Punktum. Ein Kulturstadtrat mit kultureller Kompetenz? Nonsens. Jetzt leitet ein Ex-Wirtschaftsstadtrat das Ressort. Und kulturpolitische Aussagen verkommen zu Werbebotschaften und Jubelbriefchen. Graz hat’s. Graz darf alles. Frisch, saftig, steirisch.

2003 erreichte diese Entwicklung ihren vorläufigen Zenit. Mit der Fleisch gewordenen Hybris, manifestiert in der 2003-Company, wurde das inzwischen schwammige Konglomerat aus Tourismus, Kultur und Kunst werbewirksam und mit viel pyrotechnischem Aufwand abgefeiert. Die gesamte Stadt- und Landespolitik lief ins offene Messer des Narzissmus und manövrierte die Landeshauptstadt in den Ruin. Was nicht nur pekuniär verstanden sein will.

Seit 2003 sind nun zwei lange Jahre vergangen, in denen sich nur wenig verändern konnte. Hauptsächlich aufgrund einer immer stärker ausgelagerten Kulturpolitik, die viele kleine Organisatiönchen entstehen ließ. Die Hauptverantwortlichen für 2003 haben sich in Wien zur Organisation der 2005-Feierlichkeiten zusammengerottet, und die Steiermark ist dort, wo sie immer schon war: Im Südosten Österreichs. In der tiefsten Provinz. Wobei ja mit "Steiermark" meist Graz gemeint ist.

Eine gewisse altbekannte Resignation hat sich breit gemacht. Ein Teil der Kulturszene konnte sich durch brave Kooperation mit den Kulturhauptstadtfeiernden bescheidene neue Ressourcen sichern und wird wohl den Weg allen Fleisches in die Etablierung gehen. Möglicherweise sogar in politische Ämter. Das Kunsthaus unter Peter Pakesch verleibt sich eine Kulturorganisation nach der anderen ein, wodurch die absurde Situation geschaffen wird, dass eigentlich nur mehr das Forum Stadtpark, nach langer Zeit endlich wieder etwas weltoffener geführt von Anton Lederer und seiner Crew, noch halbwegs unabhängig zu sein scheint. Das wiederum schlägt sich in ausgesprochen niedrigen Förderungen für dieses Haus nieder, vergleicht man dessen Jahresprogramm schon rein quantitativ mit dem zum Teil größerer Stätten. Merke: Immer das Wort "Netzwerk" verwenden, um Förderungen zu akquirieren! Fördernde Amtsträger finden es sehr mühsam, sich mit Einzelkünstlern zu befassen (da müsste ja möglicherweise das Wissen upgedated werden), daher (und nicht aufgrund der unbestreitbaren sozialen Komponente) werden Dachorganisationen, Vereine und Netzwerke lieber gefördert. Ohne diesen "Einserschmäh" bekämen manche Kunstschaffende gar nichts mehr aus dem Kulturtopf. Schon längst wurden unter tatsächlich als Künstlern arbeitenden Menschen Stimmen laut, die die sofortige Einstellung sämtlicher Subventionen fordern. Survival of the fittest. Doch was hieße das? Das Geld würde wohl nicht in die notwendige Erneuerung der Infrastruktur fließen, sondern in weitaus nebulosere Töpfe. Höchstwahrscheinlich in den Tourismus. Oder PR-wirksame Großevents. Oder die Blasmusik.

Wer sich nämlich momentan über die steirische Kulturpolitik bzw. -szene ein Bild machen möchte, ist angehalten, die Internetseiten (Abt. 9, Kultur) der Landesregierung aufzusuchen. Trachten, Blasmusik und Weinfeste. Alte Klischees der christlichkonservativen Partei werden stolz als genuiner Teil der steirischen "Volkskultur" präsentiert.

Doch halt: Rechtzeitig vor den Gemeinderatswahlen tauchte schon im Herbst 2004 ein leise gerauntes Gerücht auf: Der FALTER kommt nach Graz! "Was?", war man genötigt zu fragen, "Wie jetzt?" Der neue Wunderwuzzi der steirischen VP-Kulturpolitik, Gründer einer privaten Kulturservicegesellschaft und Vater der steirischen Filmförderungseinrichtung CineStyria, Bernhard Rinner, hatte es offenbar geschafft, mittels einer von ihm öffentlich nicht benannten Summe Herrn Thurnher vom FALTER, dem Manifest des 7. Wiener Gemeindebezirks, zur Kooperation zu bewegen. Neidlos muss eingestanden werden: Ein großer Marketing-Schachzug. Damit konnte man den allerorten aufkeimenden Unmut wider landes- und stadtkulturpolitische Fehlleistungen beruhigen. "Seht’s, mir san jo net sou! Sogoa des rote Blattl mog uns!"

Dass der FALTER in Wien aufgrund einer gewissen Yuppiesierung der Redaktion schon längst nicht mehr den Stellenwert besitzt, den er einst hatte, steht auf einem anderen Blattl. Zugegeben: Es hatte schon ein gewisses Neugierpotenzial. Man war durchaus versucht zu kooperieren. Zumal hier offenbar wieder einmal eine Art neue Elite geschaffen werden sollte. Und der FALTER? Da muss man sich nicht so genieren, wie wenn man als Kulturjournalist, Kolumnist oder Cartoonist, sagen wir einmal, für die "Krone", den "Monat" oder den "Grazer" arbeiten würde.

Bernhard Rinner verstand es sehr gut, den FALTER in ein kulturpolitisches Licht zu rücken, das die ÖVP wiederum in ein noch besseres stellte. Stellt sich jetzt nur die Frage, warum die Musik- und Filmredaktion (zwei doch recht relevante zeitgenössische Kulturthemen) nun Gerüchten zufolge doch in Wien bleibt ...

Was geschah nun aber im Umfeld dieser massenmedialen Sensation? Das Übliche. Leise und ein wenig peinlich berührt, doch von Geltungsdrang, dem längst verblassten Nimbus des linken Alternativmagazins und zukünftiger Kontrollfunktionen geblendet, schlich sich nach und nach der eine oder andere Kunstschaffende bzw. Kulturtreibende ins Büro des Herrn Rinner, um rechtzeitig gute Claims abzustecken. Ein Redaktiönchen hier, eines dort ... denn wer im Land des Kernöls und Sterz als Künstler überleben möchte, der sichert sich beizeiten ein paar treue Freunde in den vorwiegend pechschwarz gefärbten Lokalzeitungen. Oder, eben noch besser, schreibt gleich selbst für eine solche. Damit ist man ziemlich gut abgesichert, sollte der Wind rauer zu wehen beginnen. Denn entweder organisiert man sich durch geschickte Platzierung eigener Taten im jeweiligen Medium die notwendige Öffentlichkeit oder man versucht die etwaiger Konkurrenten auf journalistischem Wege zu verhindern ("Tut mir leid, in dieser Ausgabe haben wir keinen Platz mehr!").

Wahrscheinlich lassen sich die steirischen Probleme österreichweit orten. Beobachtungen zufolge muss leider festgestellt werden, dass der kunst- und kulturschaffende Nachwuchs in immer größerem Maße ins Ausland oder in wirtschaftlich relevante Randbereiche der Kreativität wie Industrial Design, Information Design oder Game Development abwandert. Und möglicherweise ist das der Ausweg aus der Sackgasse der Subventionsempfängermentalität, die der MTV-und X-Box-Generation gangbar erscheint: Die Parallelität von Kunst und Kommerz, die Sicherung des Einkommens durch kreative kommerzielle Arbeit, die eine – auch territorial – unabhängige künstlerische Entwicklung zulässt, wenn man genug "Biss" hat und die dennoch auf Kooperation ausgerichtet ist. Ein im zunehmend kälteren sozialen Klima entstehendes Verantwortungsgefühl gegenüber Schwächeren, nicht, weil es politisch korrekt erscheint, sondern weil man es als richtig empfindet. Diese Kräfte der kommenden Generationen gilt es zu stärken, nicht Duckmäusertum zum Zwecke hoher staatlicher Förderungen und Reputation.

Jörg Vogeltanz ist Comiczeichner und -verleger mit selbstkultiviertem Tourette-Syndrom, lebt und werkt in Graz.

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